| Grünes Kapital und Energiedemokratie in Europa

Dezember 2013  Druckansicht
Von Tobias Haas und Hendrik Sander

In Deutschland ist die Energiewende in aller Munde, und auch auf europäischer Ebene mangelt es nicht an Wendeszenarien. Die Zukunft gehört den erneuerbaren Energien, daran besteht kein Zweifel. Offen ist hingegen, wie schnell ihr Ausbau voranschreiten wird, wie lange die fossilen und atomaren Energieträger noch zur Stromerzeugung genutzt werden, wie das neue Energieregime aussehen kann, was für Eigentumsstrukturen darin dominieren und was für einen gesellschaftlichen Charakter der Prozess annimmt. Damit verbunden ist die Frage, ob wir gegenwärtig eine Transformation hin zu einem grünen Kapitalismus erleben.

Erneuerbare Energien in Europa

In den letzten Jahren hat sich der Anteil erneuerbarer Energien im europäischen Stromsektor kontinuierlich erhöht, im Jahr 2012 betrug er ca. 22 Prozent. Der Blick auf die nationalstaatliche Ebene offenbart jedoch ein heterogenes Bild. Während Länder wie Schweden oder Österreich aufgrund eines hohen Wasserkraftpotenzials einen hohen Anteil Erneuerbarer aufweisen, ist der Anteil in anderen Ländern wie Polen, den Niederlanden oder Großbritannien gering. Auch gibt es regionale Schwerpunkte. In Schottland beispielsweise treibt die Regionalregierung gemeinsam mit den Energiekonzernen den Ausbau der Erneuerbaren massiv voran. Ein teilweise dynamischer Zubau hat in den letzten zehn Jahren auch in Deutschland und Spanien stattgefunden. Vor allem die Solar- und Windstromanteile wurden erheblich gesteigert, wohingegen Wasserkraft und Biomasse kaum Zuwächse verzeichnen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien geht einher mit einer Verschiebung der Kräfteverhältnisse im Energiesektor. Allerdings sind nach wie vor die ›grauen‹, traditionell fossil-nuklear orientierten Energiekonzerne dominant.

Graues Kapital…

Das fossil-nukleare Energieregime wurde überwiegend von Gebietsmonopolisten dominiert, die sich in öffentlichem Eigentum befanden. Mit der Liberalisierung der europäischen Energiemärkte in den letzten 20 Jahren wurden die meisten dieser Unternehmen privatisiert. Aus der sich anschließenden Fusionswelle gingen sieben transnationale Konzerne hervor: EON, RWE, EDF, GDF, Enel, Iberdrola und Vattenfall (vgl. Schülke 2010). Sie alle integrieren auf selektive Weise erneuerbare Energien in ihre Konzernstrategien. Dabei verhalten sie sich jedoch recht unterschiedlich und verfolgen auch in verschiedenen Ländern unterschiedliche Strategien. Während EON, RWE, EDF und GDF eher zögerlich agieren, verfügt Vattenfall in Schweden über hohe Wasserkraftkapazitäten, steht aber wegen seiner Braunkohleaktivitäten in Deutschland und Polen in der Kritik. Enel konnte erst mit der Übernahme des größten spanischen Stromkonzerns, Endesa, einen signifikanten Anteil erneuerbarer Energien, vor allem Wasserkraft und Wind, gewinnen. Der ambitionierteste der großen sieben ist Iberdrola. Das in Bilbao ansässige Unternehmen ist der Weltmarktführer in der Erzeugung ›grünen‹ Stroms, im Jahr 2012 basierten 22,6 Prozent seiner Stromerzeugung auf Erneuerbaren. Bei allen großen Stromkonzernen dominieren jedoch weiterhin die fossilen und nuklearen Energieträger.

…und grünes Kapital

Auf den verschiedenen Wertschöpfungsstufen der erneuerbaren Energien sind inzwischen neue Unternehmen entstanden, deren Kerngeschäft die erneuerbaren Energien sind. Sowohl im Bau von Windrädern als auch in der Solarmodulproduktion konnten mittelständische Unternehmen große Marktanteile erringen. Die zehn weltgrößten Windanlagenhersteller vereinen einen Marktanteil von ca. 80 Prozent auf sich, vier davon kommen aus Europa: Neben dem Elektrogiganten Siemens sind das Vestas (Dänemark), Enercon (Deutschland) und Gamesa (Spanien). Die Solarzellen- und Modulproduktion ist (noch) nicht so konzentriert wie der Windanlagenbau (Harris 2010: 69). Nichtsdestotrotz kontrollierten – vor der Krise der Photovoltaikindustrie – Unternehmen wie Solarworld einen bedeutenden Teil des Marktes in Deutschland.

Die Zulieferbranche im Wind- und Solarbereich ist heterogen. Sowohl kleine und mittlere Unternehmen als auch transnationale Konzerne spielen eine Rolle. Bei Windanlagen sind das Konzerne wie ABB aus der Schweiz oder Bosch-Rexrodt aus Deutschland. Unter den Solarzulieferern war Wacker Chemie aus Deutschland im Jahr 2011 der weltweit zweitgrößte Hersteller von Polysilikon, die Renewable Energy Corporation AS aus Norwegen kommt auf Platz fünf. Während der Betrieb der Erneuerbaren-Anlagen in einigen Ländern (Spanien, UK) von den großen Stromkonzernen bestimmt wird, werden die Wind-, Solar- und Biomasseanlagen in Deutschland überwiegend von Privatpersonen, LandwirtInnen, Bürgerenergiegenossenschaften und kleinen Unternehmen betrieben. Die großen Energiekonzerne haben hierzulande nur einen geringen Anteil an den erneuerbaren Energien.

Grünes gegen graues Kapital

In Europa haben sich zwei Muster des Ausbaus erneuerbarer Energien herauskristallisiert, die die Konfliktlinien zwischen grünem und grauem Kapital prägen. Im ersten Fall wird der Ausbau von neuen grünen Unternehmen, Privatpersonen oder Genossenschaften forciert, die von einer breiten zivilgesellschaftlichen Unterstützung profitieren, und davon, dass die ›grauen‹ Unternehmen sich den neuen Technologien lange verweigerten und versuchten, deren Durchsetzung zu verhindern. Der Zubau regenerativer Energien erfolgt dezentral, auf Grundlage von kleinteiligen Wind-, Solar- und Biomasseanlagen. In diesem – in Deutschland gängigen – Muster besteht ein konfliktives Verhältnis zwischen ›grünem‹ und ›grauem‹ Kapital.

Im zweiten Fall wird die Entwicklung der Erneuerbaren von vornherein von den etablierten Konzernen bestimmt. Neue, ›grüne‹ Unternehmen sind zwar entstanden, spielen jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Entsprechend ist der Zubau durch zentralistische Großtechnologien wie Off- und Onshore-Windparks geprägt und wird teils gegen Widerstand aus der Bevölkerung durchgesetzt. In Spanien dominieren die Energiekonzerne Endesa und Iberdrola den ›grünen‹ Markt und setzten in der Vergangenheit auf große Wind- und Solarparks. Auch in Großbritannien erfolgt die Erhöhung des Anteils der Erneuerbaren durch den massiven Ausbau von Offshore-Windenergieanlagen. Wegen der hohen Anschlusskosten können diese nur in großen Einheiten rentabel betrieben werden. In den gegenwärtigen Krisenprozessen könnte dieses zentralistische Muster gegenüber den dezentralen Ansätzen nachhaltig gestärkt werden.

Ökologische Modernisierung vs. Austerität

In Spanien wurde die Laufzeitbeschränkung für Atomkraftwerke aufgehoben und ein Moratorium für die Förderung der erneuerbaren Energien verhängt. Letzteres gilt auch für Portugal. Griechenland und Italien haben ihre Fördersätze im Zuge der austeritätspolitischen Wende erheblich gekürzt. Der Zubau erneuerbarer Energien ging daraufhin im Jahr 2012 erheblich zurück. In Deutschland begünstigen der beschleunigte Ausstieg aus der Atomenergie und die Verhinderung zahlreicher Kohlekraftwerke hingegen diejenigen Kräfte, die einen forcierten Ausbau der Erneuerbaren anstreben. Der Pfad ökologischer Modernisierung wird trotz der Kürzungen der Solarförderung und der Erhöhung der EEG-Umlage fortgesetzt – die Bundesrepublik hat hier also eine Vorreiterstellung inne. Im Zuge der Konzentrations- und Krisenprozesse verschieben sich die Kräfteverhältnisse in Europa allerdings zugunsten der großen Stromkonzerne. Durch ihren Eintritt in den Markt für erneuerbare Energien wird auch in Deutschland die Unterscheidung in ›grünes‹ und ›graues‹ Kapital zunehmend undeutlicher. Vieles deutet darauf hin, dass die Energiewende in Zukunft über große Einheiten verfolgt werden wird, die den Konzernen den Durchbruch in den Erneuerbaren-Markt ermöglichen könnten.

In der aktuellen Konstellation in Europa scheint es keine Kräfte zu geben, die eine ökologische Modernisierung des europäischen Energiesektors entscheidend forcieren können. Die ›grünen‹ Kapitalfraktionen sind noch zu schwach und die Strategien der Stromkonzerne sind widersprüchlich. So kommt es auf absehbare Zeit bestenfalls zu einem inkrementellen Wandel in Richtung eines grünen Kapitalismus. Aus emanzipatorischer Perspektive kann es weder darum gehen, alle Ansätze einer ökologischen Modernisierung rundweg abzulehnen, noch den vorherrschenden Ausbau der erneuerbaren Energien vorbehaltlos zu unterstützen. Vielmehr sind differenzierte Strategien vonnö- ten. Für eine sozial-ökologische Transformation ergeben sich daher Herausforderungen auf verschiedenen Ebenen.

Sozial-ökologische Transformation und Energiedemokratie

Im Gegensatz zum Konzept der ökologischen Modernisierung, das auf einen effizienteren, ressourcenschonenderen Kapitalismus abzielt, orientiert eine sozial-ökologische Transformation auf die Verbindung von ökologischer und sozialer Frage: Macht- und Herrschaftsverhältnisse sollen herausgefordert und demokratische Gestaltungsmöglichkeiten ausgeweitet werden. Auf den Energiesektor bezogen heißt das, dass es nicht ausreicht, 100 Prozent Erneuerbare zu fordern. Dieses Ziel muss mit der Perspektive einer Energiedemokratie, also einer umfassenden Demokratisierung der Energieversorgung, verknüpft werden. In der konkreten gesellschaftspolitischen Konstellation lassen sich daraus zumindest drei Ansatzpunkte für emanzipatorische Energiekämpfe entwickeln.

Kritik der Austeritätspolitik

Die autoritäre Austeritätspolitik in der EU stellt nicht nur einen massiven Angriff auf die LohnarbeiterInnen und Erwerbslosen dar, sondern behindert auch Ansätze eines sozial-ökologischen Umbaus. Die Kürzungen bestehender Fördersysteme für erneuerbare Energien deuten an, dass die in den Ländern Südeuropas vielfach erhobene Forderung nach einem anderen Entwicklungsweg verbaut wird. Das fossil-nukleare Energieregime in den Krisenländern droht sich zu verfestigen. Gleichzeitig birgt die im Fiskalpakt festgeschriebene Schuldenbremse auch in den europäischen Kernländern die Gefahr, dass Einstiege in einen ökologischen Umbau künftig ›weggespart‹ werden. Eine Kritik dieser Kürzungspolitik müsste vermehrt Teil der transnationalen Kämpfe gegen die herrschende Krisenpolitik und für ein Europa von unten sein.

Kritik grüner und grauer Grossprojekte

Darüber hinaus sind die aktuellen Tendenzen beim ›grünen‹ Umbau der Energieversorgung in Europa problematisch. In vielen Ländern werden zentralistische Strukturen, ergänzt um erneuerbare Energien, fortgeschrieben. Den etablierten Stromkonzernen gelingt es, ihr Geschäftsmodell unter ›begrünten‹ Vorzeichen fortzuführen. Zwar wird versucht, für die entsprechenden Großprojekte wie riesige Offshore-Windparks, ›Stromautobahnen‹ oder das Desertec-Projekt Akzeptanz bei der betroffenen Bevölkerung herzustellen. Doch deren undemokratischer Charakter ruft vielfach Widerstände hervor, die häufig zunächst auf dem NIMBY-Phänomen (Not In My Backyard) beruhen. Linke Kräfte müssen versuchen, sowohl an diesen widerständigen Praxen anzusetzen, als auch an solchen, die sich gegen die Fortsetzung des fossil-nuklearen Energieregimes richten (Anti-CCS, Anti-Fracking, Kämpfe gegen Kohlekraftwerke und atomare Endlagerstätten). Wie können diese Konflikte aufeinander bezogen, und in Richtung einer dezentralisierten, demokratisierten und auf Erneuerbaren basierenden Energieversorgung verallgemeinert werden? Anknüpfungspunkte für transnationale Kooperationen ergeben sich dadurch, dass die Energiekonzerne in verschiedenen Ländern ähnliche Projekte vorantreiben und eine Integration der europäischen Energiemärkte forciert werden soll.

Energiedemokratie jetzt

Schließlich würde es darum gehen, bestehende Ansätze eines dezentralen Ausbaus der Erneuerbaren in Richtung einer sozial-ökologischen Transformation weiter zu entwickeln. Die Konstellation, die in Deutschland bisher die Energiewende trägt, besteht aus Umweltverbänden, moderaten Bewegungsakteuren, Betreibern von Erneuerbaren-Anlagen, Handwerksbetrieben, grünen Unternehmen und einigen Stadtwerken. Auf staatlicher Ebene werden sie unterstützt von Bündnis 90/Die Grünen und ›grünen‹ Staatsapparaten, wie z.B. dem Umweltministerium, dem Umweltbundesamt, und einer Reihe von subnationalen Apparaten. Hier müssten konkrete politische Projekte entwickelt werden, die über den bisherigen gesellschaftlichen Charakter der Energiewende hinausweisen und die Perspektive auf eine Demokratisierung der Energieversorgung eröffnen. Gleichzeitig müssen sie Kräfte- und Akteursverschiebungen in den grünen Netzwerken bewirken: weg von den grünen Kapitalfraktionen und wohlhabenden Menschen als Profiteuren der Energiewende hin zu sozial-ökologischen Bündniskonstellationen mit radikalen Bewegungsakteuren, Gewerkschaften und Beschäftigten, VerbraucherInnen- und Erwerbslosenorganisationen. Solche Projekte könnten auch die Bedeutung der LINKEN als Kooperationspartnerin zivilgesellschaftlichlicher Netzwerke stärken. Einige Anknüpfungspunkte und Kampagnen existieren bereits und könnten ausgebaut werden: die Organisierungsanstrengungen der IG Metall in der Windindustrie; Übernahme von insolventen Solarfabriken durch die Beschäftigten; eine Kampagne zur gerechten Finanzierung der Energiewende und zur Abschaffung der Privilegien der Industrie.

Ein aktuelles Beispiel hierfür ist der Berliner Energietisch, der die Rekommunalisierung und Demokratisierung der Berliner Stromnetze sowie die Neugründung von Stadtwerken erreichen will (vgl. Schuster et al. 2012). In diesem Bündnis streiten Umweltverbände wie der BUND, die Grüne Liga und die Naturfreunde, progressive NGOs wie Bürger Begehren Klimaschutz und Powershift, Attac und Noya sowie AktivistInnen der LINKEN gemeinsam mit linksradikalen Gruppen wie Gegenstrom Berlin und FelS (Für eine linke Strömung) für eine neue Form der öffentlichen Energieversorgung jenseits ihrer privaten Aneignung. In dem eigens für das Volksbegehren entwickelten Gesetzentwurf wird die demokratische Kontrolle der neuen Betriebe, der Aufbau regionaler erneuerbarer Energien-Strukturen, die soziale Ausgestaltung der Energieversorgung und Übernahmegarantien für die Beschäftigten des bisherigen Netzbetreibers Vattenfall festgeschrieben. Mit über 225 000 gültigen Unterschriften hatte der Energietisch das Volksbegehren mit Bravour gemeistert, scheiterte jedoch im Volksentscheid am 3. November 2013 knapp. 24,1 Prozent aller Wahlberechtigten stimmten für den Antrag des Energietischs, 25 Prozent wären nötig gewesen. Nichtsdestotrotz macht dieses Bündnis vor, wie ein Kampf um Energiedemokratie jenseits von fossil-nuklearem und grünem Kapitalismus aussehen kann.

 

Literatur

Harris, Jerry, 2010: Going green to stay in black: transnational capitalism and renewable energy, in: Race & Class 52(2), 62–78, rac.sagepub. com/content/52/2/62.full.pdf.
Schülke, Christian, 2010: The EU’s Major Electricity and Gas Utilities since Market Liberalisation. Gouvernance Européenne et Géopolitique de l’Énergie, in: IFRI (Institut Français des Relations Internationales, www. ifri.org/?page=contribution- detail&id=6164&id_provenance=96
Schuster, Hannah, Selana Tzschiesche und Michelle Wenderlich, 2012: Vergesellschaftung von Energie: Revolutionäre Realpolitik in der Vielfachkrise, in: Luxemburg 1/2012, 66–69