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HKWM-Stichwort: Köchin

Von Frigga Haug

Der Lenin zugeschriebene Satz, die K solle den Staat regieren, schlägt eine emanzipatorische Schneise für Frauen und orientiert zugleich hin auf eine sozialistisch-demokratische Politik als Lernprojekt. Der Satz wurde vielfach aufgenommen, gedeutet, sogar in Gedichtform gebracht, schließlich metaphorisch genutzt als Buchtitel – Küche und Staat –, um Frauen zu ermutigen, sich politisch einzumischen, mit dem Ziel, »die gesellschaftlichen Verhältnisse so umzugestalten, dass alle Bereiche von allen herrschaftsfrei und also gemeinschaftlich geregelt werden können« (Haug/Hauser 1988, 7). (…)

  1. Kultur- und sozialgeschichtliche Momente. – Campanella entwirft 1602 in seiner Utopie Der Sonnenstaat eine Gesellschaft, in der es »niemand als eine niedere Verrichtung an[sieht], bei Tische zu bedienen oder in der Küche zu hantieren, oder die Kranken zu pflegen u.s.w., sondern sie nennen jede Funktion eine Dienstverrichtung […]. Was immer eine Verrichtung des Körpers ist, das nennen sie durchaus ehrenhaft.« (40)

Eine Sozialgeschichte der K zu rekonstruieren, nimmt es mit der doppelten Schwierigkeit auf, eine dienende Tätigkeit, die lange als gering galt, in ihrer Entwicklung zu verfolgen und dies aber für die Frauen zu schreiben, deren Lage insgesamt eine zusätzlich unterworfene ist, und bei der die historischen Quellen ganz unzureichend sind. (…)

(Hingegen:) Die Linie der großen Köche zieht sich durch bis ins 21. Jh. Ein fähiger Koch ist ein Mann, und der Genuss seiner Kunst ist den Oberen möglich, zunächst am Hofe, beim Adel, später bei den Bürgern. Während sich so die Herausbildung und Entwicklung der Kochkunst und des Genusses als Klassenfrage und als männlich besetzt nachzeichnen lässt, gilt die Frau als K als unqualifizierte Magd und Zubehör zum Eigentum. Kochen ist eine lebensnotwendige, aber, sowie sie fürs einfache Volk geschieht, nicht überlieferungsfähige Praxis. Im 18. Jh. war es »gesellschaftlicher Konsens, dass das Zubereiten der Nahrung zu den typisch weiblichen Obliegenheiten – allerdings nur im privaten Bereich – gehört […]. Dagegen hat man sich nur selten um eine Ausbildung der Frauen in der Nahrungsmittelzubereitung bemüht […]. Die Töchter galten als unbezahlte Haushaltsgehilfinnen ihrer Mutter, von der sie angeleitet wurden, wie sie später ihren Mann, ihre Familie oder als Dienstmagd ihre Herrschaft zu ver- sorgen hatten« (Titz-Matuszak 1994, 187). (…)

Die Frauen der aufkommenden Bürger kochen selbst; sowie sie es sich leisten können, wird eine K zu den übrigen Dienstboten hinzugenommen. Damit wird Kochen nicht zur Kunst, sondern zu einer subalternen und minderwertigen Tätigkeit wie die anderen Hausarbeiten auch. (…)

  1. Frühe Arbeiterbewegung. – Die negative Einschätzung der K-Arbeit in der frühen Arbeiterbewegung speist sich aus der elenden Lage der Arbeiterklasse und dem Rang, den die Sorge fürs physische Über- leben unter diesen Bedingungen hatte. Engels beschreibt ausführlich die Wohnverhältnisse, hier bes. die Küchen, die meist dunkel waren und außer einem Herd den Ess- und Schlafplatz enthielten: »einstubige Hütten, von denen die meisten ohne allen künstlichen Fußboden sind – Küche, Wohn- und Schlafzimmer, alles vereinigt. In einem solchen Loche, das kaum sechs Fuß lang und fünf breit war, sah ich zwei Betten […] die nebst einer Treppe und einem Herd gerade hinreichten, um das ganze Zimmer zu füllen.« (Lage, 2/283) Marx zitiert aus Fabrikberichten, in denen von Überarbeit bis zur restlosen Erschöpfung der Eltern die Rede ist und der Übergabe von Küche und Haushalt an die sehr jungen Töchter: »Das älteste Mädchen, zwölfjährig, wartet das Haus. Sie ist unsre K und einzige Gehilfin. Sie macht die jüngeren zur Schule fertig. Meine Frau steht mit mir auf« (K I, 23/737). Marx zeigt, dass die kapitalistischen Verhältnisse verhindern, dass Kochen als qualifizierte Praxis von Arbeiterfrauen möglich ist, indem er umgekehrt ihre paradoxe Un/ Möglichkeit als Folge der Wirtschaftskrise vorführt, in der die Arbeiterfrauen nun die Zeit gewonnen hätten, »kochen zu lernen. Unglücklicherweise fiel diese Kochkunst in einen Augenblick, wo sie nichts zu essen hatten. Aber man sieht, wie das Kapital die für die Konsumtion nötige Familienarbeit usurpiert hat zu seiner Selbstverwertung.« (416f, Fn. 120) – Engels zufolge wird die »Befreiung der Frau […] erst möglich, sobald diese auf großem, gesellschaftlichem Maßstab an der Produktion sich beteiligen kann und die häusliche Arbeit sie nur noch in unbedeutendem Maß in Anspruch nimmt«; er verspricht sich dies davon, dass »die moderne große Industrie […] auch die private Hausarbeit mehr und mehr in eine öffentliche Industrie aufzulösen strebt« (Ursprung, 21/158). Diese Perspektive lässt für eine qualitative Beachtung von Kochen und Hausarbeit keinen Raum.

»In der modernen Proletarierin« wird auch für Rosa Luxemburg »das Weib erst zum Menschen, denn der Kampf macht erst den Menschen, der Anteil an der Kulturarbeit, an der Geschichte der Menschheit.« (GW 3, 411) (…)

August Bebel interessiert die Produktivkraftentwicklung im Haushalt, vor allem beim Kochen und der Industrialisierung der Produkte – »besser, praktischer und billiger« (270) – als Element von Frauenbefreiung und Revolutionierung des Familienlebens (Die Frau und der Sozialismus14.1, 268ff). Er sammelt Beispiele für die Genossenschaftsküche und verweist auf die Reichen, die im Hotel essen, wo männliche Köche kochen, als Beleg, dass die Kochtätigkeit nicht »zum ›Naturberuf‹ der Frau gehört (…) Das denen zur gefälligen Beachtung, die sich die Frau nicht ohne schwingenden Kochlöffel vorstellen können.« (271) Er plädiert energisch für die Befreiung von der »Privatküche« als Ort weiblicher Tätigkeit (…) – In der Tradition der Arbeiterbewegung ist die Küche kein Ort, in dem Genüsse bereitet werden, das Leben sinnlich ausgestaltet wird, die K keine Glücksspenderin, sondern zumindest die »Privatküche« eine Metapher für Unwesentliches und Minderwertiges, ein Ort der Verdummung und Versklavung. Dies der Hintergrund, in dem das Wort von der K, die den Staat regieren soll, aufkommt.

  1. Der Satz »Die K wird den Staat regieren« wurde zum geflügelten Leninwort, ohne dass er im geschriebenen Werk bei ihm auffindbar ist. Er klingt wie eine ferne Replik auf Johann Gottfried Herders Satz, »wenn Köche sich in Deutschland zu Häuptern einer gelehrten Republik« aufwerfen würden, sei dies von Übel (1797, Humanitätsbriefe, Nr. 113.3). (…)

4.1 Das russische Wort kucharka, das Lenin, Bucharin u.a. benutzen, bezeichnet nicht die berufsmäßige K, sondern ein Dienstmädchen bzw. eine Küchenmagd als K. Als Lenin 1921 (laut Trotzki, Stalins Verbrechen, 1937/1990, 67) Stalin einen »Koch, der nur scharfe Gerichte kochen wird«, nannte, benutzte er das Wort povar, weiblich wäre das povaricha. Das Wort kucharka gehört zur Gruppe von Namen, mit denen die Niedrigsten und Rechtlosen bezeichnet werden, so etwa wie in kucharkiny deti – den »Kindern der K«; das sind Leute ohne ›richtige‹ Herkunft, ohne Bildung, ohne Kultur. (…)

Laut N.S. Aschukin und M.G. Aschukina (1987, 153) bezieht sich die in der Folge als Lenins K-Satz verbreitete Losung auf seinen Artikel Werden die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten? von 1917. Dort heißt es: »Wir sind keine Utopisten. Wir wis- sen: Nicht jeder ungelernte Arbeiter und jede K sind imstande, sofort an der Verwaltung des Staates mitzuwirken. Darin stimmen wir sowohl mit den Kadetten als auch mit der Breschkowskaja und mit Zereteli überein. Wir unterscheiden uns jedoch von diesen Bürgern dadurch, dass wir den sofortigen Bruch mit dem Vorurteil verlangen, als ob nur Reiche oder aus reichen Familien stammende Beamte imstande wären, den Staat zu verwalten, gewohnheitsmäßige, tägliche Verwaltungsarbeit zu leisten. Wir verlangen, dass die Ausbildung für die Staatsverwaltung von klassenbewussten Arbeitern und Soldaten besorgt und […] dass unverzüglich begonnen werde, alle Werktätigen, die ganze arme Bevölkerung, in diese Ausbildung einzubeziehen.« (LW 26, 97) Der K-Satz ist zunächst also eine Aussage nicht nur zum Machen von Politik, er ist eine Klassenaussage zum Lernen, Teil eines Programms der Aneignung der Verhältnisse durch Praxis. (…) Die Verwandlung der Unteren in aktive Gesellschaftsmitglieder denkt Lenin als Lernprozess »ursprünglicher Demokratie«; möglich wird sie »von dem Zeitpunkt an, da alle Mitglieder der Gesellschaft oder wenigstens ihre übergroße Mehrheit selbst gelernt haben, den Staat zu regieren, selbst die Staatsregierung in ihre Hände genommen haben«, mit der Folge, »dass die Notwendigkeit zur Einhaltung der unkomplizierten Grundregeln für jedes Zusammenleben von Menschen sehr bald zur Gewohnheit werden wird« (Staat und Revolution, LW 25, 488f).

1919 geht es Lenin um die Verwandlung bestimmter häuslicher Arbeiten in gesellschaftliche und die ökonomische und politische Rolle der Frauen dabei: »Wir schaffen mustergültige Einrichtungen, Speisehäuser, Kinderkrippen, die die Frau von der Hauswirtschaft befreien sollen. Und die Schaffung all dieser Einrichtungen ist eine Arbeit, die haupt- sächlich von den Frauen zu leisten ist.« (LW 30, 27) Der Satz zieht die Aussage in zwei Richtungen. Zum einen scheinen Frauen aufgrund ihrer Erfahrung in der Hauswirtschaft geeignet, die Umgestaltung auf gesellschaftlichem Maßstab zu vollziehen, den Staat mit Einrichtungen zur Lebensbewältigung und Kindererziehung auszubauen, sodass die K.en die Vergesellschaftung der Hausarbeit, »eine Arbeit, die uns für viele, viele Jahre zu tun gibt«, selbst übernehmen, da sie sie von Grund auf kennen; zum anderen ist in diesem Kontext die Befreiung der Frauen an die Abschaffung der »Haussklaverei« (ebd.) geknüpft, sodass sie »an der allgemeinen produktiven Arbeit« (26) teilnehmen können.

Lenin verbindet den Auftrag mit der marxschen Losung: »Wir sagen, die Befreiung der Arbeiter muss das Werk der Arbeiter selbst sein, und genauso muss auch die Befreiung der Arbeiterinnen das Werk der Arbeiterinnen selbst sein. Die Arbeiterinnen müssen sich um die Schaffung solcher Einrichtungen kümmern, und diese Tätigkeit wird dazu führen, dass die Frau eine völlig andere Stellung einnimmt als in der kapitalistischen Gesellschaft.« (27) Demnach wird die K den Staat in dem Maße regieren, wie sie ihre bisherigen Aufgaben zu öffentlichen macht. Entsprechend wird Lenin nicht müde zu fordern, dass die Hauswirtschaft – »die unproduktivste, die barbarischste und schwerste Arbeit, die die Frau verrichtet« (26) – »Gemeinwirtschaft« werde und der Übergang »von den Kleinwirtschaften zur Gemeinwirtschaft« (LW 28, 176) geschafft werden müsse. Dies bringt die K-Aussage ins Zentrum der sozialistischen bzw. kommunistischen Perspektive, die »eine grundlegende Umgestaltung sowohl der gesellschaftlichen Praxis als auch der Anschauungen erfordert« (LW 30, 401). (…)

Im Programm der Kommunistischen Partei Russlands (Bolschewiki) vom März 1919 heißt es entsprechend: »Die bürgerliche Demokratie proklamierte Jahrhunderte lang die Gleichheit aller Menschen unabhängig von Geschlecht, Rasse, Religion und Nationalität, aber der Kapitalismus ermöglichte es nirgends, diese Gleichberechtigung tatsächlich zu verwirklichen, und in seinem imperialistischen Stadium führte er zur heftigsten Verschärfung des Druckes auf Nationalitäten und Rassen. Nur weil die Rätemacht die Macht der Werktätigen ist, vermochte sie diese Gleichberechtigung zum ersten Male in der Welt vollständig auf allen Gebieten durchzuführen und zwar bis zur völligen Beseitigung der letzten Spuren von Ungleichheit zwischen Mann und Frau auf dem Gebiete des Ehe- und Familien- rechts. Die Aufgabe der Partei bildet augenblicklich vorwiegend die geistige und erzieherische Arbeit, um alle Spuren der früheren Ungleichheit und die Vorurteile besonders unter den rückständigen Schichten des Proletariats und der Bauernschaft endgültig zu vernichten. Die Partei beschränkt sich nicht auf formelle Gleichstellung der Frau, sondern sucht sie von den materiellen Lasten der veralteten häuslichen Wirtschaftsführung zu befreien, indem sie an ihre Stelle Hauskommunen, öffentliche Speisehäuser, Zentralwaschanstalten, Säuglingsheime und dergleichen setzt.« (Programm, 44)

4.2 Lenins Einschätzung der Lage der Frauen und darin der Qualität der Küchenarbeit gibt dem Satz von der den Staat regierenden K somit einen eindeutigen Auftrag. Er spricht von der Emanzipation der Frauen und entfaltet darin eine basisdemokratische Perspektive. Die Unteren müssen den vorhandenen Staat und seine Arbeitsteilung umwälzen. Indem sie das tun, lernen sie, ihn neu einzurichten. Lenin denkt also nicht, dass direkt vom Kochtopf in die Staatsgeschäfte gesprungen werden kann. – Wurde in den Passagen über die Verwandlung des Einzelhaushalts in eine Gemeinwirtschaft mit Volksküchen usw. von Lenin, wenn auch höchst allgemein, zunächst noch auf Erfahrung in der Hausarbeit gesetzt, so bleibt in der Folge im Lernen der politischen Macht durch die Praxis ihrer Ausübung allein der radikaldemokratische Impuls: alle sollen an der Regierung beteiligt sein.

In der Auseinandersetzung um die Arbeitsdisziplin und die Kompromisse mit den alten Betriebsinhabern bzw. Managern drängt Bucharin (ab 1918) – als Vertreter der innerbolschewistischen Linken – zunächst darauf, den Aufbau des Sozialismus radikal demokratisch anzugehen. Dabei bezieht er sich jedes Mal auf den K-Satz, der zu einer Chiffre für die Linkskommunisten geworden ist. 1918 kritisiert er Lenins Losung »Von den Trustmanagern des Sozialismus lernen«, weil damit der Aufbau von unten unvereinbar sei. Die Abschaffung des »sozialistischen Kommunestaats« (gosudarstvom-kommunoj) in Richtung auf einen Staatskapitalismus widerspreche der von Lenin »vorzüglich formulierten Losung, jede K zu lehren, den Staat zu verwalten« (Kommunist 3, 1918/1990, 150). Gegen die drohende Bürokratisierung der Sowjetmacht und der Produktion nimmt Bucharin wiederum den K-Satz auf, diesmal in kritischer Zuspitzung: »It is good that the cook will be taught to govern the state; but what will there be if a Comissar is placed over the cook? Then she will never learn to govern the state.« (Zit.n. Cohen 1971, 75) Nur wenig später, im ABC des Kommunismus (1920): (…) Hier tut zähe Arbeit not: unter den Männern, damit sie aufhören, den arbeitenden Frauen ›den Weg zu verlegen‹; unter den Frauen, damit sie ihre Rechte ausnutzen, nicht zurückschrecken, nicht verlegen werden. Wir dürfen nicht vergessen: jede K muss für die Staatsverwaltung vorbereitet werden.« (§50; 172)

Während hier der Akzent auf Bildung durch demokratische Partizipation liegt, legt Alexandra Kollontai (1921) ihn auf die Abschaffung der alten Formen: Im Kommunismus würden Familie und Hausarbeit aussterben, weil Kochen in Gemeinschaftsküchen geschehen werde, Mahlzeiten in Restaurants eingenommen würden (7. Vorlesung; 1975, 125f). (…)

  1. Rosa Luxemburg orientiert entschieden darauf, »politische Macht nicht von oben, sondern von unten« zu erobern, wobei sie Massenerziehung nicht als Vorbedingung sondern als Begleitfolge begreift: »Die Masse muss, indem sie Macht ausübt, lernen, Macht auszuüben. Es gibt kein anderes Mittel, ihr das beizubringen.« (GW 4, 509f) – Dass sich Millionen »Hausmütterchen in Werktätige« verwandeln, sieht Clara Zetkin als Perspektive massenhafter Frauenemanzipation (1920/1974, 432). In ihren Erinnerungen an Lenin (1924/25) hebt sie derartige Gedanken besonders hervor und setzt energisch das Vergesellschaftungsmodell gegen die Privathaushalte und das dazugehörige Patriarchat. (…) »Wir gliedern die Frauen in die soziale Wirtschaft, Verwaltung, Gesetzgebung und Regierung ein. Wir öffnen ihnen alle Kurse und Bildungsanstalten, um ihre berufliche und soziale Leistungsfähigkeit zu heben. Wir gründen Gemeinschaftsküchen und öffentliche Speisehäuser, Wasch- und Reparaturanstalten, Krippen, Kindergärten, Kinderheime, Erziehungsinstitute verschiedener Art. Kurz, wir machen Ernst mit unserer programmatischen Forderung, die wirtschaftlichen und erzieherischen Funktionen des Einzelhaushaltes der Gesellschaft zu übertragen.« (1985, 86ff) (…)

Gilt die Kritik wesentlich dem Unproduktiven von Frauenarbeit, so kommen doch auch Qualifikationen ins Blickfeld und die abschließende Überlegung, dass diese Entwicklung eben die Weise sei, die Staatsmacht zu erobern. Dabei hebt sie als Resultat die Änderung der weiblichen Mentalität hervor: die Einstellung zu Familie, Mann und Gesellschaft würden »revolutioniert« (433). (…)

Bertolt Brecht ruft in der Mutter (1933) auch die »Frau in der Küche« an, zu lernen, weil sie »die Führung übernehmen [muss]« (Lob des Lernens, GA 3, 290), zumal gilt: »Über das Fleisch, das euch in der Küche fehlt / Wird nicht in der Küche entschieden« (265). Doch begnügt sich Brecht nicht mit der Abschaffung der Küche, sondern nimmt die verschiedenen Dimensionen von Lenins Aussagen auf und erweitert sie um die mögliche perspektivische Annäherung von Küche und Staat, dass eines vom anderen lerne. »Mi-en-leh [Lenin] sagte, jede K müsse den Staat lenken können. Er hatte so zugleich eine Veränderung des Staates wie der K im Auge. Aber man kann auch daraus die Lehre ziehen, dass es vorteilhaft ist, den Staat als eine Küche, die Küche aber als einen Staat einzurichten.« (Me-ti, GA 18, 162). (…)

  1. Fast alle im K-Diktum angezielten Umwälzungen, die Demokratie von unten, das Lernen von Politik und Ökonomie, die Vergesellschaftung der Hausarbeit blieben unrealisiert oder auf halber Strecke stecken; das meiste wurde in der SU schon abgebrochen, bevor damit wirklich begonnen worden war; lediglich Hausarbeit wurde großenteils vergesellschaftet. In der DDR etwa stellten viele Einrichtungen in Erziehung, Landwirtschaft, industrieller Produktion und Verwaltung staatlich subventionierte warme Mahlzeiten zur Verfügung. Im Zuge der kapitalistischen Restauration wurde die begonnene Vergesellschaftung von Hausarbeit und Kindererziehung weitgehend rückgängig gemacht, auch wenn die westlichen Demokratien die ›Vereinbarkeit von Beruf und Familie‹ für Frauen anstreben – aber eben in den Schranken einer privat-familiären Lösung.

So vielschichtig also das K-Diktum herangezogen wird, bleibt im Großen und Ganzen, dass es, wie-
wohl zunächst zur Unterstützung der Befreiung der Frauen eingesetzt, weitgehend ohne Kenntnis der Koch- und Hausarbeit auskommt, so dass hier eine Quelle fürs Vergessen der Hausarbeit im Marxismus ausgemacht werden kann. Es ist dabei nicht davon auszugehen, dass die Frauen in der Küche und im Haus Kochen als Kunst betrieben. Gleichwohl begründet das Übergehen jeder praktischen Qualifikation auf diesem Gebiet, in dem es immerhin um wesentliche Elemente der Lebensgestaltung und ums Aufziehen der nächsten Generation geht, ihre Abstempelung als »kleinlich«, »abstumpfend« usw., eine lange Tradition in der Geschichte der Arbeiterbewegung, bis die Zweite Frauenbewegung in den 1970er Jahren mit der Hausarbeitsdebatte energisch dagegen aufsteht. (…)

Der dänische Regisseur Gabriel Axel hat in seinem Film Babettes Gaestebud (1987, dt. Das Gastmahl der Babette) nach einer Novelle von Karen Blixen der K ein eindrückliches Denkmal gesetzt. Die in Paris berühmte K und Kommunardin muss nach der Niederlage der Kommune vor der mörderischen Reaktion fliehen. Sie kommt 1872 in ein entlegenes dänisches Inseldörfchen zu einer protestantischen Sekte, deren Mitglieder asketisch leben. Nach einem Lotteriegewinn bittet sie darum, einmal ›französisch kochen‹ zu dürfen. Das Festessen, das im verabredeten Schweigen beginnt, gerät zur großen Verwand- lung. Die K vermittelt der bigotten, zunehmend von Missgunst zerfressenen Gemeinde, dass Erlösung nicht jenseits zu finden ist, sondern diesseits. Diese K ist eine Künstlerin, ihr Kochen große Kunst. (…)

(Dagegen:) Anatolij Rybakov lässt in seinem Roman Die Kinder vom Arbat (dt. 1990) Stalin sagen, es wäre für die K besser, die Küche gut zu verwalten, statt den Staat regieren zu wollen. – Der Neoliberale Jegor Gaidar aber, ehemaliger Regierungschef des postkommunistischen Russlands, sah es 2006 »als das größte Risiko, dass die K mit der Pistole in die politische Ökonomie eintritt« (Isvestija, 7.5.2006). – Angesichts des Leben und Ressourcen zerstörenden Kapitalismus zeigt sich in der Rede von der K als Staatslenkerin am Ende doch noch das Tor zur Utopie einer befreiten Welt.

Gekürzte Fassung des gleichnamigen Artikels aus dem Historisch-kritischen Wörterbuch des Marxismus, Bd. 7.II, 2010, (c) Argument Verlag Hamburg
Bibliografie und Langfassung siehe www.inkrit.de [1]