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»Grüner Sozialismus« – Editorial 3/12


Wer den ökologischen Problemen mit dem vertrauten Handwerkszeug der Linken und des Sozialismus zu Leibe rücken möchte, stellt die Eigentumsfrage, radikalisiert die Demokratie, betont die Bedeutung der Gleichheit, erfindet die Planung neu und geht der Bourgeoisie mitsamt ihrem Kapital ans Leder. Nur so – das ist der Gedanke – könnten die aufgelaufenen ökologischen Jahrhundertfragen radikal und nachhaltig beantwortet werden. Aber kann die Vorstellungswelt des Sozialismus, wie sie uns vertraut war, so bleiben, wenn die ökologischen Fragen einbezogen werden?

Eine Antwort im Heft: Nein. Jede Arbeit an einer radikalen Umwälzung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse baut Theorien und Normen, Visionen und Handwerkszeuge, vorwegnehmende Praxis und ausgreifende Ziele des Sozialismus, wie wir ihn kennen, um. Eine postkapitalistische Ökologie ist ohne radikal anderen, demokratischen und grünen Sozialismus nicht zu haben.

Die aktuelle kapitalistische Umwälzung dieser Naturverhältnisse geschieht als Inwertsetzung und herrschaftliche Durchdringung. Sie entfaltet sich nicht erst seit der »Energiewende«, sondern begann in den 1970ern politisch wie ökonomisch Fuß zu fassen. Der Aufstieg war von den Konjunkturen des Neoliberalismus gezeichnet, aber auch ein Feld kritisch-oppositioneller Alternativen – schon die frühe grün-linke Kritik an der Wachstumsgesellschaft versuchte, mit der Forderung nach einem »sozialökologischen Umbau« einen Unterschied zur Geltung zu bringen. Mittlerweile ist er ebenso fest in der Begleitrhetorik der »Green Economy« verankert wie die bewusst neutral gehaltene Rhetorik von der »Transformation«. Beide versprechen Auswege aus der großen Krise des neoliberalen Kapitalismus, indem sie auf Reparatur, Reorganisation und Umbau der gesellschaftlichen Naturverhältnisse fokussieren – praktikabel, risikoarm, krisenfrei oder zumindest krisenfest. Ihre »große Transformation« ist eine halbe: Sie zielt auf die Beseitigung des fossilen Industrialismus und dessen stofflich-energetische Basis, nicht auf seine politische Ökonomie. Doch schon diese halbierte Transformation ist unerhört. Ihre Aussicht ist umstritten. Aber ihre tragenden Akteure sind sich einig: So ist die Ökonomie des Kapitals aufrechtzuerhalten.

Welche Reichweite hat dieses »strategische Projekt« (Ethikkommission Sichere Energieversorgung 2011)? Ist es bloß Konjunktur oder wirklich stabil hegemoniefähig? Kann es zum dominanten Pfad kapitalistischer Entwicklung werden – zu welchem Preis und auf wessen Kosten? Welche Alternativen zu den Richtungskämpfen in den strategischen Machtmilieus der kapitalistischen Welt öffnen sich? Die Dynamik der ökologischen Frage kann kaum überschätzt werden, daran ändert nichts, dass die grüne Partei auch in ihrem Kerngeschäft domestiziert ist und die Energiewende der Regierung in der Krise halbherzig. Wo ist also die Linke gefragt, womit muss sie rechnen, welchen Widerspruch kann sie entwickeln?

Grüner Sozialismus als Strategie und Orientierung kann theoretisch voraussetzungsvoll und politisch offensiv sein, er riskiert eine Selbstveränderung der Linken. Neben Einstiegsprojekten bedarf die Transformation eines utopischen Horizonts, um der Entwendung in herrschaftliche Projekte entgegenzuwirken. Ohne zu vergessen, dass die Veränderung der Welt sich während ihrer Veränderung immer wieder neue Horizonte suchen muss.

Besonders in der »Wachstumsfrage« trennen sich die Wege: Einerseits grüner Kapitalismus, dessen innerste Natur Akkumulation von Kapital, Extension und Expansion, Wachstum und Grenzüberschreitungen ohne Maß und innere Selbstbegrenzung ist, er (re)produziert Ungleichheiten und lange Depressionen. Grüner Sozialismus auf der anderen Seite nimmt Abschied vom immerwährenden Wachstum. Welche Politiken, Strategien und Aktionen müssen verknüpft werden, damit ein zukunftsfähiges Gesamtbild sozialistischer Naturverhältnisse entstehen kann? Wie können darin die vielfachen Ungleichheiten gemindert werden? Wie fördern sie den Fokus auf radikale Demokratie? Können sie die Borniertheit der Zeitvorstellungen bürgerlicher Politik überwinden? Wie tragen sie zu einer Kultur solidarischer Kooperation bei?

Schließlich bleibt die Frage: trägt diese Orientierung für ein Jahrhundertprojekt der Linken? Die Sache ist riskant.