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Dezember 2013  Druckansicht
Von Pablo Sanchez

Europäisches Bürgerbegehren gegen Wasserprivatisierung

Am 21. Juni 2013 erklärte der EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen, Michel Barnier, dass er der Kommission vorschlagen wird, Wasser und sanitäre Grundversorgung vom Anwendungsbereich der von ihm verantworteten Konzessionsrichtlinie auszunehmen – also von deren Privatisierung abzusehen. Explizit würdigte er damit die 1,9 Millionen EuropäerInnen, die die Europäische Bürgerinitiative »Wasser ist ein Menschenrecht« unterzeichnet haben. Die vorangegangene Kampagne war auch ein erster Praxis-Test für das von der EU neu geschaffene Instrument einer Europäischen Bürgerinitiative (EBI). Die erste erfolgreich abgeschlossene EBI endete am 10. September 2013 mit 1 857 605 Unterschriften und liefert wichtige Erfahrungen zu diesem transnationalen Instrument europäischer Bürgerbeteiligung.

Die Privatisierung öffentlicher Güter

Die Geschichte der Privatisierung öffentlicher Güter (commons) wie etwa des Wassers ist natürlich keineswegs eine europäische Geschichte, sondern sie ist Teil einer weltweiten neoliberalen Offensive. Eine direkte Auswirkung der Globalisierung ist die ›Finanzialisierung‹ aller Wirtschaftsbereiche; einschließlich der natürlichen Monopole, die – angeblich um die Verbraucherpreise zu senken – liberalisiert und auf den Markt geworfen werden. Es ist inzwischen ein globaler Trend, die Verwaltung unserer wichtigsten Ressourcen dem Diktat privater Interessen zu unterwerfen. Es ist jedoch gleichermaßen zum Trend geworden, dass diejenigen, die von den Auswirkungen der Trinkwasserprivatisierung betroffenen sind, sich dagegen auflehnen. Wasserprivatisierungen haben soziale Bewegungen entstehen und Regierungen stürzen lassen.

Europäische Wasser-Bewegung

Beim Europäischen Gewerkschaftsverband für den Öffentlichen Dienst (EGÖD) begriffen wir schnell, dass es sich bei Wasserprivatisierung um ein Thema handelt, bei dem Beschäftigte (insbesondere des öffentlichen Dienstes) zwar eine wichtige Rolle spielen können, aber keine so zentrale wie bei Kämpfen um Löhne oder Arbeitsbedingungen. Es war also wichtig, ein breites Bündnis verschiedener Akteure aufzubauen, das eine Kampagne zu diesem Thema sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene voranbringen würde. Zunächst suchten wir nach einer Art ›Leuchtturmprojekt‹ und fanden das erfolgreiche Wasserreferendum der italienischen Bewegung.

Im Jahr 2011 hatten die ItalienerInnen dafür mehr als 1,4 Millionen Unterschriften gesammelt. Es ging damals darum, ein Gesetz zu kippen, das – ähnlich wie die BarnierRichtlinie – kommunale öffentliche Dienste, insbesondere die Wasserversorgung und die Müllabfuhr, liberalisiert und privatisiert hätte. Die Zahl der Unterschriften überstieg das notwendige Quorum um ein Vielfaches. Das Ergebnis war vor allem deshalb wichtig, weil die politische Linke in den vorangegangenen Wahlen eine vernichtende Niederlage erlitten hatte und es im Parlament keine wirkliche Opposition gegen die Politik der damaligen Regierung Berlusconi gab. Ein Volksbegehren hatte das Referendum auf den Weg gebracht, das von den Medien lange quasi totgeschwiegen wurde. Auch die sozialdemokratischsozialliberale Partito Democratico unterstützte das Anliegen erst wenige Tage vor dem Abstimmungstermin (als klar war, dass sich ein überwältigender Sieg abzeichnete). Das Ergebnis schlug in der italienischen Politik ein wie eine Bombe. Am 12. und 13. Juni 2011 gelang – nach Jahren zahlreicher Niederlagen gegen die Neoliberalen – endlich wieder ein Sieg: 27 Millionen ItalienerInnen sagten Nein zur Wasserprivatisierung. Landauf, landab waren seit 2007 hunderte von Komitees gegründet worden, die ein solches Ergebnis möglich gemacht hatten.

Dies war ein Modell, das eine Inspiration für andere Länder sein konnte. Darüber hinaus hatten wir den Volksentscheid in Berlin im Februar 2011 vor Augen, der den Senat gezwungen hatte, die Geheimverträge zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe offenzulegen. Und insgesamt sahen wir in verschiedenen wichtigen Bereichen des öffentlichen Dienstes den Beginn einer europäischen Rekommunalisierungswelle – und hofften, daran anschließen zu können. Mit Blick auf die Aktivitäten der europäischen Wasserbewegung (European water movement) wurde also entschieden, die EBI zu einem zentralen Instrument im Kampf um Wasser als öffentliches Gut und Menschenrecht zu nutzen. Das Instrument schien geeignet, um eine große Kampagne zu starten, und würde gleichzeitig die Frage nach einer demokratischen Kontrolle des politischen Lebens wieder auf die Tagesordnung setzen. Vor dem Hintergrund des Berliner Volksentscheids, des italienischen Referendums, des Kampfes gegen die Privatisierung der Wasserwerke von Madrid und angesichts der Kämpfe gegen die Austeritätspolitik in Griechenland, Irland und Portugal waren alle einverstanden, den nächsten Schritt zu gehen.

Die Rolle des EGÖD

Der EGÖD hatte bereits auf seinem Kongress 2009 in Brüssel beschlossen, die – damals noch in Planung befindliche – EBI als Kampagnen-Instrument zu nutzen, sobald das Werkzeug zur Verfügung stehen würde. Anfang 2010 begannen wir in unserer Organisation mit einer Art interner Kampagne, um für gemeinsame Aktivitäten auf EU-Ebene von unseren Mitgliedsorganisationen so viel Unterstützung wie möglich mobilisieren zu können. Die Frage, ob gemeinsame Projekte in föderalen europäischen Organisationen von Erfolg gekrönt sind, hängt direkt vom Willen der Einzelorganisationen ab, die gemeinsamen Themen auf lokaler Ebene zu verankern. Europäische Politik wird immer noch sehr stark durch eine nationale Brille betrachtet. Das macht es schwierig, in den (mindestens) 28 verschiedenen Kommunikationskanälen eine Botschaft zu transportieren. Zudem setzte die gegenwärtige Wirtschaftskrise die Führungskreise vieler progressiver Organisationen unter Druck. Aber das Thema selbst half uns, diese Hürde zu nehmen. Ohnehin sind es eher die vielen Organisationen, die dazu tendieren, sich auf die nationale Ebene zurückzuziehen – nicht die Bürgerinnen und Bürger! Die Liberalisierung der Wasserversorgung steht schon seit Jahren auf der Tagesordnung und obwohl die Wasser- und sanitäre Grundversorgung in vielen Ländern noch überwiegend öffentliches Eigentum ist, haben große Teile der Bevölkerung ein Gespür dafür, dass diese in Gefahr ist.

Breite Allianzen

Wir bemühten uns also von Anfang an, alle unsere Mitgliedsorganisation einzubinden. Das klingt einfach, aber bei mehr als 250 Gewerkschaften, die rund acht Millionen Beschäftigte in 30 Ländern vertreten, ist es eine echte Herausforderung, überregionale mit lokalen Kampagnen auf einen Nenner zu kriegen. Unsere Diversität als Gewerkschaftsverband ist eine Stärke, aber sie mindert auch die Geschwindigkeit, mit der sich die Dinge anschieben lassen. Nachdem wir intern mobilisiert hatten, traten wir mit unserem Vorschlag der EBI an die bestehenden Wasserbewegungen in den einzelnen Ländern heran und setzten uns auch mit anderen europäischen Organisationen in Verbindung, die eine dem EGÖD vergleichbare Struktur haben: vom Europäischen Umweltbüro bis zum Netzwerk Women in Europe for a Common Future. Der Grundgedanke dabei war, Aufgaben zu verteilen, und dort auf alternative Strukturen zurückgreifen zu können, wo unser eigenes Netzwerk nicht handlungsfähig sein sollte.

Die Bürgerinitiative startet

Die EBI wurde zum frühest möglichen Zeitpunkt, am 1. April 2012, bei der Europäischen Kommission (EU-Kommission) registriert und bekam am 10. Mai grünes Licht von der Politik. Die Möglichkeit, online unterschreiben zu können, war Anfang August gegeben und im September starteten wir die Kampagne, die zunächst recht langsam in die Gänge kam. Wir trafen uns mit Gewerkschaften in ganz Europa, mussten erklären, was eine EBI ist, warum die Leute unterschreiben sollten etc. Die ersten Monate waren von allen möglichen technischen Pannen, von Problemen und von Leuten geprägt, die uns sagten, wir würden unser Ziel niemals erreichen. Zum Jahresende 2012 hatten wir europaweit weniger als 200000 Unterschriften, waren damit zum damaligen Zeitpunkt aber immer noch die erfolgreichste registrierte EBI.

Die Medien spielten eine wichtige Rolle. In Deutschland lief ein Fernsehbeitrag, der positiv über unser Anliegen berichtete und auf die gezielte Beeinflussung der EU-Kommission durch Wirtschaftsunternehmen hinwies. Dies half uns ungemein, zu veranschaulichen, worum es in unserer EBI ging. Die Sendung brachte hunderte BürgerInnen dazu, für die EBI Websites und Gruppen in sozialen Netzwerken zu gründen, Blogbeiträge zu verfassen und auf der Straße Unterschriften zu sammeln. All das ohne irgendeine Aufforderung von Seiten der europäischen oder nationalen Träger. Diese Entwicklung hatte einen elektrisierenden Effekt auf die Kampagne selbst. Es war ein großer und großartiger Prozess der Aufklärung, in dem BürgerInnen sich gegenseitig erklärten – und das manchmal auf sehr einfallsreiche Weise –, warum sie unterzeichnen sollten. Es zeigte sich, was in einer solchen Kampagne drin stecken kann, wenn die Bevölkerung das Thema als ihr eigenes begreift.

Die Kampagne wurde zum kollektiven Eigentum und dies war der Schlüssel zu ihrem Erfolg: Sie war nicht länger eine EGÖD- oder ver.di-Kampagne, sondern war eine echte Bürgerbewegung geworden. Die Kampagne für Wasser als öffentliches Gut war selbst zu einem öffentlichen Gut, zu einem Commons geworden. Dieser Schritt gelang uns nicht in allen Ländern und tatsächlich ist ein solcher Prozess schwierig zu kopieren – aber er offenbarte das Potenzial von guter Kampagnenarbeit.

Auf unseren ersten Erfolg in Deutschland folgten Domino-Effekte in Österreich, in der Slowakei, in Slowenien, den Niederlanden und in Luxemburg. Schließlich trug dies dazu bei, dass andere Länderkampagnen – etwa in Spanien, Griechenland oder Italien, wo gut verankerte Wasserbewegungen existierten und lediglich einen Anstoß brauchten – einen ähnlichen Prozess durchliefen.

Und was hat’s gebracht?

Unsere Forderung war, dass Wasser zum Menschenrecht erklärt und von den europäischen Binnenmarktregeln ausgenommen wird, denn auf der lokalen Ebene ist es einfacher, Politiker in die Verantwortung zu nehmen. Wird die politische Auseinandersetzung erst einmal auf der nationalen, der europäischen oder gar einer globalen Ebene geführt, verliert sie für viele Leute das greifbare, das lokale Element – ein Element, das für das Anliegen, Wasser als öffentliches Gut zu etablieren, sehr wichtig ist. In diesem Sinne ist eine europäische Petition eben nur dann sinnvoll, wenn sie mit einer lokalen Mobilisierung verbunden werden kann; und genau dazu kam es in verschiedenen Ländern. Ein europäisches Gesetzesvorhaben stand zur Debatte und es gelang uns, zugleich über Wasser, über soziale Infrastruktur und über lokale Demokratie zu reden, und zwar mit Hunderttausenden von Leuten.

Die europaweite Sammlung von 1,9 Millionen Unterschriften binnen eines Jahres entwickelte eine starke politische Dynamik und hatte Wirkung auf die EU-Kommission, die sich – sehr zum Verdruss der Lobby der privaten Wasserwirtschaft – gezwungen sah, die Wasser- und sanitäre Grundversorgung von der Konzessionsrichtlinie auszunehmen; obwohl das gar keine explzite Forderung der EBI gewesen war. Das war ein erster wirklicher Erfolg: Schließlich passiert es nicht alle Tage, dass ein EU-Kommissar derart einlenken muss! Ein weiteres positives Ergebnis der Kampagne sind die deutlich intensivierten Beziehungen der verschiedenen Akteure, die auf die eine oder andere Weise an der Kampagne beteiligt waren. Auch das ist ein großer Schritt nach vorne, schließlich war es ein erklärtes Ziel, Synergieeffekte in der Zusammenarbeit von gewerkschaftlichen und sozialen Kampagnenorganisatoren sowie öffentlichen Unternehmen zu erzielen: insbesondere für die Arbeit, die wir nun vor uns haben, da die Unterschriften gesammelt sind. Damit liegen wir ganz klar auf einer Linie mit der Ansicht vieler Aktivistinnen und Aktivisten, dass es nämlich bei der EBI nicht so sehr um die politische Forderung an die EU-Kommission ging, sondern um ein wichtiges Instrument zur Mobilisierung der Menschen und der öffentlichen Meinung: Sie hat dazu beigetragen, dass eine europäische Wasserbewegung entstanden ist.

Wir müssen aber auch ehrlich sein und die Probleme der Kampagne benennen. Zum Beispiel in Frankreich und Schweden (wo die Gewerkschaften besonders stark sind) gelang es uns nicht, die erforderliche Mindestanzahl an Unterschriften zu sammeln. Woran lag das? Zum einen: Wenn eine Kampagne als Eigentum einer spezifischen Organisation, einer Gruppe oder gar einer Person wahrgenommen wird, ist es sehr schwierig, die Kampagnenziele zu erreichen. Es sei denn, diese Gruppe verfügt über extrem viele Ressourcen oder das Thema ist ihr einziges Betätigungsfeld. Zweitens ist Wasser – wie Gesundheit und Bildung auch – eines der Themen, bei dem die Leute das Gefühl haben wollen, sich auf die Gesellschaft verlassen zu können. Eine Kampagne in diesen Feldern muss also einen gesellschaftlichen Blickwinkel einnehmen. Dort wo nur der besondere Aspekt der Wasserund sanitären Grundversorgung im Zentrum stand – also öffentliche Dienstleistungen und die Demokratiefrage außen vor gelassen wurden –, war die Mobilisierungsfähigkeit eingeschränkt und das erschwerte den Erfolg.

Vorläufige Schlussfolgerungen

Das Instrument der EBI ist sicher nicht die allerbeste Art, sich an europäischer Politik zu beteiligen. Aber es ist das einzige Instrument für die ›normale EuropäerIn‹, der mächtigsten Institution der EU eine Botschaft zu übermitteln. Die EBI hat viele Schwächen und Beschränkungen. Wir haben sie jedoch als Mobilisierungsinstrument genutzt, um sicherzustellen, dass unsere Stimme gehört wird. In diesem Sinne haben wir unser Hauptziel erreicht. Die Zeit wird zeigen, ob die Kommission und die Mitgliedstaaten die Stimme von fast zwei Millionen BürgerInnen ernstnehmen werden. Was wir aber in jedem Fall erreicht haben, ist eine Koalition von Gewerkschaften, Umweltorganisationen, aktiven Bürgerinnen und Bürgern, politischen (meist linken) Parteien und sogar Kulturorganisationen auf die Beine zu stellen und gemeinsam übergreifende und partizipative Strukturen zu schaffen, um Hunderttausende nach ihrer Meinung zu einem relativ komplizierten politischen Thema zu befragen.

Mit einer gut organisierten Kampagne ist es also möglich, europaweit Millionen Menschen zu begeistern und erste Schritte zu machen, um Kräfteverhältnisse auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene zu verschieben. Die EBI hilft nicht nur den lokalen Kampagnen gegen die Wasserprivatisierung in Athen, Thessaloniki, Madrid und anderswo. Sie hilft auch landesweiten Bewegungen zur Rekommunalisierung und zur Verteidigung anderer öffentlicher Dienste. Sie zeigt, dass die Leute sich Gedanken machen, sobald man ein Thema konkret fasst. Und sie hat dazu beigetragen, eine Debatte über die Zukunft dessen zu eröffnen, was in nord-, süd-, ost- und westeuropäischen Ländern das »europäische Sozialmodell« genannt wird.

Aus dem Englischen von Andreas Förster.