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Linkes Agieren und Regieren in Berlin – auf Bezirks- und Landesebene

Von Katrin Lompscher

Die Überschrift ist bewusst gewählt. Nicht nur deshalb, weil ich Erfahrungen in beiden Sphären gesammelt habe. Aufgrund der staatsrechtlichen Organisation Berlins funktioniert politisches Handeln nur zusammen auf beiden Ebenen. Zudem schuf das erfolgreiche Agieren der PDS in beiden Sphären die Voraussetzung dafür, dass die Partei 2001 das Berliner Wagnis einer rot-roten Koalition eingehen konnte.

Es ist sinnvoll sich zu vergegenwärtigen, mit welchen Wähleranteilen die PDS 1990 startete, um eine Idee davon zu entwickeln, was 2021 im Rahmen des Möglichen liegt. Bei den ersten berlinweiten Wahlen Ende 1990 erreichte die PDS keine zehn Prozent – mit starken Differenzen zwischen Ost und West. In einigen Ostberliner Bezirken hatte die Partei bereits bei den Kommunalwahlen im Mai 1990 relative Mehrheiten erreicht, die sie bis 2001 deutlich ausbauen konnte. Jedoch wurden mit dem eigens erfundenen Konstrukt der »Zählgemeinschaft« linke Bezirksbürgermeister*innen bis 1995 verhindert. Seit 1990 gab es Mehrheitsfraktionen in den Ostberliner Bezirken, seit 1992 erst Bezirksstadträt*innen der PDS und seit 1995 dann auch linke Bezirksbürgermeister*innen.

Die PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus war anfangs klein und wurde von vielen Seiten bekämpft. Aus den 9,2 Prozent 1990 wurden 2001 mit dem Spitzenkandidaten Gregor Gysi gut 22 Prozent. Nach zwei rot-roten Legislaturen stürzte die LINKE 2011 auf knapp 12 Prozent ab. Mit einer guten Leistung in der Opposition von 2012 bis 2016 verbesserte sie sich wieder deutlich auf 15,6 Prozent und wurde Teil des ersten rot-rot-grünen Bündnisses in Berlin. In aktuellen Umfragen liegt die LINKE stabil in diesem Bereich, zwischenzeitliche Steigerungen auf bis zu 18 Prozent zeigen aber auch deutliche Potenziale.

In den stadtpolitischen Auseinandersetzungen nach der Wende ging es neben den allgegenwärtigen Vereinigungsthemen um das physische Zusammenwachsen der Stadt und um Vorstellungen von der Zukunft Berlins. Metropolenträume schossen ins Kraut – so sollte die Bevölkerung in Berlin und dessen Umland auf fünf Millionen Menschen steigen. Die einst von der Mauer zerschnittene historische Mitte der Stadt war als Baugrund in bester Lage begehrt und zugleich als alte Mitte Ostberlins ideologisch umkämpft. Die PDS beteiligte sich an diesen Auseinandersetzungen aktiv, hatte einen kurzen Draht zu den Bewohner*innen, eigene Expertise und Zugang zu Expert*innen. Mandatsträger*innen und Interessierte aus den Bezirken, dem Abgeordnetenhaus, der Landespartei und auf Bundesebene arbeiteten hier eng zusammen und stimmten sich regelmäßig ab. Das erwähne ich, weil eine solch gute Zusammenarbeit über einen langen Zeitraum meines Wissens nicht oft gelungen ist. Gleichwohl ist das einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für gutes politisches Handeln.

Ebenenübergreifende Kooperation linker Akteur*innen

Gute politische Arbeit braucht gute Ideen und eine gute Organisation. Gute Wahlergebnisse sind möglicherweise mit guten Sprüchen zu erreichen; für einen nachhaltigen Erfolg ist das zu wenig. Aus meiner Zeit als Mitglied der ersten Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Treptow von 1990 bis 1992 sind mir regelmäßige Treffen mit der Fraktion im Abgeordnetenhaus in Erinnerung, an denen die meisten Bezirke teilnahmen. Über die Jahre ist diese Konstanz – zumindest in dem von mir zu überschauenden Bereich – verloren gegangen. So weist die thematische Arbeitsgemeinschaft des Landesverbandes kaum personelle Schnittmengen mit Mandatsträger*innen der Berliner Bezirke auf. Auch Treffen mit anderen Bundesländern gibt es nur sporadisch. Linke Weiterbildungsangebote sind ebenfalls äußerst selten. Natürlich machen linke Bildungsträger wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung oder das Kommunalpolitische Forum Land Brandenburg e. V. weiterhin Bildungsangebote, aber auch hier ist mein Eindruck, dass ihre Anzahl, aber auch ihre Reichweite und Zielgruppenschärfe abgenommen haben.

Für den Blick nach vorn resultiert diese Bestandsaufnahme darin, mehr auf die interne Koordination, den Austausch und die Weiterbildung zu fokussieren. Dieser Appell richtet sich vor allem an die Landesgremien, die Fraktionen, die linken Senatsverwaltungen sowie die Bezirksamtsmitglieder.

Gemessen an der beschriebenen Situation ist es erstaunlich, dass sich die Linke im umkämpften Politikfeld Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen in Berlin dennoch gut positioniert hat. Hierfür sind verschiedene Faktoren verantwortlich: aktive Fachpolitiker*innen und bis 2011 einzelne linke Baustadträt*innen, zudem einige profilierte linke Akteur*innen mit Einfluss und Ausstrahlung, die in verschiedenen politischen Institutionen und gesellschaftlichen Organisationen agierten, sowie eine gezielte Vernetzung mit Aktivist*innen und Expert*innen.

Kooperative Entwicklung von Programmen und gemeinsames Handeln

Die PDS bzw. die Partei DIE LINKE hat in Berlin immer dann erfolgreich Politik gemacht, wenn sie gemeinsam mit stadtpolitischen Bewegungen für bestimmte Positionen gestritten hat. Wenn also das eigene politische Projekt mit Beteiligten, Betroffenen und Interessierten diskutiert und weiterentwickelt wurde. Und zwar in ganz unterschiedlichen Formaten – von der parlamentarischen Anhörung über Fachgespräche und Tagungen bis zur Mitarbeit in Bürgerinitiativen und Vereinen, auf Bürgerveranstaltungen und mit Informationsständen im öffentlichen Raum.

Ein gewisses Renommee in der Stadtentwicklungspolitik erlangte die Partei in den 1990er Jahren in der Debatte um die Wachstumspläne im Flächennutzungsplan, der 1994 beschlossen wurde, mit ihrer aktiven Rolle in der Anti-Olympia-Bewegung 1992/93 und ihrer kritischen Haltung zu städtebaulichen Großprojekten infolge der Berliner Olympiabewerbung und des Hauptstadtbeschlusses. Letztere Auseinandersetzung war de facto die inhaltliche und methodische Vorbereitung auf die Mitwirkung bei der Aufklärung des Berliner Bankenskandals. Daneben hat die Partei sich aktiv der sozialen Stadtentwicklung und der Sanierung der städtischen Wohnungsbaugesellschaften gewidmet. In allen Fällen ist sie Bündnisse eingegangen und hat externe Expertise einbezogen.

Diese politisch erfolgreiche Arbeitsweise hat insbesondere durch den Notverkauf der GSW Immobilien AG 2003/04 (heute: Deutsche Wohnen) durch die erste rot-rote Koalition einen erheblichen Dämpfer erlitten. Vertrauen und programmatische Glaubwürdigkeit sind dabei verloren gegangen und mussten mühsam zurückgewonnen werden. Das ist ganz gut gelungen – durch offensive und selbstkritische Kommunikation und zielgerichtete parlamentarische Arbeit, aber auch durch eine aktive Zusammenarbeit mit stadtpolitischen Initiativen, einen regelmäßigen Austausch mit den Aktiven auch bei der Erarbeitung von Wahlprogrammen, in Koalitionsverhandlungen und im Regierungsalltag.

Sagen, was ist und was geht

Die LINKE – als Partei für den Alltag und nicht nur für Wahltage – steht in Berlin schon seit Langem mehrheitlich für eine pragmatische und dennoch radikale Realpolitik mit klarem Kompass. Zentrale Voraussetzungen für die politische Akzeptanz und Durchsetzungsmacht eines solchen Weges sind Erkenntnisinteresse, Sachkenntnis, Kritikfähigkeit, Beratungsfähigkeit, Substanz, Offenheit und Ehrlichkeit. Politik ist mehr als Propaganda und eine Analyse ist noch kein Konzept – das sind Binsenweisheiten. Eigene politische Vorstellungen und Forderungen auf griffige Slogans zu bringen, ist gut und richtig. Zugleich brauchen wir realistische Bestandsaufnahmen und belastbare Konzepte für unsere Ideen, die am besten in Kooperationen entstehen.

Auf dem Feld der Stadtentwicklungspolitik habe ich selbst viele Jahre genau daran gearbeitet. Ich kam 1996 als wissenschaftliche Mitarbeiterin zur Fraktion ins Abgeordnetenhaus von Berlin und habe diesen Ort bildlich gesprochen als Maschinenraum der Berliner Partei erlebt. Damals bestand für eine Regierungsbeteiligung keinerlei Perspektive, das Motto lautete: Alle wollen regieren – wir wollen verändern. Doch auch aus der Opposition heraus ist es uns seinerzeit gelungen, die Landespolitik zu beeinflussen und an stadtgesellschaftlichen Debatten hörbar teilzunehmen. Am besten gelang uns das immer dann, wenn wir einschätzen konnten, was der Senat vorhatte und warum, und wir das mit guten Argumenten kritisieren und dem realistische Alternativen entgegensetzen konnten.

Die Wahrheit ist den Menschen zuzumuten. Und mehr noch, sie haben Anspruch darauf, dass politische Akteur*innen ehrlich sagen, was der Status quo ist, was sie vorhaben und was in der bestehenden Situation machbar ist. Offene und ehrliche Worte stärken nach meiner Erfahrung die eigene Verhandlungsmacht und Durchsetzungskraft. Und wenn es aus rechtlichen und/oder faktischen Gründen erforderlich ist, Dinge vertraulich zu behandeln, dann kann und muss auch das verständlich und akzeptabel erklärt werden.

Eigene Positionen in Koalitionsverhandlungen und in das Regierungshandeln bringen

Im Vorfeld der Wahlen 2016 führte die Berliner LINKE eine breite öffentliche Programmdebatte und legte mit dem Leitbild »Die Stadt gehört euch« ein sehr konkretes Handlungsprogramm für die kommende Legislatur vor. Dieses inhaltliche Angebot und die gute Oppositionsarbeit wurden mit einem deutlich verbesserten Wahlergebnis honoriert. Während der anschließenden Koalitionsverhandlungen gab es vielfältige Mechanismen der Rückkopplung sowohl innerhalb der Partei als auch mit externen Unterstützer*innen und Expert*innen. Unsere fundierte Vorbereitung versetzte uns dabei in die Lage, Aussagen aus der Verwaltung richtig einzuordnen und abzuwägen und manchen Forderungen anderer Parteien argumentativ entgegenzutreten.

Im Ergebnis gelang es, einen Großteil unserer eigenen Positionen mit dem Koalitionspartner zu vereinbaren. Auf dieser Basis, mit Zuspruch und Rückenwind aus stadtpolitischen und fachlichen Gremien, traute sich die Partei das Ressort Stadtentwicklung und Wohnen zu. Damit verbunden war und ist die Erwartung zivilgesellschaftlicher Initiativen, dass der Dialog fortbesteht, dass aktuelle Erkenntnisse geteilt und ausgetauscht werden und dass gegenseitig Unterstützung geleistet wird.

Die Berliner LINKE hat ausdrücklich zu einer partizipativen und kooperativen Politikgestaltung eingeladen. Und sie wird daran gemessen, wie sie diesen selbst formulierten Anspruch in der täglichen Arbeit einlöst.

Eine Stadtentwicklungspolitik für das Recht auf Wohnen und Stadt sowie den ökologischen Umbau der Städte

Auf personeller Ebene ist Stadtentwicklungspolitik nicht das stärkste Feld der Linken. Aber die Themen »bezahlbarer Wohnraum« und »gutes Leben in Stadt und Land« gewinnen immer mehr an politischer Brisanz und verlangen linke Antworten. Deshalb sollte die Grundlage des politischen Handelns der LINKEN auf allen Ebenen sein, die fachpolitisch Verantwortlichen in Partei und Fraktionen sowie die thematischen Arbeitsgruppen auf Bezirks-, Landes- und Bundesebene einzubeziehen.

Die eigenen Vorstellungen im gesellschaftlichen Raum zur Diskussion stellen, offen sein für Kritik und Anregungen, Korrekturen vornehmen, gute Vorschläge aufgreifen und in die eigene Programmatik einbeziehen – das alles ist gerade in diesem Themenfeld essenziell für linke Positionierung. Mieter*innen- und Bürger*inneninitiativen sowie fachpolitische Zusammenschlüsse sind hier seit Jahren aktiv und öffentlich präsent. So sind das laufende Volksbegehren zur Vergesellschaftung großer privater Wohnungsunternehmen, der Mietenvolksentscheid von 2015 und der Volksentscheid zum Tempelhofer Feld 2014 über Berlin hinaus bekannt. Schon 2011 formierte sich die Initiative »Stadtneudenken«, erreichte einen Verkaufsstopp landeseigener Liegenschaften und etablierte den Runden Tisch Liegenschaftspolitik als zivilgesellschaftlichen Debattenraum. Eine aktive, wachsende stadtpolitische und Mieter*innenbewegung ist natürliche Partnerin und mitunter schärfste Kritikerin der Partei DIE LINKE.

Es besteht Konsens darüber, dass die Mieten reguliert werden müssen, dass Zweckentfremdung bekämpft und der Neubau von Wohnungen unterstützt werden muss. Öffentliche Infrastruktur muss vorhanden sein und zugleich darf die Stadt nicht zugebaut werden. Das alles geht nicht ohne einen besseren Zugriff auf das knappe Gut Fläche. Öffentliche, genossenschaftliche und andere gemeinnützige Wohnungsunternehmen sind dabei die wichtigsten Partner, wobei es keine automatischen Allianzen geben darf. Die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften erwarten zu Recht eine intensive Kommunikation und das Eingehen auf kritische Einwände. Zum Teil gab es bei der Zusammenarbeit mit Genossenschaften in der Vergangenheit Versäumnisse; zudem hat es sich als schwierig erwiesen, sie beim Wohnungsneubau mit der Bereitstellung von Landesgrundstücken zu unterstützen.

»Gemeinsam Stadt machen« ist ein zentrales Anliegen progressiver Stadtentwicklungspolitik. Hier ist Berlin ein gutes Stück weitergekommen. Gemeinsame Leitlinien wurden entwickelt und Anlaufstellen der Bürgerbeteiligung aufgebaut – mit Unterstützung des Runden Tisches Liegenschaftspolitik und des Initiativenforums Stadtpolitik. Die Mieter*innenbeteiligung bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften wurde gestärkt, Selbstverwaltungsprojekte werden unterstützt. Insgesamt gibt es eine breitere Bürgerbeteiligung bei Planungen und Neubauprojekten. Und nicht zuletzt wurden ganz neue Modelle der kooperativen Stadtproduktion entwickelt – Beispiele sind das Haus der Statistik, das Dragonerareal und das Wiesenburg-Areal.

Alles dreht sich um soziales Wohnen und Mieten. Doch die komplexeren Zusammenhänge zwischen integrierter Planung, städtebaulicher Qualität und architektonischer Schönheit stehen bisher weniger im Fokus. Zudem muss das Ineinandergreifen von ökologischem Stadtumbau, behutsamer Stadterweiterung und Verkehrswende besser organisiert werden. Damit rede ich nicht der meines Erachtens wenig praktikablen Fusion der beiden großen Ressorts das Wort, sondern einer besseren Kooperation auf Senats- und Parlamentsebene.

Führen mit links – mit Wertschätzung und Respekt

Die Linke will anders Politik machen – sie will die Demokratie stärken und den Interessen derjenigen Gehör verschaffen, die sonst keine Lobby haben. Dafür brauchen wir eine klare, verständliche Sprache, Bodenhaftung und die Verankerung in der Gesellschaft. Und wir brauchen die Unterstützung der Verwaltung, die ja kein toter Apparat ist, sondern aus Menschen mit eigenen Vorstellungen und Kompetenzen besteht. Im besten Fall sorgt die Politik hier für eine gute Orientierung und vernünftige Arbeitsbedingungen und ermuntert zu eigenständiger, kreativer Arbeit.

In Berlin besetzt die Partei seit 1992 Regierungsämter auf Bezirksebene, der erste rot-rote Senat wurde 2002 gewählt und brachte erstmals linke Positionen in die Senatsverwaltungen. Anfängliche Vorbehalte kamen nicht überraschend – eine latente oder aktive ablehnende Haltung gegenüber dem ›Apparat‹ oder die stetige Kritik an dessen Trägheit erwiesen sich jedoch als kontraproduktiv. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Mitarbeitende sehr genau darauf achten, wie sich linke Chef*innen verhalten. Erstere wollen, dass ihre fachliche Kompetenz und Loyalität anerkannt werden. In den bestehenden hierarchischen Strukturen erwarten sie Führung und verbindliche Vorgaben, doch zugleich schätzen sie Eigenverantwortung und fachlichen Austausch. Für mich steht fest: Wer eine andere Politik machen will, muss auch anders Politik machen.