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»Ich schneide die Gurke genauso wie meine Kolleg*innen.« Gleicher Tarif für gleiche Arbeit

Gepspräch mit Jenniffer Lange

Die Beschäftigten der Töchter der Vivantes Kliniken in Berlin sind streikbereit: 98,8 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder haben in der Urabstimmung für einen sogenannten Erzwingungsstreik votiert, um endlich der Forderung eines „TVöD für alle“ Nachdruck zu verleihen. Du hast auf der Pressekonferenz gesagt, dass ihr nicht streiken wollt, sondern müsst. Warum?

Um das zu verstehen, hilft ein kurzer Blick zurück. Unsere Forderung, dass alle Beschäftigten im Haus zu gleichen Bedingungen entlohnt werden, wenn sie die gleiche Arbeit machen, ist nicht neu. Wir kämpfen seit mehreren Jahren gegen die Taktik des Outsourcings, also dagegen, dass Teile der Konzern-Aufgaben in Tochterunternehmen ausgelagert werden, die dann keine Tariflöhne zahlen, obwohl die Kolleg*innen exakt die gleiche Arbeit machen. 2017 hat die rot-rot-grüne Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, dass man sich bemühen wolle, diese Töchter der landeseigenen Kliniken wieder einzugliedern, aber es wurde nie ernsthaft verfolgt.

Und warum streikt ihr jetzt?

Wir können einfach nicht mehr. Viele Kolleg*innen arbeiten zum Teil noch in anderen Jobs, weil sie so wenig verdienen. Sie gehen nachts noch in Büros oder Banken putzen. Normalerweise sind Reinigungskräfte immer für eine Station verantwortlich, ich kenne aber viele, die in einer Schicht drei Stationen reinigen. Das ist im Übrigen nicht erlaubt, passiert aber andauernd.

Woher kommt diese Unterbesetzung?

Es gibt mehrere Gründe. Das eine sind krankheitsbedingte Ausfälle. Wir sind einfach erschöpft. Hinzukommt, dass insgesamt zu wenig Personal eingestellt wird. Das wiederum führt dazu, dass viele von uns ihren Beruf verlassen. Wir machen unsere Jobs gerne, aber nicht mehr unter diesen Bedingungen. Ich arbeite zum Teil zu zweit in Schichten, in denen eigentlich fünf Kolleg*innen arbeiten sollten. Wie soll das auf Dauer gehen?

Und hinzu kommt die ungleiche Bezahlung.

Der Gedanke, dass ich für die gleiche Arbeit weniger bekomme als meine Kolleg*in, die exakt dasselbe macht wie ich, ist unglaublich demotivierend. Trotzdem: Wir wollen nicht mehr jammern, nach den letzten erfolglosen Anläufen wollen wir es nun richtigmachen.
Es geht um 1 200 Beschäftigte, die nach TVöD bezahlt werden wollen, so wie die Kolleg*innen, die im Mutterkonzern angestellt sind – damit auch unser Job zum Leben reicht.

Welche Bereiche sind eigentlich in Töchter ausgegliedert?

Das sind unglaublich viele Tätigkeiten, die im Hintergrund funktionieren müssen, damit überhaupt ein*e Patient*in versorgt werden kann. Nehmen wir meinen Bereich, der zur „Speiseversorgung und -logistik GmbH“ gehört: Wir sind nicht nur ein Bistro für Besucher*innen und Patient*innen – wir kümmern uns um die Essensversorgung im ganzen Krankenhaus. Hinzu kommen die Wäscherei, die Gärtnerei und die Reinigung, die Innenhauslogistik, die das Essen und Material verteilt, der Patientenbegleitservice und die Reha. In einem Krankenhaus spielen sehr viele Tätigkeiten eine Rolle, das wird oft nicht gesehen. Bevor eine Pflegekraft ein*e Patient*in versorgen kann, wurde das Bett an den richtigen Platz geschoben, das Zimmer gereinigt, die Bettwäsche gewaschen. Das gleiche gilt für OPs, ohne Sterilisation beispielsweise keine Operation, und so weiter.

Ihr fordert den TVöD für alle – das beutetet gleicher Lohn für gleiche Arbeit, aber eben auch: ein Krankenhaus, ein Tarifvertrag. Was sind die Unterschiede zwischen dir und deinen Kolleg*innen, die einen Arbeitsvertrag im TVöD haben?

Die Kolleg*innen, die nach Tarif bezahlt werden, haben mehr Urlaubstage und bekommen vor allem mehr Lohn für die gleiche Arbeit. Außerdem sind wir, die bei den Töchtern arbeiten, unabhängig von unserer Ausbildung alle in der gleichen Entgeltstufe eingruppiert: Da kocht dann die 4-Sterne Köchin, neben dem ungelernten Koch in einer Entlohnungsgruppe. Es gibt außerdem keine Erfahrungsstufen, also die Möglichkeit, dass ich nach mehreren Berufsjahren mehr Geld bekomme. Aktuell verdienen wir in der Versorgung keine 12,50 Euro – also nicht einmal den für Landesbeschäftigte beschlossenen Mindestlohn, obwohl der auch für Unternehmen bindend ist, die im Auftrag des Landes tätig sind.

Wie viel macht das in deinem Fall aus?

Ich verdiene im Schnitt 800 Euro weniger als meine Kolleg*innen für die gleiche Arbeit. Das weiß ich schon länger, aber mittlerweile frage ich mich, warum ich das seit Jahren mit mir habe machen lassen. Es gibt Bereiche, da liegt der Unterschied sogar bei 1 300 Euro. Das ist der totale Wahnsinn: Ich schneide die Gurke genauso, wie meine Kolleg*innen, warum verdiene ich dann nicht dasselbe wie sie? Und damit hört es nicht auf: Wir sollen auch viel flexibler sein. Es kommt vor, dass mein Arbeitsplan mehrmals umgestellt wird, ich also kaum planen kann. Und obwohl die Arbeitssituation so schlecht ist, haben viele Kolleg*innen Angst, ihren Job zu verlieren. Das ist das Schlimmste.

Wie ist dein Bereich in der Kampagne aufgestellt?

Das Bistro, in dem ich arbeite, ist das einzige, das sich vollständig organisiert hat. Aber der Druck von oben, etwas Falsches zu tun, ist groß. In anderen Krankenhäusern wurden Abmahnungen angedroht, falls sich Kolleg*innen für den Streik entscheiden. Für Beschäftigte, die nicht gut Deutsch sprechen, ist die Situation noch bedrohlicher. Ich sage dann immer, dass sie keine Angst haben müssen, dass es unser Recht ist, für einen fairen und gleichen Lohn zu streiken und dass der Chef ohne uns aufgeschmissen ist. Denn was will er machen, wenn wir alle zusammenstehen? Alle entlassen? Ich für meinen Teil lasse mir das nicht mehr gefallen. Ich fordere Wertschätzung von meinem Chef. Und das bedeutet eben auch, dass ich mehr Lohn für meine Tätigkeit bekommen muss.

Wie genau organisiert ihr euch?

Wir machen unglaublich viel über WhatsApp- und Telegram-Gruppen. Dadurch sind wir gut vernetzt. So stellen wir sicher, dass auch wirklich alle über alles informiert werden können. Außerdem haben wir in vielen Bereichen Untergruppen gegründet, damit Nachfragen schnell gestellt und schnell beantwortet werden können. In so einer Tarifbewegung muss es manchmal schnell gehen. Als die Vivantes-Leitung bei unserem letzten Warnstreik eine einstweilige Verfügung beim Arbeitsgericht gefordert hat, standen viele dringende Fragen im Raum: Kann ich nun streiken oder nicht? Wer von uns darf, wer nicht? Als das Arbeitsgericht dann entschieden hat, die Klage der Vivantes-Leitung abzuweisen, wir also streiken durften, mussten wir uns schnell absprechen, sodass wir unseren Streik normal fortsetzen konnten. Dafür ist schnelle Kommunikation wichtig.

Der Warnstreik Ende August, die Verhandlungen vor dem Arbeitsgericht, eure Demos, das war ein stadtpolitischer Krimi.

Als ich erfahren habe, dass die Vivantes-Leitung die einstweilige Verfügung eingereicht hatte, mit der Begründung, dass wegen unseres Streiks Patient*innen „verhungern“ müssten, war ich unbeschreiblich wütend. Wir haben der Politik und der Klinikleitung 100 Tage Zeit gegeben, mit uns zu reden und zu verhandeln, damit wir einen gemeinsamen Weg finden, der nicht in einem Streik enden muss. Sie haben uns 100 Tage ignoriert. Ihr Machtspiel mit der einstweiligen Verfügung, der Versuch uns Angst zu machen, ist am Ende nicht aufgegangen. Als wir erfahren haben, dass das Arbeitsgericht uns Recht gegeben hatte, waren wir alle so stolz. Das war ein richtiger Gänsehautmoment. Unsere Euphorie war unglaublich. Wir haben richtig Stärke bewiesen.

Es wurde aber auch deutlich, wie wichtig die Landespolitik für eure Auseinandersetzung ist. Was erwartest du von Seiten der Politik?

Ich erwarte, dass sie endlich handeln und zu dem stehen, was sie schon vor Jahren beschlossen haben: dass wir wieder eingegliedert und nach TVöD bezahlt werden. Herr Saleh von der SPD hat es ja selbst in der Woche vor dem jetzigen Streik noch mal gesagt, dass es nicht am Geld scheitern soll.

Was macht die Tarifbewegung mit dir persönlich? 

Als wir uns auf die Auseinandersetzung vorbereitet haben, dachte ich nur: Das schaffe ich nicht. Ich werde weder groß in Erscheinung treten noch in der Lage sein, jemanden für die Gewerkschaft zu gewinnen. Das Blatt hat sich komplett gedreht. Es ist mir mittlerweile egal, ob es meinem Chef passt, was wir machen, oder nicht. Ich möchte endlich vernünftig Geld verdienen. Deswegen zieh ich das jetzt durch, spreche mit Kolleg*innen und erkläre ihnen alles. Nicht alle müssen so aktiv sein wie ich, wir haben auch viele weniger aktive Kolleg*innen, die dabei sind. Die kommen zu den Treffen, aber wollen halt kein Mikro in die Hand nehmen. Das finde ich in Ordnung. Alle haben ihre eigene Rolle und Aufgabe.

Wenn der TVöD für alle kommt, was wird sich für dich ändern?

Eine ganze Menge: Ich zahle gerade 1 000 Euro Miete. Mein Sohn macht aktuell Abi und wird dann studieren. Ich möchte ihn auf seinem Weg unterstützen, egal wohin es ihn treibt. Ich möchte einfach mal ohne Sorgen einkaufen gehen oder sagen können: „Weißt du was, ich habe dieses Wochenende frei, lass uns wegfahren und mal ´ne Auszeit nehmen.” Als mein Sohn klein war, ging das nicht, da musste ich jeden Cent umdrehen. Ich will nicht wissen, wie es Kolleg*innen mit kleineren Kindern geht. Mit dem TVöD bekomme ich den Lohn, der mir zusteht. Ich würde mich auch anders fühlen: nicht mehr als Mensch zweiter Klasse. Nicht mehr abgestempelt zu sein, bedeutet, sich mit der eigenen Arbeit wohl zu fühlen. Meine Höflichkeit auf Arbeit wäre dann nicht mehr gespielt, sondern echt. Das ist für mich viel wert.

Das Gespräch führte Fanni Stolz.