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UNASUR: Ansätze zur zivilen Konfliktlösung

Von María Díaz

Die jüngere politische Dynamik Lateinamerikas lässt sich auch anhand der Logiken von Integration und Desintegration beschreiben. Von Norden aus versuchen die USA und Kanada seit vielen Jahren, Freihandelsverträge mit den Ländern Lateinamerikas abzuschließen, um Zugang zu zusätzlichen Absatzmärkten für ihre hoch technisierten Produkte zu erlangen. Gleichzeitig dominierten sie die im Geist der Truman-Doktrin gegründeten Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und verhinderten eine selbstständige politische Entwicklung der Region. Mit den Wahlerfolgen linker Parteien und Bewegungen in zahlreichen Ländern Süd- und Mittelamerikas konnte diese tendenzielle Desintegration ab 1998 teilweise gestoppt werden. Einen spektakulären Bruch mit der bis dahin vorherrschenden Logik bedeutete das Scheitern der seit 1991 vorbereiteten Amerikanischen Freihandelszone (FTAA). Nach den Vorstellungen Kanadas und der USA sollten damit alle 800 Millionen Bürgerinnen und Bürger in den 34 Staaten des Kontinents, das heißt in allen Staaten, mit Ausnahme von Kuba, in einem gemeinsamen Markt für nordamerikanische Produkte erreichbar werden, gleichzeitig sollte aber mithilfe von Patenten und Maßnahmen zum »Schutz des geistigen Eigentums« der Know-how-Transfer in den Süden blockiert werden.

Evo Morales bezeichnete die Inhalte des geplanten Vertrags als ein »Herrschaftsinstrument und Ökonomizid zur Vernichtung unserer Landwirtschaft«. Für die Indigenen, so der spätere Präsident Boliviens, begann die FTAA im Jahr 1492 mit der spanischen Invasion, die jetzt mit dem neoliberalen Wirtschaftsmodell noch vertieft werden soll.[1] Die sozialen Bewegungen Lateinamerikas und die Präsidenten der Länder Venezuela, Brasilien und Argentinien verwandelten die abschließenden multilateralen Beratungen in Mar del Plata (Argentinien) im November 2005 zu einer selbstbewussten Demonstration gegen das Imperium. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez kündigte bei seiner Ankunft an, er sei mit einer Schaufel angereist, um die FTAA zu beerdigen. Später hielt er seine berühmte Rede, bei der er unter Verweis auf Rosa Luxemburg – Sozialismus oder Barbarei – ankündigte, einen Sozialismus des 21. Jahrhunderts aufzubauen. »Wir müssen nicht nur die Bestatter der FTAA sein, sondern die Totengräber des neoliberalen kapitalistischen Modells, mit dem Washington unsere Völker schon so lange bedroht.«

Zu diesem Zeitpunkt hatten Kuba und Venezuela bereits die Bolivarianische Allianz für Amerika (ALBA) gegründet, die einen direkten politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Austausch zwischen den Mitgliedsländern ermöglicht. Die südamerikanischen Staaten verfügten über den Gemeinsamen Markt Südamerikas (MERCOSUR), um Güter und Dienstleistungen innerhalb des Subkontinents auszutauschen. Gemeinsam mit der Andengemeinschaft fanden bereits seit dem Jahr 2003 Vorgespräche über ein politisches Bündnis der Staaten Südamerikas statt. Diese Tendenzen gegen eine nordamerikanische Hegemonie mündeten schließlich im Mai 2008 in der Gründung der Unión de Naciones Suramericanas (UNASUR).

Das Ziel des neuen Staatenbundes ist eine umfassende Integration des Subkontinents. Die UNASUR wendete sich auf multilateraler Ebene schrittweise den durch nationale Regierungen vertretenen Kernbelangen zu. Im ersten Jahr waren dies die Arbeitsbereiche Verteidigung, Energie- und Gesundheitspolitik. Später kamen ständige Arbeitsgruppen für die Entwicklung von Infrastruktur, soziale Entwicklung sowie Bildung und Kultur hinzu.

Die Struktur des UNASUR

Mit der UNASUR verfügen zwölf südamerikanische Länder über einen gemeinsamen Staats- und Regierungsrat. Der Vorsitz des Gremiums rotiert unter den beteiligten Ländern im Jahresrhythmus. Die UNASUR untersteht einem Südamerikanischen Parlament mit Sitz in Cochabamba, Bolivien, dessen 99 Vertreterinnen und Vertreter größtenteils in den jeweiligen nationalen Wahlen bestimmt werden. Zentrale Instrumente für eine wirtschaftliche Integration sind die Entwicklungsbank Banco del Sur und die geplante gemeinsame Währung. Das wichtigste operative Gremium ist der Rat der Außenministerinnen und Außenminister.

Obwohl alle Mitgliedsstaaten und ihre Regierungen dem Projekt einer südamerikanischen Integration grundsätzlich zustimmen, unterscheiden sich die national jeweils dominanten Vorstellungen teilweise sehr deutlich. Dies kommt etwa darin zum Ausdruck, dass sich die kleine Gruppe der neoliberal regierten Länder, Kolumbien, Peru und zeitweise Chile, inzwischen auch der Pazifik-Allianz angeschlossen hat. In diesem Rahmen versuchen die USA und Kanada seit dem Scheitern der FTAA die wirtschaftliche Desintegration Lateinamerikas auf bilateralem Weg zu erreichen.

Zudem unterscheiden sich die links und linksliberal regierten Länder hinsichtlich ihres sozial- und wirtschaftspolitischen Handlungsrahmens. Auf der einen Seite stehen Länder, die über verfassungsgebende Prozesse einen institutionellen Wandel hin zu einer Alternative zum neoliberalen Kapitalismus vertieften. Bolivien, Ecuador und Venezuela begleichen die ›historischen Schulden‹ bei den bisher ausgeschlossenen Bevölkerungsgruppen über eine neue Wirtschafts- und Sozialpolitik. Davon zu unterscheiden sind Länder, in denen zwar linke Parteien den Präsidenten beziehungsweise die Präsidentin stellen, in denen die Interessen der historischen Eliten aber durch tradierte institutionelle Strukturen wie etwa die Zweikammersysteme weiterhin gewährleistet werden. Zu diesen Ländern zählen Brasilien, Uruguay, Argentinien und seit dem Wahlsieg des Mitte-links-Bündnisses Nueva Mayoría (Neue Mehrheit ) im November 2013 auch Chile.

Aktuelle Konflikte in Südamerika

Da die grundsätzlichen Interessenswidersprüche, etwa zwischen Landbevölkerung und Großgrundbesitzern, zwischen Arbeitern und Kapitalbesitzern, aber auch zwischen binnen- und exportorientierten wirtschaftlichen Gruppen innerhalb der Mitgliedsländer unvermindert fortbestehen, musste das neue Gremium UNASUR seit seiner Gründung zahlreiche innenpolitische und zwischenstaatliche Krisen moderieren. Bis Dezember 2014 griff das Bündnis in acht Konflikte ein.

Nur in einem Fall, der Behauptung des ehemaligen kolumbianischen Präsidenten Àlvaro Uribe, Venezuela würde bewaffnete Oppositionsgruppen in seinem Land unterstützen, handelte es sich um einen bilateralen Konflikt, der unter Mitwirkung der UNASUR beigelegt werden konnte. Ein weiterer zwischenstaatlicher Streitfall betraf eine Abmachung zwischen Kolumbien und den USA. Beide Länder hatten im Jahr 2009 eine Abmachung getroffen, dass US-Streitkräfte sieben Militärbasen in Kolumbien nutzen können. Die Regierungen von Brasilien, Bolivien, Ecuador und Venezuela erbaten von der UNASUR, in der Angelegenheit zu vermitteln. Daraufhin rief die argentinische Präsidentin eine Dringlichkeitssitzung ein, bei der alle zwölf Präsidenten anwesend waren und in einem achtstündigen Gespräch mit Àlvaro Uribe dessen Motivation diskutierten, ausländische Streitkräfte auf südamerikanischen Boden zu stationieren. Die kolumbianische Regierung zog sich jedoch auf ihr Recht zurück, bilaterale Vereinbarungen mit anderen Ländern treffen zu können. Zwar verabschiedete die UNASUR ein gemeinsames Dokument, das die Absicht aller Mitgliedsstaaten festhielt, zivile politische Lösungen anzustreben. Der Versuch, eine Stationierung von US-Streitkräften in Südamerika zu verhindern, scheiterte jedoch an der unnachgiebigen Haltung Kolumbiens.

In allen weiteren Konfliktfällen vermittelte die UNASUR in innenpolitischen Krisen. Bei der Absicherung gegen »leise Staatsstreiche« (Maurice Lemoine)[2] erwies sich das Bündnis als ein relativ wirkungsvolles Instrument. Die Regierungen der beteiligten Länder reagierten, verglichen mit anderen multilateralen Organisationen, extrem schnell auf innenpolitische Krisen in ihren Mitgliedsländern und traten dabei nach außen geschlossen auf. Zudem sind solche außerordentlichen Initiativen hochrangig besetzt. In der Regel finden sich zumindest die Außenminister, wenn nicht die Präsidentinnen und Präsidenten aller Länder im Konfliktgebiet ein, was den Initiativen der UNASUR gegenüber den nationalen Konfliktparteien unmittelbares Gewicht verleiht.

Insofern stellt das Bündnis einen Mechanismus dar, der in der Lage ist, Konflikte in der Region seinen Grundsätzen entsprechend zu regeln. Dazu gehören der Respekt aller Parteien vor den demokratischen Institutionen sowie die Verpflichtung zum gewaltfreien Umgang. Dass dies in der Region keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt nicht nur die Historie, sondern auch das Vorgehen der alten Eliten und Teilen der alten Staatsapparate in den aktuellen Konflikten. Die Bedingung für dieses entschlossene multilaterale Handeln besteht jedoch in einer strukturellen Mehrheit aus linken und linksliberalen Regierungen. Sobald diese Mehrheit sich als nicht ausreichend handlungsfähig erweist, bestimmen Kompromisse das Feld, die wie im Fall von Paraguay die nachträgliche Legalisierung einer extralegalen Machtergreifung ermöglichen.

Der Putsch in Honduras

Schon nach einem Jahr engagierte sich die UNASUR als externer Akteur in einem innenpolitischen Konflikt in einem Nachbarland, beim Putsch in Honduras im Juni 2009. Der gewählte Präsident des Landes, José Manuel Zelaya, vom linken Flügel der Liberalen Partei hatte versucht, das mittelamerikanische Land stärker an das Regionalbündnis ALBA heranzuführen, und hatte tiefgreifende soziale und politische Reformen angekündigt. Daraufhin wurde er vom Militär, vom Obersten Gerichtshof und von der Mehrheit der Abgeordneten entmachtet und außer Landes verbracht. Auf ihrer dritten Tagung in Quito verurteilte die UNASUR die Vorgänge als widerrechtlich und kündigte an, die Putschregierung unter Roberto Micheletti nicht anzuerkennen. Im Gegensatz dazu akzeptierten die Länder des globalen Nordens, unter anderem Kanada, die USA und Spanien, die pseudolegale Argumentation der Putschisten.

Die in UNASUR organisierten Staats- und Regierungschefs, an besonders disponierter Position die Chilenin Michelle Bachelet, begleiteten hingegen den gestürzten Präsidenten Manuel Zelaya sowie die sozialen Bewegungen und linken Parteien in Honduras in ihrem Widerstand gegen den Umsturz. Aus der Perspektive der südamerikanischen Länder boten die Vorgänge einen Präzedenzfall dafür, dass die alten politischen Eliten und Teile des Sicherheitsapparates eine gewählte linke Regierung stürzen können, indem sie mithilfe ihrer politischen und medialen Macht zunächst ein gesellschaftliches Konfliktthema außerordentlich polarisieren, um im entscheidenden Augenblick eine gewaltsame Entscheidung herbeizuführen, die nur notdürftig rechtlich bemäntelt wird.

Diese Strategie der parlamentarischen und außerparlamentarischen Mobilisierung von konservativer Seite hatte sich erstmals beim versuchten Umsturz in Venezuela im April 2002 gezeigt. Dort hatte multilaterales Handeln, namentlich von Kuba, Mexiko und Brasilien, dazu beigetragen, den Umsturz schließlich zu vereiteln. Dass dies in Honduras nicht gelang, kann auf äußere Umstände zurückgeführt werden. Zum einen war das mittelamerikanische Land nicht Teil des Bündnisses und somit nicht an seine Abmachungen gebunden. Zweitens verfolgte Präsident Manuel Zelaya kein eigenes politisches Projekt außerhalb der Liberalen Partei, sodass die sozialen Bewegungen über keinerlei parlamentarische Repräsentation verfügten. Das ermöglichte den Eliten gerade auf internationaler Ebene einen großen Handlungsspielraum. Drittens wurden sie genau auf dieser Ebene von den USA, von Kanada und den europäischen Staaten in ihrem Vorgehen unterstützt.

Außerparlamentarische Mobilisierungen der alten Eliten

Wenige Monate später erreichte die UNASUR die nächste Bitte um eine Vermittlung in einem innenpolitischen Konflikt. In Bolivien stieß der verfassungsgebende Prozess ab 2007 auf energischen Widerstand in den Reihen der alten Elite, die politisch vor allem von den Gouverneuren im Tiefland repräsentiert wird, wo zudem ein großer Teil des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet wird. Die konservative Opposition initiierte unter Anwendung direktdemokratischer Regeln der neuen Verfassung zunächst ein Referendum, um den Präsidenten und die Gouverneure der Bundesstaaten durch die Bevölkerung abberufen zu lassen. Nachdem sie mit dieser legalen Initiative gescheitert war, setzte sie auf die gewalttätige Mobilisierung ihrer Basis in den von ihr regierten Bundesstaaten des Medialuna Oriental, die ausdrücklich die Abspaltung der wirtschaftlich wichtigen Region zum Ziel hatte.

Die Bundesregierung ging davon aus, dass die Opposition einen Umsturz vorbereitete, indem sie durch Straßenblockaden, Angriffe auf öffentliche Gebäude und politische Gegner Unruhen provozierte. Tatsächlich kam es im September 2008 im Bundesstaat Pando zu einem Massaker von Anhängern der Opposition an Unterstützern der linken Regierung sowie zu Bombenanschlägen auf die dortige Gaspipeline. Präsident Evo Morales verhängte einen regionalen Ausnahmezustand und verwies den Botschafter der USA des Landes, dem er vorwarf, die Opposition zu unterstützen. Zudem bat er die UNASUR um Vermittlung. Die chilenische Präsidentin Michelle Bachelet rief als UNASUR-Präsidentin innerhalb von 24 Stunden eine Dringlichkeitssitzung in Santiago ein, zu der alle zwölf Staatschefs erschienen. In einer gemeinsamen Erklärung verwiesen sie auf die Legitimität der Regierung Morales und betonten, dass die südamerikanischen Staaten „keinerlei Situation anerkennen werden, die staatliche Institutionen beschädigt oder sezessionistische Absichten verstärkt“. Zudem richtete die Staatengemeinschaft eine Untersuchungskommission ein, deren Ziel es war, eine Straflosigkeit im Falle des Massakers von Pando zu verhindern. Diese reiste innerhalb weniger Tage nach Bolivien und legte bereits wenige Wochen später ihren Abschlussbericht vor. Boliviens Vizepräsident Álvaro García Linera führte die schnelle Beilegung des Konflikts darauf zurück,[3] dass die UNASUR der Opposition sehr schnell ihre internationale Isolation verdeutlichte.

Ein vergleichbares Szenario trat im folgenden Jahr in Ecuador ein. Ende September 2010 kam es zu Protestaktionen der Bundespolizei. Einen Hintergrund für die Vorgänge bildete die Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen in den vergangenen 25 Jahren. Insgesamt kam es in diesem Zusammenhang zu mehr als 500 Disziplinarverfahren, in denen mehr als 1500 Fälle von Amtsmissbrauch verfolgt wurden. Im September diskutierte das Parlament außerdem eine neue Besoldungsstruktur, die allerdings die Realeinkommen angehoben hätte. Was zunächst wie ein normaler Arbeitskonflikt wirkte, eskalierte überraschend zu einer lebensbedrohlichen Situation für Präsident Rafael Correa. Der ecuadorianische Präsident hatte die Tragweite der Unruhen offensichtlich stark unterschätzt, als er sich zu persönlichen Verhandlungen begab. Teile der Opposition besetzten im Verlauf des Tages das Gebäude des Parlaments, aufständische Soldaten blockierten den Flughafen und besetzten die Luftwaffenbasis Tacunga. Auch in der Stadt Guayaquil wurden der Hafen und der Flughafen besetzt. Rafael Correa musste sich vor äußerst aggressiven und bewaffneten Angehörigen der Policia Nacional in ein Polizeikrankenhaus flüchten. Bei dem Versuch, ihn aus dieser Lage zu befreien, starben schließlich zehn Menschen, darunter auch Soldaten, die versuchten, ihn zu schützen. Insgesamt wurden 300 Personen verletzt, größtenteils durch Schusswaffen.

Aufgrund der Nachrichtenlage berief der damalige Generalsekretär der UNASUR, der argentinische Präsident Nestor Kirchner, selbstständig eine Dringlichkeitssitzung des Rates ein. Das Gremium verabschiedete noch am selben Tag eine Erklärung, in der es die Vorgänge als »Putschversuch« verurteilte und energisch gegen die »Entführung« von Rafael Correa protestierte. Bereits am folgenden Tag reiste eine Gruppe aus südamerikanischen Außenministern nach Quito, um sich vor Ort ein eigenes Bild von der Lage zu machen und mit den Konfliktparteien zu verhandeln. Gleichzeitig kündigten sie jedoch an, dass sie dazu beitragen wollten, die Verantwortlichen für den versuchten Umsturz »vor Gericht zu stellen und zu verurteilen«.[4] Wie zuvor in Bolivien dürfte die schnelle, einheitliche und auch eindeutig parteiische Reaktion der UNASUR wesentlich für die Eindämmung des Konflikts gewesen sein.

Beide Vorgänge führten dazu, dass die UNASUR auf ihrer Dringlichkeitssitzung im November 2010 ein Zusatzprotokoll des Bündnisses unter dem Titel »Engagement für Demokratie« verabschiedeten. Darin kündigten sie an, im Falle eines Umsturzes in Südamerika die Grenzen des betreffenden Landes zu schließen und alle Wirtschaftsbeziehungen auszusetzen.

Niederlage der UNASUR in Paraguay

Im Juni 2012 trat dieses Szenario in Paraguay ein. Präsident Fernando Lugo regierte das Land seit August 2008. Damals hatte ein breites Bündnis aus linken Parteien sowie Gewerkschaften und Bauernbewegungen den Befreiungstheologen als Spitzenkandidaten ins Amt gebracht. Seit 1947 hatte die konservative Colorado-Partei das Land beherrscht – die meiste Zeit in Form einer Diktatur unter Alfredo Stroessner. Allerdings erreichte die Alianza Patriótica para el Cambio (APC) nicht die absolute Mehrheit in den beiden Kammern des Parlaments, sodass Fernando Lugo in einer Koalition mit der wirtschaftsliberalen Radical Liberal Auténtico regieren musste.

Dies führte dazu, dass ein tranformatorisches Projekt effektiv blockiert wurde. Die Regierung Lugo erreichte, auch wegen ihres eingeschränkten parlamentarischen Spielraums, nur punktuelle Verbesserungen für ihre eigene Basis. Insbesondere scheiterte sie an der zentralen Forderung nach einer Landreform in einem Land, das stärker als alle anderen südamerikanischen Staaten von den Interessen des Großgrundbesitzes geprägt ist. Vor diesem Hintergrund sind auch die Zusammenstöße zwischen Landbesetzern und der Polizei am 15. Juni 2012 an der Grenze zu Brasilien zu sehen. Während der Räumung kam es zu einer Schießerei, die bis heute nicht juristisch aufgeklärt ist. Nach Angaben der Landbesetzer feuerten unbekannte Scharfschützen sowohl auf die Polizisten als auch auf die Bauernaktivisten. Insgesamt 17 Personen starben, sechs Polizisten und elf Aktivisten.

Daraufhin forderte die rechte Opposition den Rücktritt des Präsidenten. Daraufhin forderte die rechte Opposition den Rücktritt des Präsidenten. Als dieser sich weigerte, löste setzte der Senat am 23. Juni mit den Stimmen des kleineren Koalitionspartners Radical Liberal Auténtico die Amtsenthebung Lugos durch. Allerdings verstieß dieses Schnellverfahren gegen verschiedene Aspekte der paraguayischen Verfassung. So erhielt der Präsident keine angemessene Möglichkeit zur Verteidigung, weshalb verschiedene Beobachter im In- und Ausland von einem »legalen Putsch« sprachen. Bereits am Tag zuvor, als sich abzeichnete, dass sich die innenpolitische Krise zuspitzte, trafen sämtliche Außenminister der UNASUR-Staaten sowie ihr amtierender Generalsekretär, Alí Rodríguez Araque, in Paraguays Hauptstadt Asunción ein. Diese extrem schnelle Reaktion der Staatengemeinschaft wurde dadurch begünstigt, dass alle lateinamerikanischen Regierungen auf dem zeitgleich stattfindenden Klimagipfel im benachbarten Rio de Janeiro zusammengetroffen waren. In Namen der UNASUR erklärte Alí Rodríguez Araque, dass die UNASUR die Ablösung von Präsident Lugo als illegitim erachte und entsprechende Maßnahmen ergreifen werde. Am 30. Juni schlossen sowohl die UNASUR als auch der MERCOSUR Paraguay solange aus, wie das Land nicht von einer demokratisch gewählten Regierung geleitet wird.

Allerdings konnte sich die UNASUR nicht dazu durchringen, wie im Protokoll über den Schutz der Demokratie vorgesehen, auch Wirtschaftssanktionen und eine Handelsblockade gegen die De-facto-Regierung unter dem ehemaligen Vizepräsidenten Federico Franco zu verhängen. Während die ALBA-Staaten Ecuador, Venezuela und Bolivien darauf drangen, dass das gesamte Protokoll zur Anwendung kommt, waren es nicht nur konservativ regierte Länder wie Kolumbien, Peru und Chile, die eine solche Maßnahme blockierten. Auch Argentinien und Brasilien, beides Nachbarstaaten von Paraguay mit vielfältigen außenwirtschaftlichen Verflechtungen, sprachen sich dagegen aus.

Im Ergebnis konnte die politische und wirtschaftliche Elite Paraguays die Situation trotz der Maßnahmen der UNASUR bis zu den kommenden Wahlen aussitzen. Auf ähnliche Weise hatte schon der Putsch in Honduras langfristig zu einem Erfolg der konservativen Kräfte geführt. Dazu trug auch bei, dass es den linken Parteien und sozialen Bewegungen in Paraguay nicht gelang, ihr politisches Projekt zu konsolidieren. Hier trat in besonders ausgeprägter Form das Problem auf, dass sich die Basis einer linken Regierung, bedingt durch hohe Erwartungen auf der einen Seite und einen eingeschränkten Handlungsspielraum auf der anderen, im Verlauf der Regierungsperiode von ihren Repräsentanten entfernte.

Gemischte Bilanz

In der Bilanz zeigt sich der Staatenbund bei den innenpolitischen Konflikten als besonders effektiv, in denen die alten Eliten auf eine außerparlamentarische und extralegale Mobilisierung setzen. Dies hat besonders deshalb internationale Bedeutung, weil sich diese Aufstände der „Rechten im Look der Linken“ (Raúl Zibechi)[5] inzwischen zu einem Standardinstrument in der Außenpolitik und im Klassenkampf von oben entwickelt haben, wie auch die jüngsten Vorgänge in Thailand oder in der Ukraine illustrieren. Der Versuch einer zivilen Konfliktlösung stieß dort an seine Grenzen, wo internationale Abmachungen, etwa zwischen den USA und Kolumbien, betroffen waren beziehungsweise das Konfliktgebiet, wie in Honduras, überhaupt außerhalb des Bündnisrahmens lag. Zudem zeigen die Fälle Honduras und Paraguay deutlich, dass eine internationale Vermittlung nur dann erfolgreich verlaufen kann, wenn die innenpolitischen Kräfteverhältnisse dies zulassen. Im Fall der Regierung Lugo in Paraguay, die sich weder auf eine ausreichende Unterstützung außerparlamentarischer Bewegungen verlassen konnte noch eine hinreichende parlamentarische Basis aufwies, scheiterte der Vermittlungsversuch ebenso wie im Fall von Honduras, wo die sozialen Bewegungen zwar vergleichsweise stark waren, aber keine parlamentarische Vertretung vorhanden war.

Anmerkungen

[1] Morales, Evo, 2002: No al colonialismo del ALCA, in: Adital, 5.11.2002, www.adital.com [1].br/site/noticia2.asp?lang=ES&cod=4238
[2] Lemoine, Maurice, 2014: En Amérique latine, l’ère des coups d’Etat en douce, in: Le Monde Diplomatique, August 2014, S. 1, 16 u. 17
[3] García Linera, Álvaro, 2008: Cómo se derrotó el golpismo cívico – prefectural. Encuentro Internacional de solidaridad con Bolivia, Santa Cruz
[4] La Tercera, 2010: UNASUR condena intento de golpe en Ecuador y adopta Protocolo Democrático, 1.10.2010, www.latercera.com/noticia/mundo/2010/10/678-295734-9-unasur- [2] condena-intento-de-golpe-en-ecuador-y-adopt a-protocolo-democratico.shtml
[5] Zibechi, Raúl, 2014: Derechas con look de izquierda, in: Alai, 7.3.2014, alainet.org/active/71859 [3]