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»Wer durchfällt, versaut mir die Abi-Noten nicht.« Warum Ökonomisierung Selektion verschärft

Von Ellen Kollender

Wenn Schulen nach ihrem Abi-Durchschnitt gerankt werden, sind Schüler*innen mit schlechten Startbedingungen ein »Problem«. Die Konkurrenz um Bildungschancen ist eng mit Rassismus und Klassenverhältnissen verschränkt.

An Schulen werden tagtäglich Kämpfe um gesellschaftliche Zugehörigkeit und privilegierte Positionen im Bildungssystem ausgetragen. Besonders in innerstädtischen Wohnräumen sehen sich Eltern oft im Wettbewerb um ›attraktive Schulplätze‹ für ihre Kinder. Schulen wiederum konkurrieren um ›attraktive Eltern‹ respektive Schüler*innen. Bei der Bewertung guter Schulen oder Schüler*innen kommen neben klassistischen oft auch rassistische Logiken zum Tragen. Studien zeigen, dass Eltern, die von ihrem Schulwahlrecht Gebrauch machen, oft keine Kenntnisse über die tatsächliche Qualität der Schulen haben, sondern beispielsweise den ›Migrantenanteil‹ einer Schule als Indiz für das Lernumfeld und das Leistungsniveau nehmen (Fincke/Lange 2012, 12). Insbesondere in innerstädtischen Schulen lassen sich außerdem Praktiken eines sogenannten cream skimmings beobachten, die darauf abzielen, besonders ›leistungsstarke Schüler*innen‹ zu gewinnen, während ›leistungsschwache Schüler*innen‹ gar nicht erst aufgenommen werden (Thrupp/Hursh 2006). Die Unterscheidungen von Schüler*innen als ›leistungsstark‹ und ›leistungsschwach‹ verbindet sich vielfach mit rassistischen Logiken. Das zeigen auch Fälle, bei denen deutsch und nicht-deutsch gelesene Kinder in getrennte Grundschulklassen eingeschult werden – eine diskriminierende Praxis, die bei einer weißen Elternschaft bis vor einigen Jahren noch unter dem Stichwort der »Deutschgarantieklassen« (BZ 2010) beworben wurde. Auch die überproportional häufigen Überweisungen von Kindern mit Fluchtgeschichte auf Schulen für sonderpädagogischen Förderbedarf (Paiva Lareiro 2019) tragen dazu bei, vor allem migrantisierte Schüler*innen vom allgemeinbildenden Schulsystem auszuschließen (vgl. auch Ramzyiah in diesem Heft).

Studien zeigen, dass die zunehmende Steuerung von Schule nach Kriterien der Effizienz, des Wettbewerbs und der Leistung solche Segregations- und Selektionsprozesse verstärken kann (Gomolla/Radtke 2009; Gomolla 2017; Kollender 2020). Eine »Ökonomisierung von Schule« (Hartong et al. 2018) öffnet also Einfallstore für Rassismus und intersektionale Formen der Diskriminierung.

Ökonomisierung von Schule

Seit den 1990er Jahren wurde das deutsche Schul- und Bildungssystem unter Schlagworten wie Educational Governance, Qualitätsmanagement, Bildungsstandards und Output-Orientierung umfassend reformiert. Anlass dafür gaben unter anderem die Ergebnisse international vergleichender Schulleistungsuntersuchungen wie TIMMS oder PISA und die dadurch angeschobene Debatte über die »Qualität« des deutschen Schulsystems. Deutsche Schüler*innen schnitten dabei lediglich mittelmäßig ab und die Bildungsdisparität zwischen Kindern mit und ohne sogenannten Migrationshintergrund war hoch.

Beides wurde als »Entkräftigung gängiger bildungspolitisch motivierter Erklärungsmuster« gewertet (Baumert et al. 1999, 86). Die daraus abgeleiteten Reformvorhaben zielten auf eine »Stärkung der Einzelschule als Handlungseinheit« (ebd., 66) und orientierten sich am Leitbild von Schule als lernender Organisation, das erstmals in den 1950er Jahren im Rahmen einer allgemeinen Bürokratiekritik formuliert worden war. Schulen sollten mehr »Autonomie« hinsichtlich der Gestaltung ihrer Curricula und Schulprogramme erhalten. Heute sind es jedoch vor allem »unternehmerisch-manageriale Tugenden organisationalen Handelns«, die mit einer solchen Autonomisierung von Schule verbunden werden und als »neue Professionalität« gelten (Tacke 2005, 185, zit. nach Höhne 2015, 29).

Beispielsweise beauftragte die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung Ende der 1990er Jahre eine Unternehmensberatung damit, den Prozess der Autonomisierung von Schule zu koordinieren. Hierüber sollten den Schulen einerseits neue Gestaltungsfreiheiten zukommen, um ihre »Corporate Identity«, wie es in bildungspolitischen Dokumenten hieß, zu stärken. Andererseits wurde den Schulen auferlegt, die Ergebnisse ihrer Arbeit stärker zu verantworten und zu dokumentieren. So sind Berliner Schulen seit der Schulgesetzreform im Jahr 2004 unter anderem verpflichtet, sich ein Schulprogramm zu geben und darin »Entwicklungsziele« und »Evaluationskriterien« festzulegen, um »die Qualität ihrer Arbeit« zu messen (Berliner Schulgesetz i. d. F. vom 26.1.2004, § 8; vgl. außerdem Dehne in diesem Heft).

Neben der Einrichtung von Funktionsstellen der Evaluationsberater*innen sind die Schulen zudem angehalten, ihre »Leistungsdaten« wie die Abiturergebnisse ihrer Schüler*innen zu veröffentlichen (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung 2011, 2). In diesen und weiteren Maßnahmen drückt sich eine Verschiebung von einer Input- zu einer Output-Steuerung von Schulen aus, die im Sinne neoliberaler Bildungssteuerung mehr und mehr »dem Selbstzwang zu kontinuierlicher Fortbildung und permanenter Kommunikation« unterworfen sind (Lehmann-Rommel 2004, 261).

Verkürzte Zusammenhangsannahme von »familialem Hintergrund« und »Schulerfolg«

Einige der von Schulen herausgegebenen Leistungsdaten werden unter anderem von lokalen Tageszeitungen regelmäßig aufgegriffen und in Form von Ranglisten veröffentlicht, die Aufschluss über den »Erfolg« oder das »Versagen« von einzelnen Schulen geben sollen. Diese Form der Kommunikation des »Outcomes« kann zur Stigmatisierung all jener Schulen beitragen, die sich am Ende der veröffentlichten Ranglisten befinden. Das Labeling als »Brennpunktschulen« oder »gescheiterte Schulen« schreibt sich nicht selten ins Selbstverständnis der an diesen Schulen Lehrenden und Lernenden ein (vgl. Mari/Santos in diesem Heft). So zeigen Studien zum Phänomen des sogenannten stereotype threat (Steele/Aronson 1995), dass es sich negativ auf die Schulleistung von Schüler*innen auswirken kann, wenn diese annehmen, dass sie in Schule und Gesellschaft mit bestimmten Stereotypen belegt werden. Sie sind dann vielfach weniger motiviert und wenden sich eher von der Schule ab (BIM/SVR 2017, 24ff; Power/Frandji 2010, 387ff). Die Stigmatisierung als »Problemschule« oder als »Problemschüler*innen« kann somit im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung dazu beitragen, dass die Schule in Leistungsvergleichen tatsächlich schlechter abschneidet.

Die über Schulrankings veröffentlichten Leistungsdaten legen zudem den (Kurz-)Schluss nahe, dass die Zusammensetzung der Schüler*innenschaft einer Schule in einem engen Zusammenhang mit den Schulleistungen steht. Ein hoher Anteil von Schüler*innen mit sogenanntem Migrationshintergrund wird dann häufig als eine zu erklärende Variable für das schlechte Abschneiden bestimmter Schulen in Rankings gedeutet. Demnach werfen die Ranglisten weniger die Frage auf, warum Schulen mit einem hohen Schüler*innenanteil mit Migrationsgeschichte teils schlechter abschneiden. Vielmehr suggerieren sie, dass sich die Schulen am Ende der Ranglisten befinden, weil sie von einem hohen Anteil an Schüler*innen mit familialer Migrationsgeschichte besucht werden. In Studien mit längsschnittlicher Kontrolle der Ausgangsleistungen von Schüler*innen lässt sich jedoch »kein eigenständiger Einfluss des Migrantenanteils auf den Kompetenzerwerb« in Schulklassen zeigen (Stanat et al. 2010, 162).

Solche sich hartnäckig haltenden Annahmen zum Zusammenhang zwischen der »familialen Herkunft« und der »Schulleistung« von Schüler*innen basieren somit vielfach auf einer »gefühlten Wahrheit«, die (auch) über gesellschaftlich verankerte rassistische und/oder klassistische Vorstellungen vermittelt sind. Als »bildungsfern« und/oder »mit Migrationshintergrund« gelabelte Eltern von Schüler*innen verfügten, so eine gängige Diskursposition, »oftmals nicht über ausreichendes Wissen […], um ihre Kinder sinnvoll unterstützen und fördern zu können« (Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration 2012, 32). Essentialisierende Bilder wie diese schreiben sich auch in die Schule ein. So spricht ein Schulleiter in einem Interview von »arabischen Eltern«, die »sich nicht besonders in der Schule ihrer Kinder einbringen«, und erklärt das Verhalten wie folgt: »Es ist in ihrer Kultur so. Man gibt das Kind dem Lehrer ab in der Grundschule und holt’s beim Abitur ab und dazwischen hat die Schule was zu tun. Und die Eltern haben eigentlich in ihrer Kultur weder Interesse noch in irgendeiner Form einen Anreiz, sich in Schule einzumischen.«

Im Sinne von »weil ihre Kultur so ist« wird hier ein bestimmtes elterliches Verhalten als quasi-natürliches Verhalten von »arabischen Eltern« konstruiert. In einem solchen Sprechen über die »andere Kultur« der Schüler*innen und ihrer Eltern artikuliert sich ein Kulturrassismus, der zum Teil mit klassistischen, sexistischen und/oder anti-muslimischen Zuschreibungen verwoben ist.

Derartige Wahrnehmungen tragen dazu bei, dass schulische Bildungsungleichheiten vornehmlich auf den familialen (Herkunfts-)Hintergrund der Schüler*innen zurückgeführt werden. Der historische, politische und gesellschaftliche Kontext, in dem schulische Bildung stattfindet, bleibt hingegen ausgeblendet. Diese Perspektive lenkt außerdem von der Frage ab, inwiefern die Lern- und Leistungsentwicklung von Schüler*innen auch über Schule geformt wird. Stattdessen werden politische und pädagogische Maßnahmen nahegelegt, die auf eine Kompensation vermeintlich elterlicher Erziehungsdefizite abheben sowie darauf, als bildungsfern und/oder mit Migrationshintergrund gelabelte Eltern zu »aktivieren«, sich stärker für die schulischen Belange ihrer Kinder einzusetzen. Dies geschieht vielfach unter dem Motto des »Förderns und Forderns« (Gomolla/Kollender 2021). Diese im Zuge der Hartz-IV-Reformen begründete Maxime hat in den letzten zwei Jahrzehnten auch ins deutsche Schulsystem Eingang gefunden. Dabei ist die suggerierte wechselseitige Verantwortung vor allem von symbolischer Natur und zielt vorrangig darauf ab, schulisches Engagement und Integrationsleistungen der Eltern stärker einzuklagen. Werden die Eltern dieser Forderung nicht gerecht, müssen sie mit Sanktionen und Disziplinarmaßnahmen rechnen. Hiervon sind Familien mit Migrationsgeschichte besonders betroffen. So droht neu nach Deutschland migrierten Eltern aus Ländern außerhalb der Europäischen Union oft die Kürzung von Sozialleistungen, wenn sie nicht am sogenannten Elternintegrationskurs – einer Variante des allgemeinen Integrationskurses des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge – teilnehmen (Kollender 2021).

Ökonomisierungsprozesse leisten 
institutionellen Diskriminierungs-
prozessen Vorschub

Wenn Maßnahmen zur Bearbeitung von Bildungsungleichheiten lediglich bei bestimmten Schüler*innen und Eltern ansetzen statt beim Schulsystem, stützt dies den Diskurs über vermeintliche »Risikogruppen« in der Schule. Dies gilt auch für die Veröffentlichung von schulisch-behördlichen Statistiken, die den Anteil der Schüler*innen mit sogenannter nicht-deutscher Herkunftssprache, »Mi-
grationshintergrund« oder »ausländischer Staatsangehörigkeit« an einer Schule ausweisen, wie dies aktuell auf verschiedenen Internetseiten von Bildungsbehörden geschieht. Über solche Statistiken werden Schüler*innen nach ihrer vermeintlichen Herkunft und Herkunftssprache unterschieden. Dies erweist sich dann nicht nur als relevant für die elterliche Schulwahl, sondern leitet auch schulische Selektionsprozesse an. So zeigt die Studie von Mechtild Gomolla und Frank-Olaf Radtke (2009, 266), »dass ›soziale Typisierungs- und Klassifikationsschemata‹ […] im organisationalen Handeln in Schulen« (Gomolla/Radtke 2009, 266) häufig aufgegriffen und entscheidungswirksam werden, zum Beispiel wenn es um die Aufnahme von Kindern an Schulen oder ihre Platzierung in Förderklassen geht.

Die oben genannten bildungspolitischen Reformmaßnahmen können solche institutionellen Diskriminierungsprozesse (ungewollt) verstärken. Sie können neue (gefühlte) Notwendigkeiten der Selektion und Segregation im Schulsystem bewirken, bei denen (auch) rassistische, klassistische und/oder sexistische Logiken zum Einsatz kommen (Kollender 2020, 276ff). Dies zeigt das Beispiel eines Schulleiters in Berlin-Neukölln, der seine Schule im Interview wiederholt als »Türkenschule« bezeichnet und erzählt, dass er seit einigen Jahren versucht, vor allem eine »deutsche Schülerklientel« an seine Schule zu bekommen. Als Grund hierfür nennt er die berlinweite Veröffentlichung des Abiturdurchschnitts. Seine Schule habe hier zuletzt ein »grottiges Ergebnis« erreicht. Der Schulleiter, der meint, früher benachteiligten Schüler*innen gerne »Asyl geboten« und eine »zweite Chance« gegeben zu haben, sagt, dass er das jetzt nicht mehr tue: »Weil, da wird ja doch nur ein Drei-Komma-Abitur draus. Das heißt, ich werde A: kaum noch Schüler dergestalt aufnehmen. Es werden B: sehr viel mehr Schüler durchfallen – weil, wer durchfällt, versaut mir die Abi-Note nicht.« Angesichts des Drucks, nach außen gut zu »performen« und sich im Wettbewerb mit anderen Schulen zu behaupten, werden Schüler*innen »aus sozial marginalisierten bzw. sogenannten ›Risikogruppen/-gemeinden‹ auf historisch neue Weise als ›Belastung‹ der Schulen« dargestellt (Gomolla 2017, 76). Demgegenüber geraten Ansätze einer »solidarischen Schule« (vgl. Zilla-Seifert und Lullien in diesem Heft) ins Hintertreffen.

Der Leistungsdruck, dem sich Schulen zunehmend ausgesetzt sehen, geht nicht nur auf die oben beschriebene bildungspolitische Steuerungsform der Autonomisierung zurück. Auch die Stärkung sogenannter choice policies im Schulsystem, wie die Ausweitung von Elternbeteiligungsmöglichkeiten oder das Schulwahlrecht, verstärken den Druck. Diese Entwicklung führt zugleich zu neuen (Selbst-)Verständnissen der Rollen von Eltern und Schule: Während sich die Schulen in der Rolle der »Bildungsdienstleister« sehen, die sich mit einem attraktiven Profil sowie überzeugenden (Schul-)Leistungen an die Eltern richten und bei diesen für die Wahl ihrer »Angebote« werben müssen, kommt den Eltern – in der Rolle der Kund*innen im Schulsystem – verstärkt Verantwortung zu, die »richtigen Entscheidungen« für die Bildungslaufbahn ihrer Kinder zu treffen. Ihnen wird vermittelt, dass sie hohe persönliche und materielle Ressourcen in die Entwicklung ihrer Kinder investieren müssen, um ihnen einen als notwendig erachteten »Positionsvorteil« im Bildungssystem zu verschaffen. Viele Eltern versuchen, diesen Anforderungen auch mit einer stärkeren Präsenz in der Schule ihrer Kinder oder über die Mobilisierung privater, meist kostenintensiver Bildungs- und Nachhilfeangebote nachzukommen (Zeit Online 2021). Dabei sind es vor allem ökonomisch privilegierte Elterngruppen (ohne Rassismuserfahrung), denen es gelingt, die ihnen zugeschriebene Verantwortung für den Schulerfolg ihrer Kinder in einen Positionsvorteil im Schulsystem zu verwandeln. Sich so (re-)produzierende ungerechte Ausgangslagen im Schulsystem werden in der aktuellen Bildungsdebatte kaum reflektiert. Die fortschreitende Etablierung eines meritokratischen Verständnisses von Bildungsgerechtigkeit – im Sinne von »Jedes Elternteil ist seines Kindes Schulerfolg Schmied« – in Schule und Gesellschaft trägt hierzu bei.

Weg von der neoliberalen hin zur diskriminierungskritischen Transformation von Schule

Aktuelle Segregationsprozesse im Schulsystem lassen sich somit nicht allein auf dominanzgesellschaftliche Bestrebungen einer (weißen) Elternschaft zurückführen, die versucht, ihre Bildungsprivilegien aufrechtzuerhalten. Sie müssen auch im Zusammenhang mit aktuellen Ökonomisierungsdynamiken im Schulsystem gesehen werden, die schulischer Diskriminierung Vorschub leisten. Einer solchen Verschärfung von Bildungsungerechtigkeit im Schulsystem lässt sich weder durch einen – von Medien und Bildungspolitik häufig als »Ideal« propagiertenstärkeren »Schüler*innen-Mix« in den Klassen in Bezug auf »(soziale) Herkunft« entgegenwirken. Noch stellt die finanzielle Förderung von Einzelschulen auf Basis bestimmter Sozialindizes im Rahmen sogenannter Brennpunktschulen-Programme eine hinreichende Antwort dar. Diese Programme mögen partiell und temporär hilfreich sein, langfristig tragen sie jedoch zur Verfestigung essentialisierender Gegenüberstellungen von bestimmten Schüler*innengruppen bei, die in institutionelle Diskriminierungsprozesse münden oder diese rechtfertigen können. Über die Brennpunktschulen-Programme wird außerdem die Verantwortung für Bildungsrisiken weiter vom Staat sowie von der Sozial- und Bildungspolitik auf die Einzelschule übertragen. Das Berliner Bonus-Programm für Brennpunktschulen setzt entsprechend auf einen »eigenverantwortlichen Umgang« der Schulen, die die finanziellen Zulagen »mit eigenen kreativen Ideen« und »mit viel Engagement weiterentwickeln«, um so »ihre Schülerinnen und Schüler […] zu bestmöglichen Ergebnissen [zu] führen« (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2011).

Um diskriminierenden Ausschlüssen im deutschen Schulsystem zu begegnen, dürfen sich bildungs- und sozialpolitische Akteur*innen nicht aus der Verantwortung stehlen. Die hier skizzierten Problemlagen können auf schulisch-pädagogischer Ebene allein nicht gelöst werden. Neben der Institutionalisierung von Maßnahmen, die Rassismus und seine Verwebungen mit anderen »Ismen« in Schule identifizieren, benennen und bearbeiten, braucht es auch sozialpolitische Antworten, um etwas an den ungerechten Ausgangslagen im Schulsystem zu ändern. Eine solche Politik muss sensibel sein für diskriminierende Fallstricke aktueller Bildungsreformen. Die Kontrolle des »Outcomes« von Schule muss dabei hinter den Anspruch, umfassende Bildungsgerechtigkeit herzustellen, zurücktreten.

Literatur

Baumert, Jürgen/Harnischfeger, Wolfgang/Hübner, Peter/Nowak, Wolfgang/Stryck, Tom, 1999: Kommission »Berliner Bildungsdialog« der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin: Schule in Berlin. Systemmerkmale – Problemzonen – Handlungsbedarf, Berlin

Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migr-
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BIM, Berliner Institut für empirische Integrations- und Migra-
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BZ, Berliner Zeitung, 2010: Die Schule mit der »Deutsch-Garantie«, 29.3.2010, www.bz-berlin.de/artikel-archiv/die-schule-mit-der-deutsch-garantie

Fincke, Gunilla/Lange, Simon, 2012: Segregation an Grundschulen. Der Einfluss elterlicher Schulwahl, Berlin

Gomolla, Mechtild, 2017: Strukturelle Veränderungen der regulären schulischen Institutionen in Richtung sozialer Gerechtigkeit? Spannungsverhältnisse zwischen Neuer Steuerung und Inklusion, in: Laubenstein, David/Scheer, Désirée (Hg.): Sonderpädagogik zwischen Wirksamkeitsforschung und Gesellschaftskritik, Bad Heilbrunn, 63–82

Gomolla, Mechtild/Kollender, Ellen, 2021: Schulischer Wandel durch Elternbeteiligung? Kontinuitäten und Neuverhandlungen der Bilder von ›Eltern mit Migrationshintergrund‹ im politischen Diskurs der BRD, in: Zeitschrift für Diversitäts- und Managementforschung 1–2/2021, 28–42

Gomolla, Mechtild/Radtke, Frank-Olaf, 2009: Institutionelle Diskriminierung. Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule. Wie Schule Schulversagen erzeugt, Wiesbaden

Hartong, Sigrid/Hermstein, Björn/Höhne, Thomas (Hg.), 2018: Ökonomisierung von Schule? Bildungsreformen in nationaler und internationaler Perspektive, Weinheim

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Kollender, Ellen, 2021: »Und das nenn’ ich Nehmermentalität.« Rassistische Adressierungen von Eltern in der Schule im Kontext des sozialstaatlichen Aktivierungsdiskurses, in: Akbaba, Yaliz/Bello, Bettina/Fereidooni, Karim (Hg.): Pädagogische Professionalität und Migrationsdiskurse, Wiesbaden, i. E.

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