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»Schön, dass die Ampel meine Arbeit der letzten Jahre fortsetzt.«

Von Gerrit Schrammen

Zur Verkehrspolitik der neuen Regierungskoalition

Die Klimaziele im Verkehr werden mit den Plänen der Ampel nicht zu erreichen sein, so viel steht fest. Jenseits dessen finden sich kaum konkrete Festlegungen. Damit ist das größte Problem nicht der Vertrag, sondern der FDP-Minister.

Der Koalitionsvertrag ist eine große Enttäuschung. Ohne Tempolimit ist er das Papier nicht wert ist, auf dem er geschrieben ist. Eine Verkehrswende wird es mit der Ampel also nicht geben, das Wort taucht nicht einmal auf. Auch „Verkehrsvermeidung“ sucht man vergeblich. „Verlagerung“ verbirgt sich immerhin dort, wo eine Steigerung der Verkehrsanteile bei der Bahn, im öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) und der Schifffahrt als Ziel formuliert wird. Für die Bahn sind ein Marktanteil von 25 Prozent im Schienengüterverkehr (2019, 19 Prozent) und eine Verdopplung im Schienenpersonenverkehr anvisiert. Das ist zwar nicht schlecht, aber auch nicht neu, es wurde bereits von der GroKo formuliert. Im ÖPNV hat die Ampel sich nicht für ein konkretes Ziel ausgesprochen – ver.di und die LINKE hatten eine Verdopplung bis 2030 gefordert –, sodass die „deutliche Steigerung“ nicht als Pluspunkt gelten kann. Der Anteil der Schifffahrt soll nur „gesteigert“ werden. Um ein letztes Mal Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer zu zitieren: „Schön, dass die Ampel meine Arbeit der letzten Jahre fortsetzt.“

Dass konkrete Ziele und Festlegungen weitgehend fehlen, ist das offensichtliche Manko des Papiers. Fast jeder Satz ist ein Kompromiss zwischen eigentlich unvereinbaren Positionen, aus dem man (fast) alles – oder eben nichts – machen kann. Deswegen ist das größte Problem nicht der Koalitionsvertrag, sondern der Minister. Der Vertrag ist so unkonkret, dass der Minister weitgehend freie Hand hat. Die FDP hat in den letzten vier Jahren im Verkehrsausschuss das Gegenteil einer Verkehrswende vertreten. Lediglich mehr Bahnverkehr ist auch mit ihr zu machen, nicht zufällig finden sich dazu auch die anspruchsvollsten Aussagen.

Rot für den Klimaschutz

Selbst die Grünen beklagen [1], dass es im Verkehr nur eine Antriebswende, aber keine Verkehrswende geben wird. Mit 15 Millionen E-Autos bis 2030 findet sich hier immerhin eines der wenigen konkreten Ziele. Das Bekenntnis der Ampel zum E-Auto ist also positiv. Denn Union, AfD und FDP wollen die wachsende Zahl von Pkw statt mit Strom lieber mit Wasserstoff oder synthetischen Kraftstoffen betreiben, die etwa zwei- bis drei- oder sogar fünf- bis sechsmal so viel Energie verbrauchen wie das direkte „Betanken“ mit Strom. Dass dies verhindert werden konnte, ist ein Erfolg. Allerdings bleibt ein Schlupfloch für synthetische Kraftstoffe, es gilt abzuwarten, wie groß es sein wird.

15 Millionen E-Autos bis 2030 sind jedoch nur dann ein Beitrag zum Klimaschutz, wenn es nicht immer mehr und immer größere Pkw geben wird. Zur Frage, wie sich die Blech-Lawine insgesamt stoppen lässt, findet sich im Vertrag kaum etwas. Eine Wende kann es aber nur geben, wenn der Verkehr auf den Straßen deutlich zurückgeht. Dazu ist der Ausbau von Alternativen eine notwendige Voraussetzung. Es muss aber gleichzeitig auch Maßnahmen zur Reduktion des Straßenverkehrs geben, sonst steigen nicht genügend Menschen und Waren um. Ich werbe für ein Zweistufen-Modell: Dort wo die Voraussetzungen schon gut sind, wie in den Städten, kann man gleich beginnen; woanders, vor allem auf dem Land, geht es darum, erst einmal eine Alternative aufzubauen.

Aus dem ordnungsrechtlichen Instrumentenkasten wurden Tempolimits verworfen. Mit der geplanten Novelle des Straßenverkehrsrechts gibt es immerhin ein kleines Fenster für einen fahrrad- und fußgänger*innenfreundlichen Umbau der Städte. Hier soll es endlich nicht mehr nur um die „Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs“ gehen, sondern auch Klima- und Umweltschutz, Gesundheit und städtebauliche Entwicklung werden als Ziele genannt. Darin liegt eine Chance, alleine reicht es aber nicht, und der Teufel steckt im Detail. Diese Reform muss deswegen „konstruktiv“ begleitet werden – gut, dass sich mittlerweile 64 Städte für Tempo 30 [2] aussprechen.

Bei den preislichen Maßnahmen beschränkt sich die Ampel auf die Maut für Kleinlaster zwischen 3,5 und 7,5 t und auf die Einführung eines – ohnehin von der EU vorgeschlagenen – CO2-Aufschlags auf die Lkw-Maut. Eine Ausweitung der Maut auf alle Straßen und auf Fernbusse sowie die volle Anlastung der Lärm- und Luftschadstoffe soll es hingegen nicht geben. Bei Pkw wird lediglich die Dieselsteuer auf den Satz für Benzin angehoben – ein richtiger Schritt, denn Diesel hat sogar einen höheren Energiegehalt, Dieselfahrzeuge sind größer und fahren mehr. Hierzu gab es den ersten Ampel-Streit, weil sich der designierte Minister für die parallele Senkung der (deutlich höheren) Kfz-Steuer für Diesel [3] aussprach.

Da der Benzinpreis das unsozialste preisliche Instrument ist, kann man die vorläufige Absage an dessen weitere Erhöhung durchaus begrüßen. Viele – gerade Geringverdiener*innen – können einer Erhöhung des Benzinpreises faktisch nicht ausweichen, da Alternativen häufig noch fehlen und der Kauf eines E-Autos für die meisten nicht in Frage kommt. Aus diesem Grund ist es auch positiv, dass es keinen neuen Anlauf für eine Pkw-Maut geben soll und die City-Maut nicht auftaucht. Es wird aber auch keine der anderen preislichen Maßnahmen geben, die durchaus eine Umverteilungswirkung hätten: Weder eine grundlegende Reform, oder gar Abschaffung der Subventionierung von Dienstwagen (50 Prozent gehen an die 20 Prozent Bestverdiener*innen!) noch eine Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung [4] soll es geben, obwohl dies eine der wichtigen Stellschrauben im Erfolgsmodell Wien darstellt. Diese könnte auch sozial gerecht sowie nach Fahrzeuggröße gestaffelt werden – also für SUV deutlich teurer als für kleine Pkw.

Bei den Straßenbauinvestitionen wird es keine Reduzierung geben, von einem Straßenbaumoratorium ganz zu schweigen. Im Gegenteil sollen diese sogar einen „wachsenden Etat“ bekommen. Die erfreuliche Meldung, dass mehr in die Schiene als in die Straße fließen soll, darf darüber nicht hinwegtäuschen. Dem weiteren Verkehrswachstum auf den Straßen, den Schienen, zu Wasser und in der Luft will die Ampel also keine Grenzen setzen. Solange es keine Verkehrswende gibt – und dazu gehört nicht nur Verlagerung, sondern eben auch Verkehrsvermeidung – wird Deutschland seine Klimaziele verfehlen. Der Verkehr ist nun einmal das größte Sorgenkind.

Wo Schatten ist, da ist auch Licht

Auch wenn Arno Luik [5] das Bahnkapitel als „eine lose Aneinanderreihung all jener Verheißungen, die man seit Jahren hört“, bezeichnet, so ist es immer noch besser und konkreter als der Rest. Deutlich mehr Mittel für den Ausbau des Schienennetzes und dessen sukzessive Elektrifizierung (75 Prozent bis 2030) sind zwei der wenigen konkreten Festlegungen, bei der die Ampel außerdem die Forderungen der Bahnverbände übernommen hat. Hier besteht die Chance beim Ausbau des Bahnnetzes, dem Stopp von Streckenstillegungen und der Reaktivierung bereits stillgelegter Strecken voranzukommen. Zu befürchten ist allerdings, dass zu viele Mittel für weitere Hochgeschwindigkeitsstrecken gebunden werden, wie sie im letzten Entwurf des Deutschlandtaktes vorgesehen sind, und dass die geplante organisatorische Umstrukturierung der Bahn sie lähmen wird.

Eine echte Chance könnte die angekündigte Erhöhung der Regionalisierungsmittel bieten. Hier steht zwar leider keine genaue Zahl, aber die Verkehrsleistung im gesamten Schienenpersonenverkehr soll bis 2030 verdoppelt werden. Zudem heißt es im Kapitel „Gute Lebensverhältnisse in Stadt und Land“, „die Bahn muss in ganz Deutschland zum Rückgrat der Mobilität werden – auch im ländlichen Raum“. Um mit dem Bund in Verhandlungen eintreten zu können, sollten die Länder schnellstmöglich ein neues Gutachten über den Bedarf an finanziellen Mitteln erstellen lassen, der sich daraus ergibt. Dieser sollte auf Basis eines klaren Ausbaupfads mit Blick auf die angestrebte Verdopplung der Verkehrsleistung berechnet werden.

Beim „Ausbau- und Modernisierungspakt“ für den ÖPNV ist wenig Konkretes festgehalten. Hier sehe ich allerdings für die LINKE die Chance, eine Nahverkehrsabgabe für Unternehmen nach französischem und Wiener Vorbild einzubringen. Und wenn auch eher nicht für den fahrscheinlosen ÖPNV, so könnte sie doch zumindest für ein 365-Euro-Ticket aus Teilen der Koalition Unterstützung zu bekommen.

Eine Chance gibt es auch für den Einstieg in den flächendeckenden Nahverkehr als Grundangebot, das Mobilität für alle auch ohne Auto gewährleistet. Die Ampel will „Erschließungs- und Qualitätsstandards für ein alltagstaugliches Mobilitätsangebot“ definieren. Ein erster wichtiger Schritt für den Ausbau des ÖPNV zu einer „vollwertigen Alternative zum motorisierten Individualverkehr“ auch auf dem Land. Auf diese Kriterien kann man sich dann „auf dem Land“ berufen, sie einfordern. Das eingängige Ziel „Verdopplung bis 2030“ sollten wir dabei im Gespräch halten, zumal dies die Ampel bei der Bahn ja will – warum sollte der ÖPNV dahinter zurückfallen?

Das Kapitel „Infrastruktur“ ist insgesamt enttäuschend, zumal eine schnelle Steigerung der Investitionsmittel angesichts der bekannten Schwäche der Bahn, diese Mittel abzurufen [6], zumindest fraglich ist. Doch immerhin soll es einen Dialogprozess mit Verkehrs-, Umwelt-, Wirtschafts- und Verbraucherschutzverbänden für einen „neuen Infrastrukturkonsens“ geben. Leider wird dieser parallel zur laufenden Bedarfsplanüberprüfung und weiter mit falscher Methodik [7] aufgesetzt. Dennoch besteht hier eine kleine Chance für die Abkehr vom weiteren ungehemmten Straßenbau.

Wo die Ampel rot blinkt

Trotz einiger Lichtblicke, muss konstatiert werden, dass Klimaschutz im Verkehr ein Totalausfall ist. Dass die Ampel die Bahn nicht zerschlagen will – dieser Verzicht auf eine schlechte Maßnahme – verdient kein Lob. Klare Aussagen zum Wettbewerb auf der Schiene fehlen, dass der bei dem Minister allerdings nicht weniger werden wird, ist absehbar. Im Nahverkehr setzen FDP und Grüne auf private Angebote „neuer Mobilitätsdienstleister“ a la MOIA und UBER. ÖPNV und Taxen droht noch mehr Konkurrenz – zu Lasten der Beschäftigten. Dass Tarifverträge bei Ausschreibungen im ÖPNV künftig zur Bedingung gemacht werden können, klingt gut. Aber die weitergehende Forderung von ver.di, dass Beschäftigte zu den bestehenden Arbeits- und Sozialbedingungen weiterarbeiten können, wenn der Betreiber wechselt, fehlt. Aus sozialer Sicht ist der Koalitionsvertrag also keinesfalls ein Fortschritt, im Gegenteil: Es ist eher mit mehr Wettbewerb und mehr Druck auf die Beschäftigten zu rechnen.

Das Kapitel zur Beschleunigung von Planungsverfahren halte ich für fatal und einen umweltpolitischen Offenbarungseid der Grünen. Mit der Absicht, die Verfahrensdauer „mindestens zu halbieren“ droht ein massiver Abbau von Bürgerbeteiligungs- und Klagerechten. Das bedeutet auch dramatische Einschränkungen für Umweltverbände. Begründet wird das mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Stromnetze – gelten würde es aber auch für den Straßenbau.

Nicht auf freie Fahrt warten

Eine bessere Verkehrspolitik wird überwiegend nur gegen, nicht mit dem Ministerium möglich sein. Hier kommt es auf die LINKE, aber auch auf die anderen beiden Koalitionsparteien an. Wegen des vagen Koalitionsvertrags, der die meisten Entscheidungen vertagt hat, ist viel und heftiger Streit zwischen den Koalitionären absehbar, quasi vorprogrammiert. Verkehrspolitik kann eines der umstrittensten Themenfelder der Ampel werden. Das ist eine echte Chance für die LINKE, die sie nutzen sollte!

Wie sie diese Oppositionsrolle ausfüllen soll, gilt es zu bestimmen, und dazu gibt es bekanntlich verschiedene Ansichten. Der oft bemühte Satz, die LINKE dürfe nicht grüner sein als die Grünen, trifft ins Leere. Der Aktionsplan Klimaschutz [8] der Linksfraktion zielt – anders als die Grünen – darauf, das Soziale mit dem Ökologischen zu vereinen. Die LINKE will einen anspruchsvollen und sozial gerechten Klimaschutz. Aber nur aus dieser Position heraus, nur wenn die eigenen Klimaschutz-Maßnahmen an der epochalen Krise und an den Notwendigkeiten zu ihrer Bewältigung orientiert sind, kann die LINKE den Grünen Klimaschutz glaubwürdig als unsozial kritisieren.

In der letzten Wahl hat die Partei an SPD und Grüne etwa gleich viel verloren. Beide gilt es zurückzugewinnen und vielen Wähler*innen ist zudem beides wichtig: das Soziale und der Klima- und Umweltschutz. Der Gründungsmythos der Partei ist, dass die SPD nicht (mehr) die soziale Partei ist, es die LINKE braucht. Aber auch die Grünen sind schon lange nicht mehr die Partei des Klimaschutzes, was sie mit diesem Vertrag einmal mehr ‚beweisen’. Also braucht es im politischen Raum ebenso ein ökologisches wie ein soziales Korrektiv für diese Regierung. Es stünde der LINKEN extrem schlecht zu Gesicht, Seit an Seit mit Union und AfD auf die – zudem noch unzureichenden – Klimaschutzmaßnahmen der Ampel „einzudreschen“.

Vor diesem Hintergrund bestehen Handlungsoptionen in dreierlei Hinsicht:

  1. Dort, wo der Koalitionsvertrag zumindest ein kleines Fenster in Richtung LINKER Vorstellungen eröffnet, sollte die Partei diese einbringen;
  2. Wo Vertrag und Minister Schlimmes befürchten lassen, muss die LINKE wie bisher eine wachsame Opposition sein;
  3. Wo LINKE Schwerpunkte weder im Guten noch im Schlechten von der Koalition angegangen werden, muss die Partei diese proaktiv voranbringen.

Zentral wird es sein, in den genannten Feldern Allianzen mit unseren Verbündeten aus Bewegungen, Gewerkschaften, Sozial- und Umweltverbänden zu suchen.

Vorfahrt links!

Es ist absehbar, dass die Ampel im Klimaschutz nachbessern muss. Die Klimalatte wird gerissen werden. Möglicherweise hoffen auch die Grünen darauf, dass sie die Koalitionspartner beim Verfehlen der Klimaschutzziele zu schärferen Maßnahmen zwingen können. Darauf sollte die LINKE mit besseren Vorschlägen vorbereitet sein.

Die Rolle der LINKEN wird es von Beginn der Legislatur an sein, immer wieder darauf hinzuweisen, dass Gutverdiener*innen deutlich überproportional zum Klimawandel beitragen und die Klimaschutz-Maßnahmen entsprechend zielgerichtet und sozial sein müssen. Ein höherer Benzinpreis beispielsweise reduziert nur die Fahrten ärmerer, nicht die reicherer Menschen. Letztere tragen jedoch mit größeren Autos sowie mit häufigeren und längeren Fahrten deutlich mehr zur CO2-Bilanz bei.

DIE LINKE ist die Partei, die sich für Mobilitätsgerechtigkeit einsetzt, die Mobilität für alle ohne Auto gewährleisten und lebenswerte Städte und Dörfer schaffen will. Sie ist die Partei, die mit ihren Klimaschutzmaßnahmen vor allem die Reichen in die Verantwortung und die Beschäftigten beim Wandel mitnimmt, die neue, gut bezahlte, tarifgebundene Jobs schafft und dem Dumpingwettbewerb einen Riegel vorschiebt. Sie ist aber auch die Partei, die den Mut hat, ihren eigenen Wähler*innen zu sagen, dass der Klimawandel eine so große Aufgabe ist, dass die meisten von uns ihr Verhalten ändern müssen – die dabei aber niemanden im Regen stehen lässt, sondern sie oder ihn mit dem Bus abholt.