| Fünf kritische Kommentare zum fünften Armuts- und Reichtumsbericht

Mai 2017  Druckansicht

Seit 2001 werden in jeder Legislaturperiode regierungsoffiziell erstellte „Armuts- und Reichtumsberichte“ (ARB) vorgestellt. Auch in einigen Bundesländern und vielen Kommunen wurden seitdem vergleichbare Berichte verfasst. Am 12. April 2017 hat die Bundesregierung den fünften Armuts- und Reichtumsbericht (ARB) verabschiedet und publiziert. In seiner Berichtskonzeption betonte das dafür verantwortliche Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), dass der 5. Bericht die Ansätze seiner Vorgänger fortsetzen und weiter entwickeln solle. Fortgesetzt wurde das in den ersten vier Berichten seit 2001 entwickelte Muster: Beschreibung der sozialen Situation und Entwicklung in einzelnen Lebensphasen und Analyse der sozialen Mobilität (Auf- und Abstiege). Traditionelle Analysen der Einkommens- und (weit weniger) der Vermögensverteilung ziehen sich durch alle Berichte – die Struktur und Entwicklung der ökonomischen Daten stehen im Zentrum.

Wie seine Vorläufer hat auch der aktuelle immerhin 658 Seiten starke Bericht einen beträchtlichen Wiederhall in der Öffentlichkeit gefunden. Worin unterscheidet sich dieser Bericht von seinen Vorläufern? Für diese Berichte galt, wie Ministerin Andrea Nahles zu Recht vermerkte und auch seitens der SPD-Linken seit Jahren moniert wurde: Wenn „man ehrlich ist, war das bisher immer nur ein Armutsbericht.“ Der 5. ARB nun sollte im Rahmen des Lebenslagenansatzes sich auf das jüngere und mittlere Erwachsenenalter konzentrieren und drei Schwerpunktthemen zusätzlich bearbeiten: die Auswirkungen atypischer Beschäftigungsformen auf die berufliche Entwicklung und das Erwerbseinkommen im Lebensverlauf, die Bedeutung sozialräumlicher Segregation sowie auch das Thema Reichtum/Vermögen.

Dementsprechend werden in dem Bericht einige Einzelthemen bearbeitet, die in den vorhergehenden Berichten kaum oder gar nicht bzw. nicht einmal ansatzweise auf der Höhe der aktuellen wissenschaftlichen Debatte und der öffentlichen Debatten behandelt wurden. Dazu gehören vor allem prekäre Arbeit, Obdachlosigkeit, Überschuldung, das Verhältnis von Wachstum und Ungleichheit, die Entwicklung der Mittelschicht (der schon im 4. ARB 2013 eine Studie galt), die Rolle der Flüchtlingsmigration, Segregation und das Reichtumsthema, insbesondere die Erbschaftsfrage und die sog. „Hochvermögenden“. Zusätzlich ist durch die Aufnahme einer Reihe von weiteren Indikatoren die statistische Grundlage etwas erweitert worden. Insofern stellt der Bericht einen Fortschritt dar, da verschiedene in diesem Berichtsformat bislang weitgehend ignorierte Fragen aufgegriffen und diskutiert werden.

Ähnlich wie in den vorangegangenen Berichten wurden die vom BMAS initiierten oder unterstützten Studien publiziert und auf der Website des ARB frei zugänglich archiviert. Freilich wurde die naheliegende Gelegenheit nicht genutzt, zugleich ein Webarchiv der seit Mitte des letzten Jahrzehnts publizierten Berichte einzelner Bundesländer – hervorzuheben sind NRW und Bremen – und zahlreicher Kommunen sowie aus dem internationalen Bereich zur Verfügung zu stellen bzw. auch die dort erarbeiteten Ergebnisse in dem ARB zu berücksichtigen.

Die seit 2001 vorgelegten Berichte sollten immer in der Mitte der Legislaturperiode vorgelegt werden, was in aller Regel nicht der Fall war. So auch bei diesem Bericht, dessen Entwürfe im Oktober 2016 bekannt wurden und stark umstritten waren. Diese Auseinandersetzungen und dann auch die bekannt gewordenen Veränderungen der Entwürfe spiegelten natürlich den aufkommenden Wahlkampf wider. Die CDU/CSU-Seite verwies etwa in einer sich auf Vorinformationen von „BILD“ sich beziehenden Presseerklärung auf steigende Einkommen, Rückgang der prekären Arbeit, Abnahme der Anzahl der Langzeitarbeitslosen und Hartz IV-Empfänger, eine geringe Altersarmut oder eine Abnahme der Vermögensungleichheit. Ihr Resultat des Berichts: eine insgesamt „sehr solide“, „stabile“ und konstante“ Entwicklung – kurz: „Es geht uns in Deutschland gut“ (Wolfgang Schäuble). Demgegenüber akzentuierte die zuständige Ministerin Nahles (SPD) durchaus vorhandene Ungleichheiten, Mobilitätsbarrieren, Obdachlosigkeit oder Verschuldung, versicherte aber rasch: “dass wir die Schere zwischen Arm und Reich weiter schließen können, wenn wir uns anstrengen.”

LuX-Online strengt sich also an und publiziert hier fünf Beiträge zum fünften Armuts- und Reichtumsbericht. Gezeigt wird, dass dieser Bericht durchaus ein Ärgernis ist. Thomas Sablowski schreibt über „Die Armut des Armuts- und Reichtumsberichts“, Sebastian Schipper skizziert „Wie die Wohnungsfrage hinter Durchschnittswerten verschwindet“, Bernd Belina konstatiert „Armut relativieren mittels Raum. Zur räumlichen Dimension der Armutsgefährdung im „Fünften Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung“, Rainer Rilling geht der Frage nach, ob das ganze “Endlich ein Reichtumsbericht?” ist und Lutz Brangsch fragt: „Vom Bericht zur Politik? Der ARB im politischen Geschäft zwischen Problematisierung, Strategieberatung und Legitimation“.