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No Pasaran! Eine neue Internationale gegen die radikale Rechte

Von Emily Thornberry

Dies ist der Moment vieler bedeutsamer Jubiläen in der Geschichte der sozialistischen Bewegung – einer Bewegung die sich stets auf den unwiderstehlichen Impuls der Massen gründete, auf der wunderbaren Inspiration durch mutige Einzelne und dem tiefverwurzelten Glauben, dass ein Unrecht gegenüber einem oder einer von uns einem Unrecht gegenüber uns allen gleichkommt – wo auch immer in der Welt wir uns befinden.

Besonders wichtig ist uns dabei die 150-Jahr-Feier des Gewerkschaftsverbandes Trades Union Congress (TUC): 150 Jahre im Kampf für die Arbeitenden, nicht nur in Großbritannien, sondern überall auf dem Globus. […] Und es ist 130 Jahre her, dass ein schmaler, bescheiden lebender, bärtiger Sozialist, ein Franzose namens Pierre De Geyter, sich hinsetzte und eine neue Melodie zu einem alten Text schrieb, und so das Stück schuf, das wir als „Die Internationale“ kennen. […] Das Lied inspirierte die arbeitende Klasse Europas und alarmierte die herrschende Klasse, denn er wendete sich gegen den Krieg, gegen die Ausbeutung, ein brennender Appell an die Menschheit, sich zu vereinen.

Und es ist 100 Jahre her, dass die ersten Frauen in Großbritannien das Recht erhielten, zu wählen und ins Parlament gewählt zu werden. Und niemand soll behaupten, diese Rechte seien uns ‚gegeben‘ worden. Denn den Frauen vor uns wurde nichts gegeben! Sie kämpften für diese Rechte, sie litten dafür, und einige starben auch für sie. All das, in dessen Genuss wir heute kommen, wurde von diesen tapferen, großartigen Frauen für uns errungen.

Doch ist es auch hundert Jahre her, dass eine junge Frau, die selbst niemals das Wahlrecht erhalten sollte, ihren einzigen Sohn gebar: einen Sohn, dem es fünfzig Jahre später verwehrt wurde, ihrem Begräbnis beizuwohnen, weil er in einer Gefängniszelle auf Robben Island saß. Nosekeni Mandela sollte ihren Sohn nie mehr in Freiheit sehen. Sie sah niemals, wie er sein Land veränderte und die Welt inspirierte. Doch er, er nannte sie „das Zentrum seines Universums“. Und somit verdanken wir es ihr, dass er dies beides tat.

Und wir feiern auch die Jahrestage einiger der größten Errungenschaften Labours: 70 Jahre sind vergangen, seit die Regierung Clement Attlees den Nationalen Gesundheitsfonds (NHS) schuf; 50 Jahre, seit die Wilson-Regierung dabei half, den Atomwaffensperrvertrag zu verabschieden; und 20 Jahre, seit Gordon Brown die Steuergutschriften einführte, die die Tories zurückzunehmen versuchen; 20 Jahre, seit Tony Blair das Karfreitagsabkommen unter Dach und Fach brachte, an dem die Tories zu rütteln versuchen; und 20 Jahre, dass die Labour-Regierung mit dem Neuen Föderalismus begann, den die Tories zu ignorieren versuchen, während sie sich auf eine falsche Entscheidung zwischen dem ‘Chequers Deal’[1] [1] und ‘No Deal’ mit der EU einschießen, von denen jeder Arbeitsplätze vernichten und Wachstum in unserem Land verhindern wird, und von denen wir keinen akzeptieren werden.

Sehr ernste Jubiläen waren zu begehen: 100 Jahre sind seit dem Ende des I. Weltkriegs vergangen – einer Zeit, in der junge Männer aus allen Teilen der Welt sich in Europa, Afrika, dem Nahen Osten und Asien vereinten, nicht im Geiste der Internationale, sondern – um es mit Keir Hardie zu sagen – „um die grauenvollen Gräber des Krieges zu füllen“ auf Befehl „selbstsüchtiger und inkompetenter Staatsmänner“, die darin gescheitert waren, den Frieden zu erhalten.

Und es sind auch 70 Jahre vergangen seit der Ermordung Gandhis, und 50 Jahre seit der Ermordung Martin Luther Kings und Robert Kennedys: drei Männer des Friedens, drei Männer der Hoffnung – sie alle wurden erschossen, weil sie an eine Alternative zu Gewalt und Hass und Krieg glaubten.

Und es gibt einen letzten Jahrestag, anlässlich dessen wir innehalten und uns heute erinnern müssen. Denn es ist 80 Jahre her, dass die Internationalen Brigaden nach ihrem tapferen Kampf gegen den Faschismus in Spanien aufgelöst wurden; 80 Jahre her ist auch ihr heroischer letzter Kampf am Ebro. Und wir ehren heute jene tapferen Frauen und Männer […], die bereit waren, ihre Jugend zu opfern, ihre Zukunft und ihr Leben, um den Versuch zu machen, den Aufstieg des Faschismus in Europa zu verhindern.

Heute brauchen wir denselben Geist, dasselbe Feuer, denn jene gefährlichen Kräfte sind wieder auf dem Vormarsch, und das in einer Schnelligkeit und in einem Ausmaß, wie es seit den Tagen der Internationalen Brigaden nicht mehr gesehen wurde.

Und es sind nicht nur die Szenen von Charlottesville bis nach Stockholm, wo maskierte Schläger unter Neo-Nazi-Flaggen marschieren. Es ist auch – viel gefährlicher – der Aufstieg von Führungsfiguren, die einen Nationalismus verfolgen, der nicht auf der Liebe zum eigenen Land und zum eigenen Volk beruht, sondern auf dem Hass gegen alle anderen – mit Angriffen gegen die Demokratie und die freie Rede, durch Dämonisierung von Minderheiten, anderer Religionen, und Medien, die man für den ‚Feind‘ hält.

Überall sehen wir heute diese Regierungen, wir wissen, dass sie zur Schaffung einer Welt beitragen, die das Gegenteil der ‚Internationale’ ist: eine Welt, in der die Menschheit im Hass ertrinkt und gespaltener ist als zu irgendeiner Zeit seit den 1930er Jahren. Und genau deswegen ist dies eine Welt, die gänzlich unfähig ist, mit den Problemen umzugehen, denen wir uns alle gemeinsam gegenübersehen.

Das ist der Grund, weshalb auf den Führungsebenen unserer Welt angesichts der Klimakrise mit den Schultern gezuckt wird, obwohl die Krise doch den Punkt erreicht, wo es keine Umkehr mehr gibt. Das ist der Grund dafür, warum Regierungen wie die von Teresa May damit fortfahren, Waffen an Saudi-Arabien zu verkaufen, während doch erwiesen ist, dass die Waffen dafür benutzt werden, unschuldige Kinder im Jemen zu ermorden. Das ist der Grund dafür, dass auch der Krieg in Syrien unlösbar bleibt und Dutzende von mächtigen Ländern dort nicht zu seiner Beendigung involviert sind, sondern mit dem Leben anderer ihre eigenen tödlichen Machtspiele spielen.

Das ist der Grund dafür, dass Nord-Korea trotzig damit fortfahren kann, seine eigene Bombe zu entwickeln; dass Iran Nazanin Zaghari-Ratcliffe ein drittes Jahr wegsperren kann; dass Myanmar und Kamerun willkürlich ihre eigenen Bürger abschlachten können; dass Russland sich ungestraft nicht nur in Syrien, sondern auch in Salisbury betätigen kann; und auch dafür, dass Donald Trump Verträge zunichtemachen kann, die abzuschließen Jahre gekostet haben.

All dies, weil die Weltordnung einer gesetzesfreien Zone gleicht, und weil es einfach keine Führung gibt, um dies wieder in Ordnung zu bringen. Doch […] wir als die Labour-Partei müssen uns dafür einsetzen, in einer künftigen Regierung, die Welt in eine andere Richtung zu bewegen.

Wir werden unter Nia Griffiths Führung unsere militärischen Kräfte unterstützen, zwei Prozent Ausgaben für die Verteidigung beibehalten, mehr in die Sicherung des Friedens investieren, unsere internationalen Verträge achten und niemals zögern, uns selbst, unsere Bürgerinnen und Bürger, unsere Verbündeten sowie auch unsere Bürgerinnen und Bürger im Ausland zu verteidigen. Doch werden wir als Partei niemals dazu zurückkehren, illegale, aggressive Interventionskriege zu unterstützen, die ohne Plan für die Zeit danach und ohne jeden Gedanken an die Konsequenzen geführt werden – sei es im Hinblick auf die unschuldigen Leben, die sie kosten, noch in Anbetracht der unregierten Räume, die entstehen und in denen terroristische Gruppen aufblühen können.

Und unter der Führung von Kate Osamor werden wir uns auch der Herausforderung stellen, die Nelson Mandela dieser Zusammenkunft vor achtzehn Jahren mitgab, als er uns sagte, dass es „eine der moralischen und politischen Hauptaufgaben Labours im 21. Jahrhundert“ sei, „noch einmal zu den Hütern unserer Brüder und Schwestern überall in der Welt zu werden“.

Und unter der Führung Jeremy Corbyns müssen und werden wir die Welt in der Verbreitung der Menschenrechte anführen, in der Reform und Einschränkung des Waffenhandels, im Einsatz für die Beendigung von Konflikten, indem wir Flüchtlinge unterstützen, nicht dämonisieren, und indem wir das Versprechen einer Welt ohne Atomkraft von einem unerreichbaren Traum zu einem konkreten Ziel weiterentwickeln.

Unter der Führung jeder und jedes einzelnen von uns, müssen wir die Erinnerung an die Internationalen Brigaden hochhalten und den Kampf gegen die Kräfte des Faschismus, des Rassismus, des Vorurteils und des Antisemitismus führen. Denn das ist es, was wir immer getan haben, im eigenen Land und außerhalb, und es ist das, was wir immer weiter tun müssen.

Wir waren zur Stelle in Spanien im Kampf gegen Franco 1936. Wir waren zur Stelle in der Cable Street, im gleichen Jahr, kämpften wir gemeinsam mit der jüdischen Gemeinschaft, um die Schwarzhemden zu stoppen. Auch hier in Liverpool, ein Jahr später, waren wir zur Stelle, als Oswald Mosley in dieser großartigen Stadt zu sprechen versuchte, jedoch ohne ein Wort sagen zu können, vertrieben wurde. Und wir waren zur Stelle in den 1980ern – auch ich selbst –, als wir gegen die Nationale Front marschierten.

Und erinnern wir uns daran, dass wir all diese Schlachten gewonnen haben! Wir schlugen die Schwarzhemden und die Nationale Front zurück, den BNP und die EDL, und wie auch immer sie sich heute nennen, wie auch immer sie ihren Rassenhass verschleiern, wir sind da, in denselben Straßen, und rufen den Faschisten zu: „No Pasaran“ – ihr werdet nicht durchkommen!

Und im Rückblick auf diese Kämpfe, die sich über 80 Jahre strecken, möchte ich eine simple Feststellung machen: Es waren nicht Tausende von Tories, die sich in den Straßen versammelten, um die Faschisten zu bekämpfen. Es waren die Männer und Frauen in diesem Raum. Es waren Jack Jones und die Eltern von Jeremy, Jon Lansman und Len McCluskey, Diane Abbott und Dawn Butler, Jeremy Corbyn und John McDonnell. Während ich also Wert darauf lege, niemals uneinig mit John über irgendetwas zu sein, so bin ich doch hierin mit ihm uneinig: Wir brauchen keine neue Anti-Nazi Liga (ANL), denn die Anti-Nazi Liga ist hier, in diesem Saal und auf dieser Bühne.

Jedoch, lassen Sie mich auch aus Herzensgrund über etwas sprechen, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich es als Labour-Mitglied und Aktivistin jemals würde sagen müssen. Wenn wir den Faschismus und Rassismus und den Hass in unserer Welt und in unserem Land ausrotten wollen, dann müssen wir – und das müssen wir wirklich – damit beginnen, all dies in unserer eigenen Partei auszurotten.

Wir alle unterstützen die palästinensische Sache, sehen uns verpflichtet, den palästinensischen Staat anzuerkennen, und ich zögere kein bisschen, die Netanyahu- Regierung für ihre rassistische Politik und ihr kriminelles Vorgehen gegen das palästinensische Bevölkerung zu verurteilen. Doch ich weiß ebenso, und wir alle wissen, dass es einzelne am Rande unserer Bewegung gibt, die in Übelkeit erregender Weise unsere legitime Unterstützung für Palästina benutzen – als Deckmantel für ihren jämmerlichen Hass gegen jüdische Menschen und ihren Wunsch, Israel zerstört zu sehen. Diese Leute stehen für alles, wogegen wir uns immer gewendet haben, und sie müssen in derselben Weise aus unserer Partei geworfen werden, wie Oswald Mosley aus Liverpool geworfen wurde.

Und wenn wir den Traum der Internationale, die Menschheit zu vereinen, wirklich wahrmachen wollen, und auch unser gespaltenes Land wieder zusammenführen, dann müssen wir damit beginnen, unsere Partei wieder zusammenzuführen, und die nutzlosen Konflikte beenden, die unsere Bewegung spalten, unsere Debatten in den Sozialen Medien vergiften und uns davon ablenken, uns gegen die Tories zu stemmen.

Denn wie schon Gandhi sagte: „Wir sind nicht mehr als ein Spiegel der Welt, wenn wir also uns selbst verändern, verändern wir auch die Welt.“ Doch wenn wir nicht die Stärke haben, uns selbst zu verändern, die Art wie wir miteinander umgehen, wie können wir dann überhaupt hoffen und danach trachten, das Land und die Welt zu verändern?

Aber wenn wir all dies zu tun vermögen, dann denken Sie nur daran, zu was wir fähig sind. Denken Sie daran, welche Geschichte wir schaffen können, wenn wir einmal an der Regierung sind. Denken Sie an das, was wir erreichen können, so dass bei zukünftigen Labour-Konferenzen weiterer großer Jahrestage gedacht wird.

Ich möchte schließen mit einer Geschichte, die Dolores Gomez über die Belagerung Madrids im Jahr 1936 erzählte, als sie und ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger jeden Tag erwarteten, dass ihre Straßen an die faschistischen Kräfte fallen würden, die die Stadt umzingelt hatten. Und tatsächlich, eines Tages hörten sie eine riesige Armee heran marschieren.

„Eisenbeschlagene Stiefel“, sagte sie, „Männer, die Gewehre über ihren Schultern mit aufgesteckten Bajonetten, mit schweren Schritten, die die Erde unter ihren Füßen erzittern lassen.“ Sie und andere auf Balkonen mit Blick über die Straße heruntergeduckt, die eigenen Gewehre erhoben und Handgranaten im Anschlag, nur wartend auf den Angriffsbefehl.

Doch dann, sagte sie, habe die Armee zu singen begonnen. „Ein Schauer läuft den Leuten über den Rücken. ‚Ist das ein Traum?‘, fragte eine Frau schluchzend. Doch nein, das war es nicht. Die Männer, die dort marschierten, hatten begonnen, ‚Die Internationale‘ zu singen, jeder in seiner Sprache“ – auf Französisch, Italienisch, Deutsch und Englisch – die Mitglieder der Internationalen Brigaden sangen alle unterschiedliche Wörter, doch in derselben Bedeutung: Wenn einer von uns von den Kräften des Hasses, des Vorurteils und der Ausbeutung angegriffen wird, dann sind wir alle attackiert, und wir müssen uns vereinen und gemeinsam kämpfen.

Wenn wir heute in unserer Partei dieselbe Einigkeit hervorbringen könnten, wenn wir das Vorurteil ausrotten und die Spaltung in unseren Reihen überwinden könnten, dann können wir auch unser gespaltenes Land heilen, unsere zersplitterte Welt vereinen und zeigen, dass die größten Errungenschaften unserer sozialistischen Bewegung nicht in unserer Vergangenheit liegen, sondern in unserer Zukunft. Das ist die Art von Regierung, die wir für unser Land brauchen – und das ist das Großbritannien, das wir für unsere Welt brauchen.

Rede auf dem Labour-Parteitag vom September 2018 zuerst veröffentlicht in The Spectator [2]. Aus dem Englischen von Corinna Trogisch

Anmerkung

[1] [3] Der Chequers-Plan ist ein 83 Seiten langes Weißbuch, den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs (Brexit) betreffend. Er wurde am 12. Juli 2018 durch die Regierung des Vereinigten Königreichs unter Premierministerin Theresa May veröffentlicht. Vgl. en.wikipedia.org/wiki/The_framework_for_the_future_relationship_between_the_United_Kingdom_and_the_European_Union [4]