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INTERVIEW: Das Peter-Weiss-Haus als Ort linker Bildung

Mit Stefan Nadolny

Was ist das Peter-Weiss-Haus?

Stefan Nadolny: Das Peter-Weiss-Haus (PWH) gibt es seit 2009. Jedes Jahr finden hier 600 bis 700 Veranstaltungen statt: Ausstellungen, Lesungen, Vorträge, Seminare, aber auch Proben freier Theatergruppen. Und die jährliche Peter-Weiss-Woche. Das Haus bietet Freiraum für vieles, von der Aktionsvorbereitung über Konzerte bis hin zur Zeitungsredaktion. Politisch verstehen wir es als Ermöglichungsstruktur. Das heißt, wir bieten Menschen Raum und Ressourcen für eingreifende Praxen.

Wer nutzt das Haus?

Der Peter-Weiss-Haus e.V., eine zur kollektiven Bewirtschaftung gegründete Genossenschaft, ein politischer Bildungs- und Jugendarbeitsträger, das Literaturhaus Rostock und verschiedene Kollektive und Initiativen, vor allem Akteure mit Kultur- und Bildungspraxen. Wir verstehen das Haus als Gemeineigentum, über das eine Gemeinschaft aus sehr unterschiedlichen AkteurInnen nach selbst entwickelten Regeln verfügt. Diese Commons-Orientierung ist für uns eine Strategie, um mit der Heterogenität umzugehen, um an einem festen Ort solidarische Praxis auf Basis unterschiedlicher und gemeinsamer Interessen zu organisieren. Hier werden Arbeitsstrukturen gebildet, die Praxen ermöglichen, die ansonsten keinen Raum finden bzw. unter Einfluss von einflussreicheren Institutionen, FördermittelgeberInnen oder Marktlogiken angepasst werden müssten. Im Kultur- und Bildungsbereich bestehen Fördermittelabhängigkeiten, und die Genossenschaft muss sich auf dem Markt gegenüber Gastronomien, Veranstaltungs- und Beherbergungsorten behaupten. Wie wir mit diesen Abhängigkeiten umgehen und sie gleichzeitig in Frage stellen und den eigenen Anspruch wahren, wird bei uns kollektiv diskutiert.

Welche Vorstellung von politischen Bildungsprozessen liegt eurer Arbeit zugrunde?

Dazu gibt es verschiedene Auffassungen. Wir machen politische Bildung, die einem gramscianischen Verständnis folgt, die sich selbst in der Zivilgesellschaft verortet, die weiß, dass sie in Macht- und Herrschaftsverhältnisse eingebettet ist und mit diesen umgehen muss. Gegenhegemonie aufzubauen heißt für uns, möglichst viele unterschiedliche Menschen zu erreichen, sie einzubeziehen und über Kultur und Bildung in ihren Emanzipationswünschen zu stärken. In den Veranstaltungen greifen wir Themen auf, die im Mainstream keinen Platz haben und denen im Alltagsverstand wenig Bedeutung zugemessen wird. Literatur, Musik und Film können die Themen und Ideen Subalterner transportieren und zur Sprache bringen. In unseren Bildungsformaten üben wir Kritik am Mainstream und thematisieren kulturelle Vergesellschaftung und Entmündigung. Im besten Fall wird dadurch eine Kultur ermöglicht, die emanzipatorisch auf die mit dem Haus verbundenen Theatergruppen, Bands, KünstlerInnen wirkt.

Wieso der Schriftsteller Peter Weiss als Namensgeber?

Der von Peter Weiss betonte Eigensinn, der sich gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen entzieht oder sich als widerständiges Handeln zeigt, ist für unser Verständnis der politischen Bildungsarbeit und für die Kulturarbeit des Hauses zentral. Sein Werk ist für unsere Arbeit aber auch eine Quelle von Inspiration und Irritation. Das soll künftig noch stärker zum Ausdruck gebracht werden, etwa in Projekten anlässlich seines 100. Geburtstages 2016.

Wie ist die Bildungsarbeit im Peter-Weiss-Haus konkret organisiert?

Wir bieten ein breites öffentliches Bildungs- und Kulturangebot mit Veranstaltungsreihen wie dem »Politischen Donnerstag«, mit Filmvorführungen, Podiumsdiskussionen oder Aktivitäten außerhalb des Hauses. In der Kinder- und Jugendarbeit gibt es offene Angebote, Elternarbeit, medien- und theaterpädagogische Projekte, Freizeitangebote für Kinder von Geflüchteten und vieles mehr.

Organisiert wird die Arbeit im Peter-Weiss-Haus vom Bildungsträger Soziale Bildung e.V. (SoBi). Der Verein bildet den Gründungszusammenhang des Hauses und ist als Träger der Weiterbildung und der Jugendhilfe etabliert. Die Hauptthemenstränge sind rassismuskritische Bildung, nazistische Ideologie und Praxen, kapitalismuskritische und entwicklungspolitische bzw. globalisierungskritische Bildung. SoBi arbeitet an Methodik und Didaktik emanzipatorischer Bildung, an reflexiver Kommunikation und mit Partizipationsverfahren und Prozessmoderation. Dazu gibt es Formate für schulische Bildungseinrichtungen (Projekttage und Projektwochen, Peereducation-Kurse, LehrerInnenfortbildungen), für politisches Bildungsengagement (MultiplikatorInnenschulungen, TeamerInnenausbildungen, Methodenvermittlung) und für die internationale Jugendbegegnung (Studienreisen, Camps).

Politisch wichtig ist uns die kollektive, demokratische Entscheidungsstruktur. Es gibt Plena mit Konsensprinzip und halbjährliche Klausuren für die Planung und Strategieentwicklung. Projekt- und Bereichsteams arbeiten relativ autonom im gemeinsam vereinbarten Rahmen. Wir haben keine Leitungsstrukturen. Organisations- und Verwaltungsfragen werden in Delegationstreffen mit VertreterInnen der Bereiche (politische Bildung, Kinder- und Jugendarbeit, Schulsozialarbeit, Kulturbereich) beraten, am Ende entscheidet das Plenum.

Was bedeutet Ermöglichungsstruktur in diesem Zusammenhang?

Dass wir Unterstützung bei Projekten anbieten und Interessierte zu TeamerInnen ausbilden. Grundsätzlich können alle AkteurInnen sich mit Anliegen an das offene Plenum wenden. Dort wird beraten und im Konsens entschieden, ob und welche Mittel Sobi zur Verfügung stellt: Räume, personelle Unterstützung, Technik oder bis zu 200 Euro aus dem Sobi-Soli-Fonds. SoBi arbeitet in der Bildung projektorientiert, das heißt, über einen festen Zeitraum setzt ein Projektteam das jeweilige Vorhaben um. Die Projektteams sind an Budgets gebunden und für die Umsetzung und Ergebnissicherung verantwortlich. Projekte müssen immer mit zwei KoordinatorInnen abgesichert werden, von denen eineR Sobi-Mitglied beziehungsweise bei Sobi angestellt sein muss. Insofern sind die Strukturen nicht völlig offen.

Wir haben auch ein mehrstufiges Beteiligungsverfahren entwickelt: Zuerst entsteht Kontakt durch die Teilnahme einer Person an einer Bildungsveranstaltung. Dann gibt es die Möglichkeit, sich als MultiplikatorIn in einem Bildungsformat ausbilden zu lassen, also erst zu hospitieren, dann ein Format selbst durchzuführen und weiterzuentwickeln. Und schließlich kann jedeR eine Ausbildung als TeamerIn machen. Alle, die Mitglied bei SoBi werden wollen, machen zunächst ein »Probehalbjahr«, in dem sie von einem Mitglied als Pate begleitet werden. Danach folgt die Aufnahme durch Konsensentscheidung. Wer Mitglied ist, kann in allen Gremien und Bereichen mitarbeiten und kann signalisieren, lohn- bzw. honorarmäßig fest mitarbeiten zu wollen. Der Bildungsträger plant und entwickelt dann dementsprechend Stellen und finanziert sie nach dem Prinzip der solidarischen Ökonomie.

Was heißt das?

Das bedeutet, dass alle Sobi-Mitglieder und -Angestellte ihre Einnahmen zusammenlegen und dann monatliche Beträge für jede und jeden bedürfnisorientiert festlegen. Ausgleichzahlungen werden von den anderen Mitgliedern entschieden und gemacht.

Welche Widersprüche und Schwierigkeiten tauchen auf, wenn ihr im PWH versucht, eingreifende Bildung zu organisieren?

Die angebotenen Bildungsformate sind noch weit davon entfernt, die ästhetischen Dimensionen in Lernprozessen voll in den Fokus zu bekommen. Hier liegt meiner Meinung nach jedoch das größte Potenzial für politische Bildung, die emanzipieren, aktivieren, beteiligen, erinnern und verändern will. Theaterpädagogische oder bildnerische Methoden zum Beispiel nutzen wir aktuell eher als Hilfsmittel, um Diskurse und Kognition zugänglicher zu machen.

Problematisch sind die äußeren Einflüsse, die auf Bildungsstrukturen und -inhalte wirken. Häufig sind wir abhängig von Fördermitteln und Eigenmitteln, die erwirtschaftet werden müssen. Mit Blick auf die Fördermittel heißt das, dass ein großer Teil der Arbeiten der KoordinatorInnen (circa 20 Prozent der Arbeitszeit) für Verwaltungsaufgaben genutzt wird. Diese Zeit geht der eigentlichen inhaltlichen Arbeit verloren. Hinzu kommt, dass kritische Inhalte schwieriger zu fördern sind – die inhaltliche Agenda des Förderprogramms bekommt Einfluss auf die eigenen Ansprüche. GeldgeberInnen nehmen Einfluss auf den Inhalt, eigene Ansprüche werden zum Teil zurückgestellt. Wenn Bildungsvorhaben aus eigenen Mitteln umgesetzt werden sollen, befindet man sich schnell in Bildungsmarktnischen. Es gibt Vorhaben, die wir aus eigener Kraft realisieren, weil keine andere Finanzierungsquelle vorhanden ist. Aus Gründen des pragmatischen Umgangs mit Haushalt, Überarbeitung und Stellensicherung werden sie aber weniger.

Insofern würde ich sagen, dass der Freiraum eine Infrastruktur ist, die wir zur Verfügung stellen. Aber gleichzeitig fordern wir von den NutzerInnen, sich auch für seinen Fortbestand und seine Weiterentwicklung zu engagieren. Eine prinzipielle Offenheit erreicht noch nicht viel, das ist zu passiv angelegt. Aktiv Akteure zu beteiligen, in einem gemeinsam entwickelten, aber nicht völlig offenen Rahmen kann da mehr an emanzipativen Prozessen in Gang setzen. Auch wenn diese Orientierung auf Struktur sich viel nach Verfahren und Organisation anhört, werden beim Finden funktionierender Vereinbarungen politische Differenzen ausgetragen. Das wirkt auch ideologischen Spaltungen im Hauskontext entgegen. Das Peter-Weiss-Haus hat letztlich das Ziel, ein Gegenmodell zu sein, weniger korrumpiert, kollektiver. Es soll ein Ort sein, von dem eingreifende und organisierende Bildung ausgehen kann.

Das Interview führte Janek Niggemann.