| Umkämpftes Eigentum in der DDR

September 2011  Druckansicht
Von Jörg Roesler

In der Sowjetisch Besetzten Zone (SBZ) wurde bereits im zweiten Halbjahr 1945 die Transformation des Eigentums eingeleitet. Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) konnte sich dabei prinzipiell auf den Konsens der Alliierten stützen. Im September 1945 begann die Bodenreform: Betriebe mit mehr als 100 Hektar Fläche wurden ohne Entschädigung enteignet. Die Bodenreform betraf ein Drittel der land- und forstwirtschaftlich genutzten Fläche, der private Großgrundbesitz hörte auf zu existieren. Die Reform wurde von der SMAD und KPD-Führung gegen Bedenken innerhalb der Partei und der SPD betrieben, die sie für überstürzt hielten (vor der Ernte) und kritisierten, sie führe zu unökonomisch kleinen (5-Hektar-) Parzellen, ohne ein genossenschaftliches Konzept.

Die Transformation industriellen Eigentums begann im Oktober 1945 mit der Beschlagnahme von Konzernbetrieben und Nazi-Unternehmen. Mit Ausnahme einer Reihe von Großbetrieben, die im Rahmen von Reparationsleistungen zeitweilig sowjetisches Eigentum wurden, überließ der SMAD den Besitz den Ländern der SBZ. Am 30. Juni 1946 stimmten im größten Industrieland der SBZ 82,4 Prozent der zur Stimmabgabe aufgerufenen Sachsen für die »Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes«. Der sächsischen Mehrheitsentscheidung folgten entsprechende Verordnungen in den vier anderen Ländern der SBZ. Auf Drängen von SMAD und SED – gegen CDU und LDPD – wurden die Enteignungskriterien weit ausgelegt: sämtliche Konzernbetriebe mitsamt Tochtergesellschaften, Zweigniederlassungen und allen Beteiligungen, ganze Zweige (Bergbau), auch ohne Rücksicht auf die politische Vergangenheit der privaten Eigentümer, wurden verstaatlicht. Nach Abschluss dieses Enteignungsprozesses entfiel im April 1948 je 39 Prozent der industriellen Bruttoproduktion auf Volkseigentum und Privatbetriebe, 22 Prozent auf Firmen sowjetischen Eigentums. Letztere wurden bis Ende 1953 schrittweise in VEB umgewandelt.

Für die Schaffung von Volkseigentum hatte es nach 1945 auch Initiativen von unten gegeben. In eindeutigen Fällen jagten Belegschaften die Nazi-Unternehmer bzw. deren Betriebsleiter davon. Erst ab 1950 wurde die gemeinsame Leitung der Unternehmen durch Betriebsrat, Betriebsgewerkschaftsleitung und Werkleiter von der »Einzelleitung« durch den »staatlichen Leiter« abgelöst.

Zwischen 1950 und 1955 sank der Anteil der überwiegend Konsumgüter produzierenden Privatbetriebe an der Industrie von 22,1% auf 15,4%, überwiegend im Ergebnis »kalter Enteignungen« nach der Feststellung von Steuervergehen, die drastisch geahndet wurden. Ab Mitte 1953 ließ die SED von diesem Kurs ab. Seit 1956 bzw. 1959 wurden die verbliebenen privaten Unternehmen mittels Steuervergünstigungen und Besitzstandsgarantien dahin gebracht, staatliche Beteiligungen (BSB) aufzunehmen. In den als Kommanditgesellschaften organisierten gemischtwirtschaftlichen Unternehmen behielt der Privatindustrielle die Initiative. 1959 entfiel bereits die Hälfte der »nichtsozialistischen« Industriebetriebe auf BSB, 1971 arbeiteten 12 Prozent der Industriebeschäftigten in BSB, nur noch 2,3 Prozent in reinen Privatunternehmen. Während der Zeit der Wirtschaftsreform (Ulbrichts »NÖS«, 1964- 1971) wurden BSB und Privatbetriebe (PB) den VEB, mit denen sie in »Erzeugnisgruppen« gemeinsam produzierten, gleichgestellt. Honecker verstaatlichte 1972 die verbleibenden BSB und PB gegen Entschädigung, was mittelfristig die Reduzierung der Vielfalt des Konsumgüterangebots nach sich zog.

1952 beschloss die SED die Bildung von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG). Genossenschaftsgründungen wurden vom Staat z.B. durch Entschuldung der Bauern beim Eintritt in die LPG, günstige Kredite und Zuschüsse für die Vergütung der Mitglieder wirtschaftsschwacher LPG materiell begünstigt. Daneben spielten stets, besonders beim Abschluss der »Vergenossenschaftlichung« auf dem Lande im Frühjahr 1960, Appelle ans »Bewusstsein« und Nötigung eine wesentliche Rolle. Erleichtert wurde den Bauern der Eintritt dadurch, dass sie – anders als im Falle der sowjetischen Kolchosen – ihr Eigentum an Grund und Boden behielten, und sie konnten zwischen LPGs unterschiedlicher kollektiver Bewirtschaftung (Typ I – III) wählen.

In der NÖS konnten die LPG-Mitglieder sich auf der Grundlage »sozialistischer Marktbeziehungen« konsolidieren. Die gewählten Vorstände und Vertretungsorgane auf Republikebene – Bauernkongresse – mussten sich in den 1970er Jahren wiederholt gegen Einmischung aus dem Politbüro wehren, was viel Kraft und Geld kostete. In den 80er Jahren wurde dem Hineinregieren des Staates in die Unternehmen engere Grenzen gesetzt – anders als in der Industrie nach der umfassenden Kombinatsbildung 1980/81, wo der Wirtschaftssekretär des ZK zweimal jährlich die Entscheidungen vorgab. Genossenschaften entstanden ab 1953 auch im Handwerk. Doch noch in den 80er Jahren lag der Anteil des privaten Handwerks an den Handwerksleistungen bei etwa 60 Prozent.

Im Herbst 1989 gerieten die Eigentumsverhältnisse in der DDR in die Diskussion. Die Regierung Modrow und der Runde Tisch befürworteten im Februar 1990 Eigentumspluralismus: Gemeineigentum der volkseigenen Betriebe, Kombinate und Wirtschaftsverbände, genossenschaftliches und privates Eigentum. Letzteres sollte durch die Rücknahme des 1972er-Zwangsaufkaufs, durch »volle Gewerbefreiheit« sowie durch Gründung von Unternehmen mit Beteiligung ausländischer Investoren entstehen. Unter den Fittichen einer Treuhandanstalt sollten die in AGs und GmbHs umzuwandelnden VEB als wirtschaftsdemokratisch geführte Unternehmen ihren Platz in einer »sozial und ökologisch orientierten Marktwirtschaft« finden. Auf neue Eigentumsstrukturen hatten sich Regierung und Runder Tisch im März noch nicht geeinigt, vor allem sollte die Bevölkerung bzw. die betreffenden Belegschaften direkt Anteil am gesellschaftlichen Eigentum haben. Das griff die vielfachen wirtschaftsdemokratischen Aktivitäten in den VEB auf, deren Leiter sich häufig der Vertrauensabstimmung der Belegschaften stellen mussten.

Unter den vielen im Frühjahr 1990 diskutierten Vorschlägen zur Eigentumsumwandlung war das »Sömmerdaer Modell«. Betriebsleitung, Betriebsräten und Belegschaft des Thüringer Büromaschinenwerkes Sömmerda (BWS) haben es als Muster entwickelt: Es sah die Umwandlung des BWS in eine AG vor, deren Aktien zu 75 Prozent an die Belegschaft übergehen und zu 25 Prozent an Investoren verkauft werden sollten. Eine Klausel garantierte, dass eine Mehrheit der Arbeitnehmervertreter auch gesichert blieb, falls Belegschaftsmitglieder ihre Aktien weiter verkaufen würden.

Die Regierung de Maizière verbot Vertrauensabstimmungen und versprach eine rasche Privatisierung. Die Treuhandanstalt (THA), unter Modrow zum »Schutz des Volkseigentums« geschaffen, wurde in eine reine Privatisierungsbehörde verwandelt, die unter Aufsicht des Bundesfinanzministeriums gestellt wurde. Dessen Chef, Theo Waigel, lehnte jegliche »gemeinwirtschaftliche Beteiligungen« der Belegschaften ab und erteilte Vorstellungen von einer »gemischten Wirtschaft« in Ostdeutschland generell eine Absage. Der neoliberale Kurs, auf den die Bundesrepublik unter der Regierung Kohl 1982 eingeschwenkt war und der dort in den 80er Jahren zur Privatisierung der Bundesanteile an Staatsbetrieben (z.B. Salzgitter AG, Lufthansa) geführt hatte, war auch in den neuen Bundesländern Programm.

Die THA (1990-1994) setzte auf rasche Privatisierung der VEB, selbst unter Verzicht auf marktwirtschaftlich übliche Privatisierungsformen zur Ermittlung des optimalen Angebots wie z.B. durch öffentliche Ausschreibungen. Die Privatisierung von Filetstücken der Kombinate an ausgewählte bundesdeutsche Konzerne gleicher Branche öffnete »Konkurrenzdemontagen« und der Umwandlung der Ostbetriebe in »verlängerte Werkbänke« Tür und Tor. Eine im Treuhandgesetz vom Mai 1990 vorgesehenes Mitspracherecht von Belegschaftsvertretern bei der Privatisierung »ihrer« Unternehmen (über so genannte Branchen-AGs der THA) wurde durch die THA-Leitung unter Missachtung der gesetzlichen Bestimmungen verhindert. Diese Form der Privatisierung trug trotz teilweise heftiger Belegschaftsproteste zur Zerschlagung der gewachsenen Arbeitsteilung in der Region und zur Deindustrialisierung wesentlich bei. In der Landwirtschaft blieben 1990 die Ergebnisse der Bodenreform von 1945 durch sowjetischen Einspruch geschützt. Grund und Boden der Genossenschaften waren Privateigentum geblieben, sie gerieten nicht in die Mühlen der THA. Die Genossenschaftler konnten in eigener Regie die LPG in Agrargenossenschaften nach bundesdeutschem Recht umwandeln und häufig erfolgreich bewirtschaften.