| Lohnempfängerfonds

September 2011  Druckansicht
Von Henning Süssner Rubin

Die gescheiterte Demokratiereform

Wirtschaftsdemokratie war lange ein integraler Teil des Programms der schwedischen (wie der internationalen) Arbeiterbewegung. Als Schweden im Jahr 1920 die erste sozialdemokratische Regierung bekam, war die Ernennung zweier Kommissionen eine der ersten Maßnahmen der Regierung Hjalmar Branting: Die eine sollte Probleme der »industriellen Demokratie« untersuchen, die andere Vorschläge zur Sozialisierung von öffentlichem und privatem Eigentum liefern.

Während die Arbeit der Sozialisierungskommission mehr oder weniger im Sande verlief, mündete die Arbeit der Demokratiekommission in eine der großen politischen Streitfragen der 1920er Jahre, nämlich der sozialdemokratischen Forderung nach Betriebsausschüssen (driftsnämnder).

Nachdem das allgemeine und freie Wahlrecht erkämpft war, sollte auch an den Arbeitsplätzen Demokratie geschaffen werden (SOU 1923, 29–30). Laut Vorschlag der Kommission sollte die Demokratie am Arbeitsplatz durch Mitbestimmungsausschüsse in Betrieben mit mehr als 25 Beschäftigten verwirklicht werden. Vergleichbar mit den deutschen Betriebsräten, sollten diese aber von den Mitgliedern der Gewerkschaften im Betrieb ernannt und gewählt werden.

Der konkrete Vorschlag war bescheiden. Er lief darauf hinaus, ein gewisses Maß der Mitbestimmung möglich zu machen. Dies war eine Verwässerung des ursprünglichen Auftrags, nämlich Wege zu finden zu einer »Neugestaltung des Verhältnisses […] zwischen den Besitzern der Produktionsmittel, den technischen Leitern der Produktion und den in unterschiedlichen Stellungen an der Produktion Beteiligten, wobei den letztgenannten ein sicherer Einfluss über Verwaltung und allgemeine Entwicklung der betroffenen Betriebe« gesichert werden sollte (22). Im Schlusswort gab die Kommission offen zu, dass man »aufgrund der herrschenden politischen Verhältnisse« nicht der Auffassung war, mehr als »gewisse vorbereitende Maßnahmen« vorschlagen zu können (212).

Die Betriebsausschüsse, die daraufhin von den Sozialdemokraten im Reichstag vorgeschlagen wurden, waren letztlich Organe ohne Einfluss auf die Machtverhältnisse in den Betrieben. Der Vorschlag, von den Gewerkschaften ungeliebt, wurde von der bürgerlichen Mehrheit im schwedischen Reichstag vehement abgelehnt. Von kommunistischer Seite lehnte man die »industrielle Demokratie« der Sozialdemokraten ohnehin als reformistischen Klassenverrat ab.

Lange sollte dies der letzte Versuch der schwedischen Sozialdemokratie sein, auf Grundlage von Gesetzen und Verordnungen den Einfluss von Belegschaften auf die Produktion zu »sichern«.

Der »dritte Weg« Schwedens begnügte sich in den Jahrzehnten zwischen 1932 und 1976 damit, über soziale Reformen und steuerliche Umverteilung den Lebensstandard der Bevölkerungsmehrheit zu erhöhen. Ein wichtiges Element dieses »schwedischen Modells« war dabei der »historische Kompromiss« des Jahres 1938, der den Unternehmern die »Organisation und Führung der Arbeit« im Austausch gegen zentrale Lohnverhandlungen mit den Gewerkschaften und Arbeitsfrieden garantierte.

Die starke Stellung der großen schwedischen Kapitaleigentümer wurde nie herausgefordert. In den 1960er Jahren wuchs die Unzufriedenheit, vor allem über die zu langsam steigenden Reallöhne der Industriearbeiter. Die gesellschaftliche Debatte radikalisierte sich. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts kam es zu einer Woge von wilden Streiks.

Unter dem Einfluss der neuen Linken wurden gleichzeitig Rufe nach sozialen Reformen lauter. Die Gewerkschaftsspitzen und in der Verlängerung die regierende sozialdemokratische Partei (SAP) waren gezwungen, Fragen wie Mitbestimmung und Wirtschaftsdemokratie wieder aufzugreifen (Stråth 1998; Göran 2005).

Die arbeitsrechtliche Offensive der SAP mündete in ein Gesetzespaket, das zum ersten Mal die individuellen Rechte der Arbeiter am Arbeitsplatz regelte und die Stellung der Gewerkschaften auf Betriebsebene stärkte. Aus den Reihen der Gewerkschaften kam darüber hinaus die Forderung, die Eigentumskonzentration in der Industrie zu brechen. Im Jahr 1971 erhielten die Ökonomen Rudolf Meidner, Anna Hedborg und Gunnar Fond vom Kongress des Verbandes der Industriegewerkschaften, LO, den Auftrag, Methoden zu erarbeiten, die den Belegschaften einen höheren Anteil an den Kapitalgewinnen sichern sollten. 1975 lag dieser Vorschlag vor, der eine »gerechtere Vermögensverteilung« und »mehr wirtschaftliche Macht für Lohnempfänger« bringen sollte (Meidner u.a. 1975, 84).Meidner und Kollegen schlugen vor, »Lohnempfängerfonds« (löntagarfonder) einzurichten. Bis zu 20 Prozent der Gewinne von Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten sollten an von den Gewerkschaften kontrollierte Fonds abgeführt werden. Diese sollten das Kapital in Aktien investieren und es für die Verbesserung von Arbeitsverhältnissen in den Betrieben aktiv nutzen.

Ein individualisiertes System der Gewinnbeteiligung würde nichts an den wirtschaftlichen Machtverhältnissen ändern. Doch »die Lohnempfängerfonds werden auf lange Sicht mehr als die Hälfte der Aktien der größeren schwedischen Unternehmen besitzen«,1 so die Annahme, denn nur »über die Umverteilung des Eigentums an den Produktionsmitteln« könne wirtschaftliche Demokratie erlangt werden (107).

Dass Gewinne nicht an die Belegschaften verteilt oder in Unternehmensfonds überführt, sondern an zentrale Fondsverwaltungen gehen sollten, sollte auch verhindern, dass die Belegschaften von weniger profitablen Betrieben benachteiligt werden.

Rudolf Meidner beschrieb das Ziel seines Vorschlags: »Wir wollen die Kapitaleigner ihrer Macht berauben, die sie eben kraft ihres Eigentums ausüben. Alle Erfahrungen zeigen, dass Mitbestimmung und Kontrolle nicht ausreichen. Eigentum spielt eine entscheidende Rolle. Ich bin fest davon überzeugt, dass Funktionssozialismus allein nicht ausreicht, eine durchgreifende Gesellschaftsveränderung zu erreichen.«

Die Revolution bleibt aus

Das bürgerliche Leitorgan Dagens Nyheter (28.8.1975) fragte daraufhin, ob Rudolf Meidner wohl »Schwedens gefährlichster Mann« sei. Große Schlagzeilen warnten vor einer »Revolution in Schweden«.

Doch zu dieser Revolution kam es nicht. Im Herbst 1976 verlor die SAP zum ersten Mal seit 1932 die Regierungsmacht. Eine der großen Fragen des Wahlkampfes waren die Lohnempfängerfonds. Ausschlaggebend für den Wahlverlust war nicht zuletzt die schlechte Konjunkturlage Schwedens im Zuge der Ölkrise. Aus den Reihen des rechten Flügels der Partei wuchs die Kritik an der wirtschaftsdemokratischen Offensive. Sie beschuldigte die Gewerkschaften einer Klientelpolitik, die die Interessen anderer Bevölkerungsgruppen ignoriere.

Doch zu dieser Revolution kam es nicht. Im Herbst 1976 verlor die SAP zum ersten Mal seit 1932 die Regierungsmacht. Eine der großen Fragen des Wahlkampfes waren die Lohnempfängerfonds. Ausschlaggebend für den Wahlverlust war nicht zuletzt die schlechte Konjunkturlage Schwedens im Zuge der Ölkrise. Aus den Reihen des rechten Flügels der Partei wuchs die Kritik an der wirtschaftsdemokratischen Offensive. Sie beschuldigte die Gewerkschaften einer Klientelpolitik, die die Interessen anderer Bevölkerungsgruppen ignoriere.

Nach der erneuten Wahlniederlage 1979 versuchte die Parteiführung die Frage von der politischen Tagesordnung zu nehmen. Im Zeichen der wirtschaftlichen Krise des Landes lancierte man ein sozialdemokratisches »Krisenprogramm«, das einen Schlusspunkt hinter die bisherige Expansion des öffentlichen Sektors setzten sollte. Für Lohnempfängerfonds gab es keinen Platz im Programmvorschlag der »Krisengruppe« um den Finanzpolitiker Kjell-Olof Feldt (Åsard 1985).

Der Parteitag 1981 forderte, auch auf Druck des gewerkschaftlichen Flügels, erneut Lohnempfängerfonds. Nach dem Wahlsieg im gleichen Jahr, der der SAP 45,9 Prozent der Stimmen brachte, sorgte die Gruppe um Feldt jedoch dafür, dass 1983 nur ein verwässerter Fondsvorschlag in den Reichstag gelangte. Der Vorschlag wurde gegen die Stimmen der bürgerlichen Opposition verabschiedet. Die kommunistischen Abgeordneten machten die Lohnempfängerfonds durch ihre Enthaltung möglich.

1984 begann die Überführung von Mitteln an fünf Lohnempfängerfonds. Die Finanzierung erfolgte durch eine Erhöhung der Lohnnebenkosten und durch eine neue Steuerabgabe auf Unternehmensgewinne. Das Fondskapital wurde in Aktienkapital umgewandelt. Die Fondsverwaltungen wurden paritätisch von der Regierung eingesetzt.

Bis 1992 akkumulierten die Lohnempfängerfonds insgesamt ca. 17 Milliarden Kronen und gehörten damit bald zu den größten Aktienbesitzern Schwedens. Entgegen dem ursprünglichen Vorschlag erlangten die Lohnempfängerfonds jedoch nie direkten Einfluss auf die Industrieunternehmen. Das Ziel, die Eigentumsverhältnisse in der Industrie mittelfristig zu Gunsten der Arbeiter zu verändern und auf diesem Weg das Arbeitsleben zu demokratisieren, wurde verfehlt. Und der Wahlsieg der bürgerlichen Parteien im Jahr 1991 brachte das Ende für die zuletzt von allen Seiten ungeliebten Fonds. 1992 wurde das gesammelte Kapital in die staatlichen Rentenfonds überführt.

Die Linke und die Lohnempfängerfonds

Sjöberg (2005, 204) bezeichnet den Streit um die Lohnempfängerfonds als einen »hegemonialen Wendepunkt« in Schweden: »Der bürgerliche Block gewann den Kampf« und hat »seitdem die Arbeiterbewegung Schritt für Schritt in die Defensive gezwängt«.

Sjöberg und andere versuchten zu Beginn des letzten Jahrzehnts, das ursprüngliche Modell der Lohnempfängerfonds zu rehabilitieren. Da die dominierende SAP sich ausdrücklich nicht mehr mit Wirtschaftsdemokratie beschäftigt, füllte die schwedische Linkspartei (Vänsterpartiet) das Vakuum und formulierte in den Jahren 1999–2002 eine Strategie zu »Macht- und Eigentumsfragen«. Man sprach u.a. von einem notwendigen »zweiten Demokratiekampf« – nach der politischen sollte die wirtschaftliche Demokratie erkämpft werden. Auf das Modell der Meidnerschen Lohnempfängerfonds wurde sich dabei positiv bezogen.

Die innerparteiliche Kritik ließ jedoch nicht lange auf sich warten, das Modell der gewerkschaftskontrollierten kollektiven Kapitalbildung sei »tot«. Als ein modernes Beispiel wurden die gewerkschaftlichen Rentenfonds in Ländern wie Kanada angeführt, die ähnlich wie die historischen Lohnempfängerfonds zu den Großeigentümern der Börse gehörten, jedoch kaum Einfluss auf dem Kapitalmarkt hätten. Die Linke solle sich eher an konkreten Modellen von sozialer Ökonomie und kooperativen Betrieben orientieren. Die Diskussion zur »neuen Offensive in Macht- und Eigentumsfragen« wurde wieder einmal von einem Wahlkampfergebnis entschieden. In der Wahl 2002 erlitt Vänsterpartiet eine empfindliche Niederlage. Sie konnte eine Zusammenarbeit mit der sozialdemokratischen Minderheitenregierung Göran Perssons einleiten. Eine der realpolitischen Konsequenzen daraus war die rasche Verdrängung der Macht- und Eigentumsfrage von der politischen Tagesordnung der Partei.

Nach weiteren Wahlniederlagen sieht es nicht so aus, als ob die Frage der Wirtschaftsdemokratie in der überschaubaren Zukunft wieder ein Thema für die schwedische Linkspartei oder die schwedischen Gewerkschaften werden könnte.

 

Literatur

Åsard, Erik, 1985: Kampen om löntagarfonderna. Fondutredningen från samtal till sammanbrott, Stockholm
Hägg, Göran, 2005: Välfärdsåren. Sveriges historia 1945–1986, Stockholm
Meidner, Rudolf, Anna Hedborg u. Gunnar Fond 1975: Löntagarfonder, Stockholm SOU, 1923: Den industriella demokratiens problem 1–2, Stockholm
Stråth, Bo, 1998: Mellan två fonder. LO och den svenska modellen, Stockholm

Anmerkungen

1 Laut den Berechnungen von Meidner und Co. hätten die Fonds bei Unternehmensgewinnen zwischen 10 und 20 Prozent nach 20 bis 35 Jahren so die Aktienmehrheit in den größten Unternehmen erreicht.