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»Wir kämpfen um jeden Meter«

Interview mit Diana Henniges von der Willkommensinitiative Moabit Hilft e.V.

Die Situation von Geflüchteten in Berlin war lange in den Schlagzeilen: Warteschlangen vor dem LaGeSo, überfüllte Turnhallen. Ihr habt den Senat immer wieder scharf angegriffen, 2015 eine Demo vor dem roten Rathaus organisiert. Seit Herbst regiert Rot-Rot-Grün. Was hat sich seither verändert?

Diana Henniges: Leider viel zu wenig. Das wird aber öffentlich anders wahrgenommen. Es sieht alles schöner aus – aber hinter den Kulissen geht der ganze Mist weiter. Das macht es uns schwerer, überhaupt noch Aufmerksamkeit zu erzeugen. Es gibt keine durstenden Babys mehr im Freien vorm LaGeSo, keine Erwachsenen, die sich die Köpfe einschlagen für einen Platz in der Schlange. Diese Bilder sind verschwunden, aber die Themen sind die gleichen.

Wo liegen denn die Probleme? Zumindest die Turnhallen sind ja leer.

Die Unterbringungssituation ist noch immer desolat. Sich darauf auszuruhen, dass die Turnhallen leer sind – das reicht einfach nicht. Das war ja eine längst überfällige Maßnahme, die schon die alte Senatsverwaltung mit auf den Weg gebracht hatte. Im Übrigen gibt es auch noch eine belegte Turnhalle in Friedrichsfelde[1] [1] – eine reine Abschiebehalle für Menschen aus dem sogenannten sicheren Herkunftsland Moldawien, viele Roma. Da sind 200 Menschen, Kinder, Frauen, Männer unter menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht. Und es gibt viele weitere Punkte, die man anpacken müsste. Das erste ist die miserable Qualität der Unterkünfte. Nur ein Beispiel: Das Heim in Alt Moabit 82 B ist seit drei Jahren als provisorische Unterkunft gedacht und wahrscheinlich zu teuer, um saniert zu werden. Mehrere hundert Menschen teilen sich dort vier Herde. An vielen Orten schlafen die Leute in Doppelstockbetten auf kleinsten Raum – immer mit der Ansage, es wäre nur vorübergehend. Wenn die Menschen über Jahre an solchen Orten leben, muss ich doch einen Mindeststandard erfüllen. Es gibt aber keine klaren Standards in Notunterkünften und auch keinen Versuch der Senatsverwaltung, die Betreiber dazu zu verpflichten. Mal abgesehen davon, dass es mit Blick auf die Gesetzeslage äußerst fragwürdig ist, anerkannte Flüchtlinge und jene, die schon seit sechs Monaten hier sind, nicht in Wohnungen, sondern in Notunterkünften leben zu lassen.

Das nächste Problem sind die weiterhin bestehenden ›rechtsfreien Räume‹. Die ›Herren‹ der Unterkünfte, die privaten, aber leider auch die gemeinnützigen Träger, haben eine solche Macht, dass die Geflüchteten viele Missstände einfach hinnehmen, von der schimmligen Matratze über den Wanzenbefall bis hin zur verweigerten zahnärztlichen Versorgung. Das alles ist möglich, weil das Qualitätsmanagement des LAF (Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten) nicht greift. Die regelmäßigen Kontrollbesuche in den Unterkünften finden nicht statt. Die Sicherheitsdienste und die Betreiber haben de facto das Sagen. Die Geflüchteten ordnen sich unter, gerade wenn sie in permanenter Angst um ihr Asylverfahren leben. Sie sehen keinen Weg, ihr Recht durchzusetzen. Das sind Strukturen einer Willkürherrschaft.

Wie habt ihr denn den rot-grünen Koalitionsvertrag bewertet – stehen da die richtigen Schritte drin?

Da stehen schon einige wichtige Punkte drin: Die Ausweitung des Kontingents für sozial Benachteiligte in der Wohnraumversorgung, die Ausweitung des geschützten Marktsegments. Aber Papier ist geduldig. Wir hören dann immer: Das machen wir alles noch. Aber von der Umsetzung kriegen wir bisher nicht viel mit – obwohl wir überall genau hinhören in der Landespolitik. Da sehe ich im Übrigen nicht nur die Sozialsenatorin der LINKEN in der Verantwortung, sondern alle drei Fraktionen. Sie müssten sagen: Die Flüchtlingsversorgung ist in der letzten Legislaturperiode komplett schiefgelaufen und das packen wir in den nächsten Wochen an. Aber wir haben den Eindruck, dass sich wenig tut. Das liegt zum einen daran, dass die Koalition nicht in allen Fragen an einem Strang zieht, dass stets nur mühsame Kompromisse möglich sind. Es liegt aber auch an der Verwaltung, die sich sperrt, den Filz zwischen Politik und Interessen- bzw. Lobbygruppen anzugehen, die sich wirklichen Veränderungen versperren.

Denn eigentlich müsste noch viel mehr passieren: Die Systeme sind kaputtgespart, die gesamte öffentliche Verwaltung völlig unterbesetzt. Hier müsste richtig viel Geld in die Hand genommen werden. Wir haben immer noch einen sehr hohen Krankenstand im LAF. In den Bezirken gibt es regelmäßig Brandbriefe der überlasteten Jugendämter, die sich jetzt auch noch um geflüchtete Jugendliche kümmern sollen. Und diese Jugendlichen, die da durch die Maschen fallen, die verlieren wir. Einige auch an die organisierte Kriminalität. Wenn der deutsche Staat keine Angebote macht, dann suchen sich Leute andere Netzwerke zum Überleben.

Ähnlich sieht es in der Wohnungsfrage aus: Es geht doch darum, wie wir vernünftigen Wohnraum für sozial Benachteiligte auf diesem überhitzten Wohnungsmarkt zu schaffen. Und sozial Benachteiligte sind nicht nur Geflüchtete. Das trifft ja den Obdachlosen, die alleinerziehende Mutter und die fünfköpfige syrische Familie, alle. Wir haben hier auch oft wohnungslose Deutsche – denen helfen wir auch. Es ist klar: Um all diesen Gruppen zu helfen, müsste man viel langfristiger denken, planen und bauen. Wir sehen aber nur Containerdörfer, MUFs (Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge) in Schnellbauweise, alles im Substandard. So sehen keine dauerhaften Lösungen aus.

Wie läuft denn die Zusammenarbeit mit dem neuen Senat? Spürt ihr einen Unterschied, habt ihr mehr Möglichkeiten der Beteiligung?

Im Koalitionsvertrag wurde ein »Bürgerdialog« versprochen, ein Austausch zwischen staatlichen Behörden und Zivilgesellschaft, so wie es ja auch schon im Masterplan für Integration vorgesehen ist. Wir haben das auch immer wieder eingefordert und gesagt: Wir haben euch in den letzten Jahren den Hintern gerettet, jetzt wollen wir auch mit am Tisch sitzen und mitentscheiden. Denn wir werden ja auch in Zukunft eure Arbeit mitübernehmen. Wir haben also gehofft, dass sich da etwas ändert. Aber die traurige Wahrheit ist: Da ist gar nichts passiert. Es gab eine Art Höflichkeitsbesuch bei uns im Haus. Aber es gibt keinen Dialog auf Landesebene mit den wichtigen Akteuren, keine runden Tische. An die Präsidentin des LAF kommen wir seit acht Monaten überhaupt nicht heran. Wir suchen permanent den Kontakt, schreiben E-Mails, telefonieren – aber es kommt nichts zurück. Wir werden vertröstet, weitergeleitet, erhalten keine Antwort. Kommunikation ist nur über einzelne Abgeordnete in den Bezirken oder im Abgeordnetenhaus möglich.

Ein Anfang wäre es schon, würde jemand vom LAF oder von der Senatsverwaltung regelmäßig an den Sitzungen des Flüchtlingsrates teilnehmen – leider Fehlanzeige. Wenn wir Glück haben, treffen wir irgendwo auf Bezirksebene mal einen LAF-Mitarbeiter, der dann natürlich völlig überfordert ist. Wir kriegen die relevanten Akteure einfach nicht zu fassen: Weder vom LAF, noch von der Ausländerbehörde, noch vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Und auch niemanden von der Senatsverwaltung. Das sind aber die wichtigsten Stellen für unsere Arbeit. Wir arbeiten ihnen die ganze Zeit zu, so als wären wir ihre Dienstleister. Sie lassen sich aber nicht dazu herab, mit uns zu reden.

Das heißt, ein Wandel in der politischen Kultur ist bei euch noch nicht angenommen?

Nein, einen Kulturwandel sehe ich nicht. Es ist eher schwieriger geworden, miteinander zu reden und Informationen zu bekommen. Vorher saßen wir zusammen in der Landeskonferenz für Flüchtlingsfragen, es gab verschiedene Gremien zu Medizin, zu Unterbringung, es gab die Betreiberkonferenz. Das gibt’s alles nicht mehr. Und deshalb stimmt auch die Augenhöhe nicht. Oder sagen wir besser: Sie findet nicht statt. Uns wird das Gefühl vermittelt: Wir lösen das schon für euch, vertraut uns, wir hier oben machen das schon.

Man muss aber dazu sagen: Die Kommunikation mit der Verwaltung ist wesentlich schlimmer. Es gibt viele Mitarbeiter des LAF oder der Ausländerbehörde, die mit dir reden, als wärest du ein Bittsteller und die Gesetzeslage ignorieren. Die Leute wissen zum Teil selbst nicht, was ihre Behörde tut und kennen ihre eigenen Befugnisse nicht oder wollen sie nicht kennen. Wir hören dann immer wieder, man könne nichts tun, es gäbe keine Spielräume. Früher haben wir dann genickt und gesagt: ›Oh, da werden sie wohl Recht haben‹, und standen da wie die Idioten. Mittlerweile haben wir uns aber die Gesetzestexte angeeignet. Wir wissen, dass die Weisungsbefugnis bei den Landesämtern liegt, und dass diese der Senatorin unterstellt sind. Es fehlen aber offensichtlich klare Anweisungen von dieser Stelle. Seit dem Regierungswechsel hat sich daher nichts geändert. Es sitzen ja die gleichen Leute in der Verwaltung, mit denen wir uns vor zwei Jahren bis aufs Blut gefetzt haben. Da ist nichts von Wandel zu spüren. Und ich glaube mittlerweile, dass der reale Einfluss der jeweiligen Senatoren minimal ist.

Was fordert ihr denn konkret? Wie würde eine wirkliche Beteiligung aussehen?

Ein ganz banaler Anfang wäre es schon, eine transparente Übersicht über Zuständigkeiten und Ansprechpartner zu haben und nicht mühsam Organigramme zusammenklauben zu müssen oder von A nach B geschickt zu werden. Was wir außerdem wollen: regelmäßige Zusammenkünfte mit den wichtigen Akteuren in der Flüchtlingshilfe, vor allem auch den staatliche Stellen. Und wir Initiativen müssten umgekehrt so etwas wie einen Dachverband oder zumindest eine demokratisch gewählte Vertretung in diesen Dialog schicken. Die Senatsverwaltung sollte eine große Konferenz machen, auf der wir alle zusammenkommen und demokratisch eine Zahl von Delegierten wählen, die dann für die Initiativen in Berlin sprechen. Die treffen sich dann quartalsweise und diskutieren die einzelnen Themen. Die Initiative zu diesem Prozess muss aber von der Senatsverwaltung kommen, nicht schon wieder von uns. Das erwarte ich, auch als Zeichen der Wertschätzung.

Denn die Willkommensinitiativen haben sich mittlerweile so unfassbar viel Expertise draufgeschafft: Arbeitsmarkt, Unterbringung, Sozialversorgung, Asylverfahren, da macht uns niemand mehr etwas vor. Das ist ja auch unser einziges Druckmittel. Denn so dramatisch es klingt: Uns hört einfach kein Mensch zu. Darum können wir nur immer mit der Gesetzeslage argumentieren. Wir melden jeden noch so kleinen Verstoß gegen geltendes Recht. Wir machen Dienstaufsichtsbeschwerden ohne Ende. Wir fordern aufgrund der Gesetzeslage Dinge ein. Wir sammeln mit anderen Initiativen Informationen, machen Eingaben auf Bezirks-, Landes- oder Bundesebene. Wir nutzen das, was wir können. Aber wir kämpfen um jeden Meter.

Mittlerweile seid ihr an die Öffentlichkeit gegangen und greift den neuen Senat scharf an. Der Anlass ist, dass ihr einen Teil eurer Räumlichkeiten auf dem ehemaligen LaGeSo-Gelände räumen sollt.

Ja. Wir haben uns mit öffentlicher Kritik bisher zurückgehalten und abgewartet. Nun sollen aber unsere Räume hier in Haus D geräumt werden. Dieser Ort ist eine zentrale und bei Geflüchteten bekannte Anlaufstelle für alle praktischen Probleme, auch mit Verwaltungsabläufen und Behörden. Hier ist ein ganz wichtiger Begegnungs- und Schutzraum. Die Begründung ist, dass der Ort mit dem Umzug des LAF zu einem anderen Standort nicht mehr notwendig sei. Am neuen Standort sind nur Anbieter zugelassen, die auch bezahlt werden. Damit sind wir raus. Das Problem ist, dass wir in den Augen der Senatsverwaltung niemals den Stellenwert erreichen, den eine Caritas, eine ASB, den die Johanniter haben. Obwohl wir in der Krisensituation oft schneller und effektiver gehandelt haben. Die großen Träger haben für Geld gearbeitet, auch mit viel Know-How. Aber wir haben aus Schutt und Asche Häuser gebaut. Und wir sind ja bewusst unabhängig, finanzieren uns nur aus Spenden. Wir wollen für die Geflüchteten ein neutraler Ansprechpartner sein. Solche Räume sind sehr wichtig: Wir brauchen eine Ombudsstelle, die finanziell unabhängig vom Senat ist. Nur so kann sie unabhängig im Interesse der Geflüchteten agieren. Es fehlt jedes politische Verständnis dafür, wie eine sinnvolle Zusammenarbeit und eine Arbeitsteilung zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren aussehen sollte. In Bezug auf unseren Raum reden sich die Zuständigen heraus und schieben die Verantwortung hin und her: Trotz vieler Gespräche kann uns niemand eine angemessene Alternative anbieten. Diese Hinhalte-Taktik empfinden wir als skandalös und unehrlich. Die Sichtbarkeit der Mängel wurde abgeschafft – und jetzt wollen sie uns, die Kritiker*innen, still und leise verdrängen.

Das Gespräch führte Hannah Schurian.

Dieser Beitrag ist Teil der Reihe »…und die Stadt gehört euch? Statements aus stadtpolitischen Initiativen zu 100 Tagen Rot-Rot-Grün in Berlin« [2]

P.S.: Das Interview wurde am 24.4. geführt. Am 3.5. erhielt die Initiative auf Vermitteln der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales die Zusage, 2017 in ihren Räumen bleiben zu dürfen und einen Mietvertrag zu erhalten. Mehr Informationen unter moabit-hilft.com/blog/haus-d-bleibt [3]

 

Anmerkung

[1] [4] Siehe www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_neue_meldungen2.php?post_id=820 [5].