| Konzerne denken in Quartalen, Bauern in Generationen

Von Volker Woltersdorff

Wer Ernährungssouveränität will, muss bäuerliche Strukturen stärken

In der städtischen Vorstellungswelt sind bäuerliche Betriebe ein Refugium jenseits kapitalistischer Verwertungsinteressen. Man muss nur auf die wirklichkeitsfernen Bilder in den Supermarktregalen und Werbeclips schauen. Tatsächlich aber ist die Landwirtschaft völlig durchkapitalisiert. Trotzdem ist die Sehnsucht nach einer anderen Landwirtschaft, in der eine Ökonomie der Sorge um das Land und seine Lebewesen über den Kapitalinteressen steht, nicht aus der Luft gegriffen. Sie stützt sich auf reale Bedürfnisse und auf eine konkrete, geschichtlich verankerte und enkeltaugliche landwirtschaftliche Praxis, die ich »bäuerlich« nennen will und die für das Ziel der Ernährungssouveränität zentrale Bedeutung hat. Denn wer ein Ende der Abhängigkeit des Lebensmittelsektors von den Kapitalinteressen einiger weniger Konzerne will, muss bäuerliche Strukturen stärken, die anders funktionieren. Ernährungssouveränität setzt auf die Dezentralisierung und Diversifizierung der Lebensmittelproduktion. Sie braucht kleinteilige, regionale Netzwerke, von Erzeuger*innen untereinander wie auch von Erzeuger*innen und Verbraucher*innen, die als freie Assoziationen politisch aushandeln, wie und was die Vielen erzeugen und essen wollen, und dies auch ökonomisch umsetzen. Landwirtschaftliche Produktions-, Reproduktions-, Zirkulations- und Konsumptionsbedingungen müssen ökologisch nachhaltig, sozial gerecht, demokratisch und daher vielfältig organisiert sein.
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| Aufstand am Anfang der Lieferkette. In Südafrikas Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie formiert sich eine neue Arbeiterbewegung

Von Ronald Wesso

Die Arbeiterbewegung in Südafrika befindet sich im Umbruch. Die etablierten Gewerkschaften vertreten vor allem die fest angestellten Beschäftigten, die ein Mindestmaß an Schutz vor den schlimmsten Verwerfungen des Neoliberalismus genießen. Bäuer*innen, Migrant*innen, »outgesourcte« Beschäftigte und Zeitarbeitskräfte, darunter insbesondere Frauen, sind jedoch von den gesetzlichen und institutionellen Mindeststandards ausgenommen, die in den 1990er Jahren von den Gewerkschaften ausgehandelt werden konnten.

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| Essen ist politisch. Warum immer mehr Menschen es satthaben

Von Jürgen Maier

Essen ist politisch. Unter diesem Motto demonstrierten am 20. Januar 33 000 Menschen in Berlin gegen die Agrarindustrie und die Agrarpolitik der Bundesregierung. Es waren deutlich mehr als im Vorjahr, und es waren vor allem mehr junge Leute und Familien mit Kindern dabei. Seit acht Jahren finden die Demonstrationen alljährlich zur »Grünen Woche« im Januar statt, unter dem Motto »Wir haben Agrarindustrie satt«. Und das bei Wind und Wetter. Mit 160 Traktoren beteiligten sich dieses Jahr so viele Landwirte1 wie noch nie. Auch sie haben eine Agrarpolitik satt, die sie zu den Sündenböcken der Nation macht und ihnen immer häufiger die Existenzgrundlage nimmt.
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| Hartz-IV-Menü und Feinkosttheke. Ernährungspolitik muss kulinarische Teilhabe für alle ermöglichen

Von Daniel Kofahl

Weltweit gibt es gemessen in Kilokalorien mehr Nahrung, als man benötigen würde,
um alle Menschen ausreichend satt zu bekommen. Dass überhaupt noch gehungert wird, ist zumindest im Moment primär ein Verteilungsproblem und weniger eins der Produktion. In Deutschland ist die Fülle von Lebensmitteln offensichtlich. Die Supermarktregale sind gefüllt, allerorten gibt es Restaurants unterschiedlicher Couleur, und im Zweifel ruft man halt einen Lieferdienst, der einem das Essen bequem an die Haustür bringt. Das Schlaraffenland scheint Wirklichkeit geworden zu sein. Zumindest für alle,
die dafür zahlen können. Wer dazu nicht in der Lage ist, darf durch die Schaufenster der Geschäfte gucken oder, zeitgemäßer, durch die Bildschirmscheibe in die zahllosen Kochshows, wie wohlschmeckend und ambitioniert andere kochen, kochen lassen und essen.
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| Agrarpopulismus von Rechts oder Links? Wie wir um den ländlichen Raum kämpfen müssen

Von Saturnino ›Jun‹ M. Borras

Populismus ist das bewusste Verbinden von unterschiedlichen oder gar konkurrierenden Klassen- oder Gruppeninteressen zu einer relativ einheitlichen Stimme, mit der zu taktischen oder strategischen Zwecken ein »wir« – etwa »das Volk« – gegen die anderen – etwa »die da oben« – mobilisiert wird. Dieser Ansatz ist nicht notwendigerweise rückschrittlich oder reaktionär. Er ist nicht in einem Schwarz-weiß-Schema zu begreifen, sondern in Schattierungen und Graustufen. Auf diese Weise lassen sich unterschiedliche Stränge und Grade des Populismus und dessen Neigung zu Militarismus, Autoritarismus oder Demokratisierung vergleichen: Mugabe in Simbabwe, Thaksin in Thailand, Duterte auf den Philippinen, Modi in Indien, Trump in den USA, Le Pen in Frankreich, Erdoğan in der Türkei, Putin in Russland, Chávez in Venezuela, Correa in Ecuador oder Lula 
in Brasilien. »Zu fragen, ob eine Bewegung populistisch ist oder nicht, ist von vornherein eine falsche Frage«, erklärt Laclau (2005, 45).
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| Zu viel und zu wenig. Die Macht der Konzerne und die globale Fehlernährung

Von David Sanders

Fehlernährung ist weltweit ein erheblicher Krankheits- und Sterblichkeitsfaktor, besonders im globalen Süden. Die Unterernährung von Frauen hat gravierende Auswirkungen nicht nur auf ihre Gesundheit, sondern auch auf den Verlauf von Schwangerschaften. Ein niedriges Geburtsgewicht ist die häufigste Todesursache bei Neugeborenen und eine direkte Folge der Unterernährung ihrer Mütter: Etwa 2,6 Millionen und damit fast 40 Prozent frühkindlicher Sterbefälle gehen weltweit hierauf zurück. Unterernährung erhöht nicht nur das Risiko für Infektionskrankheiten und Tod, sondern beeinträchtigt auch die körperliche und geistige Entwicklung.
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| Äcker als Asset. Die Finanzialisierung der Landwirtschaft

Von Estêvão Nascido do Ventre

Finanzinvestoren entdecken die Landwirtschaft

Im Mai 2012 startete die Teachers Insurance and Annuity Association (TIAA), einer der größten Finanzdienstleister der USA mit einem verwalteten Vermögen von fast einer Billion US-Dollar, ein neues Investmentvehikel: Global Agriculture LLC. Über diesen Fond sollten zwei Milliarden US-Dollar in Agrarland in Brasilien, Australien, Osteuropa und den USA investiert werden. TIAA öffnete diesen Fond auch für andere Pensionskassen, die weit weniger Expertise auf diesem Feld haben. Im August 2015 verkündete TIAA, dass weitere drei Milliarden US-Dollar für die neue Investmentplattform Global Agriculture II LLC eingesammelt worden seien. Diesmal waren 20 weitere Investoren mit an Bord.
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| Das Recht, Nein zu sagen. Ernährungssouveränität als feministische Strategie und Praxis

Von Christa Wichterich und Kalyani Menon-Sen

Bei der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Buenos Aires
 im vergangenen Jahr erklärten Hunderte Menschenrechtsorganisationen: »Basta ya! WTO: Wir wollen Souveränität.« Besonders brisant war die Ablehnung durch mehr als 160 Frauenrechtsorganisationen vor allem aus dem globalen Süden. Denn ein offizielles Ziel der Konferenz war das wirtschaftliche Empowerment von Frauen durch deren Einbindung in Wertschöpfungsketten, Unternehmertum und Handel. »Pink washing« nennen das die Kritikerinnen, die ihre lokalen Lebensgrundlagen (livelihoods) durch die Freihandelsregeln bedroht sehen.
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| »Die Fragen des Alltags sind Klassenfragen«

Gespräch mit Rhonda Koch

Wie linke Studierendenpolitik 50 Jahre nach 1968 aussehen kann

Im Dezember ladet ihr zu einem Kongress unter dem Titel »50 Jahre 1968« ein. Viele Großeltern heutiger Studierender gingen damals auf die Straße. Warum ist das Thema für euch wichtig?
Um es ganz grundsätzlich zu sagen: 1968 ist ein Beweis, dass die Geschichte von Menschen gemacht wird. Es war weltweit die Zeit einer kollektiv gelebten, geforderten und vor allem gefühlten konkreten Utopie: Die verschiedensten sozialen Bewegungen und Kämpfe konnten zeigen, dass eine andere Gesellschaft jenseits der kapitalistischen Herrschaft denkbar ist,
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| Radikal und unterschätzt. Mit Ernährungssouveränität gegen den Agrarkapitalismus

Steffen Kühne und Benjamin Luig

»Der dramatischste und weitreichendste soziale Wandel in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts, der uns für immer von der Welt der Vergangenheit getrennt hat, war der Untergang des Bauerntums. […]. Dass sich die Vorhersage von Marx, dass das Bauerntum durch die Industrialisierung ausgerottet werden würde, schließlich in Ländern, die eine rasche Industrialisierung durchlebten, offenkundig bewahrheitete, ist weniger erstaunlich als ein ganz unerwartetes Phänomen: Die Anzahl der Bauern und Landarbeiter verringerte sich auch dort, wo die Industrialisierung ganz augenscheinlich ausgeblieben war.« (Hobsbawm 1995, 365 u. 367)


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