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Pronomen Busfahrerin. Fridays for Future goes Arbeitskampf

Gespräch mit Rika Müller-Vahl und Paul Heinzel

Ihr seid in der Klimabewegung aktiv und habt eine Kampagne gemacht, um die Tarifrunde im ÖPNV zu begleiten. Warum?

Rika: Wir sind der Meinung, dass die Klimabewegung mit Beschäftigten zusammenarbeiten kann und muss. Und dass sich im Sinne einer »verbindenden Klassenpolitik« gemeinsame Interessen herausarbeiten lassen. Das gelingt nicht abstrakt, sondern in konkreten Kämpfen. Beim ÖPNV ist das Gemeinsame offensichtlich: Gute Arbeitsbedingungen sind die Voraussetzung für einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, der wiederum zentral ist für die Verkehrswende insgesamt. Als klar war, dass ver.di 2020 in die Tarifrunde gehen wird, lag das Projekt auf der Hand.

Paul: Unser Herangehen war ziemlich pragmatisch. Wir wollten eine Blaupause dafür schaffen, dass Klimabewegung und Gewerkschaften zusammenarbeiten können. Bisher war da eher eine Frontstellung, etwa im Konflikt um die Kohle, oder zumindest große Distanz. Wir wollten Erfahrungen sammeln, ob und wie sich die überwinden lässt.

Und wie lief diese Annäherung?

Paul: Politisch war von Anfang an klar, dass die Schnittmenge sehr groß ist. Dass uns 90 Prozent verbinden und 10 Prozent trennen – das ließ sich gut in die Breite der Klimabewegung und der Gewerkschaften vermitteln.

Fridays for Future ist eine heterogene Bewegung. Wie habt ihr eure Idee dort verankert?

Rika: Wir haben unser Vorhaben auf den großen bundesweiten Treffen vorgestellt. Ich erinnere mich etwa an ein Students-for-Future-Treffen in Köln, zu dem wir einige Beschäftigte eingeladen hatten. In der Vorstellungsrunde sollten wir jeweils unseren Namen und Pronomen angeben. Eine Busfahrerin fragte, ob »Pronomen Busfahrerin« auch in Ordnung sei. Davon waren alle begeistert. Danach erzählte sie von ihren Arbeitsbedingungen und warum sie auf unsere politische Unterstützung angewiesen sei.

Gab es auch Bedenken in der Bewegung?

Paul: Hier und da gab es Vorbehalte gegenüber Gewerkschaften, aber fast immer ließ sich das auflösen, wenn wir auf die konkreten gemeinsamen Ziele und vor allem die Perspektiven der Beschäftigten zu sprechen kamen. Wenn Thorsten aus Hamburg von seinen Arbeitsbedingungen erzählt hat, davon, dass manche Kolleg*innen so wenig Pause haben, dass sie nicht mal auf die Toilette gehen können, war allen die Dringlichkeit sofort klar.

Vorher war die Verkehrswende kein großes Thema bei Fridays for Future – wie habt ihr das geändert?

Paul: Sehr systematisch. Wir haben eine Telefonaktion organisiert und rund 300 bis 400 Ortsgruppen persönlich angerufen, unsere Idee erklärt und zu einem gemeinsam mit der ver.di-Jugend organisierten Vernetzungstreffen in Berlin eingeladen. Das Wichtigste war, dass wir eine positive Vision formuliert haben, wie wir als Klimabewegung im Bündnis mit ver.di tatsächlich etwas erreichen können.

Hat sich das viele Telefonieren gelohnt?

Paul: Ja, die Kommunikation läuft sonst meist über Chats und Messenger, da rauscht vieles durch. Am Ende haben die meisten Gespräche zwar nur zwei bis drei Minuten gedauert, aber sie waren wichtig, um persönliche Verbindlichkeit herzustellen.

Und wie habt ihr eine bundesweite Vernetzung aufgebaut?

Rika: Beim Vernetzungstreffen haben wir ein bundesweites Mapping begonnen, das uns über die ganze Kampagne begleitet hat. Wir haben alle Betriebe notiert, die an der Tarifrunde beteiligt waren, in der Spalte daneben die Fridays-for-Future-Kontakte, ob wir schon telefoniert hatten, was die ver.di-Kontakte  sind und wie der Stand ist.

Wir habt ihr euch untereinander koordiniert?

Rika: Wir haben eine bundesweite Koordinationsgruppe gegründet für alle Regionalverantwortlichen, also die Leute, die den Dialog zwischen den bundesweiten Plänen und den regionalen Aktivitäten organisiert haben. Außerdem war ein Team in ständigem Kontakt mit dem ver.di-Bundesfachbereich.

Ein Generalstab fürs Klima?

Paul: Nein, uns war wichtig, dass Beschäftigte und Klimaaktivist*innen vor Ort zusammenkommen. Wir haben immer wieder alle angerufen und zum Austauch in bundesweiten Mega-Zooms eingeladen. Städte, die noch nicht so weit waren, konnten von den Erfahrungen der anderen profitieren. Unser Logo für gemeinsame Gruppenfotos – der »Bus aus Pappe« – ist genau so entstanden. Aber fast noch wichtiger war, dass die Mega-Zooms ein Gefühl der Stärke erzeugt haben. Du siehst, dass nicht nur in deiner Stadt, sondern an zig Orten solche Partnerschaften entstehen.

Wie kamen denn Busfahrer*innen und Aktivist*innen konkret zusammen?

Rika: Es gibt eine einfache aber wirksame Organizing-Methode, die »Ich-Wir-Hier-Jetzt-Geschichte«, die wir zum Einstieg genutzt haben. Ziel ist es, sich gegenseitig zu motivieren und ein gemeinsames Selbstverständnis zu entwickeln mit der Frage »Warum bin ich hier, was treibt mich an?« Und da wurden viele Gründe genannt: »Ich will wenigstens mal eine Toilettenpause« oder »Ich will öfter abends bei meiner Familie sein«. Die Aktivist*innen wollten weniger Autos oder pünktlichere Straßenbahnen. Dann sind wir in digitale Kleingruppen gegangen und haben überlegt, wie aus den Ich-Geschichten eine Wir-Geschichte werden kann. Die Antwort lag auf der Hand: Gute Arbeitsbedingungen im ÖPNV sind die Voraussetzung für eine Verkehrswende.

Und mit dieser Erzählung seid ihr dann in die Betriebe gegangen?

Rika: Ja, in Tandems, immer ein*e Klimaaktivist*in und ein*e Kolleg*in. An manchen Betriebshöfen haben wir Fotopetitionen gestartet. Da kannst du per Foto zeigen, dass du dabei bist. So sind wir mit vielen Kolleg*innen ins direkte Gespräch gekommen. Die persönlichen Begegnungen haben sicherlich auf beiden Seiten am meisten bewegt.

Ihr hattet einen starken methodischen Fokus. Hätte das alles auch ohne Methode geklappt?

Paul: Ohne die Methoden wären wir sicher in klassische Kampagnenmuster verfallen. Wir hätten einen kleinen Kreis von Daueraktivist*innen gehabt, Pressearbeit und Aktionstage – aber wenig gemeinsame Aktivität an der Basis, in den einzelnen Städten, getragen von den Beschäftigten.

Die Methode macht also den Unterschied?

Rika: Dort, wo wir die Methoden intensiv eingesetzt haben, konnten wir unserem Anspruch »Klimabewegung und Arbeiter*innenbewegung zusammen an einem Strang« am besten gerecht werden.

Habt ihr rückblickend eure Ziele erreicht?

Rika: Wir haben gezeigt, dass verbindende Klassenpolitik funktioniert, an einem konkreten Konflikt. Sowas passiert aber nicht auf Zuruf, sondern muss organisiert werden.

Paul: Wir müssen uns aber ehrlich fragen, wie nachhaltig die Bündnisse mit den Beschäftigten sind und ob sie jenseits von Tarifrunden Bestand haben werden. Es kommt erschwerend hinzu, dass Fridays for Future eigentlich mehr von Aktion zu Aktion und weniger in langfristig angelegten Strukturen arbeitet.

Hat die Klimabewegung überhaupt Zeit für so einen langwierigen Bündnisprozess?

Rika: Früher stand bei Fridays for Future Daueraktionismus im Fokus, eine Klimademo folgte der anderen. Aber als wir im Herbst 2019 mit 1,4 Millionen Menschen auf der Straße waren und dann ein lächerliches Klimapaket folgte, kam die Ernüchterung. Ja, die Zeit drängt, aber gerade deshalb müssen wir dauerhafte Bündnisse aufbauen, um wirklich Druck zu erzeugen.

Besteht nicht die Gefahr, dass man sich als Bewegung völlig der Dynamik einer Tarifverhandlung unterordnet?

Paul: Uns ging es um ein Moment der Aktivierung in der Breite. Das geht am besten in einer Tarifrunde, in die auch ver.di Ressourcen hineinsteckt und bei der die Beschäftigten konkret etwas gewinnen können.

Rika: Es gibt die Gefahr, dass die Bewegung dem gewerkschaftlichen Anliegen nur einen grünen Anstrich gibt und die eigenen Ziele hinten runterfallen. Darüber haben wir viel diskutiert. Ich denke, man muss Schritte in beide Richtungen gehen, um voranzukommen.

Was sind eure nächsten Ziele?

Paul: Für mehrere Bundesländer ist die Tarifrunde noch nicht vorbei, da geht’s jetzt erstmal weiter. Und in den Städten, wo nach wie vor Bündnisse bestehen, gibt es Überlegungen, sich im Vorfeld der Bundestagswahl politisch breiter aufzustellen.

Was ist eigentlich mit anderen Gewerkschaften?

Paul: In Berlin treiben wir gerade eine Kooperation mit den Beschäftigten von Siemens Energy voran, denen ein Stellenabbau droht. Wir wollen ausloten, wie wir uns mit ihnen solidarisch zeigen können, obwohl hier im Moment noch fossile Brennstofftechnologie hergestellt wird. Unsere Haltung ist: Die ökologische Transformation darf nicht auf eurem Rücken ausgetragen werden. Die Kooperation steckt noch in den Kinderschuhen, aber wir haben
in der TVN-Kampagne gelernt, dass wir einfach Dinge ausprobieren und experimentieren müssen, um voranzukommen.

Hat sich bei Fridays for Future der klassenpolitische Fokus durchgesetzt?

Paul: Neulich wurde eine Einladung für das Folgetreffen unserer Gewerkschafsvernetzung verschickt – von einer Ortsgruppe von Extinction Rebellion. Das hätte ich vor zwei Jahren nicht erwartet. Da war vorher eher eine Frontstellung dominant, die durch den Anti-Kohle-Aktivismus geprägt war.

Rika: In meiner Ortsgruppe in Hannover habe ich den Eindruck, dass es durch die TVN-Runde weit selbstverständlicher ist, dass soziale und ökologische Forderungen zusammengehören: »Ja, klar können auch Busfahrer*innen Teil unserer Bewegung sein.«

Das Interview führten Rhonda Koch und Hannah Schurian.