| »Mit einem Pfleger und einer Erzieherin als Spitzenkandidat*innen«

Oktober 2020  Druckansicht

Wohin geht’s, Linkspartei? Um das herauszubekommen, haben wir mit Genoss*innen einen Ausflug ins Jahr 2025 gewagt und sie nach ihren strategischen Perspektiven für die LINKE gefragt. Hier der Beitrag von Inva Halili.

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Das Szenario: Spätsommer 2025. Du bist auf einer Mitgliederversammlung der LINKEN und wirst um eine Bilanz der letzten fünf Jahre gebeten: Wie ging es weiter nach dem Parteitag 2020 – welche Weichen wurden dort gestellt? Und was kommt in der Zukunft auf die LINKE zu?

Wir können uns als Mitglieder auf die Schultern klopfen dafür, dass wir beim Parteitag 2020 entschieden haben, dass….

… DIE LINKE gesellschaftliche Konflikte geschlossener führt. Ich freu mich, dass wir seitdem handlungsfähiger geworden sind und viel Kraft in den Aufbau dieser Partei gesteckt haben. Das hat sich gelohnt, denn wir waren nicht nur überall dabei, wo gesellschaftliche Auseinandersetzungen an der Tagesordnung waren. An vielen Stellen haben wir Orte des gemeinsamen Lernens und Rebellierens erst ermöglicht. Nur so konnten wir ein wichtiger Machtfaktor werden. Gesellschaftliche Relevanz entsteht nicht durch Betteln um Macht und auch nicht durch Appelle an die Gunst anderer Parteien, ein bisschen bei den Großen mitspielen zu dürfen. Macht ist Handarbeit und entsteht nur im gemeinsamen Kampf von unten.

 … Denn heute, fünf Jahre nach dem Parteitag, vier Jahre nach Bundestagswahl, hat die Partei es gelernt, dass …

… in gesellschaftliche Konflikte einzugreifen und aus ihnen zu wachsen, gar nicht mal so schwer ist.

Mit Blick auf die vergangenen Jahre bist du besonders stolz darauf, dass… 

… wir an vielen Stellen einen politischen Gegenschlag organisiert haben. Wir waren eine treibende Kraft in der Zusammenführung der Kämpfe um Klima und Antirassismus und das so konsequent wie keine andere Partei. Wir haben ÖPNV-Beschäftigte bei ihren Streiks unterstützt, haben Klassenkämpfe um höhere Löhne und bessere Tarifverträge im Osten rebellisch mitgeführt. Wir haben im ländlichen Raum trotz schwieriger Bedingungen Menschen zusammengebracht und ermutigt, gemeinsam gegen die Schließung von Schwimmbädern oder Haltestellen vorzugehen. Wir haben erfolgreiche Antifa-Bündnisse geschmiedet, erfolgreich neonazistische Strukturen im Staat geoutet und skandalisiert. Wir waren ungemütlich, unermüdlich, hatten Mut zu Krawallen und das hat sich gelohnt.

Die LINKE hatte in der Wirtschaftskrise und den Verteilungskämpfen nach Corona richtig reagiert, sie ….

… war maßgeblich verantwortlich, dass die wir nun in einigen Bundesländern einen kostenlosen ÖPNV haben. In vielen weiteren Städten gab es bereits erfolgreiche Volksbegehren: auch dort wird die kostenlose Nutzung des ÖPNVs bald möglich sein. Unser Spitzenpersonal der Bundestagsfraktion spricht Bände: Mit einem Pfleger und einer Erzieherin als Spitzenkandidat*innen haben wir die richtigen Konsequenzen aus dieser Krise gezogen, nämlich denjenigen eine Stimme zu geben, über die wir sonst immer selbst geredet haben. Die nächste große gesellschaftliche Frage wird sein: Wollen wir, dass der Markt entscheidet, was wir bauchen und wie wir arbeiten, oder wollen wir die Produktion selbst planen? Dass heute wieder offen über Sozialismus in der Bevölkerung diskutiert wird, hätten wir uns vor fünf Jahren kaum vorstellen können.

Realpolitisch hat die LINKE in den Bereichen Miete, Pflege, Nahverkehr und Antifa wichtige Erfolge feiern können. Entscheidend war, dass sie …

…als Gesamtpartei diese Kämpfe nicht als urbane Luxusangelegenheit gesehen hat, sondern als wichtige, daseinsvorsorgende Maßnahmen. So sieht es aus, wenn man drängende Probleme der Zeit nicht gegeneinander ausspielt. Es ist nämlich in der Partei genug Latte Macchiato und Filterkaffe für alle da. Im Übrigen, es ist schon geil, dass Deutsche Wohnen & co enteignet und der Verfassungsschutz abgeschafft wurden. Und dass die AfD aus dem Bundestag geflogen ist, lag auch nicht an den Grünen.

Wenn man heute Linkspartei googelt, kommt als weiteres Schlagwort …

… marxistische Kampfmaschine.

Die größte gesellschaftspolitische Herausforderung ist nun …

… das Bündnis mit sozialen Bewegungen, Aktiven aus den Gewerkschaften und humanistischen Trägern weiter für die sozial-ökologische Transformation auszubauen. Nicht nur Solidarität ist unteilbar. Auch unsere Konfliktlust bleibt unkontrollierbar.

Deswegen schlägst du deinem Ortsverband für 2035 vor …

… sich für die kommende Zeit noch stärker auf organisierende Kämpfe zu konzentrieren, denn dadurch sind wir gewappnet für zukünftige Krisen.

Nach der Mitgliederversammlung trefft ihr euch im Biergarten, ein paar Interessierte sind auch gekommen, um euch Genoss*innen kennenzulernen. Du unterhältst dich mit einem Aktivisten aus der bereits geräumten Berliner Kiezkneipe Syndikat. Dein zentrales Argument warum deine Gesprächspartner*in an diesem Abend in die LINKE eintreten soll:

In diesem Fall und nach alldem, wie alternative Freiräume in den letzten Jahren und Monaten in Berlin vernichtet wurden, fällt es mir schwer, gute Gründe zu finden, warum ausgerechnet dieser Mensch in die LINKE eintreten soll. Ich bedauere, mir fällt in diesem Fall kein guter Grund ein. Und mit diesem Widerspruch muss ich in der LINKEN leben.

Auf deinem Spazierweg nach Hause denkst du dir:

Wenn große Siege nicht zu organisieren sind, dann lernen wir erstmal aus den Niederlagen und feiern die kleinen Erfolge. Wir machen’s wie die Sonnenuhr…