| »We expect better«

Dezember 2013  Druckansicht
Von Sarah Bormann

Internationale Solidarität als Strategie gewerkschaftlicher Erneuerung: die T-Mobile Kampagne

»Du hast versucht, die Zielvorgaben zu erreichen, aber wenn Du das in einem Monat nicht geschafft hast, dann war das der erste Schritt zu Deiner Kündigung. Ich musste eine Auszeit nehmen, die Angst war so groß, ich stand morgens auf und musste mich übergeben, weil ich einfach nicht mehr funktioniert habe.«

Ehemaliger Call-Center-Arbeiter

2001 expandierte das ehemalige Staatsunternehmen Deutsche Telekom AG (DTAG) auf den US-amerikanischen Markt. 2013 verfügen in dem Tochterunternehmen T-Mobile US von schätzungsweise 30000 Beschäftigten lediglich 16 Techniker einer kleinen Betriebseinheit in Connecticut über eine gewerkschaftliche Vertretung und einen Kollektivvertrag. Die größte und zugleich verletzlichste Beschäftigtengruppe sind die überwiegend weiblichen Call-Center-Arbeiterinnen. Im Gegensatz zu ihren Kolleginnen in Deutschland verfügen sie kaum über institutionelle Machtressourcen und auch ihre strukturelle Macht ist geschwächt infolge der Wirtschaftskrise sowie der Verlagerung von Call-Center-Jobs nach Mittelamerika und auf die Philippinen. Ihre Organisierung ist äußerst schwierig, weil die Fluktuationsrate in den Call-Centern extrem hoch ist. Willkürliches Managementhandeln hat ein Klima der Angst etabliert: Angst, den Job zu verlieren, die Zielvorgaben nicht einzuhalten, krank zu werden, von der Gewerkschaft ein Flugblatt anzunehmen.

Die Gewerkschaft Communications Workers of America (CWA) sah sich aufgrund der schwierigen Bedingungen allein nicht in der Lage, T-Mobile US gewerkschaftlich zu organisieren. Dies änderte sich, als CWA die Beziehung zur deutschen Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ausbauen konnte und sich hieraus eine stabile Kooperation entwickelte. Die Organisierungsversuche in den USA werden begleitet von einer internationalen Druckkampagne mit Schwerpunkt auf Deutschland – dem Hauptsitz der DTAG.

Die noch laufende Kampagne ist ein Beispiel dafür, wie Gewerkschaften internationale Solidarität als eine Erneuerungsstrategie nutzen – ein Thema, das in der deutschsprachigen Debatte um gewerkschaftliche Revitalisierung bislang wenig Beachtung findet. Die Forderung nach internationaler Solidarität und nach einer Transnationalisierung von Gewerkschaften bleibt häufig appellativ. Grenzüberschreitende Aktivitäten sind vor dem Hintergrund, dass Gewerkschaften national konstituiert und ihre Machtressourcen national verhaftet sind, äußerst voraussetzungsreich. Erschwerend kommen unterschiedliche Systeme der Arbeitsbeziehungen, divergierende Interessenlagen und Prozesse der Grenzziehungen hinzu – ganz abgesehen von so praktischen Hürden wie sprachlichen Barrieren.

Die T-Mobile-Kampagne von CWA und ver.di

In den USA verfolgt CWA einen mitgliederorientierten Ansatz, bei dem die Ortsverbände (Locals) eine zentrale Rolle spielen. Diese führen Hausbesuche durch, informieren vor den Call-Centern und bauen Aktivengruppen (Worker Committees) auf. Obgleich der Organisierungserfolg bisher verhalten ist, investiert CWA ihre personellen und materiellen Ressourcen nicht in einen Ausbau der Organizing-Aktivitäten. Stattdessen verfolgt sie eine Boomerang-Strategie (Keck/Sikkink 1998) und mobilisiert externen Druck im Rahmen der internationalen Kampagne We expect better.

In der Druckkampagne arbeitet CWA eng mit ver.di zusammen. Wöchentliche Telefonate, persönliche Treffen sowie die Durchführung gemeinsamer Aktivitäten prägen den Kampagnenalltag. Zusätzliche Unterstützung erfahren sie dabei von der globalen Branchengewerkschaft UNI Global Union, dem Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) sowie den nationalen Dachverbänden AFL-CIO und DGB. Gemeinsames Ziel ist es, das deutsche Management zur Einmischung zu bewegen. Dieses soll das gewerkschaftsfeindliche Gebaren in den USA unterbinden, T-Mobile US zu einem neutralen Verhalten gegenüber der Gewerkschaft verpflichten, ihr Zugang zu den Betrieben gewähren und sie anerkennen, sobald die Mehrheit der Beschäftigten im Betrieb eine Beitrittserklä- rung unterzeichnet hat. Drei Handlungsansätze werden verfolgt, um Einfluss auf das Management in Deutschland zu gewinnen:

Der erste Ansatz zielt darauf, die institutionelle Macht von ver.di zu mobilisieren. Im Rahmen der bestehenden deutschen Mitbestimmungsstrukturen wie z.B. Aufsichtsratssitzungen greift ver.di den Konflikt in den USA auf. Außerdem nutzt ver.di unterschiedliche Kanäle, um dem Management – auch von Seiten des IGB und UNI – immer wieder Gesprächsangebote zu unterbreiten. Noch 2011 gingen die beteiligten Gewerkschaften von einem relativ schnellen Erfolg der Kampagne aus. Bislang konnten sie jedoch der Unternehmensleitung keinerlei Zugeständnisse abringen. Zwar verfügt ver.di aufgrund seiner relativ starken institutionellen Macht in Deutschland im Vergleich mit CWA oder UNI über eine privilegierte Position in der Gewerkschaftshierarchie1, faktisch bieten die national verhafteten institutionellen Machtressourcen auf der internationalen Ebene aber lediglich eine Möglichkeitsstruktur. Um die Unternehmensleitung zu bestimmten Handlungen zwingen zu können, bedarf es weiterer strategischer Druckmomente. Aus diesem Grund verfolgen die beiden Gewerkschaften einen zweiten Handlungsansatz, nämlich den Aufbau von öffentlichem und politischem Druck auf den Konzern: Seit 2009 handelt es sich dabei in den USA um eine den Organisierungsprozess begleitende koordinierte Druckkampagne, die verstärkt seit Anfang 2012 auf internationaler Ebene und insbesondere in Deutschland an Bedeutung gewinnt. Es fanden Unterschriften-Sammlungen statt, die Gewerkschaften publizierten öffentliche Briefe prominenter PolitikerInnen und organisierten Protestaktionen bei Veranstaltungen, an denen die Telekom beteiligt ist, so etwa auf der Internationalen Funkausstellung 2012 und der Langen Nacht der Startups 2013. Diese Aktivitäten zielen auf eine potenzielle Einmischung der deutschen Bundesregierung als größtem Anteilseigner des Konzerns sowie die Beeinflussung der öffentlichen Meinung und damit letztendlich auch der KundInnen der DTAG. Neben der Mobilisierung von externem Druck trägt ver.di seit 2012 den Konflikt außerdem verstärkt in die Betriebe hinein. Betriebsräte und die Beschäftigten waren zwar von Beginn an über die Auseinandersetzung in den USA informiert worden, im Rahmen dieses dritten Handlungsansatzes werden sie nun auch aktiv in die Kampagne eingebunden. Ver.di und CWA haben zu diesem Zweck betriebliche Partnerschaften aufgebaut, die die Grundlage für ein solidarisches Handeln auf betrieblicher Ebene bilden. Im August 2013 nahmen beispielsweise mehrere tausend Beschäftigte an 20 Standorten der DTAG an einem Aktionstag teil und forderten die Wiedereinstellung eines von T-Mobile US entlassenen Gewerkschafters.

Auch wenn es undenkbar scheint, dass ver.di und die Betriebsräte zu einem Boykott aufrufen oder gar Arbeitskampfmaßnahmen ergreifen, nutzen sie nicht nur die institutionalisierten Wege der Mitbestimmung, sondern zeigen sich im Vergleich mit anderen grenzüberschreitenden Kampagnen relativ konfliktbereit – sowohl auf betrieblicher Ebene als auch im öffentlichen Raum.

Bedingungen grenzüberschreitender Unterstützung

Das vergleichsweise starke Engagement von ver.di und den Telekom-Betriebsräten im Rahmen der Kampagne ist keineswegs selbstverständlich. Nicht nur agieren ver.di und CWA in sehr unterschiedlichen Systemen der Arbeitsbeziehungen, auch eine gemeinsame Interessenlage der beiden Gewerkschaften ist kaum ersichtlich. Das Framing der Kampagne zielt vielmehr auf die Skandalisierung der zweierlei Standards der DTAG und stellt dem gewerkschaftsfeindlichen Verhalten des Mobilfunkanbieters in den USA eine funktionierende Sozialpartnerschaft in Deutschland gegenüber. Wie ist dennoch der relativ hohe Einsatz von ver.di und den Betriebsräten der DTAG zu erklären? Verschiedene Momente spielen hier eine Rolle:

Berufsethos und Übernahme von Verantwortung

Die unterschiedlichen Systeme der Arbeitsbeziehungen werden häufig als Hürde grenz- überschreitender Kooperationen genannt – darin jedoch m.E. oft überbewertet, wie die T-Mobile-Kampagne zeigt. Die Verlagerung in der Kampagnenstrategie von Dialogorientierung hin zu stärkerer Konfliktorientierung zeigt, dass Gewerkschaften den scheinbar vorgegebenen Pfad auch verlassen können und durchaus in der Lage sind, Handlungsspielräume zu erkennen und eine strategische Wahl zu treffen. Die Bereitschaft, neue Wege zu beschreiten, besteht auch auf Seiten der deutschen Betriebsräte. Sie zeigen sich sichtlich empört über das Verhalten des Konzerns in den USA. Ihre Motivation, die Kampagne im Rahmen der betrieblichen Partnerschaften zu unterstützen, hängt eng mit ihrem eigenen Berufsethos zusammen, das im diametralen Gegensatz zur zunehmenden Kapitalmarktorientierung des Konzerns steht. Sie identifizieren sich in hohem Maße mit ihrem Job und fühlen sich entsprechend für das Verhalten des Konzerns in gewisser Weise mit verantwortlich. Gleichzeitig wächst eine kritische Distanz zum Management und zu dessen Politik, so dass sie – wie durch die Kampagne deutlich wird – den Konflikt mit dem Management bis zu einem gewissen Grad nicht scheuen.

Qualität der Partnerschaft

Inwiefern ver.di und die Betriebsräte der DTAG sich bereit zeigen, im Rahmen der Kampagne auch konfliktorientierte Taktiken zu verfolgen und ihre Ressourcen zu mobilisieren, hängt des Weiteren davon ab, wie sie in die Kampagne eingebunden sind und wie unterschiedliche Positionen im Rahmen der Governancestruktur der Kampagne verhandelt werden. Im Vergleich mit anderen Kampagnen, die auf Ad-hocKooperationen setzen, weist die CWA-Führung eine solche Form der »Telefonanrufsolidarität« (Greven/Schwetz 2011) deutlich zurück und setzt stattdessen auf die intensive partnerschaftliche Einbindung von ver.di. Diese Partnerschaft hat eine lange Geschichte, erste Kontakte gehen bereits auf die Zeit der Deutschen Postgewerkschaft (DPG) in den 1990er Jahren zurück, als den Befürwortern einer Kommerzialisierung der Deutschen Bundespost die Zerschlagung des US-amerikanischen Bell-Systems als Vorbild galt (vgl. Lüthje 1989). Mit dem Eintritt der DTAG auf den US-amerikanischen Markt intensivierte sich die Kooperation und als ver.di Mitte 2000 Verhandlungen zu einem Global Framework Agreement (GFA) mit dem Management aufnahm, bezog sie die US-Gewerkschaft in die Gespräche mit ein.

Ver.di machte die Lösung des Konflikts in den USA zum Gegenstand der Verhandlungen und riskierte damit, was dann tatsächlich eintrat: nämlich dass die Unternehmensleitung die Verhandlungen abbrach. Wie ver.di verfolgt auch CWA keine Alleingänge, so obliegt die Kampagnenführung beiden Gewerkschaften und wird im Rahmen eines Leitungskomitees aller beteiligten Gewerkschaften koordiniert. CWA pflegt diese Partnerschaft, wozu nicht nur ein hoher Einsatz personeller und finanzieller Ressourcen gehört, sondern auch, dass sie die bestehende Gewerkschaftshierarchie aufgrund des unterschiedlichen Zugangs zu Machtressourcen nicht in Frage stellt. Im Gegensatz zu anderen Kampagnen behält ver.di die volle Kontrolle über die Kampagnenaktivitäten in Deutschland und hat folglich keinen Autonomieverlust zu befürchten.

Diese besondere Partnerschaft hat allerdings nicht nur positive Seiten: Beispielsweise hat sich CWA in ein deutliches Abhängigkeitsverhältnis hineinbegeben, indem sie von Beginn an einen starken Fokus auf das deutsche Management sowie den Einfluss von ver.di gelegt hat. Sie ist einseitig auf die Unterstützung von ver.di angewiesen. Dieses Ungleichgewicht beeinträchtigt die Konfliktfähigkeit der CWA-Führung in der Kampagne, was teilweise negative Auswirkungen auf die praktische Umsetzung einer eskalierenden Kampagnendramaturgie hat. Abstimmungsprozesse sind aufwendig und die mobilisierten Ressourcen können nicht immer effizient im Sinne eines strategischen Feldzugs gegen den Gegner verwendet werden.

Gemeinsame Betroffenheit

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der sich auf das Commitment von Gewerkschaften in grenz- überschreitenden Kooperationen auswirkt, ist die Frage, ob eine gemeinsame Betroffenheit in der Gegnerschaft zum Konzern besteht. Der Idealfall ist freilich ein gemeinsames Thema, bei dem alle Beteiligten von einem grenz- überschreitenden Erfahrungsaustausch sowie gemeinsamen Aktivitäten profitieren, ohne in Konkurrenz zueinander zu stehen. Dies kann der Fall sein, wenn Beschäftigte an unterschiedlichen Standorten von einem regionalen oder gar weltweiten Restrukturierungsprogramm betroffen sind, das nicht unmittelbar mit dem Abbau von Standortkapazitäten einhergeht. Im Fall der T-Mobile-Kampagne besteht keine gemeinsame Betroffenheit. Einerseits vereinfacht dies die Kooperation, andererseits fehlt ein gemeinsames Anliegen und ein übergeordnetes Kampagnenziel. Die Telekom-Kampagne belegt allerdings, dass Interessenidentität keine zwingende Bedingung für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist. Entscheidend ist vielmehr, dass die Interessenlagen nicht in Konkurrenz zueinander stehen und die Kampagne für beide Seiten funktional ist.

Das primäre Kampagnenziel ist klar die Organisierung der Beschäftigten bei T-Mobile US und nicht die Stärkung von Organisationsmacht im transnationalen Dienstleistungsnetzwerk DTAG. Entsprechend appelliert CWA an eine inklusive, grenzüberschreitende Solidarität, ver.di verteidigt aber gleichzeitig die eigenen Call-Center-Jobs gegen das Offshoring nach Mittelamerika und auf die Philippinen. Ver.di wiederum hat mit der Internationalisierung des Konzerns infolge der Privatisierung und Liberalisierung der Fernmeldemonopole auf die Gestaltung eines zunehmend bedeutenden Geschäftsbereichs Einfluss verloren. Hinsichtlich ihres Engagements im Europäischen Betriebsrat sowie des Versuchs, ein GFA zu verhandeln, verfolgt ver.di im Rahmen der Kampagne zwei Ziele: Zum einen geht es ihr darum, Arbeitsstandards weltweit anzugleichen, zum anderen verfolgt sie das Organisationsinteresse, die eigene Position in der Gewerkschaftshierarchie zu zementieren und sich gegenüber dem Management als Gesprächspartner für internationale Angelegenheiten zu etablieren. Da CWA diese Gewerkschaftshierarchie nicht in Frage stellt, funktioniert das Arrangement, die Interessen sind nicht identisch, stehen sich jedoch auch nicht entgegen.

Verhältnis internationale und lokale Ebene

Das Verhältnis von Organisierungs- und Druckkampagne – also die Strategien auf lokaler im Verhältnis zur internationalen Ebene – lässt sich auch in seiner räumlichen Dimension problematisieren. Das beschriebene Abhängigkeitsverhältnis wirkt sich nämlich nicht nur auf die Konfliktfähigkeit von CWA aus, sondern wird zum Teil dadurch verstärkt, dass es eine Tendenz gibt, die lokale Organisierungskampagne der Logik der internationalen Druckkampagne unterzuordnen. Dies kann anhand von zwei Problemfeldern veranschaulicht werden: Erstens, die betriebliche Herrschaft in den Call-Centern von T-Mobile US basiert auf Angst. Diese Angst zu überwinden und gewerkschaftliche Organisierung als konkrete Handlungsperspektive anzubieten, ist eine der größten Herausforderungen, mit denen sich CWA-Organizer konfrontiert sehen.

Der Logik der internationalen Druckkampagne folgend treten die gewerkschaftlich aktiven Beschäftigten oft relativ frühzeitig öffentlich auf und verlieren damit den Schutz der Anonymität. Auch die Möglichkeit, im persönlichen Gespräch Kontakte zu KollegInnen aufzubauen und die Organisierung voranzutreiben, wird dadurch erschwert, denn oftmals reagiert die Unternehmensleitung auf Outings damit, dass sie die AktivistInnen diskreditiert und isoliert. Was also für die lokale Organisierungskampagne dysfunktional ist, entspricht der Logik der internationalen Druckkampagne, die darauf basiert, konkrete Erzählungen und Gesichter zu präsentieren. Zweitens, der mitgliederorientierte Organizing-Ansatz von CWA basiert auf der aktiven Einbindung der Locals und ihrer ehrenamtlichen Mitglieder. Auf die Strategie der Druckkampagne, die auf das deutsche Management fokussiert, haben sie allerdings weder Einfluss noch können sie diese Strategie bewerten. Dies erschwert es, ihre Unterstützung zu mobilisieren. An den Beispielen wird deutlich, dass es – trotz insgesamt guten Zusammenspiels – eine gewisse Entkopplung der lokalen Ebene von der nationalen und internationalen Ebene gibt. Es entstehen Spannungsverhältnisse, die sich vor allem nachteilig auf die lokale Organisierungskampagne auswirken und damit die einseitige Abhängigkeit der US-Gewerkschaft von ver.di noch verstärken. Internationale Kampagnen sind folglich nicht nur höchst voraussetzungsreich, weil sie trotz bestehender Hürden grenzüberschreitende Unterstützung mobilisieren, sondern auch weil die schwierige Balance zwischen den unterschiedlichen räumlichen Ebenen und ihren Handlungslogiken austariert werden muss.

Grenzüberschreitende Arbeitersolidarität

In der Literatur wird der Begriff Solidarität oftmals synonym für jegliche Formen grenz- überschreitenden Handelns sowie grenzüberschreitender Gewerkschaftskooperationen verwendet. Das hier diskutierte Beispiel zeigt allerdings, dass gelungene Kooperationen nicht auf Solidarität basieren müssen. Sie können auch das Ergebnis unterschiedlicher Interessenlagen sein, solange dies für beide Seiten funktional ist. Solidarität, die auf einer gemeinsamen Klassenlage sowie auf Gemeinschaftsempfinden basiert, ist hingegen sowohl von einem unmittelbaren Eigeninteresse als auch einem rein altruistisch motivierten Handeln abzugrenzen. In der Gewerkschaftsbewegung im globalen Norden hat sich allerdings über die letzten Dekaden ein verschrobener Begriff grenzüberschreitender Solidarität etabliert. Während Solidarität auf nationaler Ebene sehr wohl als kollektives Handeln verstanden wird, um Konkurrenz zwischen abhängig Beschäftigten zu reduzieren, wird grenzüberschreitende Solidarität keineswegs als ein Upscaling dessen definiert. Sie ist nicht einfach eine inklusivere Form, sondern wird als eine Art der Entwicklungshilfe verstanden, deren Grundlage die eigene Position der Stärke ist. Letztendlich ist dies aber genau ihre Schwäche, denn welche Gewerkschaft kann sich heute noch diese Art grenzüberschreitender Solidarität leisten? Infolge schwindender Mitgliederzahlen haben die deutschen Gewerkschaften entsprechend ihre internationalen Abteilungen stark gekürzt oder gar abgeschafft, ohne internationale Gewerkschaftsarbeit in den Fachbereichen oder auf betrieblicher Ebene zu stärken. Für eine Neubestimmung des Begriffs der Solidarität ist vor diesem Hintergrund eine starke Wertorientierung fraglich. Muss Solidarität dann nicht zwangsläufig appellativ bleiben? Besteht nicht vielmehr eine zentrale Herausforderung darin auszuloten, wie grenzüberschreitende Solidarität für eine gewerkschaftliche Erneuerung im Bezug auf die Organisierung neuer Bereiche genutzt werden kann? Das Beispiel T-Mobile ist interessant, weil in der Kampagne zunächst die Herstellung von Solidarität auf betrieblicher Ebene vernachlässigt wurde. Erst als sich zunehmend zeigte, dass die institutionellen Machtressourcen nur bedingt greifen, begann die Gewerkschaftsführung betriebliche Partnerschaften aufzubauen und begannen die Beschäftigten sich über Gemeinsamkeiten und gemeinsame Bedrohungsszenarien zu verständigen. Daraus entsteht Solidarität auf betrieblicher Ebene zwischen den Beschäftigten.

 

Literatur

Greven, Thomas und Wilfried Schwetz, 2011: Neue Instrumente für Gewerkschaften. Die transnationalen strategischen Kampagnen der United Steelworkers of America gegen die Continental AG, in: Gerlach, Frank et al. (Hg.): Solidarität über Grenzen. Gewerkschaften vor neuer Standortkonkurrenz, Berlin
Keck, Margaret E. und Kathryn Sikkink, 1998: Activists beyond Borders. Advocacy Networks in International Politics, Ithaca/NY
Lüthje, Boy, 1989: Neuordnung der Telekommunikation in den USA – Auswirkungen auf Arbeitnehmer und Gewerkschaften, in: WSI-Mitteilungen 2, 71–79

Anmerkungen

1 Zwischen Gewerkschaften innerhalb eines transnationalen Unternehmens bzw. Unternehmensnetzwerks besteht oftmals ein hierarchisches Verhältnis, das Ausdruck unterschiedlicher Macht und Einflussmöglichkeiten ist. Dies ist davon beeinflusst, wie etabliert die beteiligten Gewerkschaften sind, über welche Möglichkeiten sie aufgrund nationaler Arbeitsbeziehungen verfügen, sowie von der ökonomischen Stellung im Unternehmen bzw. Unternehmensnetzwerk – sprich ob sie Lohnabhängige am Stammsitz oder zum Beispiel in einem entfernten Zulieferunternehmen vertreten.