| Wachstum, Natur, Kritik

März 2011  Druckansicht

von Ingo Schmidt

scottburnham/flickr

Wachstum muss sein. Ohne Wachstum ist Krise. Der Krisen- und Wachstumszyklus ist uns zur zweiten Natur geworden. So war es nicht immer, so muss es nicht sein.

Das Streben nach irdischen Gütern war ursprünglich Privileg der herrschenden Klassen. Doch die Arbeitsproduktivität war niedrig. Aus den arbeitenden Massen ließen sich keine großen Reichtümer herausholen. Dies änderte sich erst mit der Herstellung des Weltmarktes seit dem 15. Jahrhundert und der im 18. Jahrhundert beginnenden industriellen Revolution. Die Errichtung des Himmelreiches auf Erden schien möglich. Zumindest in Europa, dessen arbeitenden Klassen ein Anteil an der Ausplünderung der Welt in Aussicht gestellt wurde, wenn sie sich der Arbeitsdisziplin kapitalistischer Fabriken bzw. dem Kommando imperialistischer Armeen unterwarfen. Mit den sozialen Verhältnissen veränderten sich auch die Beziehungen zwischen Mensch und Natur grundlegend. In dieser Kombination machte sich der Weiße Mann die Erde samt ihrer nicht-weißen Bewohner untertan, erklärte Geld zum neuen Gott und Wachstum zum Zwang.

 

 

Die Herrschaft des Geldes,…

Über Jahrhunderte, vom Altertum zum Feudalismus, war Geld ein praktisches Ding, das sich zu Markte tragen und mit dem sich, wenn man genug davon hatte, schon mal angeben ließ. Die meisten Menschen aber produzierten Nahrung, Kleidung und andere nützliche Dinge für sich und ihre Herrscher. Letztere maßen, auch wenn sie dem Gelde nicht abgeneigt waren, ihren Reichtum in der Zahl ihrer Gebrauchswerte produzierenden und im Bedarfsfall Waffen tragenden Untertanen. Handelsgesellschaften, beispielsweise die Hanse oder die Fugger, blieben Einsprengsel in Gebrauchswert produzierenden Gesellschaften. Daran änderte die Entwicklung von doppelter Buchführung, Kredit- und Börsengeschäften nicht viel.

Allerdings erwiesen sich die Handelsstützpunkte, die die East India Company, Hudson’s Bay Company und andere zu jener Zeit schufen, später als Brückenköpfe für die industriekapitalistische Durchdringung der Welt. Erst die neuen Produktivkräfte, die von Kohle und Dampf, später Öl, Elektrizität und Atomenergie, freigesetzt wurden, erlaubten es dem Geld, sich als Maß aller Dinge zu etablieren. Die Bewertung von Arbeits- und Rohstoffeinsatz in Geld erlaubte deren Vergleich- und Austauschbarkeit unter Bedingungen zunehmend spezialisierter Arbeitsteilung.

Aber die zum Zwecke des Gelderwerbs vorangetriebene Akkumulation ist voller Paradoxien. Mit steigender Produktivität sinkt der Arbeitseinsatz der notwendig ist, um eine bestimmte Ware zu produzieren. Ihr in Geld ausgedrückter Wert wird folglich sinken. Damit sinkt aber zugleich der Wert des gesamten Reichtums. Zunehmen kann der Reichtum nur, wenn die Menge der produzierten Waren schneller wächst als der notwendige Arbeitseinsatz abnimmt. Produktions- und Produktivitätswachstum befinden sich in einem beständigen Wettlauf.

Dem Paradox Entwertung durch Produktivitätssteigerung kann auch die Arbeitskraft nicht entgehen. Wenn Kleidung, Nahrung und andere lebensnotwendige Waren in kürzerer Zeit hergestellt werden können, sinkt der Wert der Arbeitskraft bzw. dessen Geldausdruck, der Lohn. Selbstverständlich können sich die Arbeiter gegen Lohnsenkungen und die damit einhergehende Verelendungstendenz wehren. Sofern sie damit Erfolg haben, werden sie jedoch Gefangene der Akkumulationsmaschine und treiben diese mit jeder mühsam erkämpften Lohnerhöhung weiter voran. So sehr sich das Unternehmertum über steigenden Absatz freut, so ärgert sich doch jeder einzelne Unternehmer über steigende Lohnkosten. So kann er Rationalisierungsplänen gar nicht schnell genug grünes Licht geben, um sich eines Teils der stets zu teuren Arbeitskraft entledigen zu können. Arbeitslosigkeit kann nur durch weiteres Produktionswachstum verhindert werden. Wachsender Reichtum für Wenige wird zur Existenzbedingung für Viele.

…kapitalistischen Wachstums…

Mit der industriellen Revolution nahm der Prozess der Umformung bzw. auch Zerstörung der Natur durch den Menschen völlig neue Dimensionen an. Um die Akkumulation des Kapitals bzw. die hierfür notwendige Produktion von Waren anzutreiben, wird die in den untergegangenen Wäldern der Vergangenheit gebundene Energie in Form von Kohle und Öl verheizt. Der einmalige Zweck der Stoffumwandlung, beispielsweise der Stahl- oder Zementproduktion, oder des Antriebs, von der Dampfmaschine zum Verbrennungsmotor, heiligt die Mittel dauerhafter Freisetzung von Treibhausgasen und Erschöpfung von Rohstoffvorräten. Unter dem Zwang zur Kapitalakkumulation wird die Natur als unbegrenzte Rohstoffquellen und ebenso unbegrenzte Mülldeponie behandelt.

Hier begegnen wir einem weiteren Paradoxon kapitalistischer Akkumulation: Nichts ist so nützlich wie die Natur, die uns Luft zum Atmen, Wasser zum Trinken und Lebensmittel verschiedenster Art anbietet Im Gegensatz zu kapitalistischen Anbietern wird hierfür kein Preis verlangt. Werden natürliche Ressourcen zu Privateigentum erklärt, können z.B. Grundeigentümer die Zahlung einer Grundrente für die Nutzung von Boden samt der darunter befindlichen Rohstoffe verlangen. Für industrielle Kapitalisten ein echtes Problem, weil sie ja bereits Arbeitslöhne und Zinsen an die Geldverleiher zahlen müssen. Grundrente, Zins und Arbeitslohn erscheinen ihnen als Abzüge vom sauer erwirtschafteten Profit. Um dieser Profitklemme zu entgehen, versuchen sie nicht nur den Preis für Boden, Geld und Arbeit herunterzuhandeln, sondern auch das Maximum aus den eingekauften Produktionsfaktoren herauszuholen. Mit Blick auf sein Hauptbuch ist der Kapitalist ein Knauser, mit Blick auf den Einsatz von Arbeitskraft und Natur ist er ein Verschwender. Er schafft damit sogar neue Märkte und Wachstumsmöglichkeiten: Um die im kapitalistischen Produktionsprozess verursachten Umweltsauereien wenigstens halbwegs beherrschen zu können, ist die Entsorgungswirtschaft entstanden. Die hierfür eingesetzten Produktionsfaktoren hätte man sich bei Verwendung umweltfreundlicher Produktivkräfte sparen können. Kapitalistisch betrachtet wäre das ein Wachstumsverlust, eine Krise, vom Standpunkt der Gebrauchswertproduktion aber eine Nutzensteigerung. Notwendige oder auch als angenehm erachtete Dinge könnten in einer Weise hergestellt werden, welche die Natur umformt aber nicht zerstört. Die „Entsorgungsarbeiter“ könnten ihre dreckigen und ungesunden Arbeitsplätze an den Nagel hängen, die Arbeitszeit für alle könnte verkürzt und der Freude an der Natur mehr Raum und Zeit gegeben werden.

…und eine neue Welle kapitalistischer Landnahme?

Dem politischen Mainstream gelten solche Ideen bestenfalls als naiv, schlimmstenfalls als wirtschaftsfeindlich. Aus dieser Perspektive sind nicht die Zwangsgesetze von Konkurrenz und Akkumulation die Ursache von Umweltzerstörung und Erschöpfung von Rohstoffvorräten sondern ein Mangel an beiden. Die vorgeschlagene Therapie: Bislang als selbstverständlich angesehene Naturelemente, von der uns umgebenden Luft bis zu den Körperwelten innerer Organe und Erbinformationen, sollen in Waren verwandelt werden und ihre neuen Eigentümer zum pfleglichen Umgang mit den teuer erworbenen Rohstoffen anreizen. Eine neue Welle kapitalistischer Landnahme soll neue Märkte und Wachstumsfelder erschließen und zugleich dem Naturverbrauch Einhalt gebieten. Kapitalistische Landnahmen der Vergangenheit trieben das kapitalistische Wachstum eine zeitlang an, haben dabei aber die oben bereits beschriebenen „Abfallprodukte“ vernutzter Natur und Arbeitskraft hervorgebracht. Müssten sämtliche Kosten für Umweltverbrauch und Reproduktion der Arbeitskraft – in Haushalten wird ja jede Menge Arbeit geleistet – bezahlt werden, würde die ansonsten stets gefühlte Profitklemme zur bitteren Realität. Im Lehrbuch ist die Logik einer vollständig durchkapitalisierten Welt zu Ende gedacht worden – mit dem Resultat, das alle Produktionsfaktoren gemäß ihrer Kosten bzw. ihrem Beitrag zum Gesamtprodukt bezahlt werden, für den Unternehmer aber leider kein Überschuss, kein Gewinn übrigbleibt. Die neoklassischen Ökonomen haben bei ihrer Theorieproduktion eine unangenehme und auch von Marxisten häufig übersehene Wahrheit preisgegeben: Profit und Kapitalakkumulation setzen neben günstigen Verwertungsbedingungen des bestehenden Kapitals auch die Transformation nicht-kapitalistischer Arbeit samt der hierbei verwandten Roh- und Hilfsstoffe in Waren voraus. Stößt dieser Transformationsprozess an seine Grenzen, weil alle Arbeit und alle Natur zu Waren geworden sind, kommt auch die Akkumulation zum Erliegen. Der Natur und uns geht aber möglicherweise schon vorher die Luft aus. Hieran etwas zu ändern ist weniger eine Frage wirtschaftlichen Wachstum als einer Umgestaltung der Produktions- und Lebensweise. Der Weg in solch eine Gesellschaft wird aber über viele politische Krisen führen, weil die Nutznießer kapitalistischen Wachstums vom Übergang zu einer Gebrauchswertökonomie überhaupt nicht angetan sein werden.