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Was ist mit der französischen Linken geschehen?

Von Clément Petitjean

Über das Scheitern der Parti de gauche 

Als breite linke Koalition brachte die im November 2008 gegründete Linksfront (Front de gauche) verschiedene Organisationen zusammen: die neugegründete Linkspartei Parti de Gauche (PG), die traditionsreiche Französische Kommunistische Partei (PCF) und etliche kleinere linke Gruppen. Diese verschmolzen im November 2013 zu einer neuen Organisation, Ensemble! (Zusammen!). Ihr Ziel war es, eine breite linke Koalition zu schaffen, die es bewerkstelligen würde, die Hegemonie der Sozialistischen Partei (PS) über die französische Linke herauszufordern. Treibende Kraft in der Koalition war vor allem die PG. Ihr Niedergang ist einer der maßgeblichen Gründe, dass das Linksbündnis letztlich gescheitert ist.

Krise der Linken

Im Juli 2015 hielt die Parti de Gauche unter dem Titel “Die Lösung ist das Volk” ihren vierten Kongress ab. Von der Führung als Erfolg eingeschätzt, fand die Versammlung im Kontext einer Krise der Partei statt. Seit einigen Jahren nun haben die über das Land verteilten lokalen Partei-Komitees beständig Mitglieder verloren. Einige drückten ihre Nichtübereinstimmung mit dem Programm und dem Mangel an interner Demokratie aus, andere verabschiedeten sich einfach sang- und klanglos.

Von den laut Parteiangaben 8 000 Mitgliedern beteiligten sich nur 1 700 an der Stimmabgabe für die konkurrierenden Plattformen. Und zum ersten Mal in der kurzen Geschichte der PG gab es überhaupt zwei statt nur einer Plattform. Die von der Parteiführung unterstützte Mehrheitsplattform errang nur 55 Prozent der Stimmen, die aufbegehrende oppositionelle Plattform 45 Prozent. Diese Minorität verlangte einen radikalen Bruch mit der Sozialistischen Partei und eine erneuerte Bindung an die arbeitenden Klassen, indem „nationale Souveränität“ und der Ausstieg aus der EU verfochten würden.

Doch die Rede von der Krise der Parti de Gauche verfehlt das Eigentliche. Letztendlich ist es die gesamte französische Linke, die sich in einer Krise befindet. Von der post-trotzkistischen Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) bis zu den Grünen (EELV) und der PS leiden alle politischen Organisationen an rapidem Schrumpfen der Mitgliedszahlen, an Fraktionsdisputen, kläglichen Wahlergebnissen und der Abwesenheit einer strategischen Vision für die Zukunft.

Geschichte des Auf und Ab

Die Parti de Gauche war im November 2008 vom früheren PS-Senator Jean-Luc Mélenchon und anderen sozialistischen DissidentInnen gegründet worden. Ihnen schlossen sich DissidentInnen der Grünen an, wie etwa Martine Billard, die bis 2014 Co-Präsidentin der PG war.

Mélenchon ist als ehemaliger Trotzkist, der sich in den späten 1970er Jahren der PS anschloss, kein Newcomer wie Tsipras oder Iglesias. Er kam unter Francois Mitterand zur Politik, war zwanzig Jahre lang sozialistischer Senator und überdies Minister in der Regierung Lionel Jospins zwischen 2000 und 2002. Während der Kampagne gegen den Vertrag über die Europäische Verfassung im Mai 2005, zählte er zu deren wichtigsten Protagonisten innerhalb des linken Flügels der Sozialistischen Partei.

Ebensowenig wie beim griechischen Referendum im Juli 2015 hatten damals die Umfrageinstitute den Sieg des “Nein” kommen sehen, und noch weniger ein so klares Ergebnis von 55 Prozent der Stimmen. Die herrschenden Medien hatten offen für den Verfassungsvertrag plädiert und das Gegenlager als eine Horde anti-liberaler Populisten dämonisiert. Der unerwartete Sieg ließ die Hoffnungen hunderttausender Linker, die gegen die oligarchische Struktur der EU protestierten, aufkeimen.

Später im gleichen Jahr flammte in den Banlieues quer durch das Land Protest unter Führung der migrantischen Jugend auf; es war die Antwort auf den Tod zweier Teenager, die vor der Polizei geflohen waren und umkamen, als sie sich in einer Starkstromanlage verschanzten. Im Frühjahr 2006 protestierten von der Jugend angeführte Massen gegen Regierungspläne zur weiteren Deregulierung. Bei den Präsidentenwahlen von 2007 errang Olivier Besancenot, der populäre Sprecher der Revolutionären Kommunistischen Liga (Ligue Communiste Revolutionnaire, LCR), mehr als 4 Prozent (bzw. 1,5 Millionen) der abgegebenen Stimmen.

In diesem Kontext entstanden neue politische Organisationen: die Neue Antikapitalistische Partei mit dem Versuch, im Nachgang der erfolgreichen Kampagne Besancenots im Jahr 2007 die verschiedenen Gruppen der radikalen Linken zusammenzubringen. Und die Parti de Gauche, angeführt von Mélenchon.

Kurz darauf gründeten Mélenchon, Marie-Georges Buffet (damals Generalsekretärin der PCF) sowie kleinere linke Gruppen die Linksfront. Die Front schickte ihre eigenen KandidatInnen in die Europawahlen 2009 und die Regionalwahlen 2010. Sie orientierten sich dabei an der deutschen Partei Die Linke.

Dass die Linksfront zur dominanten Kraft links der PS wurde, war keine unausweichliche Entwicklung. Zum Zeitpunkt ihrer Gründung erschien auch die Neue Antikapitalistische Partei als vielversprechendes Projekt; sie schien in der Lage zu sein, zu einer starken antikapitalistischen Partei zu werden, die über das bestehende Ökosystem der radikalen Linken hinausreichen würde. Der als Briefträger tätige Besancenot war viel jünger als alle Führungsfiguren der Linksfront, neben den FunktionärInnen der PCF oder dem alten sozialistischen Kader Mélenchon erschien er deutlich frischer. Die NPA hatte zudem einen stärkeren Fokus auf soziale Bewegungen als die Linksfront, die ursprünglich mehr auf Wahlerfolge ausgerichtet war.

Die Geschichte des Scheiterns der NPA ist noch zu schreiben. In aller Kürze: Die Partei schaffte es nicht, ihre Basis wirklich zu verbreitern, weil sie alsbald einen Rückfall in organisatorische Rigidität erlitt. Die Linksfront hingegen, die ihrerseits auf der Bereitschaft beruhte, verschiedene Organisationen zusammenzubringen, transportierte die Idee, interne Rivalitäten könnten zugunsten des Aufbaus einer stärkeren linken Alternative überwunden werden. Die Parti de Gauche profitierte stark von dieser positiven Dynamik, wie auch Sylvie Aebischer, eine ehemalige Agitatorin aus Paris und Mitglied der nationalen Führung, die die Partei im letzten Juni verließ, anerkennt:

„Es funktionierte, die Partei zog Leute an, solange es nach vorne ging. Der Parteiaufbau ging weiter, während die Front der Linken wuchs: zuerst bei den Europawahlen, als es uns gelang, Raum zu erschließen, dann die Regionalwahlen, bei denen wir es noch besser machten, und dann die Kandidatur für die Präsidentschaftswahl – und das Überschreiten der zehn Prozent 2012. Wir kamen voran, also war es das wert.“

Von 2009 bis 2012 ist die Geschichte der Parti de Gauche eine Geschichte des Erfolgs. Während die Kommunistische Partei Frankreichs alt wirkte, schlossen sich ihr insbesondere die Jungen an, die entsprechend der Strategie der Front willens waren, eine breite Linke zu bilden. Aufgrund ihrer Position im politischen Spektrum, und weil sie so dynamisch wirkte, erschien die Linkspartei als bestmögliche Option.

Im Jahr 2012 wurde Jean-Luc Mélenchon zum gemeinsamen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen gewählt. Er vertrat ein Programm, dessen verbindender Charakter eine Reminiszenz an das „Gemeinsame Programm“ zwischen der Kommunistischen und der Sozialistischen Partei Frankreichs aus dem Jahr 1972 darstellte. Unter dem Titel „Menschen zuerst“ rief es nach fortschrittlichen Reformen, um die Krise und die sich rapide zuspitzenden sozioökonomischen Ungleichheiten anzugehen, den Kampf für den Wohlfahrtsstaat, die Rechte der Arbeitenden und die Umverteilung von Reichtum; überdies forderte es die Neuverhandlung europäischer Verträge und ökosozialistische Wirtschaftsplanung. Es enthielt auch die Forderung nach einer neuen verfassungsgebenden Versammlung, um das demokratische politische Leben in Frankreich wiederaufleben zu lassen und das bestehende Regime abzulösen.

Mélenchon errang landesweit 11,1 Prozent der Stimmen. Diese vier Millionen Stimmen, die er auf sich vereinigen konnte, waren das Sechsfache der siebenhunderttausend (1,93 Prozent), die Buffet im Jahr 2007 erreichte, dem bis dato besten Ergebnis seit 1981. Wenn Mélenchon auch die Anführerin des ultrarechten Front National (FN), Marine Le Pen, nicht überflügeln konnte, so inspirierte seine Kampagne doch Hunderttausende. Es gab eine Alternative zum neoliberalen Zweiparteiensystem; die „andere Linke“ konnte gewinnen und eine Mehrheit bilden. Noch nicht diesmal, aber doch in nicht allzu ferner Zeit, so schien es. Viele schlossen sich der Parti de Gauche auf der Grundlage dieses mitreißenden Versprechens an.

Anders als andere Gruppen der französischen radikalen Linken, die nicht länger ernsthaft an die Übernahme der staatlichen Macht denken, verfügt die Parti de Gauche über einen strategischen Plan. Doch Mélenchon und sein engstes Umfeld waren von diesem Vorhaben nicht so geblendet, dass es ihr politisches Urteilsvermögen getrübt hätte. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen erdachten Mélenchon und sein Team eine „Front gegen Front“-Strategie, welche auf Le Pen und den FN zielte, in der Hoffnung, dass ein aufklärende Entlarvung der Inhalte des populistischen Sozialprogramms von Le Pen Teile der arbeitenden Klasse zum Umschwenken veranlassen könnte.

Hinter dieser konfrontativen, aber auch moralistischen Strategie stand folgende Intention: WählerInnen der arbeitenden Klasse sehen den FN immer wohlwollender, deshalb müssen wir den FN auf seinem eigenen Terrain bekämpfen und zeigen, dass es falsch ist, FaschistInnen zu wählen. Dieser Plan scheiterte letztlich. Mélenchons Reden gaben der öffentlichen Präsenz Le Pens nur noch mehr Gewicht.

Doch diesselbe Strategie wurde abermals zur Wahl der Nationalversammlung im Juni 2012 in Hénin-Beaumont, einer kleinen Stadt im Norden Frankreichs, gewählt. Die SozialistInnen waren hier in Korruptionsskandale verwickelt gewesen, und auch Le Pen trat an. Zehn Jahre bereits hatte der FN seine Organisierung im Ort auf der Graswurzel-Ebene vorangetrieben.

Einige Wochen vor dem Wahltag wurde Mélenchon abrupt in den Wahlkreis geschickt, um Le Pen ohne greifbare Unterstützung einer Basis zu besiegen. Mélenchon verlor. Der FN gewann. Nach dieser in den Medien vielfach diskutierten Niederlage überließ Mélenchon die wenigen engagierten AktivistInnen der Linksfront in der Stadt sich selbst; die Bürgerversammlungen im ganzen Land hörten auf zu funktionieren, und die Aufstiegsdynamik der Linksfront brach ab. Seitdem folgte eine lange Reihe interner Kämpfe.

Die Gemeindewahlen von 2014 waren ein weiterer massiver Rückschlag für die Linksfront. Die Umfragen schwankten zwischen fünf und sieben Prozent. Die Parti de Gauche hatte versucht, aus Mélenchons Popularität Kapital zu schlagen, doch vergeblich. Versammlungen und Märsche brachten nicht mehr so viele Menschen zusammen wie zuvor. “Viele hatten sich der PG im Jahr 2012 angeschlossen, mit der Dynamik der Linksfront. Aber sie hatten die Dispute und Meinungsverschiedenheiten satt, und sie hörten auf, sich zu organisieren,” sagte Coléou. Einige Monate später gab die Parti de Gauche in den Europawahlen ein ähnlich schwaches Bild ab. Nur ein Abgeordneter, Mélenchon, konnte ins Europäische Parlament geschickt werden.

Die Parti de Gauche wurde quasi auf Mélenchon reduziert. Diese Personalisierung der Politik verdeutlichte das Scheitern einer Partei, deren Organisierungsdynamik von einem Medienhype getragen wurde, die das Fehlen einer substanziellen Mitgliederbasis kompensieren sollte. Waren die PG-Mitglieder auch disziplinierte, ihrer Sache treu verbundene AktivistInnen, so lag ihre Zahl doch niemals über zwölftausend. Und bis heute kommt ihre Mitgliederschaft zu einem übergroßem Anteil aus der Mittelklasse — die meisten sind Beamte, LehrerInnen oder DozentInnen.

Kein von der Linksfront unterstützter Kandidat wurde in eine relevante politische Position gewählt. Der einzige handfeste Sieg war eine Koalition von PG und Grünen in Grenoble (eine ehemalige Industriestadt mit fünfhunderttausend EinwohnerInnen). Diese verdankte sich der lokalen Kräftebalance und einer Graswurzel-Mobilisierung. Auch bei den die Regionalwahlen im Dezember 2015 erreichte die Front de Gauche nur 2,5 Prozent der Stimmen. Die Aussichten für die Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2017 sind düster. In der Region Paris erklärte Pierre Laurent, Generalsekretär der Kommunistischen Partei, einseitig seine Kandidatur, was zu Aufruhr in anderen Teilen der Linksfront führte.

Auf dem Vierten Kongress des Parti de Gauche ging es um die Zukunft der Linsfront. Während die Mehrheitsplattform ihre Bindung an die Koalition bekräftigte, setzte sich die Plattform der sogenannten Bürgerbewegung für die Bildung einer stärkeren politischen Kraft links von der Sozialistischen Partei ein, die andere linke Organisationen wie die Grünen anziehen sollte. Die Linksfront allein schien nicht mehr attraktiv genug.

Faktoren des Scheitern

Natürlich gibt es externe Faktoren, die das Unvermögen der Linksfront und der Parti de Gauche erklären können. Die sozialen Bewegungen befinden sich an einem historischen Tiefpunkt. Die letzte progressive Massenbewegung, die Bewegung gegen die Rentenreform, ereignete sich im Herbst 2010. Obwohl Millionen gegen die Pläne des damaligen Präsidenten, Nicolas Sarkozy, das Rentensystem radikal zu reformieren, auf die Straße gingen, bewegte sich der Protest nur von einer standardmäßigen Demonstration zur nächsten, bevor ihr die Luft ausging. Seitdem hatten die meisten Massenbewegungen reaktionären Charakter, wie etwa die Demonstrationen gegen die Öffnung der Ehe für Homosexuelle von 2012/13.

Außerdem erweist sich die PS, anders als die PASOK als ihr griechisches Pendant, als überraschend zäh, seit sie 2012 an die Regierungsmacht gewählt wurde. Und trotz ihres fortschreitenden Rechtstrends repräsentiert sie für viele Wählende noch immer die Linke, und damit das einzig glaubwürdige Bollwerk gegen den Front National. Ihr Wahlslogan liest sich etwa so: “Wenn ihr uns nicht wählt, bekommt ihr Marine Le Pen.”

Darüber hinaus ist die Präsenz einer starken ultrarechten Partei, die bei jeder Wahl mehr Stimmen bekommt, zu einem Charakteristikum der französischen politischen Landschaft geworden. Von Hollandes ökonomischen Niederlagen und fortschreitenden Reformen des Arbeitsmarktes desillusionierte WählerInnen wenden sich immer stärker dem Front National statt der Parti de Gauche zu.

Doch es gibt ebenso interne Faktoren für das Scheitern der Linksfront. Grundsätzliche Ursache der bitteren Dispute zwischen kommunistischer und Linkspartei ist die Frage einer Allianz mit der PS bei Regional- und Kommunalwahlen. Dies ist der spezifischen Geschichte der PCF geschuldet.

Wie Julian Mischi in Der entwaffnete Kommunismus (Le Communisme désarmé [1]) gezeigt hat, war die Mitgliederbasis der Partei – als einer der stärksten kommunistischen Parteien in Westeuropa und der hegemonialen Kraft der französischen Linken – in den letzten vierzig Jahren ständig im Sinken begriffen; in der Konsequenz schloss sich die Kommunistische Partei Frankreichs immer mehr hinter ihren lokalen Abgeordneten zusammen. Da ihr organisatorisches Überleben von der Bindung an parlamentarische Funktionen abhängt, ganz besonders im historischen „roten Gürtel“ um Paris, hat sie in systematischer Weise Allianzen mit dem stärkeren Partner, der Sozialistischen Partei, favorisiert. Die Parti de Gauche hingegen ist nicht in der Lokalpolitik verankert und lehnt taktische Allianzen mit den Sozialistischgen Partei ab. Die Linksfront selbst hat keine reale organisatorische Präsenz.

Mélenchons Kampagne unter der Fahne der Linksfront im Jahre 2012, die die Vorstellungskraft einiger Millionen von WählerInnen inspirierte, beruhte auf Organisierungsbemühungen auf der Graswurzel-Ebene, den verschiedenen Bürgerversammlungen, die überall im Land aufkamen. Dennoch war es nicht möglich, sich direkt der Koalition anzuschließen. Im Ergebnis übersetzten sich die Wahlergebnisse von 2012 nicht in dauerhafte Mitgliederzuwächse. Die endlosen Diskussionen zwischen den KommunistInnen und der Parti de Gauche zu Bedingungen einer Mitgliedschaft versickerten schließlich. Daher rührt die widersprüchliche Natur der Koalition: Obwohl es die Linksfront als Ganzes gewesen war und nicht ihre einzelnen Komponenten, die vier Millionen WählerInnen hatte begeistern können, so stellte sie doch nie mehr dar als die Summe ihrer Teile.

Konfrontiert mit einer tiefen Krise – Spiegelbild der allgemeineren Krise der Linken –, versuchte die PG, über politische Organisationen hinauszugehen und den Aufbau von lokalen Versammlungen voranzutreiben, um sich auf die „Bürgerrevolution“ vorzubereiten. Während die Linksfront in ihren frühen Jahren nach Vorlage der Partei Die Linke arbeitete, scheint es nun, dass Mélenchon und die PG ihren Blick auf Podemos gerichtet haben, auf nicht-parteibasierte politische Mobilisierungen und einen allgemeineren Bezug auf „das Volk“. Es ergibt sich ein merkwürdiger Mix von Bewegungsorientierung und Republikanismus, von Spontaneismus und Institutionalismus.

Bewegungsfetischismus

Mitglieder der Parti de Gauche sind bekannt dafür, gute, redliche AktivistInnen zu sein, die Flugblätter verteilen, Plakate kleben und sich nach Kräften an jedem lokalen Kampf beteiligen. Wie Aebischer hervorhebt, „Aktivistinnen und Aktivisten der PG wurde stets gesagt, ‘wo immer es einen Kampf auf Mikro-Ebene gibt, müssen wir ihn unterstützen… Kämpfe werden als ein Augenblick intensiver Politisierung gesehen. Die heutige Strategie der PG ist es, all diese kleinen Feuer anzufachen. Die PG will die Leute nicht mehr nur mit ihren Argumenten und ihrem Programm überzeugen.“

Als ich mit Mélenchon sprach, theoretisierte er diesen Aktivismus nach dem Typus des „Bewegungskriegs“: „Auf lange Sicht kann die Partei nur Bewegungskriege führen. Wir lassen uns nie auf einen Stellungskrieg ein, denn dort können wir uns nicht halten. Die Herausforderung unserer Zeit ist die Kunst der Bewegung. Alle, die Stellungskriege führen, sind dazu verdammt, dass ihre Position früher oder später erodiert, denn der Untergrund selbst bricht unter unseren Füßen weg. Die Kehrseite des Ultra-Aktivismus ist, dass er die Leute verschleißt. […] Darum die hohe Mitgliederfluktuation in der PG.“

Wie Aebischer ausführt: „ Im Komitee des 20. Arrondissement in Paris sind nur noch drei oder vier derjenigen übrig, die 2008 angefangen hatten. An einem bestimmten Punkt war das Komitee bis zu 180 Personen stark. Ich habe ein paar Generationen von PG-AktivistInnen miterlebt, die sich für ein oder zwei Kampagnen krumm gearbeitet haben und dann einfach gingen. PG bedeutet, nonstop unter Hochdruck arbeiten. Du kannst nicht denken, weil du die ganze Zeit zu tun hast. Du kannst nicht einfach mal einen Schritt zurücktreten und diskutieren. Und so gehst du entweder raus, oder hältst den Mund.”

Dieser Bewegungsfetischismus (Movementismus) wird in den Bürgerversammlungen greifbar. Eigentlich sollen sie nicht nur erfahrene AktivistInnen, sondern auch ganz normale Leute zusammenbringen. Politische Organisationen sind willkommen, aber sie haben keine Führungsrolle. In der Terminologie der Parti de Gauche ist die Partei ein „Begleiter“ und „Impulsgeber“ – ihre Rolle ist nicht, zu führen, sondern „den Leuten“ zu helfen, das selbst zu tun. Bei den letzten Regionalwahlen hatte die PG sich für die Strategie der Versammlungen entschieden: Diese, nicht die Partei, sollten entscheiden, welche Richtung einzuschlagen sei. In Franche-Comté etwa erwähnt Gabriel Amard, seine Führungsrolle in der Parti de Gauche erst gar nicht, tritt nur als ökosozialistischer Aktivist auf.

In der Strategie der Partei zur Übernahme der Staatsmacht sind die Bürgerversammlungen von Beginn an ein bevorzugtes Instrument und die Basis für eine „Revolution der BürgerInnen“.

Mélenchon entlieh diese Idee von den lateinamerikanischen Experimenten der späten 1990er und frühen 2000er Jahre, als in Venezuela, Ecuador, Brasilien, Bolivien und Argentinien Volksbewegungen progressive Führungen an die Macht spülten. Diese Bewegungen hatten in Versammlungen und Consultas Populares ihren politischem Ausdruck formuliert. In der desaströsen gegenwärtigen politischen Situation hält Mélenchon dies für die einzig praktikable Strategie. “Es gibt heute ein weit verbreitetes Gefühl des Verlusts von Erkämpftem. Und es gibt eine tiefe Demoralisierung innerhalb politischer Organisationen.”

Der Schwerpunkt auf Bewegungen ist auch innerhalb der Parti de Gauche nicht unumstritten. Für viele lässt diese allgemeine Ausrichtung die diversen lokalen Konstellationen verschwinden. In den Worten von Fabien Marcot, einem weiteren Kader aus Paris, der die Parti de Gauche im Juni verließ: „Es gibt viele Orte, an denen das, was sich Bürgerbewegung nennt, eigentlich nur die PG ist, PG-Mitglieder die hier federführend sind. Es gibt da nicht wirklich Bürgerinnen und Bürger.” Viele Bürgerversammlungen versprechen basisgeführte, horizontale und partizipative Strukturen, sind indes im Grunde sehr von oben geführt und undemokratisch. Vieles wird vorab von Parteimitgliedern entschieden, „Bürgerinnen und Bürger“ sind willkommen, einverstanden zu sein und mitzutun. Ihnen fehlt die Dynamik. Die Bürgerversammlungen sind als politisierendes Instrument, das zu einem breiteren Publikum als der Schar der AktivistInnen spricht, gescheitert.

Revolutionärer Republikanismus

Doch der bewegungsfetischistische Blick ist nur die eine Seite der Geschichte. Die andere ist ein tief verwurzelter Institutionalismus und Republikanismus. Das Paradoxe an Mélenchons Revolution der BürgerInnen ist, dass diese einen revolutionären Bruch mit dem bestehenden institutionellen Rahmen verficht, während zugleich mittels eben dieses Rahmens gearbeitet wird – die „Revolution an der Wahlurne“. Es wird ein revolutionärer Prozess ersehnt, dessen Ergebnis ein durch Wahlen hervorgerufenes sein soll. Paul Vannier, der Nationalsekretär für Bildungsfragen, drückt es so aus: „Die PG wird nicht auf die Wahlhypothese verzichten.“ Das griechische Referendum bestätigte die PG-Strategie. Es war, wie Vannier fortfährt, „eine Demonstration der Dynamik einer Revolution der BürgerInnen. Es stimmt mit dem überein, was unserer Ansicht nach getan werden sollte, wenn wir in Regierungsverantwortung stehen: sich häufig an das Volk, an die Leute wenden, sie fragen, politisieren. Natürlich hätten wir die Ergebnisse des Referendums als Sprungbrett dafür begriffen, mit der Logik des Memorandums zu brechen.“

Mélenchons revolutionärer Republikanismus, wie er ihn nennt, bezieht sich stark auf Jean Jaurès, der im frühen zwanzigsten Jahrhundert eine Synthese aus Sozialismus und republikanischer, marxistischer und Aufklärungsphilosophie entwarf – Materialismus und Idealismus im Gewand der „sozialen Republik“. Doch seit der Zeit Jaurès’ haben sich die Dinge geändert. Der standhafte Republikanismus der Parti de Gauche beinhaltet beispielsweise ein etwas rigides Verständnis von Laizität. Seit der Französischen Revolution kämpfte die republikanische Linke verbissen gegen die Katholischen Kirche. Die Trennung von Staat und Kirche und der Schutz der religiösen Freiheit ist ein Gründungsprinzip der französischen Republik und das, was Laizität in der Essenz ausmacht.

Doch zumindest seit den 1980er Jahren wurde dieses progressive Prinzip als reaktionäres Instrument hauptsächlich gegen die muslimische Bevölkerung Frankreichs benutzt. Seit den terroristischen Attacken auf Charlie Hebdo und den koscheren Hypercacher-Markt haben sich islamophobe Zwischenfälle vervielfacht und haben antimuslimische Haltungen an Boden gewonnen. Laizität, im Besonderen in ihrem Verhältnis zu MuslimInnen, wurde zu einem umstrittenen Prinzip in der Linken. Im Frühjahr 2004 trat ein Gesetz in Kraft, das es Schülerinnen an Oberschulen verbot, ein Kopftuch zu tragen. Zahlreiche linke Organisationen entzweiten sich in der Debatte, nachdem zwei Schülerinnen von der Schule verwiesen worden waren, weil sie den Hijab trugen. Einige unterstützten das Gesetz, während andere es als Trojanisches Pferd verurteilten, das die Diskriminierung von MuslimInnen weiter vorantreibe.

Mélenchons Einstellung zum Thema war paradoxerweise weniger strikt als die Linie, die von etlichen FunktionärInnen und vielen Mitgliedern an der Basis der Partei vertreten wurde: Er argumentierte, dass das Fehlen von grundlegender Laizität notwendig zu internen Konflikten führe, ihr Ziel hingegen sei, den Glauben der Menschen durch Schaffung eines neutralen öffentlichen Raums zu schützen. Viele PG-Mitglieder riefen indessen danach, den Einfluss der Religion durch repressive, ausschließende Maßnahmen einzuschränken.

Hauptangriffspunkt des Republikanismus der PG ist das bestehende politische Regime, die Fünfte Republik. Als Produkt eines stillen Putsches durch Charles de Gaulle, um die politische Krise in Algerien zu lösen, ersetzte die Fünfte Republik das parlamentarische Regime der Vierten Republik durch ein präsidentielles. Anders als in den USA wurde jedoch keine Gewaltenteilung im politischen System verankert, und so konzentrierte sich die politische Macht zunehmend in den Händen des Präsidenten – vor allem seit 1962, seit der Präsident direkt gewählt wird.

Einige in der Verfassung verankerte Mechanismen ermöglichen es, die Nationalversammlung als gesetzgebende Kraft mundtot zu machen. Etwa erlaubt es der Verfassungsartikel 49, Abs.3, der Regierung, einen Gesetzesentwurf ohne Abstimmung unter dem Deckmantel der Ablehnung eines Misstrauensvotums durchzubringen.

Klagen über die Fünfte Republik und ihren monarchischen Charakter sind so alt wie das Regime selbst. François Mitterrand schrieb noch im Jahr 1964, bevor er 1965 zum ersten Mal als Präsident kandidierte, sein Werk Der permanente Staatsstreich (Le coup d’État permanent), eine umfassende Kritik an de Gaulles persönlicher Macht und den Institutionen, die diese ermöglichten.

Auch die Verkürzung der Amtsperiode des Präsidenten von sieben auf fünf Jahre im Jahr 2000 hat dessen Macht nur gesteigert und das Parlament weiter geschwächt. Vannier hierzu: “Dies sind wirkliche Fragen für die Linke. Heute ist die Frage der Fünften Republik eine offensichtliche Realität: dreimal in nur sechs Monaten wurde der Verfassungsartikel 49, Abs. 3 genutzt. Der Autoritarismus ist heute ein Instrument, dessen die Regierung sich häufig bedient, er steht im Zentrum des Regierungshandelns.“

Die Antwort der Parti de Gauche auf diese Regimekrise ist der Ruf nach einer Sechsten Republik und der Organisation einer neuen verfassungsgebenden Versammlung, wobei sie Erinnerungen an jene von 1789 heraufbeschwören, die die Französische Revolution einleitete. Doch auch in der Partei selbst gibt der Ruf nach einer Sechsten Republik Anlass zur Diskussion.

Die Bewegung für eine Sechste Republik

Im letzten Sommer brachte Mélenchon unerwartet die sogenannte Bewegung für eine Sechste Republik (M6R) in die Diskussion. Zwar machte der doppelte Fokus auf die Revolution der BürgerInnen und die republikanische Kritik der Fünften Republik seit Gründung der PG deren politische Identität aus; doch die von Mélenchon in Eigeninitiative lancierte M6R stellt einen Wendepunkt für die Partei dar.

Was ist die M6R? “Die M6R ist eine Idee innerhalb einer breiter angelegten Strategie,” so Mélenchon, “es ist eine Vorstellung davon, wie eine Idee zur Idee einer Mehrheit werden kann […] eine andere politische Praxis. Ein Paradox lag in dem Umstand, dass ein einzelner Mann“ eine solche Petition startete. „Doch ich glaube, es ist ein Erfolg. Lassen Sie mich hervorheben, dass es sich um die größte politische Eingabe in der Geschichte dieses Landes handelt. Bisher haben wir neunzigtausend erreicht…”

Die ursprüngliche Vorstellung war, das Modell der Bürgerversammlungen für eine konkrete Sache zu nutzen: den Ruf nach der Sechsten Republik. Aus der weitreichenden Mobilisierung sollten basisorientierte Organisierungsstrukturen erwachsen. Jedoch wird in der M6R die Sechste Republik zu einem Zweck an sich. Dies besagt auch der Text, der “ von der M6R von mehr als 90 Prozent angenommen“ wurde: “Die M6R setzt sich dafür ein, die Sechste Republik zu etablieren, so dass die Menschheit auf einen Pfad humanen Fortschritts kommt. Solch ein Wandel braucht einen zivilen Aufstand, eine Revolution der BürgerInnen. Die Sechste Republik wird demokratisch, sozial, grün, säkular, feministisch und emanzipatorisch sein. Sie wird die Souveränität des Volkes auf allen Feldern garantieren und jeder und jedem neue Rechte verleihen.“

Kurz: Die Sechste Republik ist alles, wovon wir schon immer geträumt hatten. Einmal verwirklicht, wird sie sogar neue Rechte mit sich bringen. Sie ist alles und damit nichts. Obwohl die M6R und die PG “gänzlich unabhängig voneinander“ existieren, wie Paul Vannier meint, markiert erstere für die Parti de Gauche einen Einschnitt. Und sie macht Mélenchons Position in der Partei und in der Linksfront noch schwieriger. Er ist in den Augen vieler unzuverlässig und unberechenbar geworden. Im August 2014 erklärte Mélenchon vor der Presse, dass er von der formalen Führungsverantwortung zurücktreten werde. “Ich habe keine operative Verantwortlichkeit mehr. Ich bin für keinen Bereich der Partei zuständig“, ließ er verlauten. Und doch übt er weiterhin moralische Autorität über die PG aus.

Obwohl kein offizieller Parteiführer mehr, hat Mélenchon noch lange nicht mit Wahlen und Kandidaturen abgeschlossen. In seiner Hauptrede während des Vierten Kongresses gab er offiziell bekannt, er werde im Jahr 2017 für das Präsidentenamt kandidieren. Mélenchons Ein-Mann-Strategie kam zusammen mit einer weiterem Erosion der PG-Führung. Martine Billard, die seit 2010 Co-Präsidentin der Partei gewesen war, legte ihr Amt im August 2014 nieder; François Delapierre, Hauptstratege der PG und enger Freund von Mélenchon, verstarb im Sommer 2015 nach einer Krebsdiagnose. “Alles kam zusammen, so dass Mélenchon sich auf sich gestellt fühlte“, stellt Marcot fest. “Seine Linie, gegenüber der es bisher Gegenkräfte gegeben hatte, war plötzlich die allein übrige. Doch auf paradoxe Weise entfernte sich Mélenchon in eben diesem Moment von der PG.” Diese unerwartete Wendung verursachte erhebliche Verwirrung in den eigenen Reihen. Zwischen September 2014 und Januar 2015 gab die Partei keine landesweiten Flugschriften heraus.

Die M6R jedoch erweist sich als Flop. Außer Mélenchon selbst und seinem engsten Zirkel ergebener UnterstützerInnen glaubt niemand mehr ernsthaft an dieses Projekt.

Nationale Souveränität

Trotz ihres Scheiterns zeigt die M6R eine Verschiebung im Denken Mélenchons an – und sie wirkte sich auf die Politik der Parti de Gauche aus. In den letzten paar Jahren hat sich Mélenchon von “der Linken“ zum “Volk“ bewegt. Ihm zufolge hat “das System“, die “Kaste“, nicht mehr vor der Linken Angst, sondern vor dem “Volk“.

Mélenchon versucht, indem er die Sprache von Podemos und die Rhetorik bemüht, die zur 15-M-Bewegung in Spanien und zu Occupy Wall Street geführt hatte, diskursiv die dreigeteilte Struktur des ancien régime wiederzubeleben, welche die Vorbedingung für die Revolution von 1789 gewesen war. Seine Äquivalente für den Dritten Stand, den Klerus und die Adligen sind das Volk, die Medien und die “Oligarchie“ (auch die “Kaste“ genannt).

Die PG-Führung folgte Mélenchon, nur mit Vorbehalten. Der Kongress sah das Volk als “Lösung“ der aktuellen Krise, der nationale Co-Koordinator Eric Coquerel indes führte an, die Parti de Gauche sei “eine Partei des Klassenkampfes, eine Partei der Arbeitenden“.

Was der übermäßigen Anrufung des “Volkes“ zusätzliches Gewicht verleiht, ist die ebenso übermäßige Anrufung “der Nation“ und der “Verteidigung nationaler Souveränität“. Hier ist das Hauptthema die EU und – im Nachgang der griechischen Unterwerfung unter seine europäischen Gläubiger – der Euro. Das griechische Experiment hat offenkundig gemacht, dass es unmöglich ist, sich im Rahmen der neoliberalen europäischen Institutionen vom Programm der Austerität zu lösen. Hieraus erklärt sich die Entscheidung der Parti de Gauche, einen Plan B auszuarbeiten. In einem Interview im August 2015 erklärte Mélenchon: “falls wir die Wahl zwischen dem Euro und der nationalen Souveränität haben, entscheide ich mich für die nationale Souveränität.”

Die Verteidigung der nationalen Souveränität stand im Zentrum der Minderheitenplattform, die 45 Prozent der Mitgliederstimmen holte. Viele in der Partei lehnen dies ab und rufen nach “Souveränität des Volkes“; die Vorstellung der Souveränität an sich wird kaum jemals hinterfragt.

Einer der bedeutendsten Führer der Minderheitenplattform, Ramzi Kebaili, führt an, dass “die PG den Begriff der nationalen Souveränität beansprucht. Nicht in einem nationalistischen, sondern in einem neuen Sinn: Die französische Nation ist das Volk; wir besinnen uns zurück auf die Bedeutung, die der Begriff zu Zeiten der Französischen Revolution hatte.“ Seine Position beruht auf folgender Annahme: “Die Leute erwarten von uns, dass wir über die Nation sprechen, über ein gemeinsames Projekt. Definiert auf republikanische Weise.“

Ob eine nochmalige Rückwendung zur Französischen Revolution nach vorn gewendet werden kann, ist fraglich. Niels Caron hebt hervor, “dass das Wort ‘Nation‘ sehr rückwärtsgewandt ist. Dieser ganze Diskurs beruht auf dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert, auf den Jahren 1792–93 in der Französischen Revolution.“ Nicht nur im französischen Kontext ist nationale Souveränität und der “souvernänistische“ Standpunkt im Allgemeinen verbunden mit der Rechten: eine xenophobe Angst vor Fremden, ein Beharren auf Recht und Ordnung und das Militär, ein Misantropismus angesichts des schwindenden Einflusses Frankreichs in der Welt etc. Angesichts der Schwäche linker Erzählungen ist ein so verstandener Republikanismus immer gefährdet. Dies war bei Jean-Pierre Chevènement zu beobachten, einem früheren Innenminister der Sozialistischen Partei in der Regierung Jospin, der Stück für Stück in entschieden souveränitätsbezogene – und immer reaktionärere – Positionen abglitt.

Mélenchon und die Parti de Gauche sind offensichtlich von Marine Le Pen und dem Front National zu unterscheiden. Doch die Rede von nationaler Souveränität in einer Kongressresolution signalisiert ein weiteres Abdriften von Klassenpolitik zu einer Politik der unterdrückten Nation.

Bei Mélenchons hat sich dieser linke Nationalismus in eine besorgniserregende nationalistische Kritik an Deutschland an sich transformiert. Mélenchons Der Bismarckhering – untertitelt „Das deutsche Gift“ – trägt pures anti-deutsches Ressentiment zur Schau. Das, wogegen Mélenchon derart wettert, sind nicht die Regierungen der Austerität, neoliberale Manager des Kapitals und die neoliberale Logik, Risiken zu sozialisieren und Profite zu privatisieren, sondern Deutschland. Der europäische Kapitalismus, europäische Institutionen, werden auf Deutschland reduziert, und Deutschland auf Merkel. Richtig, die Troika spricht Deutsch – doch der Internationale Währungsfonds spricht Französisch.

Das „Volk“ und die „Nation“ gegenüber einem empirisch besser begründeten Verständnis sozialer Kräfte zu bevorzugen, heißt von den Machtverhältnissen abzusehen, die politischen Kämpfen zugrundeliegen. Es heißt beispielsweise, den Klassenkampf in Frankreich geringzuschätzen und die erbarmungslosen Attacken der Kapitalisten und ihrer Hauptorganisation MEDEF gegen die Arbeit und den Wohlfahrtsstaat (oder was davon geblieben ist).

Dieser Diskurs bringt ebenso vage Kategorien wie ein schwammiges Programm hervor. „Das Volk“ ist eine breite Kategorie, die das komplexe Funktionieren von Systemen der Unterdrückung, die starke Spaltungen erzeugen, herunterspielt. Und umgekehrt erlaubt das Reden über „das Volk“ gegen „das System“ nicht, taktische Allianzen mit einigen seiner Fraktionen zu analysieren, noch ermöglicht es, die widersprüchlichen Strömungen zu verstehen, die „dem Volk“ zugrunde liegen.

Letztlich lässt die Behauptung, „das Volk ist die Lösung“, die Frage unbeantwortet, wie kollektive, demokratische Organisationen und Institutionen aufgebaut werden können, die die bestehende Ordnung langfristig herausfordern. Politische Kämpfe verlaufen nicht wie ein apokalyptisches, einmaliges An und Aus.

Wie Catarina Príncipe und Dan Russell vertreten, kann „eine brauchbare linke Strategie zur Beendigung der Austeritätspolitik nicht das Soziale und das Politische gegeneinanderstellen: Eine politische Alternative muss ihre eigene soziale Basis schaffen.” Mélenchon und hinter ihm die PG sind derart an Wahlprozeduren und -siegen orientiert, dass sie grundsätzlich das Soziale aus den Augen verlieren.

Gleichwohl wäre es falsch, die Linie der PG darauf zu reduzieren. Ihre Beweglichkeit, widersprüchliche Dinge zu sagen, sich zu drehen und zu wenden, charakterisiert die Partei. Wenn Mélenchons eigentliche Zielrichtung sich nun auch für längere Zeit an der Strategie der Revolution der BürgerInnen ausgerichtet hat, so erwähnt er doch auch weiterhin die „andere Linke“, um mit Blick auf andere Linksparteien breitere Wahlbündnisse anzupeilen. Es ist ein Laufen auf zwei Beinen: zum einen bürgerbezogen, anti-systemisch, und zum anderen hin zur „anderen Linken“, zu breiteren Bündnissen gegen Austerität, je nachdem welche Strategie eher fruchtet.

Gelangweiltes Frankreich

Mélenchon war stets der Grundpfeiler in der PG-Architektur, ihr charismatischer Führer, ebenso ihr Vordenker. Seit Gründung der Parti de Gauche haben die Mitglieder wiederholt, dass die Partei kein Selbstzweck sei. Und das Einzige, was die Partei am Laufen hielt, war die Dynamik der Linksfront. Gegenwärtig hat sich Mélenchon von der Parteiführung zurückgezogen und konzentriert sich fast nur noch auf eine totgeborene populistische „Bewegung“. Die Linksfront steckt in einer Flaute, und viele PG-Mitglieder sind müde, desillusioniert, oder einfach von der Bildfläche verschwunden. Was also kommt als Nächstes?

Sehr gut möglich ist, dass die Parti de Gauche wie ein kopfloses Huhn agiert – dass sie ruhelos für ein oder zwei weitere Jahre – also bis zu den Präsidentschaftswahlen 2017, umherrennt und dann, aus schierer Erschöpfung, tot umfällt. Doch den anderen linken Hühnern in Frankreich geht es nicht viel besser. Sie werden zusehends kleiner, haben keine Verbindung zu den Arbeitenden, und ihre Politik ist auf dramatische Weise uninspirierend, ohne Strategie gegen den Front National und die nach rechts driftende Sozialistische Partei. Doch wie stets sind die politischen Wendungen in Zeiten der großen Krise schwer vorauszusagen. Damals im März 1968 titelte die Tageszeitung Le Monde “Frankreich ist gelangweilt.” Wenige Monate später ereignete sich der Mai 1968.

Dieser Beitrag erschien zuerst im Jacobin [2] und wurde leicht gekürzt.

Aus dem Englischen von Corinna Trogisch und Mario Candeias