| Kontrovers: Ökologisches Grundeinkommen

Juli 2013  Druckansicht
Ulrich Schachtschneider vs. Mario Candeias

Eine Kontroverse zwischen Ulrich Schachtschneider und Mario Candeias über ein ökologisches Grundeinkommen.

Nachhaltig-Emanzipatorisch Umverteilen

von Ulrich Schachtschneider

Die Besteuerung von Konsum belaste Arme überproportional, lautet ein gängiger Einwand gegen Ökosteuern. Haben die Armen nicht unter einer Erhöhung der Preise für Produkte des täglichen Lebens am meisten zu leiden? Trifft es nicht sie am härtesten, wenn die Nutzungsentgelte für Rohstoffe oder Emissionen über die Wertschöpfungsketten in die Preise im Laden und am Energiezähler einfließen? Genau umgekehrt: Wohlhabende konsumieren mehr und haben damit in der Regel einen höheren Umweltverbrauch. Sie bewohnen mehr Wohnfläche pro Kopf, fahren mehr PKW-Kilometer und kaufen mehr Neuwaren. Sie nutzen mehr Ressourcen und müssten daher überdurchschnittlich zahlen, würde all dieser Konsum unter Umweltgesichtspunkten besteuert.

Die Idee eines ökologischen Grundeinkommens (ÖGE) setzt hier an. Es wird durch Abgaben auf unerwünschten Umweltverbrauch finanziert, also Ökosteuern auf CO2-Emissionen, Flächenverbrauch, Rohstoffentnahmen und -einfuhren. Sie werden am Ort ihres Entstehens erhoben – in der Regel am Anfang der Produktionskette. Das Aufkommen dieser Nutzungsentgelte wird dann gleichmäßig auf die Bevölkerung zurückverteilt. Jedem Bürger, ob Säugling oder Greis, ob reich oder arm, wird ein »Öko-Bonus« ausgezahlt. Es handelt sich um die Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens über die Besteuerung einer bestimmten Form des Konsums, der die Umwelt nach unseren gesellschaftlichen Vorstellungen in falscher Weise belastet und folglich dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung zuwiderläuft.

Wohlhabende sind durch ihren großen Konsum Netto-Zahler, durch die Pro-Kopf-Ausschüttung würden sie nur durchschnittlich von der Auszahlung profitieren, während Ärmere und Kinderreiche gewinnen würden.

Eine Reihe von Forschungsergebnissen sprechen für diesen Zusammenhang.

Der Jahres-Energieverbrauch steigt mit dem Pro-Kopf-Einkommen: Er lag bei einem monatlichen Einkommen unter 1 000 Euro bei durchschnittlich 42 200 kWh im Jahr, bei Einkommen oberhalb von 2 500 Euro pro Monat bei durchschnittlich 69 800 kWh (vgl. Bilharz 2008).

Der Münchener Umwelt-Survey weist eine »deutlich positive Verknüpfung von Einkommen und Umweltverbrauch in München« (Keuschnigg/Schubert 2013) nach. Bei 10 Prozent höherem Pro-Kopf-Einkommen steigt der durch Wohnen und Mobilität verursachte CO2-Ausstoß um 4,5 Prozent an.

Ein Vergleich deutscher Städte zeigt eine klare Abhängigkeit der CO2-Emission vom Pro-Kopf-Einkommen: Frankfurt mit einem BIP von 66 800 Euro pro Person emittiert 11,8 t pro Kopf und Jahr, Berlin mit einem BIP von 21 400 Euro pro Person nur 5,6 t pro Kopf (vgl. Siemens AG 2011). Die CO2-Emission ist ein relativ guter Indikator für den Gesamt-Ressourcenverbrauch, da hoher Materialeinsatz in der Regel auch energieintensiv ist.

Das Infras-Institut Zürich hat mit Hilfe ökonometrischer Simulationen die Wirkungen von verschiedenen Formen der Ökosteuer verglichen und kam zu dem Ergebnis, dass eine Öko-Bonus-Lösung (also die paritätische Rückverteilung der steuerlichen Einnahmen) eine Umverteilung nach unten mit sich bringen würde (vgl. Infras o.J.).

Das Wuppertal-Institut untersuchte die Wirkung eines »Strom-Spar-Tarifs«, bei dem jedes Haushaltsmitglied 250 kWh pro Person kostenlos erhält, finanziert über eine Erhöhung des Tarifs für den darüber hinausgehenden Bedarf. Haushalte, die von Sozialtransfers leben, würden in 80 Prozent der Fälle bessergestellt als vorher (vgl. Wuppertal-Institut 2008).

Natürlich existieren auch Gegenbeispiele. Es gibt ärmere Menschen, die besonders verschwenderische Konsumpraktiken haben und höher belastet wären. Und es gibt Reiche, die besonderen Wert auf ressourceneffizienten Konsum legen. Genau das ist aber Teil des Prinzips »Tax and Share«, das dem ökologischen Grundeinkommen zugrunde liegt: Für alle entsteht ein preislicher Anreiz, mit weniger Umweltverbrauch hergestellte und daher billigere Güter und Dienstleistungen vorzuziehen. Was aber ist mit ärmeren Schichten, die diese Auswahloption nicht haben – etwa Bewohner von schlecht isolierten Wohnungen? Hier würde sich endlich der politische Druck erhöhen, diese Praxis einer aufgezwungenen Energieverschwendung zu beenden – etwa durch gezielte Förderprogramme, Modernisierungsauflagen für Vermieter oder Mietminderungsrechte bei Unterlassung. Doch keineswegs müssen bei jedem Konsumprodukt sozial problematische Folgen einer Ökosteuer administrativ-ordnungsrechtlich abgemildert werden. Die Fälle, bei denen Ärmere zu überdurchschnittlichem Umweltverbrauch gezwungen sind, sind überschaubar.

 Raus aus den Sackgassen der Umweltpolitik

Das ÖGE ist aber nicht nur ein Moment der Umverteilung, es führt auch aus einer Reihe von Sackgassen der Umweltpolitik.

Das erste Dilemma betrifft die ökonomischen Instrumente der Umweltpolitik, die bisher sämtlich ohne Sozialausgleich eingeführt wurden (vgl. Schachtschneider i.E.), wie etwa die Energiesteuer auf Strom oder die Mineralölsteuer auf Heizstoffe: Sind die Sätze zu niedrig, bewirken sie nichts. Sind sie zu hoch, werden sie unsozial. Mit dem ÖGE wird dieses Dilemma in einen Vorteil gewendet: Je höher die Sätze, desto größer der Umverteilungseffekt, und zwar international genauso wie im nationalen Rahmen. Das Verfahren kann auf jeder räumlichen Ebene angewendet werden. Eine globale CO2-Steuer, von deren Ausschüttung nach dem Pro-Kopf-Prinzip die bevölkerungsreichsten armen Länder des Südens am meisten profitieren würden, könnte möglicherweise die festgefahrenen Klimaschutzverhandlungen wieder in Gang bringen. Solange aber ein globales Abkommen nicht zu erreichen ist, kann auch eine Nation oder ein Staatenbündnis (wie die EU) damit beginnen, ihre zulässige Umweltnutzung durch Steuern und Zertifikateverkauf zu begrenzen und die Einnahmen rückzuverteilen.

Das zweite Dilemma betrifft die Begrenztheit ordnungsrechtlicher Ansätze der Umweltpolitik, also Ge- und Verbote. Linke sehen darin oftmals die sozial gerechtere Alternative zu ökonomischen Instrumenten: Die Politik solle umweltschädliche Konsumtionen schlicht und einfach verbieten. Ins Visier genommen werden dabei zuallererst die mit einem hohen symbolischen Luxus-, Schwachsinns- und Schädlichkeitsfaktor belegten Produkte wie Geländewagen, Fleischkonsum, Fernreisen etc. Tendenziell sollen aber alle ökologisch fraglichen Konsumtionen von unnötigen Autofahrten bis hin zu farbigem Toilettenpapier für alle untersagt oder zumindest eingeschränkt werden. Dies wäre sozial, weil es jeden gleich trifft, und möglicherweise auch ökologisch zielführend – es schränkt aber die individuelle Freiheit stark ein. Wir können nicht im Detail vorschreiben, welche Fahrzeuge zu welchen Anlässen wann benutzt werden dürfen, wie groß welche Wohnungen bei wie vielen Kindern sein dürfen, welche Speisen aus welchen Ländern ich zu welchen Anlässen in welcher Menge zu mir nehmen darf. Das alles – und noch viel mehr – müsste nämlich festgelegt werden. Von welchem Standpunkt aus aber kann welcher Lebensstil untersagt oder gestattet werden? In welchen auch nur halbwegs demokratischen Verfahren sollte dies geschehen? Aus der Akzeptanz der Pluralität der Lebensstile in der Moderne folgt vielmehr, dass Regeln abstrakter werden müssen. Wenn wir nicht alles im Detail regeln können und wollen, kann der Preis von Umweltnutzungen den Individuen eine Grenze ihres jeweiligen Gesamt-Umweltverbrauchs setzen, die aber gleichzeitig eine der Moderne angemessene Freiheit des eigenen Lebensplans ermöglicht. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Natürlich soll nicht alles über diesen Mechanismus geregelt werden. AKW-Strom oder gentechnische Nahrungsmittel etwa sollten auch mit hohem Aufschlag nicht mehr zu bekommen sein, Grenzwerte für Emissionen von Heizungsanlagen oder Fahrzeugen erfüllen auch weiterhin ihren Sinn.

Durch ein ÖGE wird die Akzeptanz verschiedener Lebensstile gewahrt, die im Rahmen der ökologisch-monetären Beschränkung gelebt werden können. Bestimmte Konsumtionen werden zwar unattraktiver, können aber in Maßen weiter vollzogen werden. Die umverteilende Wirkung des ökologischen Grundeinkommens sorgt dafür, dass diese individuelle Freiheit nicht auf Wohlhabende beschränkt bleibt, sondern sich im Gegenteil für alle Bevölkerungsteile öffnet.

Ein drittes Dilemma der Umweltpolitik ist die Kopplung von ökonomischen Existenzen an umweltschädliche Arbeitsplätze. Viele Produktionen, die längst als ökologisch bedenklich erkannt wurden, werden heute nolens volens akzeptiert, wenn nicht gar politisch gefördert, weil in der arbeitsplatzfokussierten Regulation der kapitalistischen Ökonomie persönliche Existenzen daran gekoppelt sind. Mit einem ökologischen Umbau der Wirtschaft ist ein tiefgreifender Wandel von Arbeitsplätzen, -strukturen und -qualifikationen verbunden, für die es nur in einer Situation von »Angstfreiheit im Wandel« (Die LINKE im Bundestag 2012) eine breite Akzeptanz geben wird. Während in den hegemonialen Konzeptionen zur Bearbeitung der ökologischen Krise wie dem Green New Deal die Sorgen der Menschen mit der Aussicht auf neue Arbeitsplätze beruhigt werden sollen, setzt das ÖGE auf eine Garantie sozialer Sicherheit – einer sozialen Sicherheit unabhängig vom Wirtschaftswachstum! Das Grundeinkommen gewährt den Einzelnen eine größere Wahlfreiheit auf dem Arbeitsmarkt – nicht jeder Job muss angenommen werden. Dies ist nicht nur ein emanzipatorischer Fortschritt, sondern auch ein ökologisches Plus: Der Zwang zu ökologisch bedenklichen ökonomischen Aktivitäten wird geringer.

In der ökologischen Debatte wird ein ressourcenleichter Lebensstil propagiert – hier liegt das vierte Dilemma: Dieser seit 20 Jahren von zivilgesellschaftlichen und staatlichen Institutionen mit medialem Aufwand betriebene Appell kommt jedoch bisher – jenseits kleiner avantgardistischer Gruppen – kaum an. Ein ressourcenleichter Lebensstil besteht aus zwei Komponenten: dem ›anders‹ und dem ›weniger‹ Konsumieren. Soll das Weniger nicht nur für Randgruppen attraktiv sein, muss die Gesellschaft insgesamt weniger herrschaftsförmig werden. Ein genügsamerer Lebensstil, eine ›Eleganz der Einfachheit‹ kann sich nur auf der Basis eines freiheitlichen Lebensalltags entwickeln. Wer unten ist oder sich in welcher Weise auch immer unterdrückt fühlt, wer ständig ein Gefühl der Knappheit empfindet, wer seine Arbeit als entfremdet wahrnimmt, wird sich kaum von neuer Bescheidenheit überzeugen lassen. Vielmehr liegt es nahe, dies durch demonstrativen Status-Konsum zu kompensieren. Eine massenweise Hinwendung zum Weniger hat nur dann eine Chance, wenn sie nicht als mühsame, aber unvermeidbare Veränderung daherkommt, sondern in einer Befreiung aus beengenden, stressigen, sozial isolierenden Verhältnissen ihre Attraktivität entfaltet. Bestandteil einer solchen Vision wären Zeitwohlstand, ein Leben in mehr – frei gewählten – Gemeinschaften und mit mehr individuellen Freiräumen, aber weniger Konsum- und Erwerbsdruck. Das ÖGE erleichtert es allen, aus der Tretmühle ›Erwerbsarbeit – Konsum – Erwerbsarbeit‹ zunächst einmal ›auf Probe‹ auszusteigen. Neue Lebensstile des Weniger, des Zeitwohlstands, der stärkeren Orientierung auf nicht-monetäre Eigen- und Gemeinschaftsarbeit statt auf Erwerbsarbeit hätten eine Chance, auch jenseits von Randgruppen ausprobiert und geschätzt zu werden.

Die zweite Komponente eines ressourcenleichten Lebensstils ist das ›Anders‹, also der Konsum wenig(er) umweltbelastender Alternativprodukte. Die ökologische Finanzierung des Grundeinkommens ist hierfür eine notwendige Voraussetzung. Aus ökologischer Sicht lautet eine Kritik am Grundeinkommen bekanntlich, dass dann mit der größeren Massenkaufkraft noch mehr umweltschädliche Dinge gekauft werden. Genau dies wird durch eine Änderung der relativen Preise qua ökologischer Steuern vermieden: Produkte mit großem ökologischen Rucksack werden teurer als ihre umweltfreundlichen Alternativen. Aber auch die Bereitschaft, einmal das Weniger in Erwägung zu ziehen – also bestimmte schädliche Konsumtionen gänzlich sein zu lassen, wird durch die Verteuerung von Umweltverbrauch gestützt.

Das ÖGE hat also das Potenzial, gleich aus mehreren Aporien der Umweltpolitik herauszuführen: Es kann die Ökosteuer sozial machen, es erhält die Freiheit des Lebensstils trotz ökologischer Einschränkungen, es verschafft massenweise Akzeptanz für den bedrohlich erscheinenden ökologischen Strukturwandel der Wirtschaft, und es eröffnet Räume für genügsame Lebensstilorientierungen über kleine Randgruppen hinaus.

Sozial-ökologischer Umbau – libertär und antiproduktivistisch

Ein ÖGE wäre ein zentrales Element eines »neuen Gesellschaftsvertrages« zugunsten sozial-ökologischen Fortschritts. Durch die Besteuerung von Umweltverbrauch würden Wohlhabende einen Teil ihrer »Komfortmacht« an die »Natur und an die Schlechtergestellten« (BUND/EED 2008) abgeben. Ersteres durch veränderten und reduzierten Konsum, letzteres durch die Auszahlung des ÖGE an jede(n) Einzelne(n). Aber ein ÖGE ist mehr als ein Umverteilungsmodell, das den sozial-ökologischen Umbau erst sozial werden lässt. Mit ihm würde auch sein libertärer Charakter gestärkt, da die Spielräume zur Gestaltung eines eigenen Lebensplans für alle – nicht nur die Begüterten – größer werden.

Das ÖGE erweitert den sozial-ökologischen Umbau außerdem um eine antiproduktivistische Option: Neben der Förderung technologischer Alternativen mit geringerem Ressourceneinsatz bewirkt es insgesamt einen Rückgang ökonomischer Aktivitäten. Es verteuert Konsum und macht es angesichts der größeren sozialen Sicherung unattraktiver, Arbeit aufzunehmen – ob als abhängig Beschäftigter oder als Selbständiger. Neben den technischen Wegen der Effizienz und der Konsistenz (Verträglichkeit anthropogener und natürlicher Stoffkreisläufe, z.B. Kreislaufwirtschaften) wird auch der nicht-technische Weg der Suffizienz, die Genügsamkeit gefördert. Das genaue Verhältnis von technischem und nicht-technischem Weg kann nicht vorausgesagt werden. In jedem Fall aber hat das ökologische Grundeinkommen eine deproduktivistische Komponente und ist damit Bestandteil einer Postwachstumsökonomie. Die deproduktivistische Wirkung läuft der Finanzierungsfunktion für das Grundeinkommen nicht entgegen. Werden weniger Güter konsumiert und produziert, was aus ökologischen Gründen erwünscht ist, kann das finanzielle Aufkommen durch die sukzessive Erhöhung der Steuersätze trotzdem gleichbleiben oder gar steigen. Die Aufrechterhaltung des Ausschüttungsvolumens erfordert nicht die Beibehaltung einer bestimmten Menge unerwünschter, umweltbelastender Produktion, wie einige Kritiker einwenden.

Ein Einstieg ist möglich

Neue Paradigmen lassen sich in der Regel nur über Einstiegsprojekte etablieren. Ein ÖGE eignet sich hervorragend zur schrittweisen Einführung. Es kann klein begonnen werden, um zunächst das Prinzip zu verankern. Ein ÖGE kann langsam parallel zur bisherigen sozialen Sicherung aufgebaut werden. So kann Sicherheit im Wandel entstehen, bleibt ausreichend Zeit für Anpassungsprozesse. Mit dem Prinzip des »Tax and Share« könnte auf verschiedenen Ebenen und bei verschiedenen Umweltmedien begonnen werden:

Die Deutschland zustehenden Einnahmen aus den ab 2013 verstärkt zu versteigernden (und nicht mehr zu verschenkenden) Zertifikaten im Rahmen des EU-Emissionshandels werden auf circa 10 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Werden sie pro Kopf ausgeschüttet, bekommt eine vierköpfige Familie 500 Euro pro Jahr »Öko-Bonus«. Bei einer Verringerung der ausgegebenen Mengen (Senkung der Obergrenzen), wie von Umweltverbänden gefordert, könnte sich der Preis und damit die Ausschüttung schnell auf das Doppelte erhöhen.

Würde die Ökosteuer in Deutschland so erhöht, dass die Endpreise für Strom und Brennstoffe um zehn Prozent steigen, könnten dieser Familie weitere 1 000 Euro im Jahr aus-gezahlt werden, bei einem Anstieg bis zu 50 Prozent wären es sogar 1 000 Euro pro Person.

Es könnte eine Steuer auf den Abbau bzw. die Einfuhr von Baustoffen, Metallen und seltenen Erden eingeführt werden. Das wäre nicht nur eine weitere Quelle für das Grundeinkommen, sondern würde einen Schub in Richtung Kreislaufwirtschaft bringen.

Die Neu-Versiegelung von Flächen (in Deutschland täglich circa 100 ha) könnte mit einer Abgabe versehen werden, um diesen Prozess endlich wirksam zu verlangsamen.

Das ÖGE kann auch in materialer Form eingeführt werden, zum Beispiel als Basis­freimenge für Strom oder Gas, finanziert über einen höheren Preis für den darüber hinausgehenden Verbrauch. Ein solcher »Spar-Tarif« wurde von der Verbraucherzentrale NRW 2008 vorgeschlagen. Über das Energiewirtschaftsgesetz könnte das Anbieten einer solchen Tarifstruktur bundesweit für jeden Versorger vorgeschrieben werden.

Das alles ergibt noch kein existenzsicherndes Grundeinkommen. Aber es sind Schritte in die richtige Richtung. Eingeführt wird das Prinzip: Jeder Mensch erhält ohne Bedingung einen Anteil am gemeinsamen Erbe der Gesellschaft, dem Reichtum an Ressourcen, Wissen und Produziertem, dem Reichtum an erster und zweiter Natur.

 

Grundeinkommen oder kollektiver Konsum?

von Mario Candeias

Eine sozial-ökologische Transformation muss sich mit dem Dilemma herumschlagen, dass eine radikale Reduzierung von Ressourcenverbrauch und Schadstoffausstoß entweder mit deutlichen Preisanstiegen in Folge konsequenter Ökosteuern verbunden ist oder mit gesetzlich eingeschränkter Nutzung bestimmter Güter. Die erste Variante führt zu einer unverhältnismäßigen Belastung ärmerer Haushalte, die zweite zu einer Einschränkung der individuellen Freiheit. Diese und andere sozial-ökologische Dilemmata greift Ulrich Schachtschneider auf, um sie im Sinne eines gerechten Überganges mit einem »ökologischen Grundeinkommen« zu überbrücken. Zugleich ist dies ein Einstiegsprojekt in eine »postneoliberale Sozialstaatlichkeit« (Kahrs), da zunächst klein begonnen werden kann, parallel zu bestehenden sozialen Sicherungssystemen. Dieses Herangehen ist ausdrücklich zu begrüßen. Nur so sind die genannten Widersprüche produktiv zu bearbeiten. Andernfalls käme eine unsoziale ökologische Modernisierung heraus (oder gar kein ökologischer Umbau).

Doch warum kann der Weg »nur über den Preis von Umweltnutzung gehen«? Schachtschneider spricht von der »Begrenztheit ordnungsrechtlicher Ansätze der Umweltpolitik«. Doch sind es eben jene Ge- und Verbote, die in der Vergangenheit oft den effektivsten ökologischen Nutzen gebracht haben: etwa das Verbot von FCKW, Grenzwerte für Schadstoffe oder das japanische Prinzip, jeweils die energieeffizienteste Variante eines Produkts als Standard zu setzen. Warum sollten wir nicht versuchen, sozial-ökologische Mindeststandards in der Produktion durchzusetzen, ob in Textilfabriken in Bangladesh oder Hühnerfarmen in Deutschland? Oder ein Verbot von Gigalinern und übergroßen Geländewagen oder von Genprodukten in der Nahrung von Mensch und Tier? Dies schränkt die individuelle Wahlfreiheit in keiner Weise ein und ist sogar demokratischer, weil es alle betrifft und nicht nur jene, die sich bestimmte Dinge dann nicht (mehr) leisten können. Solche Ge- und Verbote lassen sich mit Ökosteuern und dem Vorschlag eines ökologischen Grundeinkommens auch problemlos kombinieren.

Eine andere Möglichkeit, um beispielsweise Energiearmut zu vermeiden, findet sich im Parteiprogramm der LINKEN: Der Basisverbrauch soll »erschwinglich für alle bleiben« und durch zusätzliche Gebühren der Vielverbraucher finanziert werden. Auch dies ist als Prinzip auf viele Bereiche anwendbar. Mittlerweile wird diskutiert, ob es nicht gar eine entgeltfreie Grundversorgung mit Energie für alle geben sollte, da ein Leben ohne Energie nicht vorstellbar ist, es sich also um ein modernes menschliches Grundbedürfnis handelt. Genau darum geht es, nicht nur um individuelle Konsumentscheidungen.

Jahrzehnte neoliberaler Politik haben in vielen Bereichen soziale Infrastrukturen und Dienstleistungen ausgedünnt, die moderne menschliche Grundbedürfnisse abdeckten. Die Krise hat die Situation nicht gerade verbessert, Länder an der europäischen Peripherie an den Rand ihrer Reproduktionsfähigkeit gebracht. Entsprechend treten Kämpfe um Reproduktion und Lebensweisen wieder in den Vordergrund (vgl. LuXemburg 4/1012). Sie waren immer präsent, aber oft überschattet von (klassischen) Arbeitskämpfen – obwohl die Gegenüberstellung schon falsch ist: Produktions- und Lebensweisen hängen aufs Engste zusammen. Die Einzelnen müssen die damit verbundenen Widersprüche alltäglich austragen und abwägen, um handlungsfähig zu bleiben. Es gibt gute Gründe, Politik von den Lebensperspektiven und Handlungsstrategien der Individuen selbst her zu denken. Hier gilt es an existierende Kämpfe und Praxen anzuknüpfen: für bessere Kinderbetreuung und Schulen, für Bildung und Gesundheit für alle, für bezahlbares Wohnen oder Kämpfe um Zeit.

Sie alle drehen sich um moderne menschliche Grundbedürfnisse, die nicht in jedem Fall über den Preis zu regeln sind. Sie sollten jeder Einzelnen, unabhängig von sonstigen Konsumentscheidungen, zur Verfügung stehen, entgeltfrei oder zu geringen Kosten.

Ein Beispiel für eine europaweit verbindende Perspektive von Kämpfen um soziale Grundbedürfnisse wäre die Arbeit an einer Forderung für eine entgeltfreie soziale Infrastruktur, eine bedingungslose sozial-ökologische Grundversorgung, etwa in den Bereichen Energie, Trinkwasser, Mobilität, Internet etc., sowie kostenlose Gesundheitsversorgung, Bildung und Weiterbildung und ein Recht auf Wohnen. Auch hier könnte – wie bei der Energie – der Vielverbrauch entsprechend teuer gestaltet werden: also ein entgeltfreies Trinkwasserkontingent pro Kopf, aber Verteuerung meines privaten Swimmingpools; entgeltfreier öffentlicher Nahverkehr, aber Aufschläge für häufige Flugreisen, entgeltfreier Zugang zum Internet und zu digitalen Gütern, aber Preissteigerungen für riesige Datentransfers etc. Notwendige Gesundheitsversorgung, Erstausbildung und bestimmte Zeiten der Weiterbildung sollten für alle kostenfrei zur Verfügung stehen. Bezahlbarer (auch innenstädtischer) Wohnraum kann über eine Mischung aus Mietpreisregulierung, sozialem Wohnungsbau, Förderung nicht profit-orientierten kollektiven Eigentums und einer entsprechenden Liegenschaftspolitik erreicht werden. Eine solche Orientierung auf kollektiven Konsum qua sozialer Infrastrukturen wäre die Grundlage für individuelle Freiheit jenseits von Existenzängsten – und auch die Grundlage einer sozial-ökologischen Lebensweise.

 

Literatur

Bilharz, Michael, 2008: »Key Points« nachhaltigen Konsums, Marburg

BUND/EED (Hg.), 2008: Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt, Frankfurt/M

Infras, o.J.: Soziale und räumliche Wirkung von Energieabgaben, Studie im Auftrag des Bundesamtes für Energie, Bern

Keuschnigg, Marc, und Johannes Schubert, 2013: Münchener Umweltsurvey: Privater Umweltverbrauch in den Bereichen Wohnen und Mobilität, Arbeitspapier des Instituts für Soziologie der LMU München

Die LINKE im Bundestag, 2012: Plan B. Das rote Projekt für einen sozial-ökologischen Umbau, Berlin

Schachtschneider, Ulrich, i.E.: Verteilungswirkungen ökonomischer Instrumente zur Steuerung der Energiewende, Studie im Auftrag der RLS Berlin

Siemens AG (Hg.), 2011: German Green City Index. ­Analyse der Leistungen zwölf deutscher Großstädte im Bereich Umwelt- und Klimaschutz, Eine Studie der Economist ­Intelligence Unit im Auftrag der Siemens AG, München, www.berlin-partner.de/fileadmin/chefredaktion/pdf/studien-rankings/2011_de_german_green_city_index.pdf

Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie/ Ö-Quadrat, 2008: Ökologische und ökonomische Konzepte: Kurzgutachten Stromspartarif, www.energieverbraucher.de/files_db/1236100843_1822__12.pdf