| »Nächstenliebe heißt, die Mächtigen vom Thron zu stürzen«. Was tun gegen die Gewalt der Verhältnisse?

Mit Julia Lis und Benedikt Kern

Ihr arbeitet aus einer befreiungstheologischen Perspektive an Möglichkeiten der gesell­schaftlichen Veränderung. In eurer Praxis spielen auch Formen des zivilen Ungehor­sams eine Rolle. Wie nehmt ihr die Debatte um zivilen Ungehorsam und staatliche Repression wahr?

JULIA: Die Protestform des zivilen Ungehor­sams hat eine größere Selbstverständlichkeit bekommen. Viele Menschen, nicht nur Linke, finden es inzwischen legitim, Sitzblockaden als Protestmittel einzusetzen – sei es bei Naziaufmärschen oder bei den Massenakti­onen von »Ende Gelände«. Mit »Fridays for Future« sind auch neue Formen entstanden – etwa der Schulstreik für das Klima. Auch in der feministischen Bewegung hat sich der Frauen*streik als internationale Praxis entwickelt.
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| Bedingt selbstbestimmt. Warum der Kampf um Schwangerschaftsabbruch erst begonnen hat

Von Kate Cahoon

Als in dem katholisch geprägten Land am 
25. Mai 2018 eine überwältigende Mehrheit für die Streichung des quasi totalen Abtreibungsverbotes aus der Verfassung stimmte, sprach der irische Premierminister von einer »stillen Revolution«. Doch die Freudentränen und der laute Jubel in den Straßen von Dublin erzählten eine andere Geschichte: Seit 35 Jahren demonstrieren und kämpfen Aktivist*innen gegen das Abtreibungsverbot. Die emotional geführte Debatte hat das Land gespalten – die Gegner der Liberalisierung arbeiteten mit Schreckbildern und Fehlinformationen. Wir waren also weniger Zeug*innen einer stillen Revolution als eines langen, lauten und hart geführten Kampfes um sexuelle Selbstbestimmung.
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| Nationale Versöhnung nach dem Putschversuch? Acht Fragen zu den politischen Turbulenzen in der Türkei

Gespräch mit Axel Gehring und Murat Çakır

Die Lage in der Türkei ist unübersichtlich. Ein Ereignis jagt das nächste. Die Tagesmeldungen überstürzen sich. Den Überblick zu behalten fällt schwer. Was geschieht unterhalb der medialen Oberfläche, in den Strukturen von Staat und Gesellschaft, in den ökonomischen Beziehungen, in der Herrschaftsarchitektur der Türkei? Wie sind die Spielräume für emanzipatorische Politik einzuschätzen? Diese und andere Fragen trafen auf teilweise unterschiedliche Einschätzungen.

War dieser Putsch von vornherein zum Scheitern verurteilt?

Axel Gehring: Eines wird oft vergessen: Die meisten Putschversuche scheitern. Laut einschlägigen wissenschaftlichen Untersuchungen gelingt im Schnitt nur jeder fünfte. Auch die Türkei ist darin keine Ausnahme.
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| Der fingierte Putsch – Gottes Segen

Von Errol Babacan

Der Putschversuch hat die AKP mit einer Initiativhoheit ausgestattet, die sie voll ausschöpfen wird. Auf den Straßen wird die Inthronisation des islamisch-faschistischen Mobs eingeübt.

Als am Abend des 15. Juli die ersten Nachrichten über die Blockade der Bosporus-Brücke und tieffliegende Kampfjets über Ankaras Himmel die Runde machten, herrschte große Besorgnis und zugleich Überraschung auf Seiten der demokratischen und linken Kräfte des Landes. Die Sorge galt nicht der AKP-Regierung und der »demokratischen Grundordnung«, wie viele Staatsmänner und -frauen am nächsten Tag sich ausdrückten.
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| »Laudato Si« – Fast schon ein ökosozialistisches Manifest

Von Hans Thie

Papst Franziskus versammelt in »Laudato Si« Einsichten des sensiblen Gewissens und Erkenntnisse kritischer Wissenschaft. Leider fehlt in seinem normativen Kanon das Fundament: das ethisch gebotene und logisch begründete Prinzip ökologischer Gleichheit.

Papst Franziskus spricht in seiner Enzyklika »Laudato Si« Klartext. Eindeutig, eindringlich und unmissverständlich. Die heutige Wirtschaftsordnung und die imperiale Lebensweise der reichen Länder zerstören die Schöpfung. Der technokratische Wahn, in alles, selbst ins Innerste von Mensch und Natur, eingreifen zu wollen und zu dürfen, lähmt die Empathie für das Leben in seiner ganzen Vielfalt und Schönheit. Die maßlose Aneignungsmaschinerie und die Anmaßung eines rücksichtslosen Verbrauchsindividualismus bedrohen und vernichten all das, was Mäßigung verlangt: die natürlichen Kreisläufe, die Ökosysteme, die Lebensgrundlagen schlechthin.
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| »Oh Gott!« – Luxemburg 2/2014

Weltweit eskaliert Gewalt, und fast überall sind es religiöse Spaltungen, an denen die Konflikte ausgerichtet werden. Es ist die Religion, die Menschen bewegt, Revolten befeuert und der Empörung über das wirkliche Elend eine Stimme gibt. Die Grenze zwischen Opium und Protestation ist nicht immer leicht zu ziehen. Und doch spielen auch auf der Seite der Emanzipation religiöse Kräfte eine Rolle: Papst Franziskus ist Teil einer neuen Kapitalismuskritik, die konziliaren Versammlungen bündeln globale Debatten um sozial-ökologische Transformation, und in den USA ist linke Gegenhegemonie ohne religiöse Komponente undenkbar.
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| Wo steht die Befreiungstheologie?

Von Marcelo Barros

»Sie werden mich subversiv nennen und ich werde antworten: Genau das bin ich.
Ich lebe für den Kampf meines Volkes, mit meinem Volk schreite ich voran.
Ich habe den Glauben eines Guerilleros und liebe die Revolution.«

(Pedro Casaldáliga 1978)

In dem Gedicht von Pedro Casaldáliga – dem ehemaligen brasilianischen Bischof von São Félix – kommt eine Haltung zum Ausdruck, die für Christen in Lateinamerika und selbst die dortigen Bischöfe und Pfarrer nicht ungewöhnlich ist. Schon 1978 hatte Sérgio Mendes Arceo, damals Bischof von Cuernavaca in Mexiko, erklärt: »Der Sozialismus ist wichtiger für die Entwicklung der Menschheit im 21. Jahrhundert als jede andere Idee.« Später auf Kuba, wo er Fidel Castro besuchte, verkündete derselbe Bischof: »Es gibt keine Widersprüche zwischen den Ideen des christlichen Glaubens und denen des Sozialismus. Wir müssen zwischen dem christlichen Glauben und der Revolution eine Verbindung schmieden.« (Cirardi 2001, 89 u. 93f).
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| Islamische Renaissance und arabische Linke

Von Malte Daniljuk

Was kommt nach dem kurzen Frühling?

Die Ereignisse des ›arabischen Frühlings‹ haben die Wahrnehmung der Region in der westlichen Öffentlichkeit verändert. Die Proteste und Aufstände in Nordafrika und im Mittleren Osten richteten sich dabei etwa in Ägypten, Bahrain, Jemen oder Libyen gegen formal sehr unterschiedlich verfasste Herrschaftsverhältnisse. Auch ihre politische Dynamik unterschied sich dementsprechend deutlich. Zum aktuellen Zeitpunkt bestimmen dort, wo die Umbrüche zunächst erfolgreich verliefen, zwei Szenarien den Ausgang der Unruhen in der arabischen Welt: Restauration oder Staatszerfall. Eine Ausnahme ist Tunesien, wo das linke sowie das liberale Lager nicht nur mit moderaten Islamisten, sondern auch mit alten Funktionären punktuell zusammenarbeiten.
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| Christinnen und Christen: bedingt bündnisfähig

Von Bruno Kern

Zunächst ist zu klären, von wem hier eigentlich die Rede sein soll. Die Großkirchen in ihrer institutionellen Verfasstheit sind, denkt man über den notwendigen gesellschaftlichen Wandel nach, im besten Falle uninteressant. Sie verhalten sich nach der ‚Logik der Einschaltquote’, das heißt, ihr gesellschaftliches Agieren steht unter dem Vorzeichen des Selbsterhaltungsinteresses der Institution. Von ihnen sind also keine eigenen, vorwärtsweisenden Impulse zu erwarten, sondern lediglich Reflexe auf gesellschaftliche Entwicklungen. Die Einbindung der Kirchen ins politische System macht sie tendenziell zu Komplizen der herrschenden Ordnung.
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| Ziemlich falsche Freunde

Von Christoph Lammers

Rechtsreligiöse in Deutschland

Themen wie (sexuelle) Selbstbestimmung, Emanzipation und (sexuelle) Aufklärung galten weithin als ausgehandelt, als Teil eines liberalen Konsenses. Die 68er-Bewegung schien hier ihre Schuldigkeit getan zu haben. Aus Kinder, Küche, Kirche wurde Kinder, Küche, Karriere, und die Kirchen mussten ihre Deutungshoheit in Fragen des (familiären) Zusammenlebens und des Umgangs mit Sexualität zunehmend aufgeben. Diese Entwicklung gefällt nicht allen. Auseinandersetzungen über die genannten Themen stehen – für einige überraschend – heute wieder auf der Tagesordnung.
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