| Kalifonisches Erdbeben: 15 Dollar Mindestlohn

Von Martin J. Bennett

Kaliforniens Gouverneur Jerry Brown unterzeichnete kürzlich eine Anhebung des Mindestlohns von zehn auf 15 Dollar (ca. 13,50 Euro) pro Stunde – eine Steigerung um 50 Prozent, die den Mindestlohn in diesem Bundesstaat zum höchsten der Nation macht. Der Anstieg wird stufenweise über sechs Jahre hinweg erfolgen, um danach jährlich an die steigenden Lebenshaltungskosten angepasst zu werden.
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| Vom kurzen Flirt zur langfristigen Beziehung

Von Miriam Pieschke

Organisierung im Kiez als transformatorisches Projekt

»Wir müssen dahin, wo die Menschen sind. Wir dürfen nicht warten, bis sie irgendwann zu uns kommen. Wir müssen den Alltag zum Thema machen. Wenn wir nicht mit den Menschen reden, machen es andere.« Angesichts der gegenwärtigen Polarisierung des politischen Feldes fordern viele linke Strateg*innen, lebensweltliche Anliegen ins Zentrum sozialer Kämpfe zu stellen.
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| Medizinische Flüchtlingsversorgung als Nagelprobe für das Gesundheitssystem

Von Viola Schubert-Lehnhardt und Anne Urschll

Die Anzahl der Flüchtlinge, die in der Europäischen Union, insbesondere in Deutschland, Schutz und eine Perspektive suchen, ist besonders im letzten Jahr gestiegen. Grund dafür sind die anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen, insbesondere in Syrien, Irak und Afghanistan, aber auch die zunehmende Verarmung und soziale Ungleichheit zwischen den Industrienationen im Norden und Ländern des globalen Südens. Doch während die Militärausgaben in der EU und in Deutschland steigen, wurde die deutsche Entwicklungshilfe von 0,7 Prozent des BIP auf 0,4 Prozent[1] abgesenkt.
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| »Überarbeitet und überschuldet« Die Zukunft von Arbeit, Freizeit und Konsum

Ein Interview mit Juliet Schor

Muster von Arbeit, Freizeit und Konsum ändern sich nicht über Nacht, wir befinden uns aber seit einem halben Jahrzehnt in einer tief greifenden Krise. Ganz offensichtlich hat sich diese massiv auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt, aber sehen Sie Anzeichen für andere dauerhafte Veränderungen?

Einige Trends, die vor dem Crash von Bedeutung waren, haben sich inzwischen abgeschwächt. Ich denke da an das, was ich das Fast-fashion-Modell des Konsums genannt habe: Import preiswerter Fabrikwaren, von denen die Menschen immer mehr in immer kürzeren Zeiträumen erwarben, immer schnellere Modezyklen und Zyklen des Kaufens, Nutzens und Wegwerfens. Offensichtlich ist dies im Bereich der Bekleidung, aber es zeigt sich auch in der Unterhaltungs- und Haushaltselektronik, eigentlich bei fast allen Konsumgütern. Vieles davon wurde über Kredite finanziert oder durch längere Arbeitszeiten, aber die Preise für viele Produkte stürzten zeitweise in den Keller. Man bekam einen DVD-Player für 19 US-Dollar. Aber das war eine besondere Periode. Ich glaube nicht, dass wir das so bald wieder erleben werden. Die andere zentrale Entwicklung ist eine Spaltung des Konsumgütermarktes, die sich schon seit längerer Zeit abzeichnet. Das liegt am wirtschaftlichen Absturz und an der Schrumpfung der Mittelschichten. Wir haben einerseits einen wachsenden Low-end-Sektor mit Ramschläden und Einzelhandelsstrukturen, die selbst Walmart als teuer erscheinen lassen, andererseits die Expansion eines High-end-Luxus-Marktes. Darin spiegeln sich die Entwicklungen beim Einkommen und Vermögen wider. Es gibt eine größere Zurückhaltung beim Schulden machen, sodass der Konsum auf Pump zurückgegangen ist. Haushalte kommen derzeit auch nicht mehr so leicht an Verbraucherkredite. Parallel erleben wir den Aufstieg ›alternativer Konsumptionskulturen‹: Immer mehr Menschen rücken von dominanten Lebensstilen der letzten Jahrzehnte ab, die im Wesentlichen auf Hyperkonsum, Markenfetisch und Massenproduktion basierten. Sie wollen ökologisch bewusster leben und präferieren etwa handwerkliche und selbst gefertigte Produkte.


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| Prekär schreiten wir voran? Acht Thesen zu offenen strategischen Problemen

Von Mario Candeias und Anne Steckner

»Wir haben’s richtig gemacht. Seht doch, wie es dem Rest Europas ergeht.« Das grimmige Märchen vom erfolgreichen Krisenmanagement der deutschen Regierung sichert relativ breite Zustimmung in der Bevölkerung. Noch. Bei einigen ist es die Hoffnung, es werde schon nicht so schlimm werden, andere halten still aus Angst. Trotz diffuser Unsicherheit, rasant wachsender Ungleichheit und der Verfestigung sozialer Spaltungen bleibt noch genug, um durchzukommen. Wenngleich sich Prekarisierung nicht mehr im selben Tempo ausbreitet wie in den vergangenen 20 Jahren, sind Unsicherheit, Erschöpfung und Hamsterrad alltägliche Begleiter geworden. Wer lange Zeit arbeitslos ist, bleibt es. Die Zahl der von Armut Betroffenen hat sich auf ein Viertel der Bevölkerung erhöht. Wohnraum zu bezahlbaren Preisen wird nicht nur in den Metropolen zum Megaproblem. Zukunftsperspektiven sind für viele unsicher – alles keine Randgruppenphänomene: Die Angst vor dem Abstieg wirkt auch in den vermeintlich abgesicherten Milieus.
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| Kein ruhiges Hinterland. Gegenhegemonie organisieren

Von Bernd Riexinger

Die politischen Verhältnisse in Deutschland scheinen seit der Bundestagswahl seltsam unbeweglich. Die Umfragewerte der Parteien zeigen keine großen Schwankungen, eine Reihe von Gesetzen und Reformvorhaben wurde verabschiedet, der Mindestlohn ist eingeführt – doch lückenhaft und ohne wirkliche Zähne gegen die Möglichkeit, ihn zu unterlaufen. Der Niedriglohnsektor ist nach unten reguliert, aber nicht grundsätzlich infrage gestellt: Die Grenze liegt derzeit bei 9,53 Euro. Trotzdem ist der Mindestlohn ein Erfolg für alle, die seit Jahren dafür gekämpft haben.
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| Interview: Piketty antwortet auf Kritiken aus der Linken

Interview mit Thomas Piketty

Eine Reihe Kritiker, etwa Branko Milanovic und Anwar Shaikh, haben nahegelegt, Ihre Arbeit in der klassischen Tradition der Wirtschaftswissenschaften anzusiedeln, insofern als dass sie Themen wie Klasse, Kapital und Arbeit wiederbelebt und sich makroökonomischen Fragen widmet – sie verstehen Sie also als Teil einer Tradition, die sich von Smith zu Keynes über Marx und andere dehnt. Wo sehen Sie selbst sich?

Ich versuche, einen Beitrag dazu zu leisten, das Thema Verteilung wieder ins Zentrum der ökonomischen Analyse zu bringen. In diesem Sinne kann meine Arbeit sicherlich als ein Versuch zur Weiterverfolgung einer Tradition angesehen werden, die im 19. Jahrhundert sehr bedeutsam war in ihrem Bemühen um die Untersuchung langfristiger Trends in der Verteilung von Einkommen und Wohlstand. Ich denke, Verteilung und Langfristigkeit wurden viel zu lange vernachlässigt.
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| Klassenkrieg und die Produktion von Unsicherheit

Von Barbara Ehrenreich

Die Empörung der 99%, die Occupy Wallstreet 2011 unüberhörbar auf den Straßen und Plätzen artikulierte, machte vielen von uns schlagartig bewusst, dass der amerikanische Traum – jene Vorstellung einer selbstbewussten, durch Leistung nach Glück und Reichtum strebenden Mittelklasse – spätestens in der Krise seit 2007 zerbrochen war. Die vielen hochqualifizierten, aber dennoch tief verschuldeten Menschen, die in den Camps zusammenkamen, um ihre Wut auszudrücken und sich zu organisieren, benannten das eine Prozent der Superreichen als alleinige Profiteure der neuen kapitalistischen Ordnung. Sie proklamierten damit zugleich ein gemeinsames Interesse mit jenen besonders prekären Fraktionen der Arbeiterklasse, die ich zehn Jahre zuvor in Arbeit poor beschrieben hatte. Die Klassenverhältnisse haben sich seither neu formiert, und tagtäglich spitzen sich die Widersprüche weiter zu.
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| Zu Tode aktiviert: Prekarisierungserfahrungen von Erwerbslosen

von Tine Haubner

»Fordern bedeutet, […] die Kultur spezifischer Milieus aufzubrechen. […] Nicht auszuschließen ist die Möglichkeit, dass Hilfesuchende sich in ihrer Situation ‚eingerichtet‘, sich mit ihr arrangiert haben. Oft reicht also ein gutes Angebot nicht, um Menschen zu verlocken, ihre gewohnte Lebensweise aufzugeben ─  und öfter noch sind Angebote auch wenig verlockend. Ein gewisses Maß an Druck und Zwang kann also durchaus einen Effekt haben, Leute in Bewegung zu bringen und Entwicklung in Gang zu setzen, […] und diese Haltung verlangt eine sozialpolitische Setzung von oben.« (Ministerium für Wirtschaft und Arbeit des Landes Nordrhein-Westfalen 2003)
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| Im Morgen verankern

Von Katja Kipping

Linke Strategien für eine veränderte Zukunft

An die Zukunft denken viele, zumindest in politischen Begriffen, momentan lieber nicht. Wer kann es ihnen verdenken, Grund für schlechte Laune gibt es, wohin man schaut: Krieg in der Ukraine, Terroranschläge in Paris und Kopenhagen, Elend in Südeuropa, Prekarisierung selbst im Land des ›Exportweltmeisters‹ und Rassismus auf den Straßen. Es scheint heute oft einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus, wie der Kulturtheoretiker Mark Fisher die Hoffnungslosigkeit im Neoliberalismus beschrieb.
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