| Rationale Diskriminierung

Von Stefan Selke

oder: die Ausweitung der sozialen Kampfzone durch Lifelogging

Lifelogging – zur Relevanz eines Booms

Lifelogging, also die digitale Selbstvermessung und Lebensprotokollierung, spiegelt den Zeitgeist perfekt: Nach einer Studie von Yougov können sich 32 Prozent der BundesbürgerInnen vorstellen, gesundheitsbezogene Daten an Krankenversicherungen weiterzuleiten, um Vorteile zu erhalten. Jede/r fünfte Befragte zieht die digitale Vermessung der eigenen Kinder in Betracht.1
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| Solidarische Mitte-Unten-Bündnisse

Von Michael Brie und Cornelia Hildebrandt

Anforderungen an linke Politik

Es ist über anderthalb Jahrhunderte her, dass Karl Marx das Kommunistische Manifest mit den Worten schloss: »Proletarier aller Länder, vereinigt euch!« Was bedeutet aber Vereinigung für linke Politik unter den heutigen Bedingungen? Linke Politik braucht für einen sozial und ökologisch gerechten, demokratischen und friedlichen Richtungswechsel gesellschaftliche Mehrheiten, die nur im solidarischen Zusammenführen der Mitte und des Unten der Gesellschaft möglich sind. Aber wieso ist dies so schwer, und wie könnte es doch gehen? Um diese Fragen zu beantworten, ist zunächst eine Klassenanalyse erforderlich.
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| Child Care Crisis

Von Sabine Hattinger-Allende

Kinder, Politik und Transformation

»Kinder sind unsere natürlichen Feinde.
Wenn es sie nicht gäbe,
so wäre die Menschheit längst in unserer Gewalt.
Wir brauchen jede Stunde, Minute, Sekunde
der gesamten Menschheit.«
Die grauen Herren in »Momo« von Michael Ende

Wer das Kinderbuch Momo noch kennt, weiß, dass es darin um einen Kampf um Gemeinsamkeit, Zeit und Lebendigkeit geht. Die Geschichte handelt von einem Mädchen, das gut zuhören und gut spielen kann. In Momos Welt treiben graue Herren die Menschen dazu, Zeit zu sparen und all ihr Tun der reinen Produktivität unterzuordnen. Was dabei verloren geht, ist gegenseitige Sorge und lustvolles Leben, Spielen und Arbeiten.
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| So wie es ist, bleibt es nicht

Von Birgit Mahnkopf

Mit dem gegenwärtigen Kapitalismus gibt es keine Zukunft

Wir befinden uns gegenwärtig nicht allein in einer strukturellen oder »systemischen Krise« des Kapitalismus als eines welt-ökonomischen Systems, aus der kein Weg zurückführt – in die Wachstumskonstellation vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2007/2008. Zugleich befinden wir uns in einer tief greifenden Krise des Kapitalismus als eines welt-ökologischen Systems – die Krise, die zum ersten Mal in der Geschichte tatsächlich die Zukunft aller auf dem Planeten lebenden Menschen verknüpft.
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| Was kann Bildung von links?

Interview mit Stefan Kalmring, Katrin Reimer-Gordinskaya und Heinz Hillebrand

Gespräch über Leitfäden, Subjektorientierung und Emanzipation

Was ist linke Bildungsarbeit? Und was versteht ihr unter emanzipatorischer politischer Bildung?

STEFAN KALMRING: Politische Bildung ist mit einer Entwicklung konfrontiert, die nicht nur das Emanzipatorische, sondern auch das Politische zu verdrängen droht. Konzepte wie Diversity bringen Kernprobleme zum Verschwinden: Bestimmungen von Herrschaft, Macht oder Interessen scheinen darin zwar aufgehoben, sind es aber nur in entleerter Form. Wo Bildungsziele wie Mündigkeit oder Gerechtigkeit durch Leitmotive wie Beschäftigungsfähigkeit oder Teilhabe ersetzt werden, verliert Bildung ihren emanzipatorischen Anspruch. Bildung sollte aber ›gefährlich‹ sein, um eine Formulierung des US-amerikanischen Historikers Howard Zinn zu benutzen. Sie sollte auf die Kritik und Überwindung von Herrschaft zielen und zwar sowohl gesamtgesellschaftlich als auch im Bildungsprozess selbst.
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| Schattenseiten einer gespaltenen Stadt

Von Loïc Wacquant

Ein Kaleidoskop der Lebenslagen des urbanen Prekariats

Seit der fordistisch-keynesianische Klassenkompromiss endgültig aufgekündigt wurde, haben wir es mit einem regellos, aber stetig anwachsenden Strom von Menschen zu tun, die in die dunklen Ecken, Ritzen und Gräben der sich polarisierenden Städte drängen und versuchen, dort heimisch zu werden. Man mag sie als urbanes Prekariat bezeichnen, diese prekären Fraktionen des postindustriellen Proletariats, deren missliche Lage sich in den vergangenen Jahren weiter verschlechtert hat – technisch betrachtet, sind es diejenigen, die nichts als ihre Arbeitskraft haben, die sie zu Markte tragen können. Während es zahlreiche makroskopische und statistische Untersuchungen gibt, die diese Entwicklung belegen, geht es in Unsichtbar in Austin (2015) um Elemente des Alltagslebens und des Alltagsbewusstseins dieses urbanen Prekariats. Die Diagnose wird damit bestätigt und erhärtet, gleichzeitig ergibt sich ein komplizierteres Bild.
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| »Überarbeitet und überschuldet« Die Zukunft von Arbeit, Freizeit und Konsum

Ein Interview mit Juliet Schor

Muster von Arbeit, Freizeit und Konsum ändern sich nicht über Nacht, wir befinden uns aber seit einem halben Jahrzehnt in einer tief greifenden Krise. Ganz offensichtlich hat sich diese massiv auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt, aber sehen Sie Anzeichen für andere dauerhafte Veränderungen?

Einige Trends, die vor dem Crash von Bedeutung waren, haben sich inzwischen abgeschwächt. Ich denke da an das, was ich das Fast-fashion-Modell des Konsums genannt habe: Import preiswerter Fabrikwaren, von denen die Menschen immer mehr in immer kürzeren Zeiträumen erwarben, immer schnellere Modezyklen und Zyklen des Kaufens, Nutzens und Wegwerfens. Offensichtlich ist dies im Bereich der Bekleidung, aber es zeigt sich auch in der Unterhaltungs- und Haushaltselektronik, eigentlich bei fast allen Konsumgütern. Vieles davon wurde über Kredite finanziert oder durch längere Arbeitszeiten, aber die Preise für viele Produkte stürzten zeitweise in den Keller. Man bekam einen DVD-Player für 19 US-Dollar. Aber das war eine besondere Periode. Ich glaube nicht, dass wir das so bald wieder erleben werden. Die andere zentrale Entwicklung ist eine Spaltung des Konsumgütermarktes, die sich schon seit längerer Zeit abzeichnet. Das liegt am wirtschaftlichen Absturz und an der Schrumpfung der Mittelschichten. Wir haben einerseits einen wachsenden Low-end-Sektor mit Ramschläden und Einzelhandelsstrukturen, die selbst Walmart als teuer erscheinen lassen, andererseits die Expansion eines High-end-Luxus-Marktes. Darin spiegeln sich die Entwicklungen beim Einkommen und Vermögen wider. Es gibt eine größere Zurückhaltung beim Schulden machen, sodass der Konsum auf Pump zurückgegangen ist. Haushalte kommen derzeit auch nicht mehr so leicht an Verbraucherkredite. Parallel erleben wir den Aufstieg ›alternativer Konsumptionskulturen‹: Immer mehr Menschen rücken von dominanten Lebensstilen der letzten Jahrzehnte ab, die im Wesentlichen auf Hyperkonsum, Markenfetisch und Massenproduktion basierten. Sie wollen ökologisch bewusster leben und präferieren etwa handwerkliche und selbst gefertigte Produkte.


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| Prekär schreiten wir voran? Acht Thesen zu offenen strategischen Problemen

Von Mario Candeias und Anne Steckner

»Wir haben’s richtig gemacht. Seht doch, wie es dem Rest Europas ergeht.« Das grimmige Märchen vom erfolgreichen Krisenmanagement der deutschen Regierung sichert relativ breite Zustimmung in der Bevölkerung. Noch. Bei einigen ist es die Hoffnung, es werde schon nicht so schlimm werden, andere halten still aus Angst. Trotz diffuser Unsicherheit, rasant wachsender Ungleichheit und der Verfestigung sozialer Spaltungen bleibt noch genug, um durchzukommen. Wenngleich sich Prekarisierung nicht mehr im selben Tempo ausbreitet wie in den vergangenen 20 Jahren, sind Unsicherheit, Erschöpfung und Hamsterrad alltägliche Begleiter geworden. Wer lange Zeit arbeitslos ist, bleibt es. Die Zahl der von Armut Betroffenen hat sich auf ein Viertel der Bevölkerung erhöht. Wohnraum zu bezahlbaren Preisen wird nicht nur in den Metropolen zum Megaproblem. Zukunftsperspektiven sind für viele unsicher – alles keine Randgruppenphänomene: Die Angst vor dem Abstieg wirkt auch in den vermeintlich abgesicherten Milieus.
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| Caring for Strategy

Von Julia Dück und Barbara Fried

Transformation aus Kämpfen um soziale Reproduktion entwickeln

Zugespitztes Elend, Kriege, Klimakrise und Armut selbst in den Kernländern des Austeritätskapitalismus sowie deren rechtspopulistische Bearbeitung – Argumente für einen Kurswechsel gibt es genug. Zuletzt war es der Erfolg von SYRIZA in Griechenland, der gezeigt hat: Mehr und mehr Menschen wollen dieses Spiel nicht länger spielen. Nur wie kann der Einstieg in einen Ausstieg aus diesem offensichtlichen Wahnsinn aussehen? In den Krisenanalysen und Praxen einer oftmals in libertär-akademische Milieus zurückgezogenen Linken gerät diese Frage trotz pointierter Kritiken häufig aus dem Blick. In die Auseinandersetzungen marginalisierter Gruppen ist die gesellschaftliche Linke hierzulande wenig involviert, auf die alltäglichen Zwangslagen der Menschen hat sie vielfach nur abstrakte Antworten.
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| Im Morgen verankern

Von Katja Kipping

Linke Strategien für eine veränderte Zukunft

An die Zukunft denken viele, zumindest in politischen Begriffen, momentan lieber nicht. Wer kann es ihnen verdenken, Grund für schlechte Laune gibt es, wohin man schaut: Krieg in der Ukraine, Terroranschläge in Paris und Kopenhagen, Elend in Südeuropa, Prekarisierung selbst im Land des ›Exportweltmeisters‹ und Rassismus auf den Straßen. Es scheint heute oft einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus, wie der Kulturtheoretiker Mark Fisher die Hoffnungslosigkeit im Neoliberalismus beschrieb.
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