| »Irgendwann sind auch unsere Kräfte am Ende« – Illegalisierte Arbeiter*innen in Berlin fordern: #LegalisierungJetzt

Juni 2020  Druckansicht
Von Llanquiray Painemal Susanne Schultz und Michel Jungwirth

„Guten Abend allerseits! Ich möchte Euch gern mitteilen, vor welchen Herausforderungen ich als undokumentierte Frau in dieser globalen Covid-19-Pandemie stehe. Ich habe meinen Job verloren, nachdem das Restaurant geschlossen hat, in dem ich gearbeitet habe. Als informelle Arbeiterin heißt das, dass es keinerlei Entschädigung für eine plötzliche Kündigung gibt. Ohne einen formalen Arbeitsvertrag habe ich kaum Verhandlungsmacht. Ich komme aus armen Verhältnissen, aus einem hochverschuldeten Haushalt. Bei mir hat dieser zusätzliche Schock des Lockdown meine Kräfte extrem geschwächt, auch noch damit fertig werden zu können. Ich habe zwei Söhne und auch meine Eltern sind von mir abhängig (sie leben im Herkunftsland, Kommentar respect). Keine Arbeit bedeutet kein Geld – und kein Geld bedeutet kein Essen, keine Medikamente und keine Mittel für Miete und andere Rechnungen. Ich kann wohl noch ein oder zwei Wochen überleben, aber ich weiß nicht, was in einem Monat passieren wird.“

„Hallo! Ich bin eine lateinamerikanische Frau und lebe hier seit fast drei Jahren. Ich bin illegal und bin mit meinem jüngsten Sohn hergekommen, um ein besseres Leben zu haben und eine bessere Bildung für ihn. Als diese Pandemie ausgebrochen ist, bin ich leider schlimm erkrankt, hatte Probleme mit den Bronchien. Seitdem ich hier bin, habe ich die ganze Zeit gearbeitet, habe Wohnungen geputzt und auf Babys aufgepasst. Aus der Wohnung, in der ich bisher wohnte, haben sie mich rausgeschmissen, weil ich krank war. Gerade hilft mir eine Freundin: Sie hat mich aufgenommen und ich schlafe mit meinem kleinen Sohn auf dem Boden in ihrem Wohnzimmer. Ich bin sehr besorgt und sehr erschrocken darüber, was gerade passiert. Denn ich habe keinerlei Rücklagen. Ich hoffe sehr, dass Ihr uns unterstützt: Wir wollen legalisiert werden, wir möchten arbeiten, wir möchten etwas tun können.“[1]

Diese Botschaften haben uns Frauen ohne Papiere aus unserem Netzwerk Ende April zugeschickt. Anlass war der Aktionstag #LegalisierungJetzt am 25. April, den wir, die respect-Initiative Berlin und das Bündnis Solidarity City Berlin, gemeinsam organisiert haben. Ziel war es, auf die Situation Illegalisierter aufmerksam zu machen, einmal mehr für die Forderung nach Legalisierung einzutreten und durch einen Solidaritätsfonds auch praktische Unterstützung leisten zu können. Wir haben an dem Tag unglaublich viele Solidaritäts-Fotos aus aller Welt erhalten und können nun für einige Monate mit den erhaltenen Spenden auf niedrigem, nicht existenzsicherndem Niveau Nothilfe für acht Frauen aus unserem Netzwerk leisten.[2]

Mit diesem Text stellen wir die aktuelle Situation illegalisierter Migrant*innen in Berlin vor und wollen in Anknüpfung an den Aktionstag Ansatzpunkte für politische Forderungen in Zeiten der Corona-Krise diskutieren. Denn wir merken zurzeit, dass die extreme Zuspitzung der Krisensituation es mehr als sonst ermöglicht, auf die schlechte Normalität der Illegalisierung aufmerksam zu machen. Wir hoffen, dass es eine Chance gibt, dass die kleinen Pflänzchen der aktuellen Solidarität wachsen und sich ausweiten – in Richtung einer Politik der Legalisierung, in Richtung eines Existenzgeldes für alle, in Richtung eines Rechts auf eine gute öffentliche Gesundheitsversorgung für alle und auch in Richtung einer anderen Organisation und Verteilung von Sorgearbeit.

Doch kurz zu uns: Die respect-Initiative macht seit mehr als 20 Jahren in Berlin auf die Situation von Frauen ohne Papiere aufmerksam, fördert die Selbstorganisierung, ist mit ihnen solidarisch und unterstützt sie konkret. Die meisten der illegalisierten Frauen kommen aus lateinamerikanischen und aus afrikanischen Ländern. Seit einigen Jahren sind wir auch in dem Bündnis Solidarity City Berlin aktiv und setzen uns mit anderen Gruppen für einen gleichberechtigten und würdigen Zugang zu Gesundheitsversorgung und Schulbildung für Menschen ohne oder mit nur prekärem Aufenthaltsstatus in Berlin ein.

Die Situation illegalisierter Menschen in Zeiten von Corona – Legalisierung jetzt erst recht!

Die aktuelle Krisensituation, die wir in Zeiten einer globalen Pandemie, des (partiellen) ökonomischen Lockdowns sowie einer drastischen Verschiebung von Sorgearbeitsverhältnissen erleben, trifft illegalisierte Frauen besonders hart. Und sie macht in dieser drastischen Zuspitzung auf eine Normalität aufmerksam, die für Illegalisierte nichts Neues ist: die alltägliche Angst vor Polizeikontrollen; die mangelnde oder allenfalls prekäre Gesundheitsversorgung; die alltägliche ökonomische Unsicherheit und Abhängigkeit von Jobs in Gastronomie und Privathaushalten – und die Abwesenheit von rechtlicher Absicherung, von Kündigungsschutz, Urlaub und Krankengeld. Hinzu kommt die Belastung illegalisierter Frauen in der Sorge und Verantwortung für Kinder und Familienangehörige, sowohl hier als auch sehr oft im Herkunftsland. Angesichts dieser Ausgrenzungen und Vielfachbelastungen sind sie oftmals angewiesen auf Alltagssolidarität, erfahrungsgemäß meist vor allem von denjenigen, denen es so ähnlich geht oder die diese Erfahrung früher einmal gemacht haben.

Die Gründe, warum viele Menschen illegalisiert in Deutschland leben, sind vielfältig. Vielen von ihnen wurde politisches Asyl verweigert. Aus Angst vor Repression in ihren Ländern entschieden sie sich, in den Untergrund zu gehen. Andere sind als Tourist*innen gekommen und haben beschlossen, hier zu bleiben, um zu arbeiten und ihren Familien in ihren Herkunftsländern zu helfen. Viele Frauen versuchen, in Deutschland ein eigenständiges Leben aufzubauen, manchmal auch, um sich patriarchalen und sexistischen Verhältnissen zu entziehen. Die zentrale Ursache dieser Situation ist die Ungleichheit zwischen dem Globalen Süden und Norden. So wie viele Europäer*innen in Krisenzeiten nach Lateinamerika ausgewandert sind, wandern auch heute Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben aus oder fliehen vor Unterdrückung.

Seit Jahrzehnten haben antirassistische, migrantische, solidarische Bewegungen in Deutschland immer wieder ein Recht auf Rechte eingefordert, um gegen einen zentralen Pfeiler rassistischer Diskriminierung und Ausbeutung vorzugehen: den systematischen Ausschluss aus sozialen und Bürgerrechten in der Illegalisierung – sei es in der langjährigen Kampagne „kein Mensch ist illegal“, sei es in der Anfang der 2000er aktiven „Gesellschaft für Legalisierung“, sei es in vielfältigen selbstorganisierten migrantischen Bewegungen und Protesten. Dennoch ist auf der Ebene der staatlichen Regulierung in Deutschland trotz all dieser Kämpfe nichts verbessert worden für die Hunderttausende, die trotz ihrer enormen Expertise und „Systemrelevanz“ nicht als „Fachkräfte“ gelten und für die die (sowieso minimalen) klassenselektiven Öffnungen des Einwanderungsregimes der letzten Jahre irrelevant sind.

Es gibt keinerlei Stichtagsregelungen oder Kontingente der Legalisierung wie in anderen europäischen Ländern. Die Einzelnen müssen in Härtefallkommissionen als Bittsteller*innen auftreten, die nur wenigen eine Perspektive bieten. Oder es ergeben sich neue Möglichkeiten aufgrund biographischer Veränderungen in ihren Familienverhältnissen (etwa abhängige Aufenthaltsrechte nach einer Heirat oder der Geburt eines „deutschen“ Kindes). Viele müssen sich auf lange Sicht in dem extrem prekären und entrechteten Leben als Menschen ohne Papiere einrichten.

In Zeiten von Covid-19 sind zwar Abschiebungen vorübergehend und teilweise ausgesetzt. Dies ändert aber nichts an der prinzipiellen Bedrohung Illegalisierter durch das Abschieberegime. Ganz im Gegenteil ist ihre Bewegungsfreiheit aufgrund der massiven und beängstigenden Polizeipräsenz zusätzlich eingeschränkt: Viele Menschen ohne Papiere wagen es derzeit nicht, auf die Straße zu gehen, aus Angst, kontrolliert zu werden. Die anfänglich in Berlin eingeführte Ausweispflicht wurde zwar wieder zurückgenommen, das ändert aber nichts an der prinzipiellen Angst und dem Unbehagen angesichts der vielen Ordnungskräfte und Polizeiwagen, die derzeit das Bild der Öffentlichkeit prägen. Auch ohne Ausweispflicht ist das Thema Racial Profiling eine Alltagsrealität für von Rassismus betroffene Menschen – insbesondere an den sogenannten gefährlichen Orten, wo die Polizei kontrollieren kann, wie sie will.

Die sich zuspitzende prekäre Lage der Menschen ohne Papiere in der Pandemiekrise hat aber auch zu neuen Initiativen geführt. In der Partei Die Linke wird bereits seit einiger Zeit ausgelotet, ob mit einem Städte-Ausweis der Zugang Illegalisierter zu städtischen Dienstleistungen ermöglicht werden könnte. Am 22. April haben 27 Abgeordnete der Linken an Kanzlerin Merkel und Innenminister Seehofer einen offenen Brief geschrieben, in dem sie sich u.a. für eine einmalige finanzielle Hilfe für Illegalisierte einsetzen – des weiteren für einen Abschiebestopp, eine Generalamnestie für Illegalisierte und insbesondere dafür, „eine Legalisierung für alle Menschen ohne Aufenthalt in Deutschland einzuleiten“ (Jelpke 2020). Diese begrüßenswerte Initiative setzt sich also für eine Stichtagsregelung ein, wie sie in anderen europäischen Ländern in der Vergangenheit Praxis war und geht damit erfreulicherweise über eine temporäre Krisenbewältigung nur für bestimmte (bereits registrierte) Gruppen hinaus, wie etwa die vielbeachtete Sofortmaßnahme der portugiesischen Regierung.[3] Bisher ist allerdings wenig unternommen worden, um dieser parlamentarischen Initiative mehr politischen Nachdruck zu verleihen und zu verhindern, dass sie eine Eintagsfliege bleibt. Hier liegt es nicht zuletzt an den sozialen antirassistischen Bewegungen, die neue Sichtbarkeit in der aktuellen Krisensituation zu nutzen, um die Frage der Legalisierung wieder auf die politische Tagesordnung zu setzen und eine solidarische Lösung zu fordern. Aufgrund der Kriminalisierung ist es Illegalisierten kaum möglich, massenhaft auf die Straße zu gehen oder allein eine öffentliche Kampagne zu stemmen.

Globale Care-Arbeit in der Krise – die gekündigten Care-Arbeiter*innen ohne Papiere  stehen jetzt vor dem Nichts

Illegalisierte Menschen arbeiten hauptsächlich im Dienstleistungssektor. Migrant*innen übernehmen die Haus-, Sorge- und Pflegearbeit, die viele Menschen mit besseren wirtschaftlichem Lebensbedingungen selbst nicht mehr leisten und dadurch Zeit für ihre Erwerbsarbeit haben. Menschen ohne Papiere kümmern sich um Kinder, sie holen sie von der Schule ab, bringen sie ins Bett, wenn die Eltern ins Kino oder auf eine Party gehen, putzen die Häuser, bügeln, kochen in Restaurants, machen sauber in Hotels, oder arbeiten auch auf dem Bau.

Als Isolation und soziale Distanzierung in der Pandemie zur neuen gesellschaftlichen Priorität wurden, blieben die Arbeit gebenden Familien zu Hause. Schulen und Kitas wurden geschlossen und illegalisierte Arbeiter*innen wurden nicht mehr gebraucht. Die Arbeitgeber*innen teilten den Care-Arbeiterinnen meist mit, dass sie auf unbestimmte Zeit ihre Arbeit nicht mehr benötigen. Die uns bekannten illegalisierten Arbeiterinnen haben fast alle ihre Jobs verloren, und bis auf das eine oder andere Almosen (etwa 20 Euro im Briefumschlag bei der letzten Arbeitsstunde) wurden sie ohne jegliche Unterstützungsangebote in die Kontaktsperre entlassen. Insbesondere die wichtige Einnahmequelle Babysitten und Kinderbetreuung fällt komplett aus, weil eine Ansteckung durch die Arbeiter*innen befürchtet wird. Die körperlich oft härteren stundenweisen Putzjobs gibt es teilweise noch, aber nicht in dem Umfang, dass sie annähernd zum Überleben ausreichen.

Zu alledem kommt noch die enorme Belastung der globalen Care-Arbeiter*innen durch die Situation ihrer Familienangehörigen in ihren Herkunftsländern. Gerade jetzt sind diese in vielen Ländern besonders auf die Unterstützung durch Familienangehörige im globalen Norden angewiesen. Oftmals hängen nicht nur die Kinder von deren Einkommen vom Putzen und Babysitten ab, sondern auch weitere Familienangehörige, etwa die alten Eltern. Und gerade jetzt verlieren viele der Familienangehörigen in den Herkunftsländern mit oft extremen Ausgangssperren selbst ihre Einnahmequellen. „Wenn wir nicht wegen Corona sterben, sterben wir, weil wir hungern“, teilten etwa Familienangehörige aus El Alto in Bolivien mit.

In Zeiten von Corona zeigen sich viele widersprüchliche und problematische Entwicklungen in der Care-Arbeit gleichzeitig, und die Frage der “Systemrelevanz” wirft viel weitergehende Fragen auf, als sie in der Öffentlichkeit oft diskutiert werden. Immerhin wird gerade relativ breit in der Öffentlichkeit kritisiert, dass es zu einer extremen Retraditionalisierung von Rollenmustern kommt. Es sind vor allem die Frauen, deren Arbeitskapazitäten in den Haushalten beim Wegfallen der öffentlichen Kinderbetreuung extrem in Anspruch genommen werden. Was demgegenüber kaum öffentlich problematisiert wird ist, dass das übliche prekäre Outsourcing dieser Arbeiten an migrantische Arbeiter*innen vorübergehend und teilweise reduziert wird die weiterhin unsichtbaren Carearbeiter*innen um ihre Existenzgrundlage bringt. Im Unterschied zu den osteuropäischen Pflegekräften, von denen viele das Land verlassen haben und so den häuslichen Pflegenotstand verstärkt haben, bleiben die Frauen, mit denen wir vernetzt sind, hier – und stehen vor dem Nichts. Wieder einmal erscheint das Hin- und Herschieben dieser für die Gesellschaft so zentralen und gleichzeitig so abgewerteten Haus- und Sorgearbeiten als die einzige Möglichkeit; ein Hin- und Herschieben, das allein zwischen unbezahlter und absolut prekarisierter Arbeit und vor allem zwischen Frauen stattfindet – und zwar zwischen Frauen mit verschiedenen Klassenzugehörigkeiten und unterschiedlichen Aufenthaltsrechten bzw. unterschiedlicher Betroffenheit von rassistischer Diskriminierung. Eine wirkliche Debatte über „Systemrelevanz“ müsste unserer Meinung nach ganz grundsätzlich die Frage einbeziehen, wie diese Arbeit zugleich aufgewertet, besser bezahlt und umverteilt werden kann. Dann würde aus der Debatte um Systemrelevanz allerdings auch eine Debatte um Systemwechsel.

Der mühselige Kampf für eine Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere in Berlin geht weiter…

Angesichts der enormen Schwierigkeit, einer Legalisierungskampagne in Deutschland zum Erfolg zu verhelfen, bleibt es akut unsere Aufgabe, für elementare soziale Rechte auch in der Illegalität zu kämpfen. Wie die Frauen in ihren Audiobotschaften berichten, ist die Gesundheitssituation für illegalisierte Menschen in Berlin weiterhin extrem prekär – sowohl die allgemeine Versorgung als auch die spezifische zu COVID-19.

In den letzten Jahren haben wir uns im Bündnis Solidarity City Berlin für einen anonymisierten Krankenschein eingesetzt, der einen Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle Menschen ohne Krankenversicherung ermöglichen würde, darunter insbesondere für Leute ohne Papiere. Viele Jahre der Kämpfe und des Nachhakens von Solidarity City kurz vor den Wahlen 2016 haben zwar bewirkt, dass der rot-rot-grüne Senat eine Clearingstelle eingerichtet hat, um Menschen ohne Krankenversicherung den Zugang zu Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. Leider blieb dies aber bisher höchst bürokratisch und mangelhaft organisiert: Es gab bisher wenig Engagement, die Existenz der Clearingstelle überhaupt in den verschiedenen Communities bekannt zu machen. Zudem erlebten die Antragssteller*innen, die meist mit akuten Gesundheitsproblemen kamen, teilweise entwürdigende Interviews. Immerhin hat sich in Zeiten von Corona etwas Positives getan: Der Senat hat endlich einen Vertrag mit der Kassenärztlichen Vereinigung in Berlin gemacht, so dass die Clearingstelle nun Menschen ohne Papiere zu allen Berliner Hausärzt*innen schicken kann, und nicht nur zu wenigen Vertragsärzt*innen. Dennoch bleibt die Clearingstelle ein Nadelöhr, das unter Corona-Bedingungen noch enger geworden ist: Oft wird erst mehrere Wochen nach einer telefonischen Anfrage ein Termin angeboten.

Zudem fehlt es weiterhin an verlässlichen und ausführlichen Informationen zu Tests und Behandlungen für Illegalisierte im Falle einer möglichen COVID-19-Infektion. Auch jetzt, Ende Mai, bleibt die Kostenübernahme für die mindestens 60 Euro teuren Tests unklar, und falls die Person positiv getestet ist, wird sie gemeldet. Das habe zwar – so die Gesundheitsämter – keine aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen für Illegalisierte, schürt aber dennoch Ängste bei den Betroffenen, weil nicht ausführlich über den Umgang mit den Daten informiert wird.

So bleiben auch in Corona-Zeiten die allermeisten Menschen ohne Papiere in Berlin weiter auf solidarische und karitative Organisationen angewiesen – oder gehen wenn überhaupt nur in extremen Notlagen zu Ärzt*innen oder ins Krankenhaus.

Zwischen Depression, gegenseitiger Hilfe und ersten Schritten des Protestes

Wie ist es möglich, sich zu organisieren, wenn es so schwierig ist, sich zu bewegen und zu treffen – und wenn die Kräfte schwinden, wie es die Botschaften unserer Freund*innen eindrücklich schildern? Insbesondere die ersten Wochen während der Pandemie-Krise in Deutschland waren von Verzweiflung und Depression geprägt. Viele der Frauen ohne Papiere waren völlig isoliert und entwickelten in einer extrem nervenaufreibenden Situation der Unsicherheit und Notlage Angstzustände und Depressionen. Einerseits müssen sie ihre Gesundheit besonders schützen, denn ohne Krankenversicherung oder die Möglichkeit, sich auf COVID-19 testen zu lassen, leben sie besonders prekär. Andererseits ist es in dieser Lage fast unmöglich, nach anderen Jobs zu suchen, und so müssen viele mit der täglichen Sorge leben, wie sie ihre Miete in den kommenden Monaten bezahlen werden – oder wo sie weiter unterkommen könnten, wenn sie ihre Unterkünfte schon verloren haben.

Langsam entstehen aber auch wieder solidarische Netzwerke untereinander – und wie so oft sind es zuallererst die Frauen, die in einer ähnlichen Lage sind oder waren, die sich gegenseitig unterstützen.

Zudem gibt es viel Bereitschaft in unserem Netzwerk, auch an politischen Forderungen zu arbeiten und diese zu artikulieren, wie anlässlich des Aktionstages #LegalisierungJetzt. Aber auch in den gemeinsamen Forderungen Berliner Basisorganisationen, bei den Protesten gegen die Situation in den Lagern der Kampagne #leavenoonebehind oder in den Mobilisierungen gegen rassistische Gewalt am 8. Mai unter dem Schlagwort #entnazifizierungjetzt kommt dies zum Ausdruck.

Zentraler Ausgangspunkt ist die Art und Weise, wie die Pandemiekrise die skandalösen sozialen Ungleichheiten aufdeckt und verschärft – und wie es dennoch an jeglicher staatlicher Unterstützung mangelt. Menschen ohne Papiere existieren für den deutschen Staat auch weiterhin nicht und bleiben unsichtbar. Auf Wunsch der illegalisierten Frauen, mit denen wir in Kontakt sind, möchten wir darum alle Organisationen, Initiativen und Menschen auffordern, sich für die Legalisierung der Menschen ohne Papiere einzusetzen. Wir fordern ein Recht auf gleichberechtigten Zugang zu öffentlicher Gesundheitsversorgung für alle Menschen, die in Deutschland leben, sowie die Existenzsicherung für alle, die in der Krise ihre Arbeit teilweise oder ganz verloren haben, egal ob formal oder informell. Und wir fordern, dass Arbeitsrechte unabhängig vom Aufenthaltsstatus gelten und auch geltend gemacht werden können. Wir glauben, dass es in Zeiten, in denen viel Verantwortung und Solidarität von uns verlangt wird, extrem wichtig ist, dass illegalisierte Menschen nicht auf der Strecke bleiben und dass auch für sie die Idee einer solidarischen Gesellschaft gelten muss. Die aktuelle Krise zeigt deutlich, dass niemand von grundlegenden sozialen Rechten ausgeschlossen werden darf. Die plötzliche Aufmerksamkeit für systemrelevante“ Sorgearbeiter*innen sollte alle – auch die Arbeiter*innen ohne Papiere – einbeziehen und dazu genutzt werden, dass deren Arbeit mit Rechten versehen, aufgewertet und besser bezahlt wird. Dies ist ein erster und unverzichtbarer Schritt, um weitere, langfristige Ideen zu entwickeln, wie Sorgearbeit gerechter umverteilt werden kann und eine rassistische und patriarchale Arbeitsteilung überwunden werden kann.

Anmerkungen

[1] Botschaften von illegalisierten Frauen in Berlin – mehr Erfahrungsberichte unter: www.respectberlin.org/.

[2] Siehe www.respectberlin.org/wordpress/2020/04/aktionstag-heute-information-siehe-unten/ twitter.com/hashtag/LegalisierungJetzt?src=hashtag_click; de-de.facebook.com/events/2286744208301926/.

[3] Ein weiteres, wiederum anders gelagertes Beispiel einer Erweiterung von Aufenthaltsrechten während der Pandemiekrise ist Italien, wo Erntearbeiter*innen legalisiert werden können, allerdings auch hier nur, wenn sie schon Anfang März registriert waren, nur mit Arbeitsvertrag und für sechs Monate befristet – eine eindeutig ökonomisch begründete Politik der Regularisierung (Süddeutsche Zeitung, 13.5.2020).