| ÜBER DAS GEMEINSAME, UNIVERSALITÄT UND KOMMUNISMUS

Januar 2011  Druckansicht

Ein Gespräch zwischen Étienne Balibar und Antonio Negri, Auszüge

JR-Art on Manette Street (Foyles), flickr/Nick J Webb

In unterschiedlichen Traditionen linker Philosophie und Gesellschaftsanalyse wird in letzter Zeit um einen Begriff von Kommunismus im Sinne von commune-ism gerungen. Die Frage nach Kommunismus strukturiert auch dieses Gespräch: Wie lässt er sich denken, jenseits von essenzialistischen Konzepten und solchen, die historische Notwendigkeiten von Formationenabfolge postulieren? In der Tradition von Postoperaismus und Althusser etwa wird auf die selben Namen Bezug genommen: Marx’ Kritik der politischen Ökonomie, Spinozas Ontologie und eine Kritik am hegelianischen Historizismus. Gleichwohl unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer Vorstellungen von commune-ism. Wir wollen Gemeinsamkeiten und produktive Divergenzen beider Traditionen untersuchen.

Étienne Balibar Die gegenwärtige Krise, falls sie wirklich das ist, was sie scheint – nämlich eine tiefe Krise, eine globale Krise, eine Krise nicht nur bestimmter ökonomischer Mechanismen, sondern eine Zivilisationskrise einschließlich unserer Weltordnung –, zwingt dazu, die politischen und theoretischen Kategorien, mit denen wir in der letzten Periode gearbeitet haben, mehr oder weniger neu zu denken, zu bearbeiten und zu dimensionieren. Das war immer so in ähnlichen historischen Konjunkturen und insbesondere in der dramatischen Geschichte des Marxismus als theoretischem und politischem Projekt aufgegriffen worden. Jedes Mal bedeutete es, wie Althusser es ausdrückte, nicht nur über die Konjunktur nachzudenken – mittels möglichst intelligenter Anwendung und Umsetzung bereits existierender Kategorien –, sondern auch innerhalb der Konjunktur, unter den Zwangsbedingungen der Konjunktur zu denken. Wir müssen insbesondere die strategischen Dimensionen der Krise bestimmen. Selbstverständlich hat jeder von uns Vermutungen und Hypothesen dazu, aber sicher ist nichts. Folglich wird alles, was wir über Alternativen, selbst alternative Sprechweisen, sagen können – sei es basierend auf der Ontologie des Gemeinsamen und der politischen Philosophie der Multitude als globalem revolutionärem Subjekt oder auf einer bestimmten Konzeption von nicht-ausschließender Staatsbürgerschaft und »Demokratisierung der Demokratie«, die ich an die Kategorie der Gleichheit-Freiheit zu knüpfen versuche –, überprüft werden müssen.

Es gibt – und damit kehre ich zu Tonis Positionen zurück – mindestens zwei bedeutende Ideen, die aus meiner Sicht nicht nur hilfreiche Beiträge, sondern entscheidende Elemente unseres Versuchs darstellen, im gegenwärtigen spätkapitalistischen Moment Alternativen zu denken. Ich nenne sie nur, ohne ins Detail zu gehen. Die erste ist seine Idee der »konstituierenden Macht«. Hier verwenden wir wohl leicht unterschiedliche Terminologien, aber im Grunde konvergiert das, was ich mit »Gleichheit-Freiheit« auszudrücken versuche, mit dem, was Toni mit »konstituierender Macht« zu sagen versucht – dies ist auf ein historisches Erbe, eine revolutionäre Tradition zurückzuführen, die wir in groben Zügen teilen. Es hat selbstverständlich mit der Idee zu tun, dass nur Kämpfe zur Transformation ökonomischer oder politischer Institutionen führen können und somit der Motor historischer Veränderungen sind. Wichtig ist hier nicht nur das Primat des Aufrührerischen bzw. Konstituierenden über das Konstituierte, wodurch jedoch nicht die Notwendigkeit von Institutionen und konstituierter Macht bestritten wird. Sondern auch, dass die Materialität des Kampfs immer wieder genau an den Orten auftaucht, wo ein bestimmter etablierter, offizieller Diskurs, der Diskurs des Staates und der herrschenden Klasse, der hegemoniale Diskurs die Existenz dieses Kampfs leugnet und auch uns davon zu überzeugen versucht – entweder weil er eliminiert wurde oder weil er zwangsläufig marginal bleibt. Ausmaß und Grenzen solcher Räume in Geschichte, Kultur und Gesellschaft, wo die konstituierende Macht, die Revolte als treibende Kraft der Geschichte immer wieder auftaucht, sind in der Tat faszinierend. Zumindest auf den ersten Blick sehe ich keine Schwierigkeit darin, dies unter dem Dach der Multitude zusammenzufassen – allerdings nur, wenn die Multitude nicht als existierendes Subjekt angesehen wird, sondern eher als regulative Idee einer möglichen Konvergenz dieser aufständischen Elemente.

Das zweite Element, das ich bei Toni für zentral halte, betrifft seine Überlegungen zu Arbeit und Produktivkraft. Der große Unterschied zwischen uns besteht darin, dass ich mich schon lange von Tonis ontologi scher Vorbedingung des absoluten Primats bzw. der Einzigartigkeit der Produktivkraft als anthropologischer Grundlage für Politik und historische Veränderung verabschiedet habe. Es gibt etliche Dimensionen von Kultur und Gesellschaft, die nicht auf eine Analyse hinsichtlich der Produktivkraft reduziert werden können und die wir einbeziehen müssen, wenn wir etwas von den Kämpfen in unseren Gesellschaften verstehen wollen. Aber Toni hat eine bestimmte enge, vielleicht utilitaristische Auffassung von Arbeit, an der Marx festhielt, geradezu revolutioniert, indem er auf die Bedeutung der Dialektik von materieller und intellektueller Arbeit hingewiesen hat – was sich bei Marx nur am Rande findet – und auf die Rolle, die diese Dialektik beim permanenten Widerspruch zwischen dem individualistischen und dem kooperativen Aspekt von Arbeit spielt; und vor allem, indem er uns daran erinnert hat, dass Arbeit nicht nur intellektuell oder manuell ist, sondern auch eine affektive Dimension hat und deshalb untrennbar mit allen gesellschaftlichen Leidenschaften verknüpft ist, die das Gemeinsame schaffen oder zerstören. Diese zwei Dinge sind absolut unhintergehbar.

Mein Problem liegt in Tonis ontologischem Verständnis all dieser Probleme. So hat er die ontologische Dimension bzw. Einseitigkeit bei der Bestimmung der Menschen als produktive Tiere sogar weiter getrieben, so dass er die eingängige Erzählung fortsetzen kann, wonach der Kommunismus als Endpunkt, als Telos der fortschreitenden Vergesellschaftung der Arbeit erscheint. Er hat dies zu einem Extrem getrieben, das meiner Auffassung nach metaphysisch ist. Ich vermisse hier – das ist die alte althusserianische Position – Raum für Politik. Es kann keine Politik geben, wenn alles immer schon im Vorhinein durch eine ontologische Grundstruktur determiniert ist. Es fehlen die Unsicherheiten der Politik. Es fehlen die Überraschungen der politischen Konflikte oder Krisen, die entweder in den ökonomischen Phänomenen oder in den ideologischen Dimensionen gegenwärtiger Politik ihren Ursprung haben. Wo ist Religion, wo ist Nationalismus, wo sind all die ideologischen Diskurse und Praktiken, die jeder Wendung in diesem historischen Moment auflasten und die ihn überhaupt nicht auf eine einfache Alternative zwischen dem mehr oder weniger unaufhaltsamen Aufstieg des Gemeinsamen als der zukünftigen Dimension von Arbeit und dem »Kommunismus des Kapitals« reduzieren lassen? Eine wunderbar widersprüchliche Formel, die aber nichts über die gegenwärtige Konjunktur aussagt.

Toni Negri Mein Eindruck ist: Wenn wir über Arbeit reden, wie in Empire mit Michael und vielen anderen Genossen, wird die politische Dimension eher gestärkt als reduziert. Sofern Arbeit biopolitisch wird, tauchen Freiheit und Gleichheit im Innern der menschlichen produktiven Tätigkeit auf, sei diese ökonomisch oder politisch. Das Politische ist nicht einfach Superstruktur/Überabau gesellschaftlicher Kooperation. Deshalb wird es durch Werte erneuert, die von denen des Marktes abweichen, sie überschreiten, über ihre Ordnung und ihr Maß hinausgehen.

Um die Frage der Politik zu erweitern, will ich auf die Krise der Souveränität und der Regierung im Besonderen zurückkommen. In dieser Krise wird es möglich, »konstituierende Macht« auszudrücken. Das verlangt, dass  wir die Probleme der kapitalistischen Kultur (ob liberal oder sozialistisch) und globalen Organisation mit Vorschlägen konfrontieren, wie Michael und ich es seit über einem Jahrzehnt getan haben. Wenn das bisher Gesagte irgendeine Bedeutung hat für einen Begriff des Gemeinsamen (common) als eines neuen Gebrauchswerts, der sich der kapitalistischen Herrschaft des Profits und dem kapitalistischen Kommando widersetzt, können wir die gegenwärtige politische Krise als eine verstehen, die im strengen Sinn politisch ist, als eine Krise der Regierung und der Souveränität, der modernen Politik par excellence.

Dann wird klar, dass sich die Regierung radikal verändert hat. Sie geht weniger von der Anordnung einer einheitlichen und gegliederten Entscheidung aus, die vom Gesetz herabsteigt, und mehr von einem dynamischen, pluralistischen und disartikulierten System von Entscheidungen, Verträgen und Konventionen, die zwischen verschiedenen Subjekten zustande kommen. Steuerung (governance) ersetzt mehr und mehr Regierung (government). Nicht nur entledigt sich die Regierung der juridischen Merkmale von Souveränität, sondern Steuerung und Administration entfernen sich auch vom konstitutionellen und/ oder administrativen Recht. Um das klarer zu machen: Es kommt zu diesem Formwandel, weil es überall Überschüsse (surpluses) gibt, die widerständig sind gegen die juridische oder administrative Ordnung, oder in einem Wechselspiel mit ihr stehen. Regierung ist immer diesem Spiel unterworfen. Man kann die Wahlen mit großer Mehrheit gegen seinen Widersacher gewonnen haben, aber man wird in gleicher Weise den Alternativen der Steuerung unterworfen sein. Die Beispiele dafür sind zahlreich, sie könnten die heutigen Erfahrungen mit Regierung und Rechtsetzung einschließen (wie Obama zeigt). Kann dieser Überschuss, diese alternative Anordnung zurückgeholt werden in neue Formen der Subsumption innerhalb erneuerter Strukturen von Souveränität und kapitalistischer Regierung – oder können diese Widersprüche Grundlage sein, einen Raum für konstituierende Macht auszugestalten?

Fürs Erste müssen wir verstehen, ob es dem kapitalistischen Kommando gelingen wird, sein inneres Gleichgewicht unter den neuen Bedingungen von Entwicklung und Krise wieder aufzubauen, und ob die Subjekte, die eine neue Vorstellung des Gemeinsamen und neue Gestalten von Freiheit und Gleichheit suchen, es schaffen werden, Institutionen zu bilden, die geeignet sind, sich den Strukturen der Regierung des Kapitals über das Gemeinsame zu widersetzen. Klar erkennbar ist eine Art institutioneller Dualismus, der die Steuerung ebenso wie andere Räume erfasst, die mit der Schwächung der Souveränitätspraxen auf der Stufe des Empire geöffnet worden sind. Vermutlich müssen wir diesen Dualismus verschärfen und den Überschuss gerade auf der einen Seite dieses Krisenverhältnisses akkumulieren: den Forderungen des Gemeinsamen.

Étienne Balibar Ich will mit einer epistemologischen Reflexion der Gebrauchsweisen der Kategorie des »Gemeinsamen« beginnen. Das Erste – und ich denke nicht, dass Toni und ich hier verschiedener Ansicht sind, – ist, dass wir berücksichtigen müssen, dass das »Gemeinsame« eine Kategorie ist, die umfasst, was ich »Äquivokation« oder äquivoke Bedeutungen nenne: nicht nur eine Unterschiedlichkeit von Bedeutungen und Verwendungen, sondern eine dauerhafte Spannung zwischen entgegengesetzten Bedeutungen.

Ich sehe wenigstens drei Richtungen, in die eine Reflexion des Gemeinsamen gehen kann, die nach meiner Ansicht nie völlig aufeinander reduzierbar sind. Eine hat mit dem Problem der »Universalität« und des »Universellen « zu tun. Ich habe in der Vergangenheit argumentiert, der Begriff des Universellen sei in sich gespalten und konfliktgeladen. Besonders im Westen sei er hin- und hergerissen zwischen philosophischen und politischen Traditionen: auf der einen Seite zentriert auf die Idee verallgemeinerbarer Rechte der in dividuellen Person, verbunden mit einer gewissen Homogenität des Marktes oder einem gewissen System von Äquivalenzen, die den Markt beherrschen. Auf der anderen Seite verknüpft mit Ansprüchen und Versuchen, das Universelle in einer differenzierteren und daher dialektischen Weise zu denken. Das ist das Problem des Allgemeinen von Singularitäten, die letztlich in bestimmten Differenzen und Zuschreibungen wurzeln: Geschlechter, Rassen und Kulturen, die Entgegensetzungen von Gesundheit/Krankheit, das ganze Problem von Normalität und Abnormalität, wie immer es definiert wird. Ich sehe hier eine wesentliche Dimension, in die jede Reflexion des Gemeinsamen vorstoßen muss; sie muss, grob gesagt, versuchen, das Universelle als solches in Begriffen von Differenzen neu zu denken.

Das Universelle in diesem Sinn, das wesentlich eine regulative Idee bleibt, oder eine permanente Aporie, hat geringe Chancen, unmittelbar mit dem Projekt der Bildung eines Staates oder eines Systems von öffentlichen Institutionen zusammenzufallen. Oder es ist mit dem Problem konfrontiert, eine kommunitäre Dimension gesellschaftlicher Verhältnisse zu befördern, die viele Formen annehmen kann: nationale, religiöse und auch revolutionäre. Diese zwei Probleme betreffen das Öffentliche, den Bürger, ob mit dem Staat identifiziert oder kritisch in Bezug auf eine staatliche Dimension und die kommunitäre Dimension. Wiederum kann ich schwer erkennen, wie Menschen außerhalb von Gemeinschaften leben können, aber das Problem besteht darin, dass die Gemeinschaften wechselseitig inkompatibel sind, dass keine dieser Dimensionen auf die andere zurückführbar ist.

Kommunismus ist die dritte und rätselhafteste Richtung, in die ich eine Reflexion des Gemeinsamen vorstoßen sehe. Kommunismus ist ein Begriff oder eine Bezeichnung, die ich nicht verleugnen oder aufgeben würde – sei es auf der Ebene der Ethik, die du angesprochen hast, oder, noch tiefer gehend, auf der Ebene der Logik. Das Problem mit dem Kommunismus ist, dass er nicht nur ständig abgewertet und verachtet wird, sondern tief erschüttert und innerlich zerstört wird durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts; deshalb ist jeder Kommunismus-Diskurs nicht nur in Begriffen einer Alternative zur Ausbeutung und zu verschiedenen Formen der Unterdrückung – schließlich zum Kapitalismus – zu formulieren, sondern einer Alternative zur Alternative, wie sie geschichtlich verwirklicht wurde. Wenn sie nicht versteht, warum das – wie immer verzerrt –, auf marxschen Konzepten aufbauende kommunistische Projekt in seinem absoluten Gegenteil endete, wird sie nichts hervorbringen oder noch einmal zum Schlechten führen. Es lag nicht daran, dass Lenin und Stalin schlechte Kerle waren oder Mao ein gerissener Herrscher, der die Leute hinters Licht führte. Das Problem ist: warum verstanden die Massen, die »Multituden«, Kommunismus in dieser Weise und fanden sich daher selbst gefangen in der Unfähigkeit, dem eine neue Orientierung zu geben, was sie für eine emanzipatorische Bewegung hielten und was sich als Weg in den Abgrund erwies? Wir versuchen, von diesem Standpunkt aus den Kommunismus neu zu denken: Toni auf seine Art, in einer Rückkehr zur christlichen Tradition (genauer: zur franziskanischen, dem einen großen »Kommunismus« in der Geschichte, dem Kommunismus der Armut, der Liebe und der Brüderlichkeit); und ich, indem ich auf eine radikale bürgerliche oder zivile Form vormarxistischen Kommunismus zurückkomme, den Kommunismus der »Gleichheit-Freiheit« (equaliberty). Das ist natürlich nicht der Kommunismus des Marktes. Das ist der Kommunismus der Leveller, von Blanqui und Babeuf. Eine politische Idee von Kommunismus, die seiner marxschen Fusion mit Sozialismus vorausging. Das ist, was wir alle tun, wenn wir darauf hoffen, uns kritisch mit den Äquivokationen des Begriffs des Gemeinsamen in unserer gegenwärtigen Welt auseinanderzusetzen. Die drei Dimensionen, die jede Reflexion des Gemeinsamen also beachten muss, sind:

1 | das Problem der Universalität im Werden;

2 | das Problem einer öffentlichen Sphäre jenseits des Staates, aber nicht notwendiger Weise jenseits von Bürgerschaft und Rechten;

3 | das Problem, wie mit den Gemeinschaften und ihren wechselseitigen Unvereinbarkeiten umzugehen ist.

Toni Negri

Meine Schlussfolgerung ist: Die gegenwärtige Wirtschaftskrise zeigt an, dass die Überwindung der kapitalistischen Herrschaft leichter sein könnte, als wir hofften. Es könnte sein, dass das Gleichgewicht der Steuerung gebrochen oder untergraben ist und das »Gemeinsame der Multitude« die Oberhand über den »Kommunismus des Kapitals« hat. Diese Situation wäre nicht tragisch: Es wäre einfach eine demokratische Lösung der Krise. Nehmen wir an, die politische Wissenschaft hat ausführlich die kapitalistische Regierung diskutiert; dann schlage ich vor, auf der Linie von Étiennes drittem Thema eine Diskussion des Problems neuer Institutionen des Gemeinsamen zu entwickeln. Wir könnten mit einer Kritik von Hegels Rechtsphilosophie anfangen, in der Hegel die Institutionen des objektiven, bürgerlichen und öffentlichen Geistes in drei großen Kapiteln über Familie, bürgerliche Gesellschaft und den Staat entwickelt. Vom Standpunkt des Gemeinsamen wäre eine kritische Debatte zu eröffnen über die Zukunft der Familie und ihre mögliche Zerstörung als ein Mittel der Identität in den Bereichen Erziehung, Reproduktion und Erbe (was für ein Monstrum!) angesichts der wirtschaftlichen Situation, und es wären angemessenere und glücklichere Formen der ehelichen und der Eltern-Kind-Verhältnisse zu umreißen. Statt Märkte und Unternehmen schlage ich vor, gesellschaftliche Produktion und ihre demokratische Organisation zu diskutieren; statt über Berufsverbände, Gewerkschaften und die »Hauptklassen« will ich über die Entstrukturierung von Kommunikationsnetzwerken und Wohlfahrt reden; an Stelle von Besitzindividualismus, Banken und Finanzkommunismus lasst uns über neue Formen der Hervorbringung des Menschen durch den Menschen nachdenken. All das muss geleistet werden, bis wir zu Vorschlägen gelangen und uns vorstellen können, wie eine neue Form von Recht aussähe, das nicht mehr öffentlich oder privat, sondern gemein (common) ist. Das scheint mir ein großes Arbeitsprojekt, das von vielen diskutiert und entwickelt werden muss. […]

Aus dem Englischen von Oliver Walkenhorst und Christian Wille

Anmerkung

1 Dies ist ein Auszug aus dem in Heft 4/2010 (98-111) erschienenen Artikel, welcher zurückgeht auf die englische Fassung von Anna Curcio und Ceren Özselçuk, »On the Common, Universality, and Communism: A Conversation between Étienne Balibar and Antonio Negri«, in: Rethinking Marxism, 22. Jg., 2010, H. 3, 312–28 (Die dt. Übersetzung wurde gekürzt und redaktionell leicht bearbeitet).

2 Anm. d. Red: Der Anteil der notwendigen Arbeit im Verhältnis zur Mehrarbeit bestimmt sich nach einem – historisch umkämpften – gesellschaftlichen Durchschnitt der für die Reproduktion der Arbeitskraft notwendigen Bedürfnisbefriedigung, vgl. MEW 23, Kap. 7.