| Katalanisches Referendum: Bruch mit Austerität und Autoritarismus

September 2017  Druckansicht
Von Mario Candeias

Die Katalan*innen haben ein Recht auf ein Referendum. Seit Jahren gärt es. Längst geht es nicht mehr nur um die alten nationalistischen Unabhängigkeitsbestrebungen, die sich auf den Verlust der katalanischen Unabhängigkeit im 18. Jahrhundert beziehen. Referenzpunkt ist bei vielen eher die Zeit der Republik in den 1930er Jahren und der »kurze Sommer der Anarchie«. Dies ist keine Selbstverständlichkeit. Über viele Jahrzehnte wurde der katalanische Nationalismus vorwiegend von der Bourgeoisie vertreten, einer im spanischen Vergleich reichen und mächtigen Bourgeoisie, die mit den Autonomiestatuten dem postfranquistischen spanischen Regime viele Zugeständnisse abringen konnte. Schließlich waren über Jahrzehnte viele Regierungen von PP und PSOE von der katalanischen Regionalpartei Convergència i Unió (kurz CiU) abhängig. Diese stellte auch jahrzehntelang den katalanischen Ministerpräsidenten. Doch seit Ausbruch der Krise und der gesellschaftlichen Mobilisierung seit 2011 veränderte die Bewegung für »wirkliche Demokratie« auch die Bewegung für Unabhängigkeit. 

Die Bewegung veränderte die Gesellschaft, doch es gelang ihr nicht die stabilen Institutionen der Macht in Madrid (und in Europa) zu erreichen. Es folgte die Eroberung der Institutionen in den Städten und Kommunen, allen voran Barcelona: Barcelona en Comù gewann die Wahlen und stellt mit Ada Colau, der ehemaligen Sprecherin der Plattform gegen Zwangsräumungen (PAH), die Bürgermeisterin. Doch die Auflagen des europäischen Austeritätsregimes und ihre repressive Durchsetzung durch die Regierung in Madrid begrenzen die Handlungsspielräume des neuen Munizipalismus (vgl. Zelik, Candeias/Bruchmann). Mehr und mehr setzte sich die Ansicht durch, dass die Rückgewinnung der Politik und eine notwendige demokratische Transformation nur durch den Bruch mit dem spanischen Staat zu erreichen sei.

Dabei bestanden bis zuletzt durchaus Unterscheide in der strategischen Ausrichtung. Während die basisdemokratische Candidatura d´Unitat Popular (kurz CUP) schon immer für die Unabhängigkeit eintrat, vertraten Barcelona en Comù und ihr katalanisches Gegenstück En Comù Podem (der Zusammenschluss der regionalen Bewegungsplattformen und linken Parteien) eher das Recht auf die Abstimmung, ohne selbst für die Loslösung Kataloniens einzutreten. Denn nationalistische Aufladungen zerrissen über viele Jahre und Jahrzehnte die Linke im spanischen Staat und überlagerten soziale und andere Konfliktlinien. Ein Erfolg der 15M-Bewegung war daher auch, dass hier erstmals seit langem wieder eine übergreifende Mobilisierung und Organisierung gelang. Der Aufwind der neuen Unabhängigkeitsbewegung, die eben keineswegs nur von der Linken getragen wird, sondern von dem starken Bündnis Junts pel Sí (Katalanisch für: ›Zusammen für Ja‹, abgekürzt JxSí), drohte nun wieder wie ein Spaltpilz zu wuchern, das Erreichte in Frage zu stellen.

Der Minimalkompromiss, der auch von den gesamtspanischen Parteien Podemos und Izquierda Unida getragen wird, bestand in der Verteidigung des Rechts auf Abstimmung. Doch schon seit den harten repressiven Maßnahmen zur Unterbindung des Referendums 2014 und auch der gegenwärtigen gewaltvollen Reaktion der spanischen Regierung, lässt sich dieser Minimalkonsens nicht mehr aufrecht erhalten. Die brutale Überreaktion von Ministerpräsident Rajoy befördert den Widerstand und eint nicht nur die Linke, sondern große Teile der Bevölkerung für ein »Ja« zur Unabhängigkeit. Raul Zelik beschreibt die neue Unabhängigkeitsbewegung daher treffend als einen »demokratischen Massenaufstand« gegen Austerität, Autoritarismus und Repression.

Zu befürchten ist eine gewaltsame Zuspitzung der Auseinandersetzung. Möglich ist aber auch, dass sich durch ein »Ja« und einen konstitutionellen Prozess in Katalonien auch ein ebensolcher im spanischen Staat selbst ereignet. Denn offen bliebe ohnehin, wie die Trennung von Spanien vertraglich zu vollziehen sein, wie künftig die Beziehungen aussehen könnten. In dieser Situation gewinnt ein alter Vorschlag von Unid@s Podemos neue Relevanz: die Forderung nach einem konstitutionellen Prozess für einen föderalen spanischen Staat und − wenn nötig − einen verhandelten Austritts Kataloniens. Es besteht die Möglichkeit, dass die Minderheitsregierung von Rajoy die Stimmung im Lande wieder falsch einschätzt, ihr Blatt überreizt und am Ende ohne Mehrheiten im Parlament dasteht. Dies wäre die Chance für ein Ende des autoritären Austeritätsregimes und für einen wirklich demokratischen Neuanfang. Selbst wenn Teile der Linken einen anderen Weg bevorzugt hätten, mich eingeschlossen – der Moment ist vergangen, der Prozess nicht mehr aufzuhalten. Nur eine Möglichkeit. Der Aufstand mag scheitern − ein Zurück gibt es nicht mehr.