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Schulden und Euro: Was tun?

Ein Manifest von Daniel Albarracín, Nacho Álvarez, Bibiana Medialdea (Spanien), Francisco Louçã, Mariana Mor tagua (Portugal), Michel Husson (Frankreich), Stavros Tombazos (Zypern) Giorgos Galanis, Özlem Onaran (Großbritannien)

Ein falsches Dilemma

Diese Krise hat gezeigt, dass dieses neoliberale Projekt in Europa nicht tragfähig ist. Progressive Alternativen zu dieser Krise erfordern eine Neugründung Europas: Kooperation ist notwendig sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene, für die Restrukturierung der Industrie, für ökologische Nachhaltigkeit und für die Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen.

Da aber eine globale Neugründung angesichts des derzeitigen Kräfteverhältnisses utopisch erscheint, stellt sich der Ausstieg aus den Euro für einige Länder als eine unmittelbare Lösung dar. Das Dilemma scheint also klar: riskanter Ausstieg aus der Euro-Zone oder hypothetische europäische Harmonisierung, die aus den sozialen Kämpfen hervorgehen soll.

Wir denken, dass diese Gegenüberstellung falsch ist; es ist im Gegensatz dazu wichtig, an einer gangbaren Strategie für die unmittelbare Konfrontation zu arbeiten. Jeder soziale Wandel beinhaltet eine Infragestellung der vorherrschenden gesellschaftlichen Interessen, deren Privilegien und deren Macht. Diese Konfrontation spielt sich hauptsächlich auf nationaler Ebene ab. Der Widerstand der herrschenden Klasse und ihr Potential an Vergeltungsmaßnahmen reichen jedoch über den nationalen Rahmen hinaus. Die Strategie des Ausstiegs aus dem Euro beinhaltet nicht ausreichend die Notwendigkeit einer europäischen Alternative. Deswegen muss eine Strategie aufgestellt werden, welche mit dem „Euroliberalismus“ bricht und Mittel für eine andere Politik frei setzt. Es geht in hier nicht um das Programm, sondern um die Mittel der Umsetzung.

Sich von dem Griff der Finanzmärkte befreien

Kurzfristig müsste eine der ersten Maßnahmen einer linken Regierung sein, einen Weg zu finden, mit dem das Haushaltsdefizit unabhängig von den Finanzmärkten finanziert wird. Das erlauben die europäischen Regeln nicht, und es wäre der erste Bruch, der durchzuführen wäre.

Es gibt ein großes Spektrum an möglichen Maßnahmen, die nicht neu sind und die früher in unterschiedlichen europäischen Ländern durchgeführt wurden: eine Zwangsanleihe bei den reichsten Haushalten; das Verbot, Kredite bei Devisenausländern aufzunehmen; eine Verpflichtung von Banken, eine bestimmte Quote an Staatsanleihen aufzunehmen; eine Steuer auf internationale Dividendentransfers sowie auf Kapitaltransfer usw.; und selbstverständlich eine radikale Steuerreform.

Der einfachste Weg wäre, dass die nationale Zentralbank den öffentlichen Haushalt finanziert, wie es in den USA, in Großbritannien, Japan usw. gemacht wird. Es wäre möglich, eine besondere Bank ins Leben zu rufen, welche sich gegenüber der Zentralbank refinanzieren darf, welche aber als Hauptfunktion den Kauf öffentlicher Anleihen hätte (etwas, was die EZB bereits gemacht hat).

Natürlich ist das nicht wirklich eine technische Frage. Es wäre ein politischer Bruch mit den bisher geltenden Regeln in Europa. Ohne einen solchen Bruch wäre jegliche Politik, die nicht „die Finanzmärkte beruhigen“ würde, sofort blockiert durch einen Anstieg der Kosten für die Finanzierung der öffentlichen Schulden.

Dieses erste Paket von Sofortmaßnahmen würde jedoch nicht die bereits angehäuften Last von Schulden und der Zinsen auf diese Schulden reduzieren. Die Alternative sieht folgendermaßen aus: entweder weiter andauernde Austerität oder ein sofortiges Moratorium auf die öffentlichen Schulden.

Nach einen solchen Moratorium sollte ein öffentliches Audit organisiert werden, um die illegitimen Schulden herauszufinden – was vor allem vier Bereiche betreffen würde: – die „Steuergeschenke“ zugunsten der reichsten Haushalte, der großen Firmen und der „Rentiers“; – die „illegalen“ Steuerprivilegien: Steuerflucht, Steueroptimierung, Steueroasen und Amnestien für Steuerflüchtlinge; – die Bankenrettungsaktionen seit Ausbruch der Krise; – die Schulden, die per Schneeballeffekt aus den Schulden selbst entstanden sind durch die Differenz zwischen der Höhe der Zinsen und der Wachstumsraten des BIP, weil letztere infolge der neoliberalen Kürzungspolitik und der Arbeitslosigkeit stark in Mitleidenschaft gezogen wurden. Auf ein solches Audit muss ein Austausch der Schuldtitel folgen mit dem Ergebnis, dass ein Großteil der Schulden annulliert wird. Das wäre der zweite Bruch.

Die öffentlichen Schulden sind aber auch eng verwoben mit der Bilanz der privaten Banken. Darum sind die sogenannten Rettungsaktionen für die Staaten in der Regel Bankenrettungsaktionen. Also ist ein dritter Bruch mit der neoliberalen Ordnung erforderlich: internationale Kapitalverkehrskontrolle, Kontrolle über das Kreditwesen und Sozialisierung der Banken. Das ist der einzige vernünftige Weg, um das Geflecht der Schulden zu entwirren. Immerhin war das die Option, die in Schweden in den 1990er Jahren gewählt wurde (auch wenn die Banken später wieder privatisiert wurden). – Das sind die Mittel für eine echte soziale Transformation. Aber wie kommen wir dahin?

Eine linke Regierung ist notwendig

Diese drei bedeutenden und notwendigen Brüche, um erfolgreich Widerstand gegen eine finanzpolitische Erpressung zu leisten, können nur von einer linken Regierung zu einem guten Ende gebracht werden. Obwohl die sozialen und politischen Bedingungen für eine abgestimmte Strategie des Kampfes für eine solche Regierung von Land zu Land sehr unterschiedlich sind, richtete sich im Sommer 2012 in ganz Europa alles Augenmerk auf die Aussichten von Syriza (dem Bündnis der Radikalen Linken), die Wahlen zu gewinnen und damit das Rückgrat für eine solche Regierung in Griechenland zu bilden.

Seit dieser Zeit führt Syriza eine Kampagne mit den grundlegenden Themen, die wir in diesem Manifest entwickeln: Eine Regierung der linken Kräfte ist ein Bündnis für die Aufkündigung der Memoranda der Troika und die Umstrukurierung der Schulden, so dass Löhne, Renten, Öffentliche Gesundheitsversorgung, Bildung und Sozialversicherung geschützt werden könnten.

Für eine Strategie des unilateralen Bruchs und Ausbau

Die fortschrittlichen Lösungen stehen im Gegensatz zu dem neoliberalen Projekt verallgemeinerten Wettbewerbs. Sie sind von Grund auf kooperativ angelegt und funktionieren umso besser, auf je mehr Länder sie ausgedehnt werden. Wenn beispielsweise alle europäischen Länder die Arbeitszeit reduzieren und eine einheitliche Kapitalertragssteuer erheben würden, könnte eine solche Koordinierung den Gegenschlag vermeiden, den genau diese Politik erleiden würde, wenn sie in einem einzigen Land umgesetzt würde.

Um diesen kooperativen Weg einzuschlagen, muss eine Regierung der linken Kräfte eine unilaterale Strategie verfolgen: – Die „geeigneten Maßnahmen“ werden unilateral getroffen, wie beispielsweise die Ablehnung der Austeritätspolitik oder die Besteuerung von Finanztransaktionen.

– Sie müssten einhergehen mit Schutzmaßnahmen wie beispielsweise die Kontrolle der Kapitalmärkte.

– Die Durchführung einer Politik, die auf nationaler Ebene nicht im Einklang mit den europäischen Bestimmungen steht, stellt ein politisches Risiko dar, das zu beachten ist.

Die Antwort dazu besteht in einer Logik der Erweiterung, damit solche Maßnahmen wie beispielsweise fiskalpolitische Impulse oder die Finanztransaktionssteuer von anderen Mitgliedstaaten angenommen werden.

Die politische Konfrontation mit der EU und den herrschenden Klassen anderer Staaten, insbesondere der deutschen Regierung, kann jedoch nicht vermieden werden, und die Drohung eines Verlassens des Euroraums darf nicht a priori von möglichen Optionen ausgeschlossen werden.

Dieses strategische Schema erkennt an, dass die Neugründung Europas nicht eine Vorbedingung für die Umsetzung einer alternativen Politik sein darf. Die möglichen Vergeltungsmaßnahmen gegen eine linke Regierung müssen von Gegenmaßnahmen neutralisiert werden, die in der Tat einen Rückgriff auf protektionistische Systeme implizieren. Doch diese Orientierung ist nicht im üblichen Sinne des Wortes protektionistisch, denn sie schützt einen sozialen Transformationsprozess, den die Bevölkerung mit trägt, und nicht die Interessen des nationalen Kapitals, das sich im Wettbewerb mit anderen Kapitalinteressen befindet.

Es handelt sich also um einen „Erweiterungsprotektionismus“, der obsolet wird, sobald die sozialen Maßnahmen für Arbeitsplätze und gegen die Austeritätspolitik sich quer durch Europa durchgesetzt haben.

Der Bruch mit den Bestimmungen der Europäischen Union ist keine Prinzipienfrage, sondern stützt sich auf der Legitimität von gerechten und effizienten Maßnahmen, die den Interessen der Mehrheit entsprechen und ebenso den Nachbarländern vorgeschlagen werden. Diese strategische Orientierung kann durch die soziale Mobilisierung in den anderen Ländern verstärkt werden und sich schließlich auf ein Kräfteverhältnis stützen, das in der Lage ist, die Institutionen der EU in Frage zu stellen. Die jüngste Erfahrung mit den neoliberalen Rettungsschirmen der EZB und der Europäischen Kommission zeigt, dass es absolut möglich ist, eine Reihe von Bestimmungen der EU-Verträge zu umgehen, und dass die europäischen Behörden nicht gezögert haben, dies auf Gedeih und Verderb zu tun. Daher fordern wir das Recht auf Maßnahmen, die in die richtige Richtung gehen, inklusive der Einrichtung einer Kapitalverkehrskontrolle und jeglichen Systems, das geeignet ist, um Löhne und Renten zu sichern. In diesem Rahmen wäre das Verlassen des Euroraums eine Drohung oder ein allerletzter Ausweg.

Diese Strategie stützt sich auf die Legitimität der fortschrittlichen Lösungen, die aus ihrem Klassencharakter erwächst. Es handelt sich hier also um eine auf Kooperation bauende Strategie des Bruchs mit dem aktuellen Rahmen der EU, dies im Namen eines anderen Entwicklungsmodells, das auf einer neuen Architektur für Europa beruht: ein erweiterter europäischer Haushalt auf der Grundlage einer gemeinsamen Kapitalsteuer, der Harmonisierungsfonds und sozial und ökologisch sinnvolle Investitionen finanziert. Eine an den Interessen der Bevölkerungsmehrheiten orientierte Strategie einer linken Regierung muss für diesen demokratischen Kampf alles tun, was erforderlich ist.

 

Die AutorInnen sind als linke WissenschaftlerInnen aktiv in unterschiedlichen europäischen Bewegungen und Parteien der Linken. Das Manifest entstand auf Initiative von Michel Husson, Ökonom am Institut de recherches économiques et sociales (IRES) in Paris und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von attac. Langfassung des Mainfests unter: gesd.free.fr/euromani.htm [1]