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Showdown des fossilen Kapitalismus

Von Vishwas Satgar

Im gegenwärtigen Kapitalismus zählen sprit­­fressende Autos, Hightechflugzeuge und gigantische Containerschiffe zu den offensichtlichsten Massenvernichtungswaffen. Je mehr die ressourcenintensiven und CO2-zentrierten sozialen Verhältnisse triumphieren, desto mehr beschleunigt sich der Klimawandel. Die Natur wird in dieser Phase des altersschwachen Kapitalismus unterworfen und als neue kapitalistische Natur patriarchal gefügig gemacht, wissenschaftlich kontrolliert und verwaltet. Der Planet wird mittels Geoengineering bearbeitet, CO2 in den tiefsten Erdschichten vergraben und die Ölhähne bis zum letzten Tropfen abgezapft. Die Logik des heutigen Kapitalismus ist nicht nur die Enteignung, sondern der Ökozid, das heißt die Zerstörung der Grundlagen menschlichen und nichtmenschlichen Lebens auf der Erde. Karl Marx bezeichnete dies als den metabolischen Riss des Kapitalismus, Rosa Luxemburg als Unterwerfung der Naturalwirtschaft. In dieser Phase hat der Neoliberalismus sein historisches Ziel erreicht. Eigentumsrechte zementieren die Herrschaft des Kapitals, gierige Plutokrat*innen benutzen unverhohlen staatliche Macht für ihre Zwecke, getrieben durch eine Kultur des Hyperindividualismus, des US-amerikanisierten Konsums und der Banalität einer mediengemachten Celebrity-Kultur. Die Selbstbestimmung des nihilistischen kapitalistischen Subjekts ist der einzige Ausdruck des Menschseins in unserer heutigen kapitalistischen Zivilisation. Doch damit nicht genug. Der nächste Schritt ist das Transhumane; die technotopische Vision des Bio- und Technokapitalismus.

Tödlicher Triumph

Der Kapitalismus und die Menschheit machen also nicht mehr gemeinsame Sache. Nach Jahrzehnten struktureller Ungleichheit ist die Welt eine neoliberale kapitalistische Utopie ohne Gegner: Der Sowjet-Sozialismus ist tot, die Arbeiterklasse prekarisiert, die Natur unterworfen und die Geschichte an ihr Ende gelangt. Keine linken Schreckgespenster sind zu greifen. Die rechte und neofaschistische Saat dieser neoliberalen Ordnung geht bereits auf und macht sich in Washington, Brasília, Neu-Delhi, Budapest und Moskau auf den Weg, jeden Widerspruch gegen diese Utopie niederzuschlagen und gegen Sündenböcke zu hetzen: Migrant*innen, People of Color, Indigene, »den Islam« und andere aufgebauschte »terroristische Bedrohungen«. Die letzte Phase des Kapitalismus steht bevor. In ihr wird versucht werden, die Normalität dieses Kapitalismus um jeden Preis zu verteidigen.

Doch die Kämpfe der Vergangenheit haben gezeigt, dass militarisierte Herrschaft nie ohne Brüche funktioniert. Ein Gewaltmonopol schafft noch keine Befriedung, geschweige denn Unterwerfung. Auch die medial inszenierten »marktkonformen« Demokratien, die sich offen auf Zwang stützen, stoßen an ihre Grenzen. Ein hegemoniales Regieren ist unter den Verhältnissen brutaler Ungleichheit nicht mehr möglich. Der Demos wird unruhiger und verzweifelter. Dem demokratischen Subjekt von heute stehen unzählige Informationsquellen und -kanäle zur Verfügung. Es kann die Idiotie der imperialen Macht und ihrer Autokraten von Ferne bestaunen und hin und wieder das Aufflammen einer subalternen Macht auf der Straße erleben. Der eiserne Vorhang der Unterdrückung ist nicht ohne Risse, in denen Demokratie und Sozialismus wachsen können.

Rasender Ökozid

Der größte Terror der heutigen Zeit ist aber nicht der kapitalistische Neofaschismus. Es ist der Dschagganath, der unkontrolliert rasende kapitalistische Ökozid, der nicht nur das Leben auf dem Planeten, sondern auch den Kapitalismus selbst bedroht. Damit ist der Aufstieg des Neofaschismus gewissermaßen anachronistisch. Auch er wird in einer sich aufheizenden Welt verbrennen. Denn unbeirrt gelingt es dem fossilistischen Kapitalismus, im globalen Energiemix zu expandieren, trotz der alarmierten Wissenschaft, trotz reihenweise verheerender Naturkatastrophen. Es ist hoch wahrscheinlich, dass die Erderwärmung mehr als eineinhalb Grad im Vergleich zu vorindustriellen Werten steigen wird. In den USA hat Präsident Trump grünes Licht für die verstärkte Ausbeutung fossiler Energien gegeben. Der brasilianische Präsident Bolsonaro fördert jene Wirtschaftsinteressen, durch die indigene Völker und die Biodiversität vernichtet und etwa 140 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid durch die Brandrodung im Amazonasgebiet freigesetzt werden. In Südafrika setzt die fossilistische Elite auf den Bau des größten Kohlekraftwerks der Welt, brüstet sich mit Fracking und schielt nach Offshore-Gasförderung. Schon diese kurze Liste an CO2-Verbrechen zeigt, dass der fossile Kapitalismus und seine herrschenden Klassen die ganze Welt bedrohen, inklusive sich selbst. Da kaum noch Zeit für eine Umkehr bleibt, sind alle Versuche, diesen Kapitalismus mit Reformen zu bändigen oder grün zu färben, zum Scheitern verurteilt. Mit Blick auf die Klimadaten und den steigenden CO2-Ausstoß scheint der Tod des Kapitalismus und letztlich unser aller Tod durch dessen ökozidale Logik unausweichlich.

Afrika, das seit der Berliner Westafrika-Konferenz 1884/85 das imperiale Subjekt des globalen Nordens ist, liegt am Boden, wird von einer Lumpenbourgeoisie kontrolliert und ist bereits jetzt durch Klimaveränderungen teilweise verwüstet. Mindestens 200 Millionen Menschen könnten durch weitere Klimakatastrophen vertrieben werden. Weder die Festung Europa noch der Gefängniskomplex USA können die vermeintlichen »Barbaren« fernhalten. Auch die reichen Gesellschaften werden durch die Klimakatastrophen schwere innere Verwerfungen, aber auch Widerstand erleben. Sunrise Movement, Extinction Rebellion und Fridays for Future sind Bewegungen gegen die 1,5-Grad-Celsius-Erwärmung. Wird diese Grenze überschritten, werden noch mehr Menschen dagegen aufbegehren, zu Kollateralschäden einer irrationalen und ökozidal-faschistischen herrschenden Klasse zu werden.

Aufbegehren für Klimagerechtigkeit

In den neuen Bewegungen kommen die Klimaaktivist*innen der letzten Jahrzehnte mit Jugendlichen und »Normalbürger*innen« zusammen. Sie stehen für die lebendige Hoffnung der Vielen und nutzen drei Formen des Widerstands. Erstens: die symbolische Störung der Normalität. Das beste Beispiel sind Greta Thunberg und die Fridays-for-Future-Streiks. Klimaforschung und Jugendbewegung bestärken sich wechselseitig und verdeutlichen die Dringlichkeit der Krise. Zweitens: die taktische Störung und reale Unterbrechung der Emissionsprozesse und Extraktionskreisläufe. Ein Beispiel sind die Blockaden von Ende Gelände gegen den Kohleabbau in Deutschland, aber auch Boykottaufrufe gegen McDonald’s, Walmart oder Subway, die von der Brandrodung im Amazonasgebiet profitieren. Drittens: das strategische Aufbrechen der ökozidalen Logik des Kapitalismus durch systemische Alternativen. Ein Ansatz wäre ein Green New Deal, der auf rasche Dekarbonisierung, Demilitarisierung und Demokratisierung setzt, sodass die Menschen selbst den Umbau gestalten können und Klimagerechtigkeit zum Maßstab der Geopolitik wird. Der Vorschlag von Bernie Sanders mit einem Volumen von 16,3 Billionen US-Dollar könnte ein solches Klassenprojekt sein, das die ausgeschlossenen 99 Prozent gegen eine zerstörerische Elite in Stellung bringt. Diese progressiven Kräfte müssen jedoch auch sicherstellen, dass der globale Süden einen selbstbestimmten Weg der Klimagerechtigkeit gehen kann. Beim Globalen Klimastreik am 20. September protestierten weltweit Hunderttausende für den Klimaschutz. Für den ­­1. Mai 2020 ist ein internationaler Aktionstag geplant, an dem die CO2-Produktion auf der ganzen Welt zum Stillstand gebracht werden soll (#gridlockcarbon).

Zurück an die Wurzeln

Eine zentrale Systemveränderung, die sich von der Peripherie ausweiten muss, ist die »Re-Agrarisierung« der Welt: ein Wandel hin zu Ernährungssouveränität und Agrarökologie, wie sie die Bewegung La Via Campesina seit über zwei Jahrzehnten vorantreibt. Jedes Dorf, jede Klein- und Großstadt auf der Welt wird diese demokratische, ökosozialistische Alternative in Betracht ziehen müssen. Dass monoindustrielle, CO2-zentrierte und globalisierte Nahrungsmittelsysteme zu unserem Aussterben beitragen, zeigen zahlreiche Studien und Forschungsberichte. Der Horizont eines künftigen Sozialismus wird durch Erderwärmung und Klimaschocks, durch verschärfte Ungleichheit und den menschlichen Überlebenswillen bestimmt sein. Die Rache der Natur gegen den Ökozid wird alle globalen Gemeingüter – Wasser, Nahrung, Land, Wälder, Ozeane und Biosphäre –  erfassen. Ihre rohe Macht wird die anthropozentrische Illusion zerstören, dass kapitalistische Natur und natürliche Umwelt vereinbar sind. Die Unendlichkeit der Natur und die Endlichkeit menschlichen Lebens werden die Zukunft prägen. Um damit umzugehen, wird der demokratische Ökosozialismus viel von indigenen Traditionen lernen müssen. Er muss lernen, die menschlichen Lebensgrundlagen zu erhalten, den Produktivismus zurückzudrängen und die Entfremdung von der Natur zu überwinden. Eine verlangsamte Welt im Einklang mit den natürlichen Stoffwechselkreisläufen ist die einzige Hoffnung der Vielen. Eine solche Welt war nie ganz tot, sie wurde nur durch koloniale, neoliberale und imperiale Gewalt in den Schatten gedrängt.

Aus dem Englischen von Jan-Peter Herrmann