| Alle Artikel von Walter Baier

| Ungelöst und ungeliebt: Die nationale Frage. Wie Europa von links denken

Januar 2019
Von Walter Baier

Die magische Formel, mittels derer nach 1945 Kriege und Nationalismen gebändigt werden sollten, lautete Integration. Doch entgegen aller optimistischen Rhetorik, mit der noch vor Kurzem ein »postnationales Zeitalter« ausgerufen wurde,[ref]Typisch für diese Sicht sind Cohn-Bendit/Verhofstadt (2012) und Menasse (2012). [/ref] stellt man heute fest, dass Europa mit der »nationalen Frage« keineswegs fertig ist. Tatsächlich hat die Finanz- und Wirtschaftskrise zu einem Legitimationsverlust der europäischen Integration und zu einem Wiederaufleben des Nationalismus geführt.


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| Zeit der Monster und der Mutigen

Februar 2014
von Walter Baier

Die bevorstehenden Europaparlamentswahlen sind die erste Gelegenheit, bei der die europäischen Bevölkerungen Gelegenheit haben werden, gleichzeitig und gemeinsam ein politisches Urteil über die Politik zu sprechen, die von Regierungen und Institutionen in der kapitalistischen Krise durchgeführt werden. Dieses Urteil, soviel kann man voraussagen, wird durch tiefe Desillusionierung, Verbitterung und vielfach auch durch Protest gekennzeichnet sein. In einigen Ländern muss man mit einem deutlichen Ansteigen populistischer, nationalistischer, rechtsextremer bis neonazistischer Parteien rechnen. Dieses Phänomen ist nicht einfach Ausdruck einer gesellschaftlichen Pathologie, sondern Konsequenz der Krise und der in ihrem Zeichen europaweit durchgesetzten Austeritätspolitik.

Es ist falsch und manipulativ, wenn die Sozialdemokratie, die in der Vergangenheit Mit- und Hauptverantwortung für die Durchsetzung dieser Politik getragen hat, sich vor den Europaparlamentswahlen, als Schutz vor dem drohenden Wachstum der extremen Rechten präsentieren will.

Viele Untersuchungen zeigen, dass es Massenarbeitslosigkeit, Präkarisierung und Einschränkung des Sozialstaats sind, die Menschen in die Netze der Rechten treiben. Wenn das zutrifft, dann ist in erster Linie erforderlich, diese Zustände und die Politik zu ändern, und dafür steht die Europäische Linke, die Linke der Linken, die radikale Linke oder wie immer wir unsere Parteien nennen.

Aber es gibt noch etwas Anderes, das die bevorstehenden Europaparlamentswahlen von denen 2009 unterscheiden könnte. Eine kürzlich publizierte Wahlprognose sagt den in der GUE/NGL zusammengeschlossenen Parteien, den Parteien der Europäischen Linken eine Stärkung im Europaparlament voraus. Man soll gegenüber Wahlprognosen grundsätzlich skeptisch sein. Wahr allerdings ist, dass unsere Linke bei den kürzlich abgehaltenen Wahlen in Tschechien, Deutschland, Luxemburg, Griechenland, Spanien Gewinne erreichen konnte. Die Chance besteht also.

Eine substantielle Stärkung der Linken der Linken im Europarlament ist möglich. Im Unterschied zu 2009 könnte das Ergebnis der Wahlen nicht nur eine sinkende Wahlbeteiligung und ein einseitige Rechtentwicklung sein. Da gleichzeitig mit einer Schwächung der Grünen und der Liberalen gerechnet wird, könnte eine politische Polarisierung zwischen Rechts und Links bei den Wahlen sichtbar werden. Die politische Landkarte in Europa würde dann anders aussehen, und die Voraussetzungen für den Kampf der sozialen Bewegungen und Gewerkschaften wären günstiger. Darauf, dass aus dieser Möglichkeit eine Wirklichkeit wird, wollen wir mit Mut und Optimismus hinarbeiten.

Es gibt ein wunderschönes, häufig gebrauchtes Zitat von Antonio Gramsci: Eine Krise ist der Zustand, in dem das Alte abstirbt, aber das Neue noch nicht zur Welt kommen kann. Seltener wird der folgende Satz zitiert: In einer solchen Zeit des Interregnums gibt es viele Gefahren, und es kann zu allen möglichen Krankheitserscheinungen kommen. Eine solche Krankheitserscheinung ist der Nationalismus. Niemand kann in der heutigen Krise voraussagen, was die Zukunft der europäischen Integration sein wird.

Es ist das Recht, der Bevölkerung jedes Landes demokratisch zu entscheiden, aus dieser Integration auszuscheiden. Wir können auch nicht ausschließen, dass der Euro aufgrund der Widersprüche, die innerhalb der herrschenden Eliten bestehen, auseinanderbricht. Nur, lasst mich eines aussprechen. Wir sind auf kein überzeugendes Argument gestoßen, dass ein solches Auseinanderbrechen der europäischen Integration ein für die Bevölkerungen und die arbeitenden Klassen günstiges Szenario wäre. Nicht nur, dass sich dadurch nichts an den Machtverhältnissen, die durch transnationale Konzerne und Finanzmärkte gebildet werden, etwas ändern würde. Es scheint uns auch nicht realistisch, sich mit ihnen ausschließlich mit dem Instrumentarium auseinanderzusetzen, das auf nationalstaatlicher Ebene zur Verfügung steht. Es ist keine positive Perspektive die Länder des europäischen Südens und Ostens in einen Abwertungswettlauf bei der Senkung der Produktionskosten zu hetzen. Und schließlich ist auch ein Szenario, in dem die traditionellen imperialistischen Widersprüche der europäischen Großmächte wieder aufleben, keine positive Perspektive für die Linke.

Wir glauben also nicht, dass der Zerfall oder Auflösung der europäischen Union eine positive Alternative darstellt, sondern meinen, dass wir den Kampf um ein anderes Europa und einen andere Richtung der europäischen Integration führen müssen. Darin besteht unsere Verantwortung auch im Hinblick auf den anwachsenden Nationalismus. Man kann über das Verhältnis zwischen europäischer Integration und Nationalstaat theoretisch und abstrakt diskutieren. Zwei Wahrheiten möchte ich unterstreichen: Erstens, die EU ist ein multinationales Gebilde, ein institutioneller Rahmen mit mehreren Ebenen der Macht, und die Linke muss ihren Kampf auf allen diesen Ebenen führen. Und zweitens, Nationalstaat ist nicht gleich Nationalstaat, und es macht einen Unterschied, ob man über den Nationalstaat und seine Stärkung in Portugal, Griechenland, Spanien, Italien, Österreich oder Deutschland spricht.

Was ich vor allem sagen will ist, dass wir in diesem historischen Augenblick eine große Verantwortung zu tragen haben. Die Linke muss drei Aufgaben lösen: Wir müssen glaubhafte politische Alternativen entwickeln, wir müssen breite politische Fronten bilden, die soziale Bewegungen, die Gewerkschaften und politische Akteure miteinander vereinen. Und wir müssen das politische Kräfteverhältnis auf europäischer Ebene und in den Ländern verändern. Dazu sind die bevorstehenden Europaparlamentswahlen ein wichtiger Anlass.

 

Bei dem Text handelt es sich um die Rede von Walter Baier zum 4. EL- Parteitag, Madrid, 13.-15. Dezember 2013.