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»Wohnraum muss für alle da sein – auch für Geflüchtete«

Gespräch mit Bea Fünfrocken und Remzi Uyguner

Ihr unterstützt Personen mit Fluchterfahrung bei der Wohnungssuche. Was sind die dringlichsten Probleme, mit denen die Menschen zu euch kommen?

BEA: Die meisten wollen dringend aus den Unterkünften raus und in einer eigenen Wohnung leben, eine Privatsphäre haben.

REMZI: Wir unterstützen Personen, die bei
der Wohnungssuche eine Diskriminierung erfahren. Leider stellen wir täglich fest,
dass die Wohnungssuche insbesondere für Menschen mit Flucht- oder Migrationserfahrung besonders schwierig ist. Sie haben kaum Zugänge zum Wohnungsmarkt und sind von unterschiedlichen Arten der Diskriminierung betroffen.

Was könnt ihr dagegen tun?

REMZI: In konkreten Fällen der Diskriminierung lässt sich politisch leider wenig machen. Die Betroffenen müssen selbst rechtliche Schritte unternehmen, die wir jedoch unterstützen können. Neben den Diskriminierungserfahrungen bei der Wohnungssuche kommen Fälle von Diskriminierung auch
in mietrechtlichen oder strafrechtlichen Verfahren, beispielsweise in Nachbarschaftskonflikten vor und müssten eigentlich dort als solche verhandelt werden. In diesem Rahmen werden Fragen der Diskriminierung aber oft nicht berücksichtigt.

Es gibt jedoch vereinzelt Erfolge, wenn Vermieter*innen im Rahmen von Klagen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Diskriminierung nachgewiesen werden kann. Damit bekommen die Betroffenen leider noch keinen Rechtsanspruch auf eine Wohnung. Nach dem AGG ist nur eine Entschädigung oder Schadensersatz vorgesehen. Frustrierend ist zudem, wenn die Betroffenen aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten von einer an sich aussichtsreichen Klage absehen. Die Betroffenen müssen darüber hinaus individuell klagen und ihre Rechte allein durchsetzen. Die Möglichkeit von Sammel- und Verbandsklagen sieht das AGG nicht vor.

Wer ist besonders von Ausschlüssen betroffen?

REMZI: Insbesondere große Familien oder Haushalte über fünf Personen haben praktisch keine Chance, eine Wohnung zu finden. Das liegt an der sogenannten Eine-Person-ein-Wohnraum-Regelung. Diese besagt, dass Wohnungen mindestens so viele Zimmer haben sollen wie die Anzahl der zusammenlebenden Personen. Im bezahlbaren und öffentlich geförderten Sektor gibt es aber einfach kaum Wohnungen mit fünf und mehr Zimmern.

BEA: Bei Xenion arbeiten wir mit Familien, die seit neun Jahren im Heim leben – obwohl sich ihr Aufenthaltsstatus geändert hat. Die Kinder kennen nur Flucht- und Heimunterbringung, sie haben noch nie in einer eigenen Wohnung gewohnt. Wir brauchen eine ganz gezielte Förderung für große Familien, die ihnen Zugang zu bezahlbaren Wohnungen ermöglicht. Kürzlich haben wir im Wedding ein halbes Jahr gebraucht, bis wir endlich für eine Familie zwei Wohnungen zusammenlegen konnten.

Wie sieht es mit privaten Vermieter*innen aus?

REMZI: Hier gibt es die gleiche Praxis. An eine Familie mit sechs Personen wird nur eine Sechszimmerwohnung vergeben. Die gibt es aber nicht. Das bedeutet im Klartext, dass diese Familien vom Wohnungsmarkt quasi komplett ausgeschlossen sind.

BEA: Hier müsste die Bauförderung verändert werden. Momentan ist die Förderung für Bauunternehmen an die Anzahl der bereitgestellten Wohnungen geknüpft, nicht an die Anzahl der Personen, die darin leben können. Daher gibt es im sozialen Wohnungsbau sehr viele Ein- und Zweizimmerwohnungen.

In Gesprächen beim Runden Tisch »Alternativen zur öffentlichen Unterbringung Geflüchteter«, einer von den Senatsverwaltungen für Integration, Arbeit und Soziales sowie für Stadtentwicklung und Wohnen einberufenen Runde, wurde zudem deutlich: Private Vermieter*innen haben oft Angst vor Mietausfall. Sie erhalten ja keine Bürgschaft wie im geschützten Marktsegment, sondern tragen das Risiko selbst. Hier müsste der Senat eine Bürgschaft übernehmen, denn es gibt durchaus engagierte private Hausverwaltungen, die auch an Geflüchtete vermieten würden. Es reicht nicht, hier nur die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften im Blick zu haben, die privaten machen schließlich einen großen Teil des Wohnungsmarktes aus. In Brandenburg haben die Kommunen beispielsweise direkt Wohnungen angemietet, die sie an Geflüchtete weitervermieten.

Das wären konkrete politische Maßnahmen, die den Zugang von Geflüchteten zu Wohnraum verbessern würden. Gäbe es weitere?

BEA: Eine unserer wichtigsten Forderungen ist ein Wohnberechtigungsschein (WBS) für alle. Der WBS berechtigt ja Menschen mit geringen Einkommen, in eine mit öffentlichen Mitteln geförderte und damit günstigere Wohnung zu ziehen (vgl. Holm in diesem Heft). Obwohl Geflüchtete zu diesem Personenkreis gehören, schließt die Senatspolitik aktuell Menschen im laufenden Asylverfahren vom Anspruch auf einen WBS und damit vom Zugang zu Sozialwohnungen aus. Das Gleiche gilt für Menschen, deren Aufenthaltsbewilligung weniger als elf Monate umfasst.

Ein Asylverfahren dauert ja oft mehrere Jahre. Solange müssen die Menschen in den meisten Fällen in Gemeinschaftsunterkünften bleiben. Außerdem kann es zu Fehlern bei
den Einträgen in die Ausweispapiere kommen. Ich hatte in der Beratung eine Familie mit einem behinderten Kind. Die Mutter hatte
eine zweijährige Aufenthaltsgenehmigung, der Mann allerdings nur eine einjährige, weil sein Ausweis verloren gegangen war und die Ausländerbehörde dann statt zwei Jahren nur noch ein Jahr in den neuen Ausweis geschrieben hat. Deshalb wurde der WBS abgelehnt. Die Sachbearbeiter*innen ziehen sich immer auf das Argument zurück: »Es muss ein Aufenthalt von mindestens elf Monaten gegeben sein.« Dabei genießt die Familie in Deutschland seit fünf Jahren subsidiären Schutz. Es gibt viele ähnliche Geschichten. Widersprüche reichen hier teils bis zur Sozialstadträtin – ohne Erfolg, egal in welchem Bezirk. Daher fordern wir, dass Geflüchtete unabhängig vom Aufenthaltsstatus einen WBS erhalten. Damit könnten
sie in integrierte Wohnprojekte in der Mitte
der Gesellschaft einziehen und müssten nicht weiter in separierten Einrichtungen wohnen.

REMZI: Würden die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften hier ihre Vergabepraxis ändern, hätte das sicherlich auch Ausstrahlung auf den privaten Wohnungsmarkt.
Auch die privaten Vermieter*innen möchten unbedingt eine lange Aufenthaltsdauer nachgewiesen haben. Wobei ich sagen muss, ein Mieterwechsel gehört halt zum Job eines Eigentümers oder einer Hausverwaltung. Das kann auch unabhängig von der Aufenthaltsdauer passieren.

Woran liegt es, dass sich die Forderung nach einem WBS für Geflüchtete derzeit politisch nicht durchsetzen lässt?


BEA: Der Staatssekretär für Wohnen, Sebastian Scheel, argumentiert beispielsweise, dass aktuell schon 30 000 Sozialwohnungen in Berlin fehlen. Da könne man den sozialen Wohnraum nicht für eine weitere anspruchsberechtigte Gruppe, nämlich Geflüchtete im Asylverfahren, öffnen. Das gäbe schlechte Stimmung. Die Tatsache, dass es einen deutlichen Mangel an Sozialwohnungen gibt, darf jedoch kein Argument dafür sein, eine bedürftige Gruppe vom Anspruch auszuschließen. Einen offensichtlichen Mangel fair zu verwalten stellt eine große soziale Verantwortung dar. Transparente Vergabekriterien sind hier zentral, um zu verhindern, dass Betroffene sich gegeneinander ausgespielt fühlen.

Der Flüchtlingsrat Berlin hat hier Praxisbeispiele aus anderen Bundesländern vorgestellt, die Geflüchteten weit mehr Möglichkeiten geben. Zum Teil werden Wohnungen dann vergeben, wenn eine positive Bleibeperspektive besteht. Wenn etwa eine Arbeitserlaubnis vonseiten der Ausländerbehörde erteilt wird, dann reicht dies, damit die/ der zuständige Sachbearbeiter*in dem Umzug in eine eigene Wohnung zustimmen kann. Das ist eine ganz praktikable Sache.

REMZI: Ich finde auch: Transparenz ist sehr wichtig. Wir müssen gerade in Gesprächen mit den unterschiedlichen Bedarfsgruppen betonen, dass sie im selben Boot sitzen und sich nicht gegeneinander ausspielen lassen dürfen. Und: Wir müssen allen passgenaue Angebote machen.

Gibt es weitere Handlungsfelder, um für Geflüchtete bessere Bedingungen auf dem Wohnungsmarkt zu schaffen?


BEA: Mein Schwerpunkt sind gerade Genossenschaften. Wir versuchen, zusammen
mit Stiftungen einen Unterstützungsfond
zu schaffen, um Geflüchtete auch in neue Genossenschaftsprojekte und frei finanzierte Neubauprojekte integrieren zu können. Der Zugang ist leider an hohe finanzielle Einlagen gebunden, die diese Menschen nicht aufbringen können. Wir suchen deshalb das Gespräch mit Genossenschaftsmitgliedern, um dafür zu werben, auch Neuberliner*innen in diese Projekte einzubinden. Mit Unterstützung der Genossenschaft Ostseeplatz konnten beispielweise 23 geflüchtete Menschen in ein Gemeinschaftsprojekt, einen Neubau nach neuestem Standard, in der Lynarstraße im Wedding einziehen. Sie waren auch an dem zweijährigen Planungsprozess beteiligt. Außerdem wäre es wichtig, die Genossenschaftsidee und -struktur auch unter Geflüchteten publik zu machen. Städtischer Wohnungsbau, so wie er derzeit organisiert ist, ist langfristig keine Lösung. Wir brauchen wieder einen rechtlich abgesicherten und kontrollierten gemeinnützigen Wohnungsbau (vgl. Kuhn in diesem Heft).

Das Gespräch führten Jan Drunkenmölle und Julia Schnegg.