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Mai 2015  Druckansicht
Interview mit Jana Seppelt

Gespräch über Strategien und Tücken der Tarifrunde Sozial- und Erziehungsdienst

Die Bundestarifkommission von ver.di hat Ende 2014 die Eingruppierungsvorschriften in den Sozial- und Erziehungsdiensten gekündigt und verhandelt nun mit dem kommunalen Arbeitgeberverband. Worum genau geht es in dieser Tarifrunde?

Wir wollen eine angemessene Entlohnung für die Beschäftigten erreichen. Dadurch dass die Kriterien der Eingruppierung verändert werden, soll sich ihr Gehalt um circa 10 Prozent verbessern. Wichtig ist, dass in Zukunft bei der Einstufung frühere Beschäftigungszeiten voll anerkannt werden. ErzieherInnen, SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen sind sehr gut ausgebildet. In Kitas, Schulen, in der Behindertenhilfe sowie in der Kinder- und Jugendhilfe leisten sie eine anspruchsvolle Arbeit, die aber nicht angemessen entlohnt wird.

Wie viel verdient eine Erzieherin?

Das Einstiegsgehalt liegt im öffentlichen Dienst zwischen 2 100 und 2 530 Euro brutto bei einer Vollzeitstelle. Fast die Hälfte der ErzieherInnen arbeiten jedoch Teilzeit – zum Teil auch unfreiwillig. Entweder gibt es keine Vollzeitstellen oder die gesundheitliche Belastung ist zu hoch, was insbesondere die älteren KollegInnen spüren. Auch bei einem Gehalt von 2 800 Euro nach längerer Berufsphase sind das bei einer 3-Tage-Woche beispielsweise nur 1 680 Euro brutto. Da ist das Armutsrisiko hoch. Bei sozialen Berufen verstärken sich das relativ niedrige Lohnniveau und der hohe Anteil von Teilzeitphasen im Lebenslauf außerdem negativ mit Blick auf die Rente. Der gender pay gap, also die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern, verschärft sich auf diese Weise zu einem gender pension gap von fast 60 Prozent.

Der letzte Streik in den Sozial- und Erziehungsdiensten in 2009 war beeindruckend. Inwiefern profitiert ihr von diesen Erfahrungen?

Wir haben in der damaligen Streikbewegung viel gelernt, konnten aber die geforderten Lohnerhöhungen noch nicht durchsetzen. Deshalb müssen wir nun den Druck erhöhen. Die damals entfaltete Kreativität der KollegInnen und unsere Mobilisierungserfolge in den großen Städten müssen nun in der Fläche wirken. Wir haben dazu in den vergangenen Jahren gemeinsame Lernprozesse organisiert in Form von pädagogischen Fachkonferenzen und Aktivenworkshops sowie durch einen direkten Austausch zwischen Beschäftigten sowie haupt- und ehrenamtlichen GewerkschafterInnen. Es war wichtig, dass wir bei der jetzigen Tarifauseinandersetzung unsere gewerkschaftsinternen Diskussionen über die Forderungen sehr früh begonnen haben. Dennoch wird die Tarifrunde aus zwei Gründen kein Spaziergang: Zum einen arbeiten viele neue, noch relativ junge Beschäftigte mit wenig Streikerfahrungen in den Einrichtungen. Zum anderen gibt es immer noch viele nicht organisierte Bereiche, gerade in den ländlichen Regionen.

Können pädagogische Fachkräfte durch Streik überhaupt ökonomischen Schaden anrichten? Im Vergleich mit Beschäftigten in der Automobilindustrie oder auch Verkäuferinnen verfügen sie doch kaum über Produktionsmacht.

Es ist richtig, dass wir durch Streik nur sehr begrenzt ökonomischen Schaden verursachen. Häufig ist es ja im öffentlichen Dienst so, dass die Träger – ob Kommune, Kirche, Wohlfahrtsverband oder freie Träger – dadurch sogar noch Lohnkosten einsparen. Zwar können und sollten Eltern für die Streiktage ihre Gebühren zurückverlangen, dies wird aber kaum genutzt und reicht als Druckmittel nicht aus. Ich würde mir sehr wünschen, dass all die Väter, die hier bei Daimler arbeiten, während des Streiks zu Hause bleiben und sich um ihre Kinder kümmern würden. Dann wäre der Druck ein ganz anderer. Meine Erfahrung aus 2009 ist allerdings, dass die Risiken in der Regel die Mütter tragen. Sie gründen Betreuungsgemeinschaften oder nehmen ihren Jahresurlaub in Anspruch. Es sind eben in den Familien nach wie vor überwiegend Frauen, die für die Kinderbetreuung und Erziehung zuständig sind. Und auch ErzieherInnen sind zu 96 Prozent weiblich. Wir müssen als Gewerkschaft noch stärker Strategien entwickeln, wie wir diese geschlechtliche Arbeitsteilung aufbrechen können. Die Tarifauseinandersetzung ist auch dafür ein wichtiger Schritt, weil es um die Aufwertung von feminisierter Sorge- und Erziehungsarbeit geht. Erzieherinnen sind keine Basteltanten, es geht auch nicht um ›mütterliche Kompetenzen‹, sondern um qualifizierte Arbeit. Das muss sich in der Eingruppierung widerspiegeln.

Warum ist Streik dann trotzdem das richtige Mittel?

Wie in jeder Branche gilt: Ohne Streik und ein aktives Nein-Sagen erreichen wir nichts. Wenn ErzieherInnen streiken, greifen sie direkt in die Reproduktion der Familien ein. Sie können einen enormen öffentlichen Druck erzeugen, damit sich der Probleme angenommen wird. Wir sagen: Jetzt geht es zur Abwechslung mal um dich und nicht nur um Eltern, Kinder oder KlientInnen. Du machst das, damit du im Alter nicht arm bist und damit du ein deinen Fähigkeiten und der gesellschaftlichen Aufgabe angemessenes Gehalt bekommst. Letztendlich müssen wir diese Auseinandersetzung auch in der Öffentlichkeit gewinnen. Neben unserer Fähigkeit, gemeinsam zu handeln und Solidarität innerhalb der Einrichtungen sowie zwischen den einzelnen Berufsgruppen zu organisieren, ist entscheidend, unserem Anliegen in der Öffentlichkeit die notwendige Aufmerksamkeit und Legitimität zu verschaffen – also symbolische Macht aufzubauen.

Ist es in diesem Feld besonders schwierig zu streiken, weil es zunächst die Kinder und Jugendlichen beziehungsweise ihre Eltern sind, die darunter ›leiden‹?

Ein Kollege sagte neulich zu mir, dass wir mit der Haltung »Glücklich liegen wir darnieder, aber glücklich eben« brechen müssen. Zum Teil ist uns das auch schon gelungen. Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst haben eine hohe Arbeitsmotivation und einen stark ausgeprägten Sorgeethos. Gerade auch in der Behinderten-, Kinder- und Jugendhilfe sehen die Beschäftigten ihre Erfolge als gefährdet an, wenn sie die KlientInnen wegen des Streiks nicht mehr betreuen können. In der Kita oder dem Hort fühlen sie sich gegenüber den Eltern teilweise schuldig, weil sie um deren Nöte wissen, wenn die Einrichtung geschlossen bleibt.

Streik muss gelernt und regelmäßig geübt werden: Wie organisiere ich einen Streik so, dass diese Ängste auch in der Organisation des Streiks berücksichtigt werden? Wie lerne ich zu unterscheiden, ob ich mich um eine Sache wirklich kümmern muss oder ob sie vorrüber­gehend vernachlässigbar ist? Wie kann ich erkennen, ob dies in meiner Verantwortung oder in der meines Arbeitgebers liegt? Mittlerweile gibt es da einen großen Erfahrungsschatz auch in der Arbeit mit den Eltern, in der Vorbereitung der Streikstrategie und in ganz praktischen alltäglichen Organisierungsfragen.

Ist im Zuge der Auseinandersetzungen ein neues Selbstbewusstsein der Beschäftigten entstanden?

Die gewachsene Solidarität untereinander und die Erfahrung »Wir können das!« hat auf jeden Fall zu einem neuen Selbstbewusstsein und auch zu gesellschaftlicher Anerkennung beigetragen. Die Beschäftigten begreifen sich mehr und mehr als Lohnabhängige, die bestimmte Rechte haben und diese einfordern. Interessanterweise haben diese Erfahrungen auch die Gremien der betrieblichen Mitbestimmung und der Gewerkschaften selbst verändert. Die Dominanz von Männern in den Personalräten, Betriebsräten oder wie im Fall der kirchlichen Träger in den Mitarbeiterversammlungen sowie in den gewerkschaftlichen Führungspositionen wurde und wird durch diese aktiven, selbstbewussten Frauen infrage gestellt. Damit finden auch inhaltliche Verschiebungen statt. Themen wie Bildung und Betreuung, soziale Arbeit oder Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben in den Gremien einen höheren Stellenwert bekommen.

Wie geht ihr mit den Interessenkonflikten zwischen Beschäftigten und Eltern um, wenn die Einrichtungen geschlossen bleiben?

Gespräche mit den Eltern und Elternbeiräten sind unheimlich wichtig. Einerseits erhöhen wir den politischen Druck, wenn wir die Eltern auf unsere Seite ziehen. Zum anderen können konfrontative Auseinandersetzungen mit den Eltern eine starke emotionale Belastung für die Beschäftigten darstellen. Eltern meckern schon mal die Erzieherin an, dass sie aufgrund des Streiks ihre Kinder nicht unterbringen können.

Wir werben deshalb um Verständnis für unsere Forderungen und betonen, dass wir ein gemeinsames Interesse an guten Arbeitsbedingungen und einer angemessenen Entlohnung haben. Dies ist nun einmal die Voraussetzung für hohe Qualität. Wir müssen den Eltern aber auch klar machen, dass wir ohne die Nutzung des Streikrechts diese Auseinandersetzung nicht gewinnen können. Wir fordern die Solidarität der Eltern, und uns ist aber klar, dass die Situation für sie belastend ist. Deshalb reden KollegInnen mit den Eltern darüber, wie sie an Streiktagen kollektiv mit anderen Eltern die Betreuung organisieren können. Wir versuchen hier auf die Eltern einzugehen und sie frühzeitig zu informieren, ohne allerdings unser Streikrecht infrage zu stellen. Und klar, bei längeren Erzwingungsstreiks werden wir als Gewerkschaft dann auch Notdienstvereinbarungen mit den Trägern aushandeln, in denen das Betreuungsangebot für all die Eltern geregelt ist, die keine Alternative haben.

Von den 700 000 Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsdiensten arbeiten nur noch etwa 200 000 bei kommunalen Trägern. Welche Bedeutung hat diese Aufwertungskampagne für den Rest?

Obgleich die Tarifstruktur in den Sozial- und Erziehungsdiensten einem Flickenteppich ähnelt, ist der TVöD (Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst) nach wie vor die Leitwährung. Wir verhandeln also über die Rahmenbedingungen im gesamten Bereich, und der Abschluss wird auch Ausstrahlung auf die übrigen zwei Drittel der Beschäftigten haben. Erhöhen sich die Gehälter für den öffentlichen Dienst, werden auch andere Träger langfristig nachziehen müssen, um gutes Personal zu bekommen.

Wie können Beschäftigte, die nicht bei kommunalen Trägern arbeiten, die Auseinandersetzung unterstützen?

Wir müssen unterschiedliche Formen der Auseinandersetzung zusammenführen. Die einen streiken, die anderen können demonstrieren oder Versammlungen abhalten. Auch kirchliche Mitarbeitervertretungen können an Demonstrationen und Aktionen teilnehmen. Bei uns in Stuttgart legen Mitarbeitervertretungen beispielsweise ihre Versammlungen auf einen Streiktag und halten diese in der Öffentlichkeit ab. Wir versuchen auch Studierende pädagogischer und sozialer Studiengänge mit auf die Straße zu bringen und Kooperationen mit LehrerInnen zu entwickeln. Wir müssen Angebote unterhalb des Streiks überlegen, damit wir wirklich eine gesellschaftliche Bewegung hinbekommen. Aber für das eine Drittel, das streiken kann, gilt: Wir brauchen jede und jeden! Es wäre nicht gut, wenn wir wieder nur in den Großstädten rausgehen.

Niedrige Löhne sind nicht das einzige Problem in den Sozial- und Erziehungsdiensten.Wie geht es nach der Tarifauseinandersetzung weiter?

Jetzt steht erst einmal die Tarifrunde im Vordergrund. Wir sollten aber auf den Streikversammlungen sowie bei den Aktionen und Demos auch schon die viel zu niedrigen Personalschlüssel und die prekären Arbeitsbedingungen thematisieren. In Stuttgart werden wir versuchen, im Anschluss an die Tarifrunde mit Kampagnen zu diesen Themen anzuknüpfen. Das Problem ist: Wenn wir Tariferhöhungen erreichen, ohne dass substanziell mehr Geld in die Kommunen fließt, wird sich der Druck nur verlagern. Deshalb müssen wir uns insgesamt für eine bessere öffentliche Finanzierung einsetzen, damit die sozialen Ungleichheiten sich nicht weiter verschärfen. Diese manifestieren sich auch räumlich. In ärmeren Vierteln oder Gegenden sind in der Regel auch die Einrichtungen sehr viel schlechter ausgestattet.

Gibt es Schätzungen, wie viele Fachkräfte fehlen?

Selbst die Bertelsmann Stiftung hat sich in einer Studie von 2014 dafür ausgesprochen, bundesweit 120 000 neue Vollzeitarbeitsplätze in Kitas zu schaffen. Generell ist der Personalschlüssel viel zu niedrig. Erschütternd sind auch die Unterschiede zwischen den Bundesländern. Mal ehrlich, der Baden-Württemberger Schlüssel für Kinder über drei Jahre ist mit 1 zu 9 im Ganztagesbereich schon zu niedrig, aber 1 zu 15 in Mecklenburg-Vorpommern schießt echt den Vogel ab. Infolge des Ausbaus der Betreuung für Kinder unter drei Jahren sind gerade in Ballungsgebieten viele Stellen unbesetzt. Die Kommunen versuchen das Betreuungsangebot um jeden Preis aufrechtzuerhalten, und folglich erlässt das Jugendamt jede Menge Sondergenehmigungen, wenn der Personalschlüssel unterschritten wird. Dies wirkt sich auf Qualität und Arbeitsbelastung aus.

Wie ist ein höherer Personalschlüssel zu realisieren, wenn schon jetzt die Leute fehlen?

Viele Frauen und auch Männer wollen in dem Bereich arbeiten. Das ist nicht das Problem. Der Fachkräftemangel ist ganz klar eine Folge der Prekarisierungstendenzen und das Ergebnis einer verfehlten Politik. In den Sozialberufen ist der Anteil derjenigen, die Niedriglöhne verdienen, besonders hoch, und gute Ausbildung schützt hier keinesfalls. Auch der Anteil an Befristungen ist hoch. Es gibt Schätzungen, dass 40 Prozent der ausgebildeten ErzieherInnen sich im Berufsverlauf einen anderen Job suchen. Das sagt einiges!

Seit 2013 gibt es einen gesetzlichen Anspruch auf einen Betreuungsplatz. Was ist beim sogenannten U3-Ausbau schiefgelaufen?

Der Ausbau des Betreuungsangebots wurde mit äußerst knappen Mitteln verwirklicht. Im Vordergrund stand die Quantität, die Qualität blieb auf der Strecke. Und das obwohl WissenschaftlerInnen und Gewerkschaften seit Langem darauf hinweisen, dass die Gruppen zu groß und die Räume zu klein sind, dass das Personal nicht ausreicht etc. Die Bundesregierung hat es sich hier verdammt einfach gemacht. Sie hat ein Gesetz erlassen, aber die Realisierung auf die Kommunen abgewälzt, und die sind finanziell sehr unterschiedlich ausgestattet. Aber auch die Kommunen haben einiges versäumt. Natürlich hätte auch in der Verwaltung Personal ausgebaut werden müssen. Schließlich sind es die Kommunen, die sicherstellen müssen, dass bei allen Trägern eine fachlich gute Arbeit geleistet wird. Bei uns in Baden-Württemberg beobachte ich mit großer Skepsis, dass der Ausbau der Plätze für Kinder unter drei Jahren zu einer Verschiebung in der Trägerlandschaft führt. Die Kommunen sind kaum aktiv geworden und waren stattdessen froh, dass zunehmend privatwirtschaftlich arbeitende GmbHs die Lücken füllen. Zwei Dinge sind da problematisch: Zum einen gibt es bei diesen Trägern kaum Betriebsräte. Zum anderen lassen Gemeinde- und Stadträte zunehmend zu, dass sie ihre Gebühren selbst festlegen und sich nicht in städtische, häufig sozial gestaffelte Gebührenordnungen einfügen. Je nach Träger und Region haben sie teilweise bessere Ausstattungen, weil sie einfach mehr Geld verlangen. Damit verstärkt sich die Segregation. Auch dafür ist es wichtig, dass die Aufwertungskampagne erfolgreich läuft und wir die Situation der Kommunen – gerade auch angesichts der Schuldenbremse – immer mit thematisieren.

 

Das Gespräch führte Sarah Bormann.