| »Keinen Pfennig den Fürsten«. Wie ein linker Volksentscheid in der Weimarer Republik Furore machte

Von Marcel Bois

1926 initiierten die Kommunist*innen eine offensive Kampagne für die Enteignung der Fürstenhäuser. So gelang es, breite Mehrheiten anzusprechen und die Spaltung der Linken für einen Moment zu überwinden.

Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen war entsetzt. Seit der Revolution 1918 lebte der ehemalige deutsche Kaiser Wilhelm II. im niederländischen Exil. Gleichwohl gab er die Hoffnung nicht auf, irgendwann auf den Thron zurückkehren zu können. Doch im Sommer 1926 musste er erkennen, dass nicht alle ehemaligen Untertan*innen diesen Wunsch teilten. Es gebe »14 Millionen Schweinehunde in Deutschland«, soll er zu dieser Zeit gesagt haben (Schüren 1978, 234).
| mehr »

| Zwang und Profit. Direkte Gewalt in der kapitalistischen Produktion

Von Heide Gerstenberger

Mit dem Kapitalismus ist die rohe Gewalt nicht aus den Arbeitsverhältnissen verschwunden. Zwang und Entrechtung sind elementarer Teil der globalen Wertschöpfungsketten.

| mehr »

| Weimarer Verhältnisse? Rechte Gewalt im historischen Vergleich

Von Gerd Wiegel

Wir erleben eine rapide Entgrenzung rechter Gewalt. Eine Analyse der Weimarer Republik hilft, den Blick für die heutige Gefahr zu schärfen.

Von einer »Blutspur des Rechtsextremismus« sprach Innenminister Horst Seehofer (Die Welt, 22.2.20) anlässlich des rechtsterroristi­schen Anschlags von Hanau im Februar 2020. Der Täter ermordete neun Menschen mit Migrationshintergrund und erschoss anschlie­ßend seine Mutter und sich selbst.
| mehr »

| Betrachtungen eines Heimarbeiters (Oktober 1990)

Von Jens Sparschuh

Ein ereignisreicher Morgen lag hinter Herrn S.! Gleich früh, noch im Bademantel, hatte er sich bezwungen und nicht beim Frühstücksradio angerufen, war demzufolge nicht zehnter Anrufer gewesen, wodurch ihm zwangsläufig die Reise nach Ibiza entgangen, beziehungsweise: erspart geblieben war, und es demnach auch keinerlei Veranlassung für ihn gegeben hatte, „Irre, irre. Das ist ja Wahnsinn!“ in den Hörer zu rufen.
| mehr »

| Eskalator hoch und runter

Von Manja Präkels

»Die Menschen aus dem Osten sahen aus wie Schauspieler aus einem Maxim-Gorki-Stück, die plötzlich ihre Bühne verloren hatten und auf einer anderen Bühne, in der ein ganz anderes Stück gespielt wurde, gelandet waren.«

Emine Sevgi Özdamar, in »Ulis Weinen«

Soweit ich mich erinnere, hatte ich mich auf das Jahr ’89 gefreut. Der Fahrerlaubnis näher zu kommen. Bald kein Kind mehr zu sein. Das nichts sagen darf. Was ich wirklich nicht erwartet hatte, war, im November des Jahres schamvoll auf der Rolltreppe eines Westberliner Warenhauses zu stehen.


| mehr »

| Damals

Von Anke Stelling

Ich war nie in der DDR gewesen, aber ich liebte Westberlin. Westberlin gab es nur, weil es die DDR gab. Ich war doch schon in der DDR gewesen, aber nur im Transit, im Auto meiner Eltern oder in dem D-Zug, der sechs Uhr vierzehn am Bahnhof Zoo ankam; das wurde vom GRIPS-Theater besungen, und ich wusste genau, wie es sich anfühlte: sechs Uhr vierzehn, Bahnhof Zoo, und dann in die U-Bahn umsteigen.
| mehr »

| Die Schildkröte

Von Steffen Mensching

In einem Bändchen mit klassischer koreanischer Lyrik mit dem Titel »Lob des Steinquells« findet sich ein Vierzeiler, ohne Autorenangabe, genannt »Beschwörungsformel«:

Schildkröte oh! Schildkröte oh!
Zeig deinen Kopf! Dass du es weißt
Zeigst du uns nicht den Kopf, wirst du
von uns geröstet und verspeist.


| mehr »

| Nahaufnahme: Eine kleine Geschichte über den schmutzigen Osten

Von Anna Stiede

Wie fühlt sich eine Generation, die zwischen Freiheitsversprechen, Zerfall und Nazibanden aufgewachsen ist? In einer Gesellschaft der Sprachlosigkeit, in der »Treuhand« ein Fremdwort war.

1997 wechselte ich von der vermeintlichen Landidylle auf das Gymnasium. In diesem Sommer verordnete mir die Gesellschaft eine neue Rolle. Ich und ein paar andere Kinder waren auserkoren, auf das Gymnasium nach Apolda zu gehen. Die zukünftige bürgerliche Elite des Ostens? Wir waren die Kids aus Arzt-, Klein- bis Großunternehmerfamilien oder aus Familien mit alleinerziehenden Müttern, die auf das Gymnasium entsandt wurden. Ab da durchfuhr unsere dörfliche Kinderbande eine tiefe Spaltung.
| mehr »

| Es war einmal

Von Heike Geissler

Es war einmal ein Mädchen, das hatte zu viele langweilige Nachmittage in seinem unordentlichen Zimmer verbracht und Träume angehäuft. Auch hatte es zu lange an seinem Fenster gestanden und darauf gewartet, dass die Mutter endlich von der Arbeit käme, oder es hatte dem Vater zugesehen, wie er, sich hinter der Gardine versteckend, immer dann gegen die Scheibe klopfte, wenn jemand nicht den Fußweg um die Grünfläche vor dem Haus nutzte, sondern den Trampelpfad. Der Vater freute sich über den Schreck der Leute und das Mädchen fragte sich, wie Erwachsene sich etwas ausdenken. Wie kommt Unfug in die Köpfe Erwachsener, wie bereiten sie ihn vor, wie führen sie ihn aus?
| mehr »

| Mauerfall Memories

Von Norbert Niemann

Im Jahr des Falls der Mauer schloss ich mein Studium ab. Im Jahr davor saß ich im Oberseminar des Literatursoziologen Jürgen Scharfschwerdt an der Ludwig­Maximilians­Universität München. Scharfschwerdts Schwerpunkt war DDR-Literatur. Ich erinnere mich, dass die dissidenten, in der BRD publizierten Texte für einige von uns – sicher jedenfalls für mich – die mit Abstand relevantesten in deutscher Sprache geschriebenen Texte jener Zeit gewesen sind. In der BRD hatte bereits in den Achtzigern – das wird oft vergessen – eine Kommerzialisierung und Neoliberalisierung des Kulturbetriebs eingesetzt. Gefeiert wurden Romane wie »Die letzte Welt« von Christoph Ransmayr, »Das Parfüm« von Patrick Süskind, »Die Entdeckung der Langsamkeit« von Sten Nadolny. Meine Lesesozialisation ab den späten Siebzigern hatte ganz andere Weichen gestellt und Erwartungen gesetzt. Damals erschienen die Bücher Rolf Dieter Brinkmanns oder Nicolas Borns, »Die Ästhetik des Widerstands« von Peter Weiss und so weiter. Im Westen brach diese Linie in den frühen Achtzigern ab – nicht aber im Osten. Über den Umweg Heiner Müller machte sich dort auch eine politisch und ästhetisch anders konnotierte Lesart französischer Poststrukturalisten wie Michel Foucault und Gilles Deleuze geltend, nicht zuletzt in der Prenzlauer­Berg­Szene. Statt Spiel und »Anything Goes« wie im Westen »Mikrophysik der Macht«.
| mehr »