| »Mehr als prekär« – Luxemburg 1/2015

Prekarisierung meint längst nicht mehr nur die Ausweitung unabgesicherter, schlecht bezahlter Arbeitsverhältnisse – also mehr bad-jobs – sie ist in alle Lebensbereiche eingewandert: Zeitstress, die Unmöglichkeit das eigene Leben planen zu können, Verdrängung aus den Städten und wachsende Reproduktionslücken. Prekarisierung ist neue ›Normalität‹ – und doch betrifft sie nicht alle gleichermaßen, sind die Möglichkeiten, mit vielfältigen Verunsicherungen umzugehen, stark klassenabhängig. Oft ist vom ›Prekariat‹ die Rede – doch wer ist damit gemeint? »Alle wollen ihm entfliehen, niemand will dazu gehören«, schreibt Loïc Wacquant in LuXemburg 1/2015 über das »postindustrielle Prekariat«.
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| Schattenseiten einer gespaltenen Stadt

Von Loïc Wacquant

Ein Kaleidoskop der Lebenslagen des urbanen Prekariats

Seit der fordistisch-keynesianische Klassenkompromiss endgültig aufgekündigt wurde, haben wir es mit einem regellos, aber stetig anwachsenden Strom von Menschen zu tun, die in die dunklen Ecken, Ritzen und Gräben der sich polarisierenden Städte drängen und versuchen, dort heimisch zu werden. Man mag sie als urbanes Prekariat bezeichnen, diese prekären Fraktionen des postindustriellen Proletariats, deren missliche Lage sich in den vergangenen Jahren weiter verschlechtert hat – technisch betrachtet, sind es diejenigen, die nichts als ihre Arbeitskraft haben, die sie zu Markte tragen können. Während es zahlreiche makroskopische und statistische Untersuchungen gibt, die diese Entwicklung belegen, geht es in Unsichtbar in Austin (2015) um Elemente des Alltagslebens und des Alltagsbewusstseins dieses urbanen Prekariats. Die Diagnose wird damit bestätigt und erhärtet, gleichzeitig ergibt sich ein komplizierteres Bild.
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| Garantierte Prekarisierung – Die »Jugendgarantie« der EU

Von Thomas Sablowski und Sandra Sieron

Die Arbeitslosenquote der 15- bis 24-Jährigen lag in der Europäischen Union (EU) im dritten Quartal 2014 laut Eurostat bei 21,3 Prozent. In Spanien waren es offiziell 52,4, in Griechenland 49,5, in Kroatien 40,4 und in Italien 39,3 Prozent. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit in der EU ist nicht nur ein ökonomisches Problem, sondern zunehmend auch ein politisches für die Regierenden. Denn die Protestbewegungen gegen die Krisenpolitik der EU-Regierungen und der Troika von Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds werden in hohem Maße von jungen Menschen getragen. So ist es nicht verwunderlich, dass der wiedergewählte Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, in seiner ersten Rede vor dem neu konstituierten Parlament am 1. Juni 2014 das »schockierende Niveau der Jugendarbeitslosigkeit«, das eine »Bedrohung für unsere Demokratie« sei, gleich an erster Stelle der politischen Herausforderungen in seiner neuen Amtsperiode nannte (Schulz 2014). Und auch der neue Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, eröffnete die Vorstellung seiner politischen Leitlinien für die zukünftige Arbeit der Kommission mit der Bemerkung, die Jugendarbeitslosigkeit habe Höchststände erreicht, und erklärte die Schaffung neuer Arbeitsplätze zum primären Ziel seiner Agenda (Juncker 2014, 2).


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| Krise, Kommunikation, Kapitalismus

Von Christian Fuchs

Zur politischen Ökonomie sozialer Medien

In der Auseinandersetzung mit sozialen Medien ist von bürgerlichen DenkerInnen immer wieder zu hören, dass Plattformen wie YouTube, Facebook, Instagram, Twitter und Pinterest zum Aufstieg einer partizipativen Kultur geführt haben (vgl. Jenkins et al. 2013). Der Begriff der Partizipation wird dabei jedoch etwas vereinfachend als die Schaffung von nutzergenerierten Inhalten und Publikums­beteiligung verstanden. Staughton Lynd (1965) hat den Begriff der partizipativen Demokratie in die akademische Debatte eingeführt, um die Organisationsprinzipien der Students for a Democratic Society in den USA zu analysieren. In Weiterentwicklungen dieser Theorie geht es darum, die gesamte Gesellschaft als Sphäre der Politik zu verstehen, also auch die Ökonomie als einen durch die unmittelbaren ProduzentInnen demokratisch zu kontrollierenden Bereich (vgl. Macpherson 1970, Pateman 1970). Kapitalistisches Privateigentum gilt in dieser Logik als eine Form der Diktatur.


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| Gesundheitsversorgung ganz anders?

Von Eva-Maria Krampe

Ideen für eine Soziale Infrastruktur

Der gegenwärtige neoliberale Kapitalismus hebelt die Systeme sozialer Sicherung systematisch aus. Austeritätspolitiken insbesondere in den sogenannten Krisenländern verschärfen diese Tendenz. Für das Gesundheitswesen bedeutet das, dass Privatisierung und Ökonomisierung auch die Gesundheitsrisiken rasant individualisieren und vertikal ausdifferenzieren (vgl. Wohlfahrt in LuXemburg 1/2015). Ein Zurück zu den überkommenen korporatistisch-bürokratischen Formen des Sozialstaats ist jedoch nicht nur wegen veränderter Arbeitsverhältnisse keine Alternative, sondern auch wegen dessen ausgrenzenden und disziplinierenden Charakters. Der fordistische Sozialstaat gehört auch deshalb der Vergangenheit an, weil es angesichts des erreichten Stands der Produktivkraftentwicklung nicht mehr sinnvoll ist, die gesellschaftlichen Existenzmöglichkeiten im Wesentlichen an Lohnarbeit zu binden. Das Verhältnis von kollektiver Produktion und kollektivem Konsum muss neu justiert werden. Eine völlige Umgestaltung des Sozialen, die zu einer emanzipatorischen Veränderung der herrschenden Verhältnisse insgesamt beitragen würde, steht auf der Agenda.


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| Vom Geschäft mit Grundbedürfnissen – Die Ökonomisierung sozialer Dienste

Von Norbert Wohlfahrt

In der Diskussion um Qualität und Entwicklung Sozialer Infrastrukturen herrscht vielfach Verwunderung darüber, warum für alles Mögliche Geld da ist, nicht aber für so elementare Dinge wie die Versorgung alter Menschen, die Erziehung und Betreuung von Kindern oder die Förderung von Menschen mit Behinderungen. Der Grund hierfür liegt im Prinzip des Privateigentums und der privaten Gewinnerwirtschaftung, die für die gesamte kapitalistische Ökonomie beherrschend sind.


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| Ziemlich viel Klasse

Von Horst Kahrs

Prekarisierung und politische Partizipation

Mit der sozialen Ungleichheit wuchs in den vergangenen drei Jahrzehnten die politische Ungleichheit. Nach der Bundestagswahl 2013 schlug die Bertelsmann Stiftung Alarm wegen möglicher Gefahren für die demokratische Legitimität: »Das demokratische Versprechen der Gleichheit aller bleibt uneingelöst« (Vehrkamp/Hierlemann 2013, 3). »Bei der Bundestagswahl 2013 [kamen] überproportional viele Nichtwähler aus den sozial prekären Milieus. Ihre Meinungen, Präferenzen und Interessen sind im Wahlergebnis unterrepräsentiert. Die Bundestagswahl 2013 war deshalb eine sozial prekäre Wahl« (Tillmann/Gagné 2013, 6). Dieser Befund stützte sich auf eine breite empirische Basis. Gibt es ein neues Klassenwahlverhalten der unteren sozialen Schichten?


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| Aufwertung jetzt!

Interview mit Jana Seppelt

Gespräch über Strategien und Tücken der Tarifrunde Sozial- und Erziehungsdienst

Die Bundestarifkommission von ver.di hat Ende 2014 die Eingruppierungsvorschriften in den Sozial- und Erziehungsdiensten gekündigt und verhandelt nun mit dem kommunalen Arbeitgeberverband. Worum genau geht es in dieser Tarifrunde?

Wir wollen eine angemessene Entlohnung für die Beschäftigten erreichen. Dadurch dass die Kriterien der Eingruppierung verändert werden, soll sich ihr Gehalt um circa 10 Prozent verbessern. Wichtig ist, dass in Zukunft bei der Einstufung frühere Beschäftigungszeiten voll anerkannt werden. ErzieherInnen, SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen sind sehr gut ausgebildet. In Kitas, Schulen, in der Behindertenhilfe sowie in der Kinder- und Jugendhilfe leisten sie eine anspruchsvolle Arbeit, die aber nicht angemessen entlohnt wird.


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| »Überarbeitet und überschuldet« Die Zukunft von Arbeit, Freizeit und Konsum

Ein Interview mit Juliet Schor

Muster von Arbeit, Freizeit und Konsum ändern sich nicht über Nacht, wir befinden uns aber seit einem halben Jahrzehnt in einer tief greifenden Krise. Ganz offensichtlich hat sich diese massiv auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt, aber sehen Sie Anzeichen für andere dauerhafte Veränderungen?

Einige Trends, die vor dem Crash von Bedeutung waren, haben sich inzwischen abgeschwächt. Ich denke da an das, was ich das Fast-fashion-Modell des Konsums genannt habe: Import preiswerter Fabrikwaren, von denen die Menschen immer mehr in immer kürzeren Zeiträumen erwarben, immer schnellere Modezyklen und Zyklen des Kaufens, Nutzens und Wegwerfens. Offensichtlich ist dies im Bereich der Bekleidung, aber es zeigt sich auch in der Unterhaltungs- und Haushaltselektronik, eigentlich bei fast allen Konsumgütern. Vieles davon wurde über Kredite finanziert oder durch längere Arbeitszeiten, aber die Preise für viele Produkte stürzten zeitweise in den Keller. Man bekam einen DVD-Player für 19 US-Dollar. Aber das war eine besondere Periode. Ich glaube nicht, dass wir das so bald wieder erleben werden. Die andere zentrale Entwicklung ist eine Spaltung des Konsumgütermarktes, die sich schon seit längerer Zeit abzeichnet. Das liegt am wirtschaftlichen Absturz und an der Schrumpfung der Mittelschichten. Wir haben einerseits einen wachsenden Low-end-Sektor mit Ramschläden und Einzelhandelsstrukturen, die selbst Walmart als teuer erscheinen lassen, andererseits die Expansion eines High-end-Luxus-Marktes. Darin spiegeln sich die Entwicklungen beim Einkommen und Vermögen wider. Es gibt eine größere Zurückhaltung beim Schulden machen, sodass der Konsum auf Pump zurückgegangen ist. Haushalte kommen derzeit auch nicht mehr so leicht an Verbraucherkredite. Parallel erleben wir den Aufstieg ›alternativer Konsumptionskulturen‹: Immer mehr Menschen rücken von dominanten Lebensstilen der letzten Jahrzehnte ab, die im Wesentlichen auf Hyperkonsum, Markenfetisch und Massenproduktion basierten. Sie wollen ökologisch bewusster leben und präferieren etwa handwerkliche und selbst gefertigte Produkte.


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| »We are here to stay«

Von Peter Bremme

Selbstorganisierung von Flüchtlingen in Gewerkschaften. Das Beispiel Hamburg

Ver.di Hamburg und der DGB Hamburg verfügen über eine langjährige Praxis in der Beratung und Organisierung von Flüchtlingen und MigrantInnen. Diese geht unter anderem auf eine gemeinsame Kampagne des ver.di-Fachbereichs 13 (Besondere Dienstleistungen) mit OrganizerInnen der US-amerikanischen Dienstleistungsgewerkschaft SEIU1 im Jahr 2006 zurück. Damals ging es um die Organisierung von Beschäftigten des Hamburger Wach- und Sicherheitsgewerbes. Die Auseinandersetzung mit den Erfahrungen der SEIU, etwa in der Justice-for-Janitors-Kampagne, der von Ken Loach mit Bread and Roses ein filmisches Denkmal gesetzt wurde, hat uns damals regelrecht die Augen geöffnet: Auch in Hamburg gibt es eine unsichtbare Welt von deregulierten, informellen und illegalisierten Arbeitsverhältnissen, die in den regulären gewerkschaftlichen Strukturen nicht auftaucht.


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