| Alle Artikel von Jodi Dean

| Donald Trumps Wahrheitspolitik des Geldes

Januar 2017
von Jodi Dean

Donald Trump zerreißt den ideologischen Schleier der amerikanischen Politik und gibt den Blick auf eine dahinter liegende Wahrheit frei – eine bizarre Wahrheit des Genießens: Wo andere Kandidaten an eine fiktive Gemeinschaft appellieren oder den Anschein von moralischer Integrität zu erwecken versuchen, zelebriert er die Macht der Ungleichheit. Geld öffnet Türen – warum dies verschweigen? Geld schafft Gelegenheiten – für jene, die es besitzen. Geld erlaubt es, noch die niedrigsten Begierden öffentlich zur Schau zu stellen – zumindest jenen, die viel Geld haben. Es ist nicht nötig, verpönte Triebe zu verheimlichen, wenn es doch niemanden gibt, vor dem man sich schämen müsste – man könnte es das Berlusconi-Prinzip nennen.

Während Trump die Macht des Geldes in der aktuellen amerikanischen Politik offenlegt, ermöglicht, stimuliert und verbreitet er einen bestimmten Genuss (jouissance). Trump bedient sich eines offenen Rassismus und Sexismus, einer Verachtung und Überheblichkeit, die – so zumindest verlangt es jede Form von Höflichkeit und politischer Korrektheit – eigentlich zu unterdrücken wären. Sein Handeln zeigt, was ökonomische Ungleichheit wirklich bedeutet: Höflichkeit ist was für die Mittelschicht, ein normativer Rahmen, der die Wut der Enteigneten und die Verachtung der Enteigner*innen einhegt. Die 0,1 Prozent haben es nicht nötig, so zu tun, als kümmere sie das.

Stellvertretende Ermächtigung

Diese Freiheit von jeder Form von Anstand und das Privileg, seine Überlegenheit ganz offen auszuleben, löst unterschiedliche Reaktionen aus. Alle ermöglichen es jedoch, dieses aktuelle politische Schauspiel in der einen oder anderen Form zu genießen, sich daran aufzugeilen. Manche derer, die ausgebeutet und schlecht bezahlt werden, genießen durch Trump. Er gibt ihnen nicht nur die Erlaubnis, ihrem Rassismus, Sexismus und Hass freien Lauf zu lassen, sie wähnen sich selbst im Besitz seiner Macht und stellen sich vor, jene feuern oder erniedrigen zu können, die ihnen nicht in den Kram passen. Das haben sie in seinen Fernsehsendungen gelernt. Dort haben sie sich auch eine Form des Urteilens und Verurteilens angewöhnt, die nun einfach aus dem Abendprogramm in die Politik umzieht.

Konformistische Rebellion

Andere finden es gut, wie Trumps Brutalität und Direktheit die Lügengebäude, zu denen die traditionellen Parteien verkommen sind, erschüttert und aus dem Tritt bringt. Er zieht genau die Leute über den Tisch, von denen sie über den Tisch gezogen werden. Je öfter Trump Frauen als »Schlampen«, »Hunde« und »Schweine« beschimpft, desto mehr lieben sie seine Art (und dieses ›sie‹ kann durchaus auch manche Frau einschließen). Je beleidigender sein Rassismus, umso besser kommt er an. Trump hat keine Angst, der er nachgeben würde – er ist nicht einmal verärgert. Sein Verhalten gehört zum Geschäft, es macht Sinn, es ist, wie es ist. Als ›echter Amerikaner‹ lässt Trump den obszönen Impulse ihren Lauf, die zu unterdrücken einfach zu anstrengend ist.

Liberale Distinktion

Die bürgerliche Mitte wiederum genießt ihre Empörung. Schließlich bestätigt Trump, wie richtig sie liegt in ihrer Abscheu vor den Wähler*innen der Republikanischen Partei – in Wirklichkeit ist ihre Abscheu jedoch die Verachtung der Arbeiterklasse als solche. Indem sie Trump dazu benutzen, ihr eigenes Selbstwertgefühl zu steigern, bilden sie dessen Verachtung auf einer anderen Ebene ab. Er ist nicht nur ein Kandidat, den sie genüsslich hassen können, sondern er erlaubt es ihnen auch, ihren Hass auf all diejenigen auszuweiten, die Trump unterstützen und keine Millionäre sind: Vor allem diese müssen ihrer Meinung nach wirkliche Idioten sein.

In einer Plutokratie regieren die Plutokraten. Die Republikaner mögen Trump deshalb nicht, weil er diesen Umstand nicht hinter Fahne oder Fötus versteckt. Fahne und Fötus spielen für ihn durchaus eine Rolle, in seiner Wahrheits-Politik sind sie aber nebensächlich. Wer Geld besitzt, gewinnt. Wer keines hat, verliert. Gewinner*innen können machen, was sie wollen, Verlierer*innen müssen es ertragen. Trump entfesselt Triebkräfte, die der amerikanische Wahlkampf normalerweise in vorgezeichnete Bahnen zu lenken versucht – seine Politik des Genusses.

Der Text erschien am 15. August 2016 bei In These Times. Aus dem Englischen von Gerhard Wolf

| Kommunikativer Kapitalismus und Klassenkampf

April 2015
Von Jodi Dean

Die letzten fünf Jahre mit ihren zahlreichen Aufständen und Demonstrationen waren die erste Phase einer Revolte, die von der Klasse der WissensarbeiterInnen ausgeht. Die Occupy-Bewegung, die Proteste von Studierenden in Chile und im kanadischen Montreal, die Kämpfe gegen Austeritätspolitiken in Europa, selbst Teile der Bewegungen des Arabischen Frühlings und die Streiks von LehrerInnen, GesundheitsarbeiterInnen und anderen im öffentlichen Dienst Beschäftigten überall auf der Welt können als Aufbegehren der Klasse derjenigen begriffen werden, die unter dem System des kommunikativen Kapitalismus proletarisiert wurden. Diese Kämpfe sind nicht Kämpfe der Multitude, nicht Kämpfe für mehr Demokratie oder Kämpfe, die allein aus lokalen Bedingungen heraus zu erklären sind. Es sind keine sozialen Abwehrkämpfe der Mittelschichten und es ist nicht der Freiheitsdrang von Netzwerkindividuen, der sich hier Bahn bricht (vgl. Mason 2012). Vielmehr sind es Kämpfe derjenigen, deren Arbeitskraft der kommunikative Kapitalismus ausbeutet und deren Lebensäußerungen von diesem enteignet werden (vgl. Dean 2009, 2010).
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