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Struktur und Team der Working Families Party und ihrer „unabhängigen Organisationen“


Organisatorische Grundlagen

Die Working Families Party (WFP) hat individuelle Mitglieder und Mitgliedsorganisationen. Der Einfluss der Mitgliedsorganisationen auf Entscheidungen der WFP ergibt sich aus der Anzahl ihrer Mitglieder. Die WFP verfügt über aktive Landesverbände in New York, Connecticut und Oregon, außerdem Landesverbände ohne Festangestellte in South Carolina und Vermont. In Staaten, in denen das Wahlsystem sehr restriktiv gegenüber „dritten Parteien“ jenseits von Demokraten und Republikanern ist, beginnt die Arbeit mit dem Aufbau „Unabhängiger Politischer Organisationen“ (UPO), die Kampagnen führen und politisch aktiv werden, auch wenn sie (noch) nicht zu Wahlen antreten. Sie sind eine Art politisches Bündnis zivilgesellschaftlicher Akteure, das sich zum politischen Akteur weiterentwickeln kann und soll.

Entscheidungsgremium / Leitung der UPOs

Wenn eine neue UPO gegründet wird, schließen sich verschiedene Organisationen (Gewerkschaften, Bürgerbewegungen, progressive Gruppen etc.) zusammen. Grundlage für die Entscheidungs- und Führungsstruktur sind die der bereits bestehenden Organisationen. Für eine Neugründung muss nicht erst die gesamte Arbeiterbewegung  an Bord sein. Am Anfang genügen einige wenige zuverlässige Organisationen, um den Prozess in Gang zu setzen. Mit einigen wenigen Prinzipien der Führung und Struktur ist es der WFP gelungen, die Anzahl der Mitgliedsorganisationen in allen aktiven UPO zu erhöhen. Einige zentrale Richtlinien für die Führungsstruktur sind:

Macht entsprechend der Mitwirkung

Gewerkschaften und andere Institutionen mit wirklichen Ressourcen und einer beträchtlichen Mitgliederbasis werden sich in eine neue Organisation nur substanziell einbringen, wenn ihre Macht in diesem Verband eindeutig an ihre Beteiligung geknüpft ist. Insbesondere Gewerkschaften lassen sich leicht darauf ein, pro-Kopf-Beiträge zu entrichten. In der WFP erhalten Mitgliedsorganisationen Stimmengewicht in Abhängigkeit von der Anzahl ihrer Mitglieder, für die die Organisation pro-Kopf-Beiträge zahlt.

Stimmengewichte in Richtung kleinerer Organisationen verschieben und für größere Organisationen begrenzen.

Mit dem Modell der pro-Kopf-Beiträge erhalten Organisationen, die mehr Ressourcen beisteuern, auch mehr Stimmengewicht. Ein ebenso wichtiges Prinzip ist aber, eine übermäßige Machtkonzentration auf ein oder zwei sehr große Mitgliedsorganisationen zu verhindern. Die pro-Kopf-Formel wird daher entsprechend eingeschränkt, damit sehr große Organisationen nicht erheblich mehr Stimmen „kaufen“ können als kleinere Mitglieder. Außerdem ist die Formel ein wenig zugunsten kleinerer Organisationen verschoben. Zum Beispiel:

500 Mitglieder = 1 Stimme

1000 Mitglieder = 2 Stimmen

2500 Mitglieder = 4 Stimmen

5000 Mitglieder = 6 Stimmen

10000 Mitglieder = 9 Stimmen

Die Folge davon ist, dass eine Organisation, die für 10 000 Mitglieder Beiträge zahlt, mehr Stimmen erhält als eine Organisation, die für 5 000 Mitglieder zahlt, aber weniger als zwei Organisationen mit 5 000 Mitgliedern zusammen.

Ein Platz am Tisch

Die Entscheidungsstruktur der WFP ist durch Organisationen dominiert, die über eine Mitgliederbasis verfügen und nach dem pro-Kopf-Prinzip Beiträge entrichten. Andere Organisationen, die keine solche Basis haben (und daher auch keine entsprechenden Beiträge zahlen können), sowie zuverlässige Einzelaktivistinnen und -aktivisten und Führungspersonen sollten dennoch mit am Tisch sitzen können, selbst wenn ihr Stimmengewicht minimal ist.

Ethnische, geschlechtliche, geographische, berufliche Vielfalt

Selbstverständlich sollte die Zusammensetzung von Gremien mit Bedacht auf ethnische Vielfalt, Geschlechterdiversität sowie unterschiedliche Beschäftigungssektoren erfolgen. Ideal ist eine gute Mischung aus privatem und öffentlichem Sektor, Dienstleistung, Industrie und Handel. Beim Aufbau einer neuen Organisation verfügen wir häufig nicht über den Luxus, erst noch auf den perfekten Mix warten zu können. Andererseits werden in den Anfängen Weichen gestellt. Man sollte nicht von Beginn an durch nur ein Segment der Beschäftigten oder nur eine Region definiert sein.

Personal und Tagesbetrieb

Wie bei jeder Organisation gibt es in der Umsetzung unterschiedliche (und unterschiedlich ausgestattete) Varianten. Im Folgenden wird eine Art Durchschnitt beschrieben, der sich in kurzer Zeit in den meisten Wahlbezirken reproduzieren lässt.

Personal und Tagesbetrieb der WFP spiegeln die zentralen Elemente der Organisation wider: ganzjährige Aktivitäten vor Ort (manchmal themenorientiert, manchmal wahlorientiert) sowie kreative und ständige Medien-, Netzwerk- und Onlinekommunikation. Dies kann hilfreich dabei sein, Identität und Marke der Organisation zu etablieren. Und schließlich Personal, das sich dem Aufbau und der Stärkung des Netzwerks der Partei – mit gewählten Amtsinhaber_innen, verbündeten Organisationen und Spender_innen – widmet.

Wie überall müssen für die die Besetzung dieser Funktionen gute Talente aufgespürt werden. Auf Bundesstaatenebene sollte ein WFP-Verband mindestens eine/n politische/n Leiter/in, eine/n Kommunikationschef/in, eine/n Kampagnenleiter/in und eine/n Geschäftsführer/in haben. Sie sollte das ganze Jahr hindurch Kampagnen betreiben können (vgl. unten).

Ein Geheimrezept, eine Abkürzung oder einen Zaubertrick gibt es nicht. Der operative Erfolg der WFP in New York, Connecticut und ist Ausdruck eines sehr gezielten Umgangs mit Ressourcen in einer Reihe von Schlüsselbereichen.

Weiterempfehlung durch Netzwerke / „Markenbildung“

Die Etablierung einer „Marke“ wird dadurch erleichtert, dass es sich bei der Organisation um eine Partei handelt. Nichtsdestotrotz ist für den Aufbau (und die Pflege) der Marke dauerhafte Arbeit erforderlich. Ein offensives und kreatives Werbeprogramm in den sozialen Medien ist für die Markenbildung entscheidend. Es setzt aber voraus, dass Personal das ganze Jahr hindurch für diese Aufgabe zur Verfügung steht. Diese Arbeit umfasst in der Regel drei Arten von Tätigkeit:

Tagesgeschäft/  aufsuchende Arbeit

In New York und Connecticut fährt die WFP das ganze Jahr hindurch ein Programm, das wesentlich der Wahlliste und der Marke der Organisation dient. Es ist aber auch nützlich, um sich innerhalb der politischen Klasse einen Ruf als Organisator guter aufsuchender Arbeit/Kampagnen vor Ort zu erarbeiten. Eine mittelgroße Wahlkampagne wie in Connecticut bewegt sich zwischen einem Minimum von acht bis zehn Kampagnenmitarbeiter_innen und Spitzenwerten, die in der heißen Phase von Themenkampagnen oder Wahlkämpfen bei 60 bis 70 Aktiven liegen. Je nach Gebiet, Zielgruppe und Ansprache („Rap“)1 ist jede/r Wahlkampfaktivist/in durchschnittlich vier bis fünf Stunden pro Tag unterwegs, klopft an 60 oder mehr Türen und spricht mit 25 bis 35 Leuten. Während der Legislaturperiode arbeitet das Team an Themenkampagnen, während der Wahlkampfphase hingegen in den Kampagnen von Kandidat_innen, die von der Organisation unterstützt werden (manchmal direkt für die Kandidat_innen, manchmal für die WFP).

Ein Kampagnenteam das ganze Jahr hindurch zu unterhalten, ist nicht billig, hat aber eine Reihe wichtiger Vorteile:

Für politische Kampagnen, insbesondere auf lokaler und Landesebene, ist es entscheidend, im Außeneinsatz erfolgreich dafür zu sorgen, potenzielle Wähler_innen zu erreichen und zu gewinnen. Wahlkampagnen stützen ihr Programm des aufsuchenden Wahlkampfes häufig auf eine Mischung von Freiwilligen und kurzfristig bezahlten Aktivist_innen. Das Problem dabei ist, dass Ausbildung und Qualitätskontrolle zu kurz kommen.

Mit einem stehenden Team investiert die WFP das ganze Jahr hindurch in Ausbildung und „operativen Betrieb“. So können jederzeit anspruchsvolle Außeneinsätze auf hohem Niveau durchgeführt werden, auch im Namen oder unter Vertrag von Kandidat_innen oder verbündeten Organisationen. Wenn Wahlkampagnen von unserem Team Gebrauch machen, profitieren sie von Monaten, manchmal sogar Jahren an Training, Rollenspielen, erfahrenen Außendienstmitarbeiter_innen und Wahlkampfleiter_innen sowie von einer Qualitätssicherung, die mit Abstand bessere Resultate hervorbringt.

Die mit dem stehenden Team einhergehende Qualität der Ausbildung und des operativen Betriebs ist auch ein zentraler Grund für die Messbarkeit unseres Einsatzprogramms. Kurz gesagt ermöglicht ein Kader ausgebildeter und erfahrener Kampagnen- und Außeneinsatzmitarbeiter_innen, in viel kürzerer Zeit deutlich mehr zusätzliche Aktive zu gewinnen und auszubilden und damit sehr schnell einen größeren Einsatz zu stemmen.

Das stehende Kampagnenteam bietet ausgezeichnete Möglichkeiten für interne Rekrutierung und Ausbildung von Personal. Mit dieser Investition geben wir Talenten die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln und Fertigkeiten zu entwickeln, die gleichzeitig der Organisation erhalten bleiben. Viele Kampagnenmitarbeiter_innen sind in verantwortungvolle Funktionen innerhalb der Organisation aufgestiegen, häufig auch in Organizing- oder Management-Positionen jenseits der Kampagnenarbeit. In einigen Fällen finden Mitarbeiter_innen, die ihre Fähigkeiten in verantwortungsvoller Position bei unseren Kampagnen ausgebildet haben, auch Stellen außerhalb der WFP – in Gewerkschaften, Community-Gruppen oder für politische Amtsträger_innen. Auch dies ist für die größere Bewegung von Nutzen.

Ein weiterer Vorteil des stehenden Kampagnenteams ist, dass es Kapazitäten für weitere, zeitlich begrenzte Projekte schafft, die schlicht Arbeitskraft erfordern. Das Kampagnenpersonal kann häufig andere Aktivitäten anschieben, ohne beträchtliche Zeit von seiner regulären Kampagnenarbeit abzuziehen und zugleich ohne nennenswerte Kosten. Während der Legislaturperiode platzieren wir üblicherweise zahlreiche Aktionen zu unseren Themen – Demonstrationen, Proteste, Pressekonferenzen – über die sozialen Medien. Wir planen diese Aktionen zeitlich so, dass die Team-Mitglieder auf dem Weg zu ihrem Außeneinsatz für die Kampagne zusätzlich am Pressetermin dieser Aktionen teilnehmen können. Während ein solcher Pressetermin normalerweise lediglich ein paar Amtsträger_innen, ein oder zwei Gewerkschaftsaktivist_innen und eine Handvoll weiterer Unterstützer_innen zu bieten hat, können wir auf diese Weise mit zusätzlich 20 bis 30 Leuten aufwarten, die Schilder hochhalten oder Flyer verteilen. Wenn eine verbündete Gewerkschaft Flyer in der Wohngegend eines Firmenbosses verteilen will, der in Verhandlungen unehrlich agiert, können hier ebenfalls unsere Kampagnenleute zum Einsatz kommen.

90 Prozent der Zeit beschäftigt sich das Kampagnenteam tatsächlich mit den Kampagnen. Doch es hat durchaus Vorteile, zusätzlich eine ganze Reihe weiterer kurzfristiger Projekte und Aktionen stemmen zu können.

Die Teile zu einem Ganzen zusammenfügen

Wie bei jedem Bündnis ist unser Ziel, mehr zu sein als die Summe der Teile. Wo die WFP als Partei zur Wahl steht, ist zweifellos schon der Eintrag auf dem Wahlzettel eine Ressource, die die Partei aufwertet und das Bündnis zusammenhalten hilft. Dennoch wird zunehmend deutlicher, dass auch jenseits davon die Marke und die Arbeit, die wir leisten, von Amtsinhaber_innen und der politischen Klasse insgesamt geschätzt (und manchmal gefürchtet) wird.

Jedes Jahr, wenn die Kandidatinnen und Kandidaten sich auf ihre Kampagnen vorbereiten, erfahren unsere Organisationen, wie die WFP ihre politische Reichweite und Macht ausdehnt. Kandidat_innen wenden sich offensiv an Organisationen in der WFP, um nicht nur die offizielle Unterstützung ihrer eigenen Gewerkschaft, sondern auch die der WFP zu erhalten. In der Folge bietet die WFP den ihr angeschlossenen Organisationen größeren Einfluss auf gewählte Politiker_innen auch dann, wenn sie in diesem Wahlkreis nicht über Mitglieder oder politische Kapazitäten verfügen.

Wo es uns gelungen ist, diesen Einfluss auszuweiten, lag es an einer guten Balance zwischen Themenarbeit und Wahlkampfarbeit und an einer günstigen Abwägung von Prioritäten und Gewichtungen. Die thematische Arbeit muss ein Gleichgewicht finden zwischen Themen mit Breitenwirkung und Bedeutung für die Marke und den Ruf der WFP einerseits (z.B. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Mindestlohn, „grüne“ Arbeitsplätze) und Themen von Bedeutung für und mit direkten Auswirkungen auf unsere Mitgliedsorganisationen andererseits (z.B. gegen Vertragsschulen,2 Tariflöhne für Reinigungs- und Wachpersonal). Die Wahlkampfarbeit muss ein Gleichgewicht zwischen der Unterstützung guter Kandidat_innen – in den Vorwahlen der Demokraten oder wenn eigene Kandidat_innen aufgestellt werden – und der Mobilisierung gegen schlechte finden.

Wenn uns bei all dem die richtige Balance gelingt, verstärkt sich die positive Resonanz, die für unser Wachstum entscheidend ist.

Diese positive Resonanz kommt in den Gesprächen unserer Kampagnen-Mitarbeiter_innen im Außeneinsatz zum Tragen. In mehreren Gegenden betreiben wir unsere Kampagne zu einem heißen Thema wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Dann ziehen wir für einen Kandidaten, den wir offiziell unterstützen, erneut durch die Wohnviertel und haben nun den großen Vorteil, dem Wähler oder der Wählerin an der Haustür sagen zu können: „Vielleicht erinnern Sie sich, wir sind die Gruppe, die für Lohnfortzahlung im Krankheitsfall kämpft. Wahrscheinlich war schon jemand von uns an Ihrer Tür und hat um eine Unterschrift auf einer Postkarte an Ihren gewählten Abgeordneten gebeten. Heute sind wir hier, um über die anstehenden Wahlen zu sprechen, und wir unterstützen…“3

Kurz gesagt: Es geht darum, eine Marke um bestimmte Themen herum aufzubauen, diese Marke dazu zu nutzen, Wahlen zu gewinnen, dann die Wahlen in zusätzliche Gebietsgewinne bei den eigenen Themen umzumünzen, und so weiter und so fort.

Aus dem Englischen von Daniel Fastner.

 

Anmerkungen

1 Der „Rap“ in der direkten Ansprache ist die kurze Vorstellung und Einleitung, mit der sich die Aktiven an die Gesprächspartner_innen wenden. Hier wird das Anliegen kurz zusammengefasst und das Gespräch eröffnet.
2„Charter Schools“ sind private Schulen, die mit öffentlichen Geldern betrieben werden.
3 Anm.: das wäre ein „Rap“.