| Keine mehr!

Ein Gespräch mit Alex Wischnewski über Feminizide und den Kampf um Begriffe

Du bist aktiv bei der Plattform #KeineMehr, die die Debatte über Feminizide nach Deutschland tragen will. Warum sprecht ihr von Feminiziden statt von Mordfällen an Frauen?

Feminizid oder auch Femizid bezeichnet Tötungen an Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts. Alle Feminizide sind Tötungen von Frauen, aber nicht alle Tötungen von Frauen sind Feminizide. Es geht
also nicht darum, einfach die Opfer nach Geschlecht zu differenzieren. Vielmehr soll der Begriff bestimmte Frauenmorde als eine Form von Hasskriminalität sichtbar machen und den Blick auf deren gesellschaftlichen Kontext lenken. Das bedeutet, Feminizide als extremen Ausdruck ungleicher Geschlechterverhältnisse und männlichen Dominanzstrebens zu fassen. Zahlreiche Gutachten zeigen: Das Risiko von Frauen, Gewalt ausgesetzt zu sein, steigt besonders dann, wenn traditionelle Geschlechterarrangements angegriffen werden, insbesondere während und nach einer Trennung oder Scheidung. Die Tötung ist die Zuspitzung dieser Gewalt. Forscher*innen sprechen deshalb auch von der Rache des beleidigten Machismus. Außerdem heißt es, nach den gesellschaftlichen Bedingungen
zu fragen, die es erlauben, dass solche Taten überhaupt stattfinden können. Von Feminiziden zu sprechen, macht diese Tötungen von Frauen nicht nur sichtbar. Es hilft auch dabei, politische Gegenwehr zu mobilisieren.
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| Vom Wert der Familienbande. 
Wenn Neoliberale und Konservative sich das Jawort geben

Von Melinda Cooper

Gary Becker, ein Vertreter der neoliberalen Chicago School, beklagte Ende der 1970er-Jahren »Familie [sei] in der westlichen Welt durch
die Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte grundlegend verändert – einige behaupten, fast zerstört – worden« (1993, 1, übers. v. A.F.). Dann führte er die gängige Liste von Übeln an: die Zunahme von Scheidungen und alleinerziehenden Müttern, den Rückgang der Geburtenrate und schließlich die wachsende Erwerbsbeteiligung von Ehefrauen, die den Kindern schade und sowohl Unfriede in der Familie als auch am Arbeitsplatz stifte. Seiner Ansicht nach waren diese Umbrüche Resultat einer Ausweitung des Wohlfahrtsstaates. Der Feminismus war für ihn eher eine Folge als eine treibende Kraft dieser Entwicklung. Wie viele seiner neoliberalen und neokonservativen Zeitgenossen identifizierte Becker insbesondere die Ausweitung des Sozialprogramms Aid to Families with Dependent Children (AFDC), von dem insbesondere alleinerziehende arme Frauen profitierten, als Hauptursache für den Zerfall der Familie (ebd, 375).
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| Bedingt selbstbestimmt. Warum der Kampf um Schwangerschaftsabbruch erst begonnen hat

Von Kate Cahoon

Als in dem katholisch geprägten Land am 
25. Mai 2018 eine überwältigende Mehrheit für die Streichung des quasi totalen Abtreibungsverbotes aus der Verfassung stimmte, sprach der irische Premierminister von einer »stillen Revolution«. Doch die Freudentränen und der laute Jubel in den Straßen von Dublin erzählten eine andere Geschichte: Seit 35 Jahren demonstrieren und kämpfen Aktivist*innen gegen das Abtreibungsverbot. Die emotional geführte Debatte hat das Land gespalten – die Gegner der Liberalisierung arbeiteten mit Schreckbildern und Fehlinformationen. Wir waren also weniger Zeug*innen einer stillen Revolution als eines langen, lauten und hart geführten Kampfes um sexuelle Selbstbestimmung.
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| Von #metoo zu #westrike. Politik im Femininum

Von Liz Mason-Deese

Etwa ein Jahr bevor sich in den USA die #MeToo-Bewegung formierte fanden in Argentinien Massenproteste gegen das unermessliche Ausmaß sexistischer Gewalt statt, durch die dort alle 30 Stunden eine Frau getötet wird. Tausende Frauen legten am 19. Oktober 2016 demonstrativ ihre Arbeit nieder und verweigerten sich damit der ihnen zugeschriebenen weiblichen (Opfer-)Rolle sowie der Unterordnung unter die geschlechtliche Arbeitsteilung. Ihr Streik war eine Antwort auf die wachsende Zahl von Femiziden (Frauenmorden), insbesondere auf den brutalen Mord an einer jungen Frau namens Lucía Pérez. In ihrem Aufruf wiesen sie jedoch auch auf die vielfältigen Gewaltformen hin, denen Frauen in einem ausbeuterischen Wirtschaftssystem ausgesetzt sind:
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| Wiedergelesen: Der »Klassen-Rassismus«

Von Étienne Balibar

Auch wenn die wissenschaftlichen Analysen des Rassismus vorzugsweise die rassistischen Theorien untersuchen, gehen sie doch davon aus, dass der »soziologische« Rassismus ein populäres Phänomen ist. Die Entwicklung des Rassismus in der Arbeiterklasse (die den sozialistischen und kommunistischen Aktivisten als etwas Widernatürliches erscheint) wird auf eine den Massen innewohnende Tendenz zurückgeführt und der institutionelle Rassismus in die Konstruktion eben dieser psychosoziologischen Kategorie »Masse« projiziert. Zu untersuchen wäre also der Prozess der Verschiebung von den Klassen zu den Massen, der diese zugleich als bevorzugtes Subjekt und Objekt erscheinen lässt.
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| Hände weg von unseren Rechten!

Breites Bündnis von Frauenorganisationen gegen antifeministische Politik in der Türkei

Die nachfolgend übersetzte Erklärung wurde am 1. August 2018 von einem breiten Bündnis von Frauengruppen und -organisationen in der Türkei veröffentlicht und reagiert auf die zunehmende Verengung des politischen Raumes sowie den Abbau aller Institutionen, die den Rechten und Belangen von Frauen gewidmet sind. Gab es Anfang der 2000er und in den ersten Jahren der AKP-Herrschaft noch eine Welle von Reformerfolgen durch das Wirken der breiten Frauenbewegung mit Rückenwind der EU, so wendete sich das Blatt alsbald.
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| „Wenn wir streiken, steht die Welt still“ – wie der spanische Frauenstreik zum Erfolg wurde

Von Julian Coppens und Dick Nichols

Am diesjährigen Internationalen Frauenkampftag fanden in beachtlichen 177 Ländern Demonstrationen statt. Dabei stach der spanische Staat mit einen Generalstreik für die Gleichberechtigung von Frauen besonders hervor. Mindestens fünf Millionen Menschen waren beteiligt. Es war die größte Mobilisierung von Frauen in der Geschichte Spaniens.


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| Queerfeldein. Queer-feministische Perspektiven auf die Bewegung für Ernährungssouveränität

Von Paula Gioia und Sophie von Redecker

The effects of gender stereotypes are present everywhere, and especially in agriculture.
(Land Dyke Manifesto by Land Dyke Feminist Family Farm, Taiwan)

Queerfeminismus ins Feld führen

Acht Jahre nach der Verfassung der Nyéléni-Erklärung (Nyéléni, 2007) äußerte Kelli Malford vom nationalen Koordinationskreis der Landlosenbewegung Brasiliens (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra – MST) im Anschluss an das erste LGBT[1]-Seminar ihrer Organisation 2015, dass es wichtig sei anzuerkennen, dass die LGBT-Community in den Reihen der sozialen Basis, der politischen Aktivist*innen und der politischen Leitung der Bewegung längst präsent sei.
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| Das Recht, Nein zu sagen. Ernährungssouveränität als feministische Strategie und Praxis

Von Christa Wichterich und Kalyani Menon-Sen

Bei der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Buenos Aires
 im vergangenen Jahr erklärten Hunderte Menschenrechtsorganisationen: »Basta ya! WTO: Wir wollen Souveränität.« Besonders brisant war die Ablehnung durch mehr als 160 Frauenrechtsorganisationen vor allem aus dem globalen Süden. Denn ein offizielles Ziel der Konferenz war das wirtschaftliche Empowerment von Frauen durch deren Einbindung in Wertschöpfungsketten, Unternehmertum und Handel. »Pink washing« nennen das die Kritikerinnen, die ihre lokalen Lebensgrundlagen (livelihoods) durch die Freihandelsregeln bedroht sehen.
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| Marx global?

Von Gayatri Chakravorty Spivak

Seit 1978 hat meine Lehre zu Marx wenig Forschungsliteratur behandelt, sie war aber interaktiv und darum bemüht, mit einer sich wandelnden und vielfältiger gewordenen Welt Schritt zu halten, auch im Bewusstsein darum, dass Marx’ Text auf deutsch geschrieben wurde. Großartige Projekte wie David Harveys Fernunterricht zur Einführung in Marx’ Schriften (2016) sind unterdessen zu Komplizen eines technologischen Willens zur Macht durch Wissen geworden. Was heißt es, zu „wissen“, was Marx geschrieben hat?
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