| Strategien der LINKEN in der europäischen Krise

Juni 2012  Druckansicht
Von Heinz Bierbaum

Europa durchlebt eine tiefe Krise, die Eurozone droht auseinanderzubrechen. Die demokratische Entwicklung ist in Gefahr. Rechte, nationalistische und rassistische Strömungen nehmen zu. Es ist Aufgabe der LINKEN, eine politische Alternative der Solidarität aufzuzeigen.

Durch die Fiskalunion wird die Krise nicht gelöst, sondern verschärft. Den Ländern wird die deutsche »Schuldenbremse« aufgezwungen. Haushaltskonsolidierungen sollen über rigoroses Sparen erreicht werden, während die Einnahmenseite weitgehend außer Betracht bleibt – ein Irrweg. Öffentliche Ausgaben werden gekürzt, daraus folgen drastischer Sozialabbau und eine forcierte Politik der Privatisierung. Eine solche Politik ist nicht nur sozial desaströs, sie ist auch ökonomisch kontraproduktiv. Wie das Beispiel Griechenlands und Portugals zeigt, führt diese Politik zu wirtschaftlicher Rezession – mit der Konsequenz, dass die Verschuldung nicht abnimmt, sondern steigt. Gleichzeitig wird die Demokratie unterminiert, wenn diese Politik von der »Troika« aus Vertretern der Europä- ischen Kommission, der EZB und des IWF exekutiert wird. Nicht nur die Rechte der Parlamente werden unter der Drohung, ansonsten den Geldhahn zuzudrehen, eingeschränkt, auch Arbeitnehmer- und gewerkschaftliche Rechte werden beschnitten. Ein Beispiel ist die spanische »Arbeitsmarktreform«, womit die gewerkschaftliche Tarifpolitik ausgehöhlt werden soll.

Die herrschende europäische Politik geht an den eigentlichen Ursachen der Krise  – einer Krise des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus – vorbei: an der Umverteilung von unten nach oben, der Ungerechtigkeit der Verteilung, den deregulierten Finanzmärkten mit der damit verbundenen Finanzspekulation und dem enormen Handelsungleichgewicht zu Gunsten von Deutschland, das durch deutsches Lohndumping mit verursacht wird. An diesen Ursachen müssen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise ansetzen. Ohne eine Regulierung der Finanzmärkte, eine gerechte Verteilungspolitik und ohne Abbau der Handelsungleichgewichte wird sich die Krise nicht bewältigen lassen.

Maßnahmen zur Eindämmung der Finanzspekulation und der Regulierung der Finanzmärkte sind dringend; damit muss eine Reorganisation des Bankwesens einher gehen. Die Banken müssen auf ihre Kernfunktionen des Zahlungsverkehrs, der Ersparnisbildung und der Finanzierung sinnvoller Investitionen ausgerichtet werden. Der Bankensektor muss einer demokratischen Kontrolle unterworfen werden, was auch die Vergesellschaftung der privaten Großbanken erfordert. Anstatt den Privatbanken durch die EZB immer mehr billiges Geld zur Verfügung zu stellen, die dieses als Kredite mit entsprechendem Zinsaufschlag und damit enormem Gewinn ausleihen, ist es notwendig, die Finanzierung der Staaten von den Finanzmärkten abzukoppeln und sie über eine öffentliche europäische Bank direkt zu finanzieren. Und da die Schulden der einen die Vermögen der anderen sind, gilt es diejenigen zur Finanzierung heranzuziehen, die davon profitieren, also die Vermögenden: durch (Wieder-)Einführung der Vermögenssteuer in Deutschland wie eine europäische Vermö- gensabgabe. Anstatt Löhne weiter zu drücken und Sozialausgaben zu senken, müssen beide erhöht werden. Dies gilt besonders für Deutschland, wo die im europäischen Vergleich niedrigen Lohnstückkosten wesentlich zu den Handelsungleichgewichten beitragen. Erforderlich ist auch eine Wirtschaftspolitik mit öffentlichen Investitionsprogrammen besonders für die Länder, die mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen haben. Es bedarf also eines europäischen Programms gesellschaftlich sinnvoller Investitionen.

Obwohl die Maßnahmen der deutschen Regierung und der europäischen Kommission mit den verschiedenen Rettungsschirmen, den Milliardenhilfen für die Banken, den damit verbundenen Sparauflagen, der Entmachtung der Parlamente skeptisch beurteilt und zum Teil heftig kritisiert werden, ist es offensichtlich schwierig, den Menschen politische Alternativen nahezubringen. In europäischen Ländern, die von der Krise stärker betroffen sind und denen drastische soziale Einschnitte verordnet werden, kommt es auch zu breiten Widerstandsbewegungen: etwa in Spanien der Generalstreik am 29. März, der entgegen der hiesigen Berichterstattung ein großer Erfolg war; vier Millionen Menschen nahmen teil. Der moderate Krisenverlauf in Deutschland ließ keine breite Protestbewegung entstehen. Umgekehrt stoßen die Schuldenbremse und ihre Übertragung auf Europa in Form des Fiskalpakts in der Bevölkerung auf Zustimmung – nach dem Motto: »die sollen erst einmal ihren Haushalt in Ordnung bringen, bevor sie irgendwelche Ansprüche stellen«. Es ist kaum im Bewusstsein, dass der relativ moderate Krisenverlauf sich gerade keynesianisch inspirierten Konzepten der aktiven Konjunkturpolitik durch die öffentliche Hand verdankt, die bislang immer verteufelt wurden.

Eine breite politische Kampagne muss die eigentlichen Ursachen der europäischen Krise aufzeigen und Alternativen deutlich machen. Schon im September letzten Jahres hat deshalb die LINKE die europäische Krise zum Aktionsschwerpunkt erklärt: Unter dem Motto »Profiteure zur Kasse!« Eine Kampagne wurde geplant, Materialien erarbeitet und Aktiventreffen organisiert. Die LINKE ist auch an lokalen Aktionsbündnissen beteiligt. Vom 16. bis 19. Mai waren in Frankfurt am Main unter dem Titel »Blockupy« zentrale Aktionen linker Gruppen gegen das Krisenregime der EU geplant wurden und zum Teil auch durchgeführt. Seitens der herrschenden Politik wurde alles getan, um diesen Protest zu unterdrü- cken. Bis auf die Demonstration am 19. Mai wurden alle Veranstaltungen verboten und die Innenstadt von einem massiven Polizeiaufgebot praktisch lahm gelegt.

Elementare demokratische Rechte wie die Versammlungsfreiheit wurden außer Kraft gesetzt. Mit über 30000 Teilnehmenden an der Demonstration war »Blockupy« ein großer Erfolg. Entgegen der inszenierten Stimmungsmache war sie überaus lebendig und friedlich. In dem linken Bündnis – getragen von der Occupy-Bewegung, Erwerbsloseninitiativen, Umwelt- und Friedensbewegung, Jugend- und Studierenden-Organisationen, antirassistischen Gruppen und antifaschistischen Initiativen, Attac- und Gewerkschaftsaktivisten – spielte die LINKE eine ganz wesentliche Rolle. Sie beteiligte sich in dem Bewusstsein, dass nur ein wirklich breites Bündnis in der Lage ist, gesellschaftliche Wirkung zu erzielen.

In dieser Hinsicht hat das Bündnis Schwächen: Vor allem die Gewerkschaften fehlen. Zwar arbeiten eine Reihe gewerkschaftlicher Aktivisten mit, doch die gewerkschaftlichen Organisationen stehen abseits. Hier herrscht nach wie vor die Strategie eines betrieblichen Krisenbündnisses vor, das darauf setzt, mit Hilfe betrieblicher Vereinbarungen einigerma- ßen durch die Krise zu kommen. Damit werden die Auswirkungen der europäischen Krise auf Deutschland krass unterschätzt. Es ist notwendig, die vorhandenen kritischen Kräfte in den Gewerkschaften anzusprechen und sie einzubeziehen. Der jüngste Aufruf von Gewerkschaftern zur Unterstützung der Aktionstage in Frankfurt ist ein guter Anknüpfungspunkt. Gleichzeitig müssen Krisenproteste mit den laufenden Tarifauseinandersetzungen verbunden werden.

Wirksame Proteste in Deutschland sind gerade mit Blick auf Europa nötig. Wenn es keinen Widerstand und keine sichtbare Alternative in dem Land gibt, das die Hauptverantwortung für die herrschende europäische Polititik trägt, dann schwächt dies auch den Widerstand in anderen europäischen Ländern; die von der Linken geforderte »europäische Lohn- und Sozialoffensive« würde wirkungslos bleiben. Ein Zeichen der Solidarität mit dem Protest und dem Widerstand ist notwendig, der in den am meisten von der Krise betroffenen Ländern mit Massendemonstrationen und Generalstreiks beachtliche Dimensionen hat. Die Bewegungen in den einzelnen Ländern zu einer europäischne Bewegung zu machen, ist das Anliegen der in der Europäischen Linken zusammengeschlossenen linken Parteien. Die deutschen Linken haben hier eine hohe Verantwortung.