| Vom Wetter reden? Die LINKE und ihr Studierendenverband

Mai 2014  Druckansicht
Von Von Kerstin Wolter und Sophie Dieckmann

Das Strategiepapier zum Parteiaufbau von Katja Kipping und Bernd Riexinger bietet auch für den parteinahen Studierendenverband der LINKEN viele interessante Analysen und Ansätze. Diese betreffen einerseits das Verhältnis von Partei und Studierenden, andererseits auch die konkrete Praxis beider Organisationen. Welche Ansätze können auch dem Studierendenverband nutzen und welche Rolle spielt er überhaupt für die Parteientwicklung?

Zunächst einmal scheint es plausibel, dass Parteien an den Hochschulen in Form von Studierendenverbänden vertreten sind – so gibt es neben dem SDS auch den RCDS (CDU) oder die Juso-Hochschulgruppen (SPD). Wenn an eine linke Partei aber andere Erwartungen gestellt werden als an eine bürgerliche (siehe Strategiepapier), was bedeutet das für einen linken Studierendenverband?

Die Linke.SDS hat sich im Frühjahr 2007 am 189. Geburtstag von Karl Marx gegründet. In ihm verschmolzen die Hochschulgruppen der PDS und der WASG. Aber auch AktivistInnen von attac, JungdemokratInnen/junge Linke, Linksruck, [‘solid] u.a. brachten sich in das Projekt ein. Wie die LINKE ist der Studierendenverband ein Projekt, das unterschiedliche linke Traditionen vereinigt. Dies drückt sich vor allem in der lokalen Praxis der SDS-Hochschulgruppen aus. Anders als in der Partei, kann man im SDS jedoch nicht von zwei Flügeln sprechen. Dennoch tragen sich die Traditionen verschiedener Gründungsmitglieder noch bis heute im SDS fort, an denen sich auch immer wieder Konflikte entzünden. Dabei spielen Fragen um eine gemeinsame hochschulpolitische Strategie, um den Bezug zu außeruniversitären Bewegungen und Auseinandersetzungen, die politische Kultur und die feministische Praxis auf unterschiedlichen Ebenen eine Rolle. Diese Auseinandersetzungen haben den SDS auf Bundesebene und einige Gruppen zeitweise geschwächt, was sich in politischer Inaktivität oder persönlicher Betroffenheit ausdrückte. Die Konflikte zeigen, dass sich eine Organisation auch nach innen weiterentwickeln und erneuern muss, will sie handlungs- und anschlussfähig sein. Was im Strategiepapier von Kipping und Riexinger jedoch fast völlig untergeht, ist eine gemeinsame Strategie nach innen. Zwar wird die Kultur innerhalb der Partei einer kritischen Bestandsaufnahme unterzogen. Strategien zur Bearbeitung der inneren Konflikte sowie zur Erneuerung der innerparteilichen Kultur werden jedoch kaum benannt. Dabei ist dies ungemein wichtig, um mehr Menschen für ein politisches Engagement in der Partei zu begeistern.

Der SDS muss sich dieser Aufgabe gleichsam stellen. Auch wenn der Verband gerade an aktiven Mitgliedern und neuen Gruppen gewinnt, wächst er seit der Gründung zwar stetig, aber nur langsam. Und wie schaffen wir es, neue Mitglieder dauerhaft in die politische Arbeit einzubinden? In einigen Gruppen haben wir gute Erfahrung mit der Gründung von Projektgruppen innerhalb einer Basisorganisation gemacht. Hier haben Neumitglieder schneller die Möglichkeit in einer spezifischen Thematik oder einem konkreten Projekt ihre Aufgabe zu finden und so Teil der Gruppe zu werden. Da dies jedoch nicht automatisch geschieht, müssen die älteren Mitglieder in der Lage sein, Neumitglieder gezielt zu integrieren und offen für neue Ideen zu sein. Das im Strategiepapier formulierte Ziel der Ausbildung von OrganizerInnen ist deshalb richtig und wichtig. Der SDS sollte ebenso seine Traditionen in der Gruppenbetreuung und Kampagnenarbeit ausweiten.

Doch es sind nicht nur die innere strukturelle Probleme, die das Wachstum und die politische Handlungsfähigkeit einer Organisation hemmen. Partei und Studierendenverband haben ebenso mit den äußeren gesellschaftlichen Entwicklungen zu kämpfen. Die Hoffnungen, die die außerparlamentarische Linke 2007 in die LINKE gesetzt hatte, haben sich bis heute nur zum Teil erfüllt. Die LINKE ist in den meisten Orten noch weit davon entfernt, das Sammelbecken für linke AktivistInnen und Aktivitäten zu sein. Im Gegenteil. In großen Teilen der gesellschaftlichen Linken (und nicht nur da) herrscht weiterhin eine große Parteienskepsis vor. Und das nicht zu unrecht. Der Anpassungsdruck des bürgerlichen Parlamentarismus als Grundlage für das Funktionieren der kapitalistischen Ordnung ist groß. Um Beispiele dafür zu finden, genügt ein Blick auf die Geschichte von SPD und Grünen. Dabei machen Kipping und Riexinger in ihrem Strategiepapier deutlich, dass die Überwindung des Kapitalismus und die Entwicklung einer sozialistischen Perspektive nicht allein über die Parlamente erreicht werden kann. Der Kampf um Hegemonie findet vor allem in der Zivilgesellschaft im gramscianischen Sinne statt. In den alltäglichen Kämpfen vor Ort um höhere Löhne, bessere Studienbedingungen, den Erhalt von sozialen Einrichtungen etc. kann und muss die LINKE eine wichtige Rolle einnehmen. Soziale Bewegungen und Gewerkschaften sind dabei entscheidende Bündnispartner. Um solche Bündnisse auf lokaler Ebene zu schmieden, braucht es viele aktive Parteimitglieder. Doch gerade an diesen, insbesondere an Frauen und jüngeren AktivistInnen mangelt es der Partei. Viele Basisorganisationen leiden an ausbleibendem Nachwuchs, dabei ist gerade dieser von entscheidender Bedeutung für die Erneuerung der Partei von innen. Die Gründe dafür sind innerhalb und außerhalb der Partei zu finden. Zum einen, weil große Teile der Gesellschaft die traditionellen Organisationsformen des Politikmachens ablehnen, zum anderen, weil die politische Praxis von Parteien und auch der LINKEN für viele Menschen nur wenig attraktiv ist. Das zeigt, dass die Partei es aktuell noch nicht ausreichend schafft, sich in ihrer politischen Praxis wahrnehmbar von den anderen etablierten Parteien abzugrenzen. Die Entwicklungen des Neoliberalismus machen das Kampffeld für die LINKE umso schwerer.

Das Strategiepapier der Parteivorsitzenden bietet viele sehr gute Analysen und konkrete Ansätze. Haben diese ebenso eine Bedeutung für den SDS, und wenn ja, welche?

Für einen linken Studierendenverband ist das Hauptaktionsfeld nicht die Partei, sondern die Hochschule. Seit der Bologna-Reform vor 15 Jahren vollzieht sich die Umwälzung der Universitäten nach den Maßgaben neoliberaler Politik immer rasanter. Die Krise in Europa und die Instrumente der herrschenden Klasse, dieser Krise zu begegnen (Stichwort Schuldenbremse) werden diesen Kurs weiter befördern. Neoliberale Ideen sind innerhalb und außerhalb der Hochschule hegemonial. Gerade deshalb ist es umso wichtiger für einen linken Studierendenverband, Alternativen in Theorie und Praxis aufzuzeigen. Doch die Bologna-Erklärung und die mit ihr verbundenen Reformen im Hochschulsystem haben die Bedingungen für studentisches Engagement und die Aneignung kritischer Theorie drastisch verschlechtert. Gleichzeitig ist die Linke an der Hochschule momentan nicht in der Lage, diesen Entwicklungen etwas entgegenzusetzen. All dies stellt den SDS vor große Herausforderungen. Auch wenn der Verband sich mittlerweile an rund 40 Hochschulen und in linken Bündnissen (Dresden Nazifrei, Blockupy, Frauen*kampftag) als relevanter linker Akteur etabliert hat, ist er dennoch oft nicht genügend in der Studierendenschaft verankert. Um sich dieser Aufgabe zu widmen, muss der SDS immer wieder die Diskussion um mögliche Handlungsansätze suchen und neue Praktiken entwickeln und ausprobieren. Das Strategiepapier bietet hier in Bezug auf die Partei interessante Analyse- und Arbeitsvorhaben. Auf zwei möchten wir an dieser Stelle genauer eingehen.

1| Politische Projekte und Kampagnen:

Das wichtigste für eine aktive Mitgliederpartei sind engagierte Mitglieder. Dabei darf sich das aktive Eingreifen in die Politik nicht nur auf die Parlamente beschränken. Es muss viel mehr heißen, vor Ort soziale Kämpfe zu unterstützen und konkret einzugreifen – etwa mit Kampagnen.

Die Linke.SDS hat seit ihrer Gründung verschiedene Kampagnen auf die Beine gestellt. Dazu gehören die Kapitallesekreisbewegung 2008, die Mietenkampagne im letzten Herbst und die aktuelle Initiierung des Bündnisses zum Frauen*kampftag 2014. Sie waren im SDS unterschiedlich erfolgreich. Dabei können Kampagnen dazu dienen, die Organisation nach innen und nach außen zu stärken. Damit sie aber keine Kopfgeburt bleiben, müssen sie von einem Großteil der Basisgruppen mitgestaltet werden und auf die aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen Bezug nehmen. Dafür müssen immer wieder traditionelle Räume des Zusammenkommens genutzt und neue geschaffen werden, um den Austausch von oben nach unten und vor allem von unten nach oben zu gewährleisten. Gleichzeitig ist es wichtig, dass die Kampagnen nicht auf Kosten der kontinuierlichen Arbeit vor Ort gehen. Im besten Fall geht beides zusammen, indem eine Kampagne organischer Bestandteil und Ergänzung zur alltäglichen politischen Arbeit wird. Hier sind die Ansätze in Partei und Studierendenverband noch ausbaufähig. Bündnisse mit anderen linken gesellschaftlichen Gruppen sind dabei für eine breite Ausstrahlungskraft unerlässlich – das gilt für den SDS ebenso wie für die LINKE.

Kipping und Riexinger nennen konkret drei Kampagnen, die die Partei in den kommenden Jahren in Angriff nehmen sollte: eine gegen prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse, eine für ein soziales, demokratisches und solidarisches Europa und eine für die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums und den Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge und Infrasruktur. Die Diskussionen um die Gestaltung und Veränderung der EU spielen auch im SDS aktuell eine große Rolle. Zudem engagieren sich viele SDS-Gruppen seit mehreren Monaten in den Tarifauseindersetzungen im Einzelhandel und an der Hochschule, bauen die Zusammenarbeit mit den Hochschulgruppen der Gewerkschaften aus oder unterstützen diese konkret bei der Gründung. Hier wäre es sinnvoll, die Ansätze und Strategien in Partei, Studierenden- und Jugendverband zusammenzudenken und -zuführen. Eine Diskussionsplattform zu schaffen, wäre hier ein erster Schritt.

2| Nachwuchsförderung und Jugendoffensive:

Damit sich mehr junge Menschen in der Partei engagieren, soll vermehrt Arbeit in die Nachwuchsförderung und eine neue Jugendoffensive gesteckt werden. Zusammen mit Fachleuten aus Jugend- und Studierendenverband, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen soll hier ein Programm erarbeitet werden. Was kann das für den SDS bedeuten und wie kann er hier konkret Hilfestellung leisten?

Aktuell wird nur ein geringer Anteil aus den Jugendstrukturen in der Partei aktiv. Viele Gründe dafür wurden bereits genannt. Auch wenn es sicher nicht die einzige Aufgabe von Jugend- und Studierendenverband ist, Nachwuchs für die Partei zu generieren, können sie dabei neben der reinen Rekrutierung eine wichtige Rolle einnehmen. Guckt man sich die Zusammensetzung der Partei an, liegt der Anteil derjenigen, die einen Hochschulabschluss haben, bei 44 Prozent. Das heißt, ein großer Teil der Parteimitglieder hat die Hochschule durchlaufen und war wahrscheinlich bereits zu dieser Zeit politisch aktiv. Vieles von dem Wissen, das diese Mitglieder heute in die Gestaltung der politischen Arbeit einfließen lassen, wurde in dieser Zeit erworben. Der SDS kann hier durch konkrete Bildungsarbeit an der Hochschule und den Kampf um kritische Wissenschaften das Wissen einer ›Next Generation‹ gezielt mitgestalten, wovon später auch die Partei profitieren kann. In Zusammenarbeit mit der Kommission Politische Bildung sowie der Rosa-Luxemburg-Stiftung kann die Bildungsarbeit in Partei und Jugendstrukturen weiter ausgebaut, vorhandenes Stückwerk zusammengesetzt und so die Herausbildung eigener organischer Intellektueller vorangebracht werden. Um die Jugend und den Nachwuchs zu fördern, darf es der Partei deshalb nicht nur um die Schaffung neuer Aufbauprogramme gehen, sondern sie muss ebenso die bereits bestehende Arbeit der eigenen Jugendstrukturen tatkräftig unterstützen.

Ansätze zur Einbindung von Frauen in die Arbeit der Partei sucht man im Strategiepapier vergeblich. Auch der SDS hat auf diese Frage noch keine vollständige Antwort gefunden. Dabei ist der Anteil von Frauen im SDS ähnlich niedrig wie in der LINKEN. Trotz Frauenförderprogramm und Instrumenten zur Veränderung der Verbandskultur hat der Studierendenverband nicht merklich an aktiven Frauen gewonnen. Hier müssen sich Partei und Jugendstrukturen fragen, wie sie konkret Angebote schaffen und die Strukturen für Frauen attraktiver machen. Das Zusammendenken von Feminismus und Antikapitalismus ist hier ein wichtiger Punkt. Zudem können Kampagnen wie der Frauen*kampftag zeigen, dass eine feministische Praxis nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, und viele Frauen dazu ermutigen, aktiv in die politischen Auseinandersetzungen einzugreifen.
Mit ihrem Strategiepapier haben die Parteivorsitzenden eine wichtige Debatte um die Erneuerung der Partei angestoßen. Wir sollten sie gemeinsam – als Partei und (studentische) Jugend – weiterführen.