| Sachsen-Anhalt: Konservativ-rechte Hegemonie und linke Niederlage

Juni 2021  Druckansicht
Von Vincent Streichhahn

Die Wahlniederlage der LINKEN in Sachsen-Anhalt war keine Überraschung. Jetzt gilt mehr denn je, eine aktive Mitgliederpartei aufzubauen, die zusammen mit den Bewegungen gesellschaftliche Mehrheiten für eine sozial-ökologische Transformation gewinnt. Es wird Zeit für eine Modernisierung! 

Anders als es im deutschen Blätterwald kurz nach den ersten Hochrechnungen vielerorts zu lesen war, gibt es nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt keinen Grund zur Erleichterung. Der Super-Gau eines Wahlsiegs der AfD ist zwar ausgeblieben, doch dieses Schreckensgespenst hat Wähler*innen aller Parteien in die Arme der CDU getrieben und die politischen Kräfteverhältnisse damit insgesamt weiter nach rechts verschoben. Für die Mitte-links Parteien ist das Ergebnis eine Katastrophe. SPD und die LINKE erlitten historische Niederlagen und die Grünen konnten ihr Umfragehoch mal wieder nicht in Wahlstimmen ummünzen. Doch die Niederlage der LINKEN rührt nicht nur aus dem Anliegen der Wähler*innen, einen AfD-Sieg durch die Wahl der CDU zu verhindern. Dieses Narrativ verdeckt sowohl den Blick auf strukturelle Gründe für den Niedergang der LINKEN in Sachsen-Anhalt und anderen ostdeutschen Bundesländern als auch strategische Fehler, die die Landesführung im Wahlkampf gemacht hat. Ob dieser letzte Test vor der Bundestagswahl eine bundespolitische Bedeutung entfalten wird, ist noch nicht ausgemacht. Einige Wegmarken hat die Landtagswahl jedoch gesetzt.

Ergebnisse im Überblick

Klare Wahlgewinnerin ist die CDU, die mit 37,1 Prozent (+7,3) nicht nur deutlich vor der AfD (20,8 Prozent) liegt, sondern auch 40 von 41 Wahlkreisen für sich entscheiden konnte. Damit konnten die Christdemokraten viele Wahlkreise zurückgewinnen, die sie 2016 an die AfD verloren hatte. Der Landtag wird durch die notwendigen Ausgleichsmandate ein ganzes Stück größer. Insgesamt 97 Abgeordnete ziehen in den Landtag ein. Die AfD hat zwar Stimmen verloren (-3,5), aber etabliert sich mit über 20 Prozent als feste Größe im Parlament. Die Enttäuschung der rechtsradikalen Partei war aufgrund des am Ende deutlich verpassten Wahlsieges einerseits groß, andererseits konnte der völkische Flügel der AfD seinen parteiinternen Machtanspruch untermauern.

Die starken Zugewinne der CDU hängen eng mit der Person Reiner Haseloff zusammen. Der Ministerpräsident ist der einzige wirklich bekannte Politiker im Land und genießt relativ hohe Beliebtheitswerte. Wie bei den Landtagswahlen im Frühjahr kam der Ministerpräsidentenbonus zum Tragen. Gleichzeitig hat primär Haseloffs (rhetorisch) grundsätzliche Abgrenzung zur AfD dazu geführt, dass die CDU von allen Parteien Wähler*innenstimmen gewonnen hat und einen relavanten Anteil an Nichtwähler*innen mobilisieren konnte. Insgesamt haben sich die politischen Kräfteverhältnisse dadurch jedoch weiter nach rechts verschoben. CDU und AfD kommen zusammen auf 57,9 Prozent, was ein Plus von 2,8 Prozentpunkten im Vergleich zur letzten Landtagswahl ist. Dazu kommt der Wiedereinzug der FDP (6,4 Prozent), die nach zehn Jahren in der außerparlamentarischen Opposition wieder ins Magdeburger Parlament zurückkehrt. Die Mitte-Rechts-Parteien vereinen im neuen Landtag etwa 72 Prozent der Mandate auf sich.

Für die Grünen ist das Ergebnis eine herbe Enttäuschung. Mehrere Umfragen haben der Partei ein zweistelliges Ergebnis prognostiziert, die Landespartei schien vom Bundestrend zu profitieren. Damit hätten die Grünen ihr Wahlergebnis verdoppelt. Doch der Höhenflug der Partei entpuppt sich zumindest in Sachsen-Anhalt (mal wieder) als Umfragephänomen. Anders als bei der Landtagswahl im Frühjahr in Baden-Württemberg zählte „Umwelt“ allerdings nicht zu den wahlentscheidenden Themen. In den beiden größeren Städten Magedeburg und Halle konnte sich die Partei hingegen etablieren und Gewinne verzeichnen. Einen Wahlkreis in Halle hätten die Grünen beinahe gegen den CDU-Kandidaten gewonnen.

Für die SPD und Linke ist das Wahlergebnis eine Katastrophe. Die SPD hat mit 8,4 Prozent das historisch schlechteste Ergebnis seit 1990 im Land eingefahren. Nur in vier Wahlkreisen ist die Partei noch zweistellig. Die LINKE musste die größten Verluste von allen Parteien erleiden. Die stärksten Verschiebungen jeweils im fünfstelligen Bereich verliefen Richtung der Nicht-Wähler*innen, Verstorbene und CDU. An dem vom Landesvorsitzenden Stefan Gebhardt ausgerufenen Wahlziel von 20 Prozent plus X ist die Partei mit 11 Prozent deutlich gescheitert. Damit reiht sich die Landespartei in die Reihe der Wahlergebnisse der LINKEN in Brandenburg und Sachsen ein. Sie erzielt wie die SPD ihr historisch schlechtestes Ergebnis im Land.

Koalitionsoptionen und Prognosen

Aufgrund des starken Ergebnisses der CDU sind arithmetisch mehrere Koalitionen möglich. Neben der Fortsetzung der Kenia-Koalition (CDU/SPD/GRÜNE), könnte die CDU auch mit einer hauchdünnen Mehrheit zusammen mit der SPD regieren sowie die Grünen oder die SPD als Koalitionspartnerin durch die FDP austauschen. Rein rechnerisch hätten die CDU und AfD eine deutliche Mehrheit, aber angesichts des Ergebnisses für Reiner Haseloff sollte diese Option vom Tisch sein. Haseloff wollte sich bislang nicht auf eine favorisierte Koalition festlegen. Eine Fortsetzung der Kenia-Koalition erscheint angesichts des angespannten Verhältnisses der Koalitionspartnerinnen, vor allem zwischen CDU und Grüne, als relativ unrealistisch und wurde von den Grünen inzwischen ausgeschlossen. Eine „kleine Koalition“ (CDU/SPD) ist angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse mit gewissen Risiken behaftet, da für eine Parlamentsmehrheit alle Abgeordneten der Regierungsparteien mobilisiert werden müssten. Das könnte jedoch auch disziplinierende Effekte entfalten. Einem Dreier-Bündnis aus CDU, SPD und FDP, das unter dem Label der „Deutschlandkoalition“ firmiert, stehen die Liberalen nach ihrem Wiedereinzug aktuell ebenfalls ablehnend gegenüber. Am Ende kommt es wohl darauf an, wie viel die FDP für eine Regierungsbeteiligung verlangt und wie die Gespräche mit der SPD laufen. Das Ausscheiden der Grünen aus der Regierung ist indes weitgehend ausgemacht, da Haseloff Zugeständnisse an den rechten Flügel seiner eigenen Partei machen muss. So lastet der Druck auf der Sozialdemokratie, welche in Sachsen-Anhalt seit 1994 mit einer Ausnahme (2002-2006) an der Regierung beteiligt ist, und für eine Reorganisation der Partei dringend in die Opposition müsste.

Niederlage der LINKEN

Die Wahlniederlage der LINKEN in Sachsen-Anhalt kam nicht überraschend, sondern ist der vorläufige Höhepunkt einer dramatischen Entwicklung. Das lag nicht nur daran, dass man bei dem heraufbeschworenen Zweikampf zwischen der CDU und AfD unter die Räder geraten ist. Das Wahlergebnis der LINKEN hat sich seit der Landtagswahl von 2011 mehr als halbiert. Seit 2007 hat die Partei ebenfalls die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. Wahlergebnisse sind nicht alles. Die Landesverbände im Westen holen auch keine Ergebnisse von über 20 Prozent. Das bedrohliche ist jedoch, wenn sinkende Wahlergebnisse mit einer dramatischen Ausdünnung der Mitgliedschaft einhergehen. Das desaströse Wahlergebnis ist auch das Resultat strategisch falscher Entscheidungen der Landesführung im Wahlkampf und struktureller Problemlagen, die weiter zurückreichen. Diese schmerzhafte Debatte muss die Partei offen führen, um spätestens nach der Bundestagswahl im Herbst eine grundlegende Modernisierung und Neuausrichtung der LINKEN in Sachsen-Anhalt auf den Weg zu bringen.

Im Wahlkampf wurden von der Partei mehrere Fehler begangen, zuallererst die Personalisierung des Wahlkampfes. Die LINKE wird hauptsächlich aufgrund ihrer Inhalte gewählt, wie 61 Prozent der LINKEN-Wähler*innen angaben. Nur 13 Prozent haben der Partei wegen der Kandidatin ihre Stimme gegeben. Statt die Wahlkampagne auf die Spitzenkandidatin Eva von Angern auszurichten, hätte das wahlentscheidende Thema (Soziale Sicherheit) und der Kampf gegen die AfD viel stärker ins Zentrum des Wahlkampfes gerückt werden müssen. Ein zweiter zentraler Fehler war die von der Parteiführung gegen stärkeren innerparteilichen Widerstand geführte Kampagne „Nehmt den Wessis das Kommando“. Hier ist Horst Kahrs vollkommen zuzustimmen, dass die „Deutung der sozialen Verteilungs- und Anerkennungskonflikte als ein Konflikt zwischen ‚Wessis‘ und ‚Ossis‘ […] noch geeignet sein [mag], ältere Stammwähler und -wählerinnen zu halten.“ Für die meisten Wähler*innengruppen ist diese Deutung jedoch nicht mehr wahlentscheidend. Dieser Versuch der Reaktivierung des alten Erfolgsrezeptes als „Kümmererpartei“ im Osten zeigt, wie ratlos die Partei in Sachsen-Anhalt aktuell ist.

Die hohen Ergebnisse, die man ab Mitte der 1990er bis 2011 mit der Verteidigung ostdeutscher „Identitäten“ und „Lebensleistungen“ einfuhr, haben die Partei gleichzeitig davon abgehalten, sich zu modernisieren. Die soziale Ungleichheit zwischen West- und Ostdeutschland wird von der Landespartei gerade nicht als sozialer Klassenkonflikt adressiert, sondern ausschließlich identitätspolitisch aufgeladen. Zugleich wurde der Bereich der sozial-ökologischen Transformation als vermeintlich urbanes Milieuthema sträflich vernachlässigt. Davon konnten die Grünen in den Städten profitieren. Dazu kommt ein weitgehend paternalistisches Politikverständnis, das mit einer starken Parlamentsfixierung einhergeht. Die sozialen Bewegungen, die es in den letzten Jahren in Sachsen-Anhalt in größerer Zahl gab, wurden von der Partei nicht in ausreichendem Maß auf der Straße vorangetrieben. Der Aufbau sozialer Bewegungen muss mit dem Parteiaufbau Hand in Hand gehen, um die negative Mitgliederentwicklung zu stoppen und gesellschaftliche Mehrheiten für ein sozial-ökologisches Transformationsprojekt zu gewinnen.

Die LINKE braucht in Sachsen-Anhalt dringend grundlegende Reformen: Aktive Mitgliederarbeit und das Aufbrechen verkrusteter Strukturen sind dafür unerlässlich. Um den notwendigen Modernisierungsprozess anzustoßen, bedarf es einer konstruktiven Diskussions- und Fehlerkultur im Landesverband. Die LINKE muss sich nicht nur in Sachsen-Anhalt jetzt auf den Weg machen, wenn sie zu einer aktiven sozialistischen Mitgliederpartei werden will.

Perspektiven auf die Bundestagswahl

Trotz der überschaubaren Größe Sachsen-Anhalts setzt die Landtagswahl verschiedene Wegmarken für die Bundestagswahl im Herbst. Für die CDU ist der Wahlsieg besonders wichtig. Innerparteilich festigt dieser Armin Laschet und zeigt, dass die CDU mit der (rhetorischen) Abgrenzung zur AfD Wahlen deutlich gewinnen kann. Der Höhenflug der Grünen könnte hingegen vorerst beendet sein. Der Euphorie der letzten Wochen folgt jedenfalls ein Kater. Derweil sind die Ambitionen der SPD in Persona von Olaf Scholz auf das Kanzleramt damit endgültig beerdigt. Spätestens die aktuelle Wahlniederlage der LINKEN wird im Karl-Liebknecht-Haus die Nervosität immens erhöhen. In Umfragen rückt die Fünf-Prozent-Hürde gefährlich nah, der Trend wurde nicht gestoppt. Und wer weiß, eventuell entpuppt sich Sachsen-Anhalt mal wieder als Laboratorium für künftige Koalitionen. Falls in Magdeburg bald eine „Deutschlandkoalition“ regiert, könnte dieses Modell für manche in der Union ein attraktives Gegenmodell zu Schwarz-Grün sein.