| Hilfe, die Berater kommen!?

Juli 2019  Druckansicht
Gespräch mit Anne Vogelpohl

Zum Einfluss von Beratungsunternehmen auf die Stadtentwicklungspolitik

Du gehst der Frage nach, wie Beratungskonzerne heute die Stadtentwicklungspolitik beeinflussen. Welche Städte hast du beforscht und wie gehen die Konzerne dort vor?

Ich habe mich intensiv mit den Städten Dortmund, Hamburg, Berlin, Essen, Halle an der Saale und Goslar/Osterode auseinandergesetzt. Dort habe ich jeweils untersucht, welche strategischen Entscheidungen für die Stadtentwicklung mit Hilfe der Unternehmen McKinsey und Roland Berger getroffen wurden. Dafür habe ich jeweils mit den Beratern (in dem Fall ausschließlich Männer), den Politiker*innen, Personen aus der Verwaltung und Kritiker*innen gesprochen.

In der Regel war ein ökonomischer Umbruch, etwa die Abwanderung eines großen Unternehmens, die kritische Ausgangslage, aus der die consultants heraushelfen sollten – oder wollten. Denn nicht alle Beratungsprojekte sind von den städtischen Regierungen ausgegangen. In Hamburg und Berlin hat jeweils McKinsey ungefragt und unbezahlt ein pro bono-Projekt zur Stadtentwicklung gestartet. Die fehlende monetäre Gegenleistung wirft die Frage nach den Interessen und der Machtstrategie hinter städtischen Beratungsprojekten auf. Denn auch wenn die einzelnen Fälle sich unterscheiden, lässt sich in der Gesamtschau sagen, dass der Aufbau nachhaltiger Netzwerke zwischen mächtigen Personen das Vorgehen prägen. Die Beratungsprojekte können das Ergebnis solcher Netzwerke sein; vielerorts zielen sie aber auch darauf ab, solche elitären Netzwerke erst aufzubauen.

Der Fokus auf Netzwerke zeigt: es geht im Prozess der Beratung nicht so sehr um die Entwicklung der Stadt als solcher, sondern eher darum, darin eine bestimmte Politik zu entfalten. Und diese Politik will Wirtschaftswachstum. Das sehen viele sicherlich positiv; es bringt aber immer Ungleichheiten hervor im Hinblick darauf, wo gewirtschaftet wird und wer daran teilhat.

Beratung ist längst Teil des Regierungs- und Verwaltunghandelns geworden. Warum wird soviel externe Beratung eingeholt?

Die Berater*innen selbst würden ihre Arbeit sicherlich damit begründen, dass die Welt immer komplexer wird und kein*e Politiker*in und Behörde das dauerhaft bewältigen kann. Deswegen scheint es notwendig, problembezogen immer wieder wechselnde Expert*innen zu Rate zu ziehen. Diese Tendenz nimmt in Krisensituationen zu, denn dann sind schnelle Lösungen gefordert; auch von Wähler*innen. Der Einkauf einer Lösung – das ist eine Beratung ja letztlich – scheint da zielführend. Beratungsunternehmen werden deshalb in Zukunft eine eher noch stärkere Rolle einnehmen. Allerdings nimmt das eher selten solche Formen an wie im Falle des Bundesverteidigungsministeriums, wo es keinen Überblick mehr über Beratungsausgaben und eindeutige personelle Verstrickungen gab. Zwar sind die großen Unternehmensberatungen bekannt für ihre enorm hohen Stunden- und Tagessätze. Dennoch werden viele Beratungsunternehmen für die Politik auch unbezahlt oder zu vergleichweise geringen Entgeldern aktiv. Nicht alle politischen Einrichtungen haben überhaupt das Geld, ständig Beratung einkaufen zu können. Viele Kommunen kämpfen ja eher mit Überschuldung. Hier wäre also eher zu fragen, was die politischen Folgen dieses Engagements sind und wie sich Stadtentwicklung dadurch verändert.

Wo genau liegt das politische Problem, wenn Behörden sich externe Beratung einkaufen?

Beratung ist oft einseitig und wird zu selten von mehreren Seiten eingeholt. Das Management-Denken aus Unternehmen wird von den Berater*innen relativ linear auf Städte übertragen. Das ‚Projekt Stadt‘ erscheint darin effektiv und relativ einfach zu managen: Es gibt eine eindeutige Problemanalyse, es werden vier bis fünf Kernziele benannt und dazu entsprechende Einzelprojekte entwickelt. Diese Ziele erzeugen einen politischen Druck, sich diesen Projekten zu widmen und andere Felder, die außerhalb der Problemwahrnehmung der Berater*innen liegen, zu vernachlässigen. Das ist auch ein Demokratieproblem: es handelt sich um eine elitäre Machttechnik, weil die komplexe städtische Realität mit ihren Konflikten und Widersprüchen ausgeblendet wird. Diese inhaltliche Reduktion ist begleitet von einer beschleunigten Projektentwicklung, in der schlicht keine Zeit für kontroverse Debatten bleibt. Zudem gehen die Berater*innen top-down vor und wählen die in ihrem Sinne zentralen Akteure selbst aus. Sinnvolle Partizipation und mittel- oder langfristige Ziele eines sozialen Miteinanders haben hier keinen Platz.

Nochmal konkret gefragt: Was erhoffen sich die Beratungsunternehmen von ihrer Tätigkeit für Politik und Verwaltung, wenn die finanziellen Interessen gar nicht unbedingt im Vordergrund stehen?

Den Ausbau politischer und ökono­mischer Macht. Über diese Projekte kann die Unternehmensberatung Kontakte zu Unternehmen vor Ort herstellen. Das stärkt die ökonomische Basis für weitere, dann in der Regel gut bezahlte private Beratungsprojekte. Zudem wird gezielt die Aufmerksamkeit der Medien gesucht, um lokalpolitische Diskurse ganz im Sinne der Wachstumsideen des Beratungsunternehmens zu prägen. Eine solche Dynamik, die sich aus politökonomischen Netzwerken und planerisch-strategischen Maßnahmen speist, ist für die Unternehmensberatungen von zentralem Interesse. Wenn spezifische Branchen gefördert werden und ein besonderes Wachstum verzeichnen, vergrößern die consultants auch ihren eigenen Markt. Demzufolge stehen auch nicht unbedingt die geeignetsten Branchen in den Studien der Unternehmensberatung im Fokus, sondern diejenigen, in denen sie sich auskennen und ihre Kundschaft sehen. In Berlin beispielsweise konnte der leitenden Berater innerhalb von McKinsey nicht durchsetzen, die Beratung auf nachhaltige Mobilität zu fokussieren. Stattdessen fokussierte das Berliner Büro auf E-Mobilität mit Schwerpunkt auf den Individualverkehr– eine Branche, für die McKinsey beratend aktiv ist.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Zunahme von Auftragsvergaben an Beratungskonzerne im Bereich Stadtentwicklungspolitik, die sich immer öfter am Leitbild der Smart City orientieren und wie kommt es dazu?

Insofern: Ja, ich sehe einen Zusammenhang zwischen der Zunahme von Auftragsvergaben an Beratungskonzerne und einer am Smart City-Konzept orientierten Stadtentwicklungspolitik. Dass Berater*innen da so sehr gefragt sind, liegt meinem Eindruck nach aber ganz stark an den vielen Fragezeichen, was eine Smart City-Politik überhaupt sein soll jenseits von Floskeln. Da erhoffen sich die beteiligten Personen Antworten von den Beratungsunternehmen. Doch bisher lassen sich da vor allem Allgemeinplätze von Vernetzung, digitalem Wandel und Kompetenzentwicklung lesen.

Mit welchem Szenario müssen wir rechnen: sind es irgendwann nur noch Beratungsunternehmen und deren Netzwerke, die über die Zukunft unserer Städte entscheiden?

Zunächst mal bräuchte es mehr Wissen und Transparenz über das, was läuft. Ein ganz konkreter Ansatz wäre es, für verpflichtende Standards in der Auftragsvergabe und für Transparenz zu sorgen. In Kanada gibt es öffentliche Transparenzportale, auf denen alle Auftragsnehmer, die Kosten und Zeiträume aufgeführt sind. So etwas wäre zumindest ein erster Schritt. Ansonsten ist eine politische Auseinandersetzung mit dem Phänomen wichtig: Dass die polit-ökonomischen Eliten reibungslos städtische Zukünfte strukturieren, ist noch nicht gesagt. Denn Koalitionen und Netzwerke bilden auch Kriti­ker*in­nen, sei es die politische Opposition oder seien es lokale Aktivist*innen. Und auch alternative Diskurse über eine soziale oder umweltgerechte Stadt werden nicht notwendig ausgehebelt. Sie können als Antwort auf die wachstumsorientierte Vision der Beratungsunternehmen sogar neuen Schwung erhalten. Allerdings sind die sorgfältig vorbereiteten Machttechniken der management consultants effektiv und schwer ausweichbar. Sie fordern neue Antworten heraus.

Was wäre denn dagegen zu tun?

Dafür ist nicht zuletzt Partizipation wichtig. Mitbestimmung und Selbermachen schreiben sich zwar viele Politiker*innen und Planer*innen auf die Fahnen – aber nehmen sie es ernst genug? Meiner Ansicht nach braucht es gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Expert*innenberatung noch unterschiedlichere Formate für Personen, die bislang keine Mitsprache haben. Im Englischen gibt es für Politik mehrere Begriffe: ‚policy‘ als die Politikinhalte und ‚politics‘ als das von Interessen geleitete Politikmachen. Während viele Ideen für alternative Stadtpolitiken sich um die policies drehen und viele tolle Vorschläge für z.B. andere Wohnformen oder die Unterstützung von Geflüchteten hervorbringen, schaffen es machtvolle Eliten auf Ebene der politics, stabile Netzwerke zu spinnen. Damit wird ihre Macht untermauert. Linke Politik und Planung, die ihre Durchsetzungskraft erhöhen wollen, müssen sich mehr auf die politics und die Frage ‚Wer macht Stadt?‘ konzentrieren – und dabei versuchen, möglichst alle mitzunehmen.

Das Gespräch führte Katalin Gennburg