| Grüner Sozialismus: Missglückte Einstiege

Juni 2013  Druckansicht
von Rainer Fischbach

Traditionell war die Linke davon ausgegangen, dass die Dynamik der Produktivkraftentwicklung nicht nur die Umwälzung der Gesellschaft unvermeidlich, sondern auch die allgemeine Teilhabe an deren wachsenden Früchten ermöglichen würde. Die Erfahrung der letzten Dekaden zeigt jedoch, dass dies nicht verallgemeinerbar ist. Sie ist weder über längere Zeiträume fortsetzbar, noch auf eine Menschheit von 10 Milliarden Menschen ausdehnbar, ohne die Ressourcen der Erde zu erschöpfen und diese in eine dem menschlichen Leben feindliche Umgebung zu verwandeln. Sie auch nur zu verlangsamen oder gar umzukehren, ohne das Ziel eines humanen Lebens für alle aufzugeben, verlangt eine ganz andere Art von Produktivkräften, die nur aus einem grundlegenden Re-Engineering des MenschNatur-Stoffwechsels hervorgehen können. Die Linke ist auf diese Aufgabe schlecht vorbereitet (Fischbach 2012).

Christoph Spehr versucht in seinem Text »Volks-Autos und Kollontai-Höfe« (LuXemburg 3/2012) zum Thema Grüner Sozialismus, die Gestalt der Produktivkräfte zu bestimmen, derer ein Sozialismus bedürfte, der sich den Problemen des menschlichen Naturstoffwechsels stellt. Doch schon der Einstieg ist missraten. So zustimmungsfähig die Kritik an der Verwechslung von – auch grünem – Sozialismus mit Askese ist: Der Vergleich des von gefühlten x-hundert Zahnpasta-Sorten überquellenden DrogerieRegals mit dem Universum des französischen Käses, dessen Reichtum schon General de Gaulle Anlass zu gespielter Verzweiflung gab, ist schief. Zwischen der naturräumlichen und kulturellen Vielfalt, auf deren Grundlage der Käse-Kosmos gedeiht, und der Ratio, der die Inflation der Zahnpasta-Sorten geschuldet ist, liegen Welten. Spehr: »Mehr Zahnpasta-Marken verbrauchen nicht (wesentlich) mehr Ressourcen. Im Zeitalter der flexiblen Automation sind Produktvarianten und kleinere Produktserien möglich, ohne neue Maschinen oder Fabriken zu bauen.« (49) Indem Spehr sich von der flexiblen Automation die Rettung der Zahnpasta-Vielfalt verspricht, erliegt er gleich einem doppelten Missverständnis: Flexible Automation ist ein Konzept der diskreten Fertigung, der Produktion zählbarer Einheiten. Zum Problem der rationellen Produktion von x-hundert Zahnpasta-Sorten trägt es nichts bei. Das ist wie bei den meisten Kosmetikprodukten eine Sache von »Umrühren und Abfüllen«, deren effiziente Erledigung mit der Auslastung der Anlagen steht und fällt. Also möglichst viel vom Gleichen auf einmal anrühren.

Flexible Automation ermöglicht die Fertigung von in ihrem schematischen Aufbau gleichartigen und deshalb nach der gleichen Bearbeitungs- und Montagelogik herstellbaren Gütern, deren Form und Zusammensetzung nur innerhalb gewisser Grenzen variiert, durch dieselbe Maschine bzw. Anlage. Ihre Flexibilität und die damit ermöglichte Vermeidung von Umrüstzeiten sind durch die Beschränkung der Produktvarianz erkauft. Ein Beispiel dafür ist die Fertigung von Automobilmodellen mit zahlreichen Varianten. Die Herstellung eines grenzenlosen Produktspektrums ist ihr jedoch nicht möglich. Vor allem folgt sie einer Strategie der Konzentration und Zentralisierung. Eine einzige, möglichst hoch ausgelastete flexible Maschine oder Anlage soll mehrere spezialisierte und damit tendenziell unterausgelastete ersetzen. Der »Aufschwung der lokalen Produktion« (50), den Spehr erwartet, findet damit nicht statt.

Das zweite Missverständnis: »Die zentralisierte Großproduktion ist nicht nur zu ressourcenschwer, sie ist als Struktur auch zu langsam« (51), glaubt Spehr, deshalb soll lokale Produktion Transporte einsparen: »Statt Gütern werden Steuerungsanweisungen bewegt – im Netz« (50). Er lässt damit eine alte technokratische Utopie im grünen Gewand wiederauferstehen: die CIM-Illusion, die glaubte, alles fertigungsrelevante Wissen ließe sich in einem Computermodell zusammenfassen und in Anweisungen an Numerical-controll-Maschinen und Roboter übersetzen. Diese Utopie, deren Attraktivität sich auch dem Versprechen verdankt, dadurch den Einfluss der Arbeiter zurückzudrängen (Noble 1986), ist von ihrer Realisierung immer noch ein gutes Stück entfernt. Illusionär ist die Annahme, das Verfahrenswissen, das die Montage komplexer Produkte verlangt, digitalisieren und durchs Netz transportieren zu können, und noch mehr die, es gäbe so etwas wie eine universelle flexible Fabrik, die ohne aufwendige und besonderes Wissen erfordernde Umrüstoder Umbaumaßnahmen dazu in der Lage wäre, beliebige Produkte herzustellen.

Auch die Erwartung, durch lokale Produktion ließen sich Transporte einsparen, geht fehl. Lokale Produktion von Industriegütern bedeutet eine Zunahme der Transporte. Das liegt daran, dass industrielle Güter weder aus der örtlichen Erde, Luft und der darauf fallenden Sonne noch aus Bits allein entstehen, sondern aus diversen Stoffen bzw. Rohlingen, die erst an den Ort ihrer Herstellung zu transportieren sind.

Betrachtet man die Relation von Rohling und Ergebnis für die unterschiedlichen Bearbeitungsweisen, kommt man zu einem ernüchternden Ergebnis: Bei den subtraktiven Verfahren, also etwa den spanabhebenden Techniken wie Fräsen, Drehen und Bohren, ist der Rohling massereicher als das Ergebnis. Zudem sind auch noch die Späne zwecks Recycling über weitere Wege zu einer entsprechenden Anlage zu befördern. Die Ökobilanz lokaler Produktion ist hier eindeutig negativ. Bei den umformenden Techniken wie Gesenkschmieden, Tiefziehen etc. besteht zwar kein Masseunterschied zwischen Rohling und Ergebnis, doch sind diese größtenteils extrem unflexibel, weil sie erst mit großem Aufwand herzustellende Werkzeuge benötigen, auf die die Maschinen in einem zeitraubenden Prozess umzurüsten sind. Freiformschmieden benötigt zwar keine speziellen, vom Erzeugnis abhängigen Werkzeuge, doch komplexe und teure Maschinen. Der Transportaufwand ist hier zwar neutral, doch sprechen die mangelnde Flexibilität und die hohen Investitionskosten auch bei umformender Bearbeitung gegen die lokale Ausführung.

Offenkundig ist Spehrs Vorstellung von lokaler Produktion mit ihrer Betonung des »informationsgestützte[n] Selbermachen[s]« (50) durch eine in jüngster Zeit an Publizität gewinnende Strömung beeinflusst, die sich von additiven Bearbeitungsverfahren die Ablösung der industriellen Produktion in großen Einheiten durch die Eigenproduktion verspricht. Deren Vertreter verweisen immer wieder auf die Technik des so genannten 3-D-Druckers. Der ist zwar ein wunderbares Werkzeug für den Modellbau, doch außer Plastikteilen, die man in großen Stückzahlen auch unter Ressourcengesichtspunkten effizienter mit den herkömmlichen industriellen Techniken herzustellen vermag, kann man damit nichts machen, und Transportkosten spart er auch keine ein. Ob die Idee der Eigenproduktion so fortschrittlich ist, wie sie Spehr darstellt, darf bezweifelt werden. Es gibt Gründe, sie als reaktionär zu bezeichnen (Fischbach 2008, Söderberg 2013).

Spehrs Text enthält auch zustimmungsfähige Formeln, etwa »reparieren statt wegwerfen« (50). Doch was ergibt sich daraus? Gerade das »informationsgestützte Selbermachen« dürfte sich unter dem Gesichtspunkt der Reparierbarkeit als Alptraum herausstellen. Auch hier äußert sich die Idee, dass man das sich in der Gestaltung und Fertigung industrieller Erzeugnisse betätigende Wissen digitalisieren und via Netz verbreiten könnte. »Was nicht knapp sein wird, ist Wissen und Information. Die Trends zur Digitalisierung von Wissen und zum Ausbau der digitalen globalen Kommunikationsmedien sind unumkehrbar. Neue Wissens- und Netzwerkarchitekturen werden entstanden sein, sodass die Menge des global und lokal verfügbaren Wissens exponentiell ansteigt.« (50) Zu denken müsste geben, dass die exponentielle Wissensvermehrung, die da angeblich stattfinden soll, offenkundig noch nicht einmal zur Verbreitung elementarsten technologischen Wissens geführt hat. Um »reparieren statt wegwerfen« als Praxis zu etablieren, ist eine auf Reparierbarkeit und, als Grundlage dazu, Langlebigkeit und Wiederverwendbarkeit ausgelegte Gestaltung der Artefakte gefordert. Einen Schlüssel dazu stellt die Standardisierung von Teilen und auch ganzen Modulen dar; wobei die zentralisierte Massenproduktion derselben unter den Gesichtspunkten sowohl der finanziellen als auch der ressourcenökonomischen Effizienz durchaus Vorzüge hat. Zu warnen ist im Zusammenhang mit der Forderung nach reparierbarem Gerät auch vor der Mit-dem-Schraubenschlüssel-inder-Hand-auf-dem-Hinterhof-Romantik, die durch Spehrs Ausführungen schimmert. Das reparierbare Automobil kann man nicht nach dem Modell des alten VW-Käfer bauen. Der stellt bezüglich der Standardisierung zwar ein Vorbild dar, doch z.B. Motoren, die heutigen Effizienznormen genügen, sind von Komponenten abhängig, die Do-it-yourself-Reparateure vor unüberwindliche Schwierigkeiten stellen. Und das Entsprechende gilt für einen großen Teil der heutigen Artefakte.

Die Überzeugung, die Herausforderungen, vor die uns das Re-Engineering des MenschNatur-Stoffwechsels stellt, durch die Aufhebung der Arbeitsteilung bewältigen zu können, von der Spehrs Argumentation geleitet zu sein scheint, führt in die Irre. Das soziotechnische System, das diesen Herausforderungen gerecht werden kann, wird keines sein, in dem alle alles können. Die idyllischen, grün-romantischen Vorstellungen der Eigenproduktion und des Alles-selber-Machens sind nicht progressiv, weil sie den Umfang dessen, was die Menschheit als Ganze vermag, einschränken zugunsten einer die Probleme des menschlichen Stoffwechsels mit der Natur nur scheinbar lösenden Vorliebe für lokalistische Modelle des Wirtschaftens. Notwendig ist eine Programmatik, die darauf zielt, das industrielle System hin zu einer humaneren und langfristig mit den Naturbedingungen der menschlichen Existenz verträglicheren Verfassung umzuformen. In diesem Sinne dokumentiert die genannte Nummer der LuXemburg vor allem einen großen Nachholbedarf.

 

Literatur

Fischbach, Rainer 2008: Marx-Maschine? Murksmaschine!, in: Freitag, 12/2008, 20. März, 18, www.freitag.de/autoren/der-freitag/marx-maschine-murksmaschine
Ders., 2012: Die leidigen Produktivkräfte. Mühen um die Sensibilisierung eines blinden Flecks im Auge der Linken, in: DemiroviĆ, Alex, und Christina Kaindl (Hg.), Gegen den Neoliberalismus andenken, Hamburg, 195-203
Noble, David F., 1986: Forces of Production: A Social History of Industrial Automation, New York
Söderberg, Johan 2013: Autonome Maschinen auf dem Küchentisch: Arbeiten im digitalen Industriezeitalter, in: Le monde diplomatique, Januar, 3