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Februar 2013  Druckansicht
von Antje Blöcker

Wie steht es mit dem Sozial-ökologischen Umbau der Industrie?

Im Kontext der Krise der Jahre 2008 und 2009 entstand in der IG Metall die Forderung nach einem »Kurswechsel« (Huber 2010) in Richtung eines sozialen und ökologischen Umbaus der Industrie. Die Internationale Gewerkschaftskonferenz »Aufgabe Zukunft – Qualität des Lebens« des Jahres 1972 hatte sich als Antwort auf die Kernaussage des Club of Rome, ungezügeltes Wachstum sei mit den Grenzen des Planeten nicht vereinbar, für die Förderung »qualitativen Wachstums« ausgesprochen. Lebensqualität durch Humanisierung der Arbeitswelt sollte mit Arbeitszeitverkürzung, mit Ressourcenschonung und mit sozialer Gerechtigkeit im globalen Maßstab verbunden werden. Mit »Kurswechsel« knüpft die IG Metall 40 Jahre später daran an und plädiert »für eine andere Wirtschaftsordnung, die die Industriegesellschaft ökologisch und nachhaltig umbauen helfe« (ebd., 50). Mitsprache, Mitbestimmung und direkte Beteiligung seien dafür die zentralen Stellhebel.

Doch sind die geforderte industriepolitische Kehrtwende und die Notwendigkeit zur Transformation mit alternativer Produktionsweise in der betrieblichen Realität und bei den Belegschaften tatsächlich angekommen? Sind Beschäftigte nicht vielmehr in Auseinandersetzungen um den Erhalt von Arbeitsplätzen einbezogen, so dass für Transformation kaum Spielräume bleiben? Angesichts des wachsenden Wettbewerbsdrucks gibt es auch für gesellschaftliche Teilhabe und Mitbestimmung wenig Raum. Dennoch öffnen sich Gestaltungsräume für kleine Übergänge des Industrieumbaus.

Ist also der sozial-ökologische Umbau der Industrie Thema in der betrieblichen Alltagspraxis ? Das war die Leitfrage einer schriftlichen Befragung, die ich 2012 im Organisationsbereich der IG Metall durchgeführt habe. In den 155 untersuchten Industriebetrieben waren 226 sozial-ökologische Erweiterungsprojekte angesiedelt.1

Felder der Konversion

In gut einem Drittel der untersuchten Projekte geht es um Energieeffizienzmaßnahmen: Gebäudesanierungen, neue Heizungsanlagen, Wärmerückgewinnung ebenso wie Beleuchtungs- und Wasserkreislaufsysteme. In diesen Betrieben arbeiten in der Regel Betriebsräte gemeinsam mit dem Umweltmanagement an umfangreichen Energiekonzepten, die über standortbezogene Umwelterklärungen auf einen Wettbewerbsvorteil zielen. Das EcoManagement and Audit Scheme 2010 (EMAS) der EU sieht im Rahmen ihrer ›nachhaltigen‹ Industriepolitik die freiwillige Teilnahme an solchen Programmen vor. In erster Linie handelt es sich also um den Einsatz von Effizienz- und Konsistenztechnologien als Beitrag zum qualitativen Wachstum mittels gradueller Transformation.

Ein weiterer Teil des Samples (25 Projekte) ist im Diversifikationsbereich neue GreenTech-Produkte und -Anwendungen angesiedelt. Oft von den Unternehmensleitungen initiiert, versuchen hier Betriebsräte, neue Nutzungsmöglichkeiten für ihre bestehenden Produkte zu erschließen: Getriebe für Windkraftanlagen und Komponenten für Solaranlagen und Photovoltaik. Im Gegensatz zu den Neugründungen im Green-TechSektor handelt es sich nicht um mitbestimmungsfreie Ausgründungen, sondern um neue Produkt-Standbeine, die häufig als Teilaspekt von Standortsicherungsverträgen entstanden sind. Sie sollen helfen, die wegen hoher Produktivitätsvorgaben unter Druck stehenden Arbeitsplätze an den Standorten zu sichern. Solche Projekte sind überwiegend bei Automobilzulieferern und im Maschinenbau zu finden, um einseitige Konjunkturabhängigkeiten auszugleichen. Auch wenn die Produkterweiterungen im GreenTech-Sektor angesiedelt sind, handelt es sich in erster Linie um klassische Markterweiterungen, wie Unternehmen sie seit eh und je vornehmen. Wie das Beispiel VW-Lichtblick zeigt, können solche Projekte aber durchaus wichtige Impulse für eine gewerkschaftliche Debatte über nützliche Ersatzprodukte für eine gefährdete Massenproduktion geben: VW baut hier Blockheizkraftwerke mit umgebauten VW-Motoren auf einer dafür eingerichteten altersgerechten Fertigungslinie (Blöcker 2012).

Auch wenn die Bedeutung eigener Energieerzeugung als Thema für den sozial-ökologischen Umbau als nicht besonders relevant eingeschätzt wird, haben 35 Betriebe eigene Solar- oder Photovoltaikanlagen sowie Blockheizkraftwerke, Biomasseheizkraftwerke und Erdwärmenutzung installiert. Besonders ausgeprägt ist dies in energieintensiven Branchen wie in der Stahlindustrie und bei Werften. Vor allem in Betrieben, die in der Konversionsdebatte der frühen 1980er Jahre in den »Arbeitskreisen Alternative Produktion« den Einsatz erneuerbarer Energien in ihren Betrieben gefordert hatten, wird eine eigene erneuerbare Energieerzeugung häufig schon seit Jahren praktiziert.

In nur 20 Betrieben wird die Materialeffizienz als wichtiger Beitrag zum Umbau angegeben. Das erstaunt deshalb, weil die politische Vorgabe, »Materialproduktivität zu erhöhen, um den Druck auf die Arbeitskosten zu entlasten«, noch heute weit oben auf der Forderungsliste der IG Metall steht. Auch die Ergebnisse zeigen ein anderes Bild: Materialeffizienz spielt in fast 80 Prozent der Betriebe im Betriebsalltag eine sehr große Rolle, wird aber kaum mit sozial-ökologischem Umbau assoziiert. Weder solche Vorhaben wie 100-Prozent-Schrott-Einsatz im Stahlbereich, Altbatterierückführung noch allgemeine Abfallvermeidungskonzepte werden in diesem Sinne wahrgenommen – im Gegensatz etwa zur Energiewende oder grünen Produktlinien, obwohl hier die betriebliche Debatte erst 2009 einsetzte.

Im Feld Neue Mobilität sind nur 16 Betriebe aktiv. Es geht jedoch nicht um neue kollektive Mobilitätskonzepte, sondern um Komponenten für die Elektromobilität. Ähnlich wie im Fall der neuen Nutzungsmöglichkeiten für bestehende Produkte bereiten sich Betriebe des Fahrzeugbaus und der Elektrotechnik auf die Umstellung auf E-Komponenten vor. Hier spielen neue Produkte ebenso wie Qualifizierungsvorhaben eine Rolle. Umgesetzt werden sie oft von eigens dafür gegründeten JointVentures (z.B. Bosch-Daimler). Angesichts völlig überzogener Zielvorgaben der Politik laufen solche Vorhaben jedoch Gefahr, ihre Beschäftigungsziele zu verfehlen. Positiv im Sinne des Industrieumbaus wirken die Vorhaben auf innerbetriebliche Diskussionen um künftige Mobilitätskonzepte.

Diversifizierungsprojekte im Feld neue Öko-Produkte, die auf veränderte Lebensstile und Konsumverzicht orientieren, finden sich im Sample nicht. Gemeint sind damit andere Organisations- und Nutzungsformen durch Öko-Produkte und -services, die auf gemeinschaftliche Nutzung zielen und darüber den oft eintretenden Rebound-Effektbei ökoeffizienten Produkten vermeiden.

Auch Diversifizierungen im Feld neuer Beteiligungs- und Eigentumsformen wie z.B. Genossenschaften sind mit nur fünf Fällen die große Ausnahme. Die drei Belegschaftsgenossenschaften gehen nicht auf Betriebsübernahmen durch die Belegschaft zurück, sondern sind renditeorientierte Genossenschaften im Bereich der Wind- und Solarkraft, die z.B. in die Dächer ihrer Betriebe investiert haben.

Ähnlich hoch wie bei den Energieeffizienz-Projekten ist die Zahl der Projekte im Bereich Guter Arbeit (27 Prozent). Hier handelt es sich um Projekte zum demografischen Wandel, zu altersgerechtem Arbeiten, für Leistungsgeminderte oder zur Gesundheitsprävention. In je drei Fällen wurden Betriebs-Kitas und Job-Tickets als Beitrag zum Umbau genannt.

Konversions- als Beteiligungsprozesse?

Ein wichtiges Ergebnis der Befragung ist, dass Belegschaften und Betriebsräte sich zwar vielfältig an betrieblichen Erweiterungsprozessen beteiligen, die Vorhaben und Initiativen sich aber sehr stark unterscheiden in entweder ökologisch oder sozial motivierte. Die Kombination sozial-ökologisch kommt nur in ganz wenigen Ausnahmen vor. Starken Einfluss auf Erweiterungsprojekte haben Betriebsräte hinsichtlich sozialer Innovationen und auf die Arbeitsprozesse selbst. Das ist ihre Kernaufgabe. Die ökologische Frage oder gar der Kurswechsel in Richtung Industrieumbau sind stark vom Engagement einzelner Akteure geprägt. Das bestätigen auch andere empirische Arbeiten (vgl. Gerlach 2012). Kriegesmann/Kley (2012) haben Antworten von 1190 Betriebsräten aus den Jahren 2008 und 2009 ausgewertet, inwieweit sie an verschiedenen Innovationen beteiligt waren. Während die Mitwirkung an arbeitsorganisatorischen und personalpolitischen Neuerungen mit über 92 Prozent sehr hoch war, waren bei Produkt- und Service-Innovationen nur knapp 44 Prozent beteiligt. Betriebliche Mitbestimmungsakteure haben zudem relativ wenig Einfluss auf die Einführung vollkommen neuer Produkte (22 Prozent), insbesondere auf ökologische Innovationen. Weiß u.a. (2011) weisen in acht Fallstudien nach, dass Betriebsräte Umweltschutz und Energiemaßnahmen nicht als Kernaufgabe betrachten und diese Themen erst aufgreifen, wenn Beschäftigung akut gefährdet ist. Bromberg (2011, 4) kommt in ihrer Evaluierung der »Besser statt billiger«-Kampagne der IG Metall NRW zu dem Ergebnis, dass zwar ein breites Spektrum von Innovationen angestoßen worden sei, allerdings mit Schwerpunkt auf Arbeitsorganisation. Um ökologische Produktinnovationen zu initiieren, fehle den Betriebsräten oftmals die Kompetenz. Das technische Fachwissen hierfür ist bei einer Berufsgruppe konzentriert, zu der Betriebsräte und Gewerkschaften kaum Zugang haben. Auch dies bestätigt die Umfrage in den Betrieben. Öko-Innovationen werden sehr oft in enger Zusammenarbeit mit Beschäftigten der technischen Abteilungen initiiert.

Wie sind nun die kleinen betrieblichen Erweiterungen und die graduellen Einstiege in den Umbau in die große Transformationsdebatte einzuordnen? Noch ist es zu früh, eine umfassende Bewertung vorzunehmen; dies wird möglich sein, wenn die vertiefenden Befragungsergebnisse noch laufender Fallstudien vorliegen. Die von Candeias (LuXemburg 3/2012, 13) genannten fünf Kriterien3, an denen Maßnahmen für einen gerechten Übergang zu einem grünen Sozialismus zu messen wären, würde die Mehrheit der befragten BetriebsrätInnen wohl ohne zu zögern unterschreiben. Die konkrete Umsetzung in Form von betrieblichen Vorhaben folgt aber eher in kleinen Schritten, ist sehr vom Engagement Einzelner geprägt und ist vor allem Ausdruck einer graduellen Transformation der kapitalistischen Produktionsweise, die permanent stattfindet. Die Mehrheit der Projekte ist auf Effizienz und Konsistenz ausgerichtet, neue Produktionsweisen und andere Lebensstile bleiben außen vor. Mit einer alternativen Produktionsweise, die das »Was« und »Wie« eines anderen Arbeitens, Wirtschaftens und Konsumierens sowie die Eigentumsfrage neu in den Mittelpunkt rückt, haben die untersuchten Projekte wenig zu tun.

Sie jedoch ähnlich wie gemeinnützige und reproduktive Arbeit bloß als bedenkliche neue Formen der kapitalistischen Landnahme (Dörre 2011) zu bewerten, verkennt aber, dass in den Betrieben eine Debatte um den Industrieumbau begonnen hat. Natürlich geht es den Betriebsakteuren um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Deshalb den VW- und Opel-Belegschaften zu unterstellen, sie diskutierten weit entfernt von gerechten Übergängen (Müller in LuXemburg 4/2012, 124), missachtet jedoch die langfristige Wirkung auf zukünftige betriebliche Diskussionsprozesse all derjenigen, die im Betriebsalltag für kleine Einstiege in den Umbau kämpfen. Ich teile mit Urban die Ansicht, dass »eine andere Krisenpolitik der Gewerkschaften die kapitalismuskritische Sozialkritik [hätte] ein Stück lauter werden lassen« (2012, 431), fordere aber eine Konkretisierung für den sozial-ökologischen Umbau. Die politische Bildungsarbeit ist da ebenso gefragt wie ein Organisationswandel. Ein wirklicher betrieblicher Umbau in Richtung gerechter Übergänge ist ohne Änderung der Organisationsform schwer vorstellbar, ohne die Beteiligung der Belegschaften aber gar nicht zu haben. Bleibt die Hoffnung, dass der nächste Zukunftskongress der IG Metall diesbezüglich deutlich offensiver in die Zukunft schaut als der im Dezember 2012.

 

Literatur

Blöcker, Antje, 2012: Ökologischer Umbau oder sozial-ökologische Erweiterungen? Dialog Nr. 8 der Gemeinsamen Arbeitsstelle IG Metall und Ruhr Universität Bochum, Bochum
Bromberg, Tabea, 2011: Rückenwind für Betriebsräte. Eine Analyse der »besser statt billiger«-Kampagne der IG Metall NRW, IAQ-Report 2011–05, Universität Duisburg Essen
Dörre, Klaus, 2011: Landnahme und Grenzen kapitalistischer Dynamik. Eine Ideenskizze, in: Berliner Debatte Initial, Heft 4, 56–72
Gerlach, Frank, 2012: Innovation und Mitbestimmung. Empirische Untersuchungen und Literaturstudien, Hans-BöcklerStiftung, Düsseldorf
Huber, Berthold (2010): Kurswechsel für Deutschland. Campus. Frankfurt/Main
Kriegesmann, Bernd, und Thomas Kley, 2012: Mitbestimmung als Innovationstreiber, Berlin
Urban, Hans-Jürgen, 2012: Gewerkschaftspolitik in kapitalistischen Demokratien, in: Fischer-Lescano, Andreas, Joachim Perels und Thilo Scholle (Hg.), Der Staat als Klassengesellschaft, Baden-Baden
Weiß, Julika u.a., 2011: Energieeffizienz und Beschäftigung. Abschlussbericht, Berlin

Anmerkungen

1 Von den insgesamt 226 dort angesiedelten sozial- ökologischen Erweiterungsprojekten sind die meisten bereits umgesetzt (67 Prozent) sowie projektiert/diskutiert (28 Prozent). Gescheitert sind fünf Prozent.
2 Als Rebound-Effekt bezeichnet man den Umstand, dass die angestrebte Energieersparnis durch stärkere Nachfrage nicht erreicht wird. [Anm. d. Red.] 3 A) Relevanter Beitrag zur Senkung von CO2-Emissionen B) Reduzierung von Armut und Vulnerabilität, C) Reduzierung von Einkommens- und anderen Ungleichheiten D) Beschäftigung und die Förderung von guter Arbeit und E) Demokratische Partizipation des Einzelnen.