| Grün geht nicht lokal

September 2012  Druckansicht
Von Gregory Albo

Sich aufs Lokale zu konzentrieren, wird von verschiedenen Seiten empfohlen: von neoliberalen Strategien gegen staatlichen Zentralismus und für größtmögliche Effizienz öffentlicher Mittel; der dritte Weg der Sozialdemokratie sah darin u.a. ein Mittel zur Wiederbelebung der Städte; die radikale Linke arbeitete an Gegenmodellen zum Nationalen und zur Globalisierung, entwickelte Modelle von Kooperation und Partizipation. Ernst Friedrich Schumacher formulierte Small is beautiful (1973) als Wert und Strategie; seitdem ist global denken, lokal handeln zu einem der zentralen Prinzipien der Umweltbewegung geworden. Ökonomische und politische Einheiten sollen so klein wie möglich sein, um ihren ökologischen Fußabdruck klein zu halten und ihre demokratische Regulation zu ermöglichen. Albo diskutiert im ersten, hier nicht dokumentierten Teil seines Aufsatzes die Vielfalt ökolokalistischer Ansätze – und die Grenzen: Die Fallstricke der Marktorientierung, die Illusion der »Entmaterialisierung«, die blind ist für die materiellen Ressourcen und die Klassenverhältnisse, die die Grundlagen der Informationstechnologie bilden; und die globale Arbeitsteilung, die quer zu den Orten verläuft und Fragen der demokratischen Regulierung und ökonomischen Planung zwischen den »lokalistischen« Zentren aufwirft. Wie soll angesichts der Tatsache, dass viele Regulations- und Akkumulationsprozesse auf der globalen Ebene reproduziert werden, der Übergang, die Transformation organisiert werden? Albos Aufruf zu einer neuen Fundierung des ökosozialistischen Projekts trifft sich mit unseren Ansätzen eines neuen grünen Sozialismus. (Die Redaktion)

 

Ein Mangel an strategischem Weitblick

Die Privilegierung des Lokalen findet sich nicht nur in marktorientierten Vorschlä- gen sozial-ökologischer Transformationen. Auch ökolokalistische Vorstellungen propagieren eine weniger komplexe, weniger vermittelte, weniger verbundene Gesellschaft, d.h. eine Ökogemeinschaft ohne Verknüpfung mit anderen räumlichen Ebenen (wie z.B. im Neoanarchismus).

Es wird nicht erklärt, wie der Übergang vom realexistierenden Kapitalismus zu sich mehr oder weniger selbst versorgenden, bioregionalen Gemeinschaften organisiert werden soll. Das ist insofern erstaunlich, als der Ökolokalismus die vorherrschende räumliche Tendenz im Kapitalismus radikal umkehrt und sich gegen die Komplexität moderner Ökonomien wendet. Dennoch mangelt es ihm an strategischem Weitblick im Bezug darauf, wie durch Kapital- und Staatsmacht erzeugte Veränderungsblockaden überwunden werden sollen. Auch andere wichtige Probleme bleiben ungelöst, z.B. die Frage wirtschaftlicher Koordination, die Bestimmung des ökonomischen Outputs und die Auswahl der Instrumente gesellschaftlicher Steuerung (governance) – also viele der Grundsatzfragen, mit denen sich sämtliche auf Marktvergesellschaftung wie auch auf Planung beruhende Gesellschaftsprojekte theoretisch und praktisch auseinandersetzen müssen. Die Vision des Ökolokalismus für eine andere Gesellschaft besteht in der Veränderung der Struktur von Produktion und Output, in der Verkürzung der Arbeitszeit sowie in der Senkung von Materialverbrauch und Emissionen, was allgemein sicher geteilt wird. Doch die Schwerpunktsetzung auf lokale politische Organisation liefert keine Begründung für die verfolgten Zielsetzungen.

Die Einführung von Informations- und Kommunikationstechnologie hat den räumlichen Maßstab nicht verändert, auf dessen Grundlage viele der großen Wirtschaftsbranchen operieren. Sowohl die Betriebe als auch deren Kapitalisierung sind gewachsen. Nur einer Minderheit von Produzenten ist es gelungen, auszuscheren und aus freier Entscheidung in kleineren Produktionseinheiten zu arbeiten, ohne dazu durch die Ausdehnung informeller und prekärer Arbeit gezwungen zu sein. Zudem ist es keineswegs klar, dass kleinere Produktionseinheiten per se umweltverträglicher sind. Große Produktionseinheiten entstehen u.a. deshalb, weil der Wettbewerbsdruck die Einsparung von Ressourcen auf der Inputseite erwirkt. Für größere Firmen ist es einfacher, innovative Umwelttechnologien einzusetzen; viele kleinere Produktionseinheiten bringen tendenziell den vielfachen Verbrauch bestimmter Ressourcen mit sich. Außerdem verfügen kleine Produktionseinheiten über unzureichende Hebel bei der Finanzierung technologischer Modernisierung und verbrauchen vergleichsweise mehr Energie. Letztlich kann die Frage des räumlichen Maßstabs der Produktionseinheiten nicht beurteilt werden, wenn man nicht auch über Instrumente zur Bestimmung der zu befriedigenden gesellschaftlichen Bedürfnisse verfügt. Ökolokalisten und insbesondere die Vertreter der Sozialökologie erklären die Produktion im kleinen Maßstab zum Grundprinzip. Das ist inhaltsleere Romantik. Im Kapitalismus wird der räumliche Maßstab der Produktion auf dem Markt und durch den Verwertungsprozess bestimmt. Wenn gesellschaftliche Bedürfnisse auch auf Grundlage des räumlichen Maßstabs der Produktionseinheiten und ökologischer Kosten bestimmt werden sollen, sind Planungsmechanismen erforderlich. Der Preismechanismus allein bildet diese Aspekte nicht ab.

Selbst wenn man akzeptiert, dass lokale Partizipation am Management von Ressourcen ein Grundsatz von Demokratisierung ist, bleibt erstmal unbestimmt, was die ökologischen Auswirkungen dieser Partizipation sind. In unregulierten Märkten kann der Wettbewerb zwischen lokalen Einheiten ökologische Standards drücken. Eine solche Anpassung nach unten ist umso wahrscheinlicher, wenn die Vorteile lokaler Steuerung durch mächtige Lokalinteressen aufgehoben werden. Selbst in den radikalsten Schriften aus dem Bereich der Sozialökologie, denen zufolge Privateigentum eingeschränkt oder vergesellschaftet werden soll, bleibt unklar, wie die Zurückdrängung dieser Lokalinteressen zu bewerkstelligen ist.

Politische Auseinandersetzungen um materielle Fragen sind unvermeidlich, solange eine Bürokratie und die Einteilung der Gesellschaft in Klassen bestehen bleiben. Ohne demokratische Institutionen und Mechanismen zur politischen Mobilisierung lassen sich diese Konflikte nicht bearbeiten. Dies ist eine wichtige konzeptionelle und politische Frage, die von gesellschaftlichen Transformationsprojekten aufgegriffen werden muss – insbesondere dann, wenn der Umweltgerechtigkeit Rechnung getragen werden soll. Hierzu schweigen jedoch die Befürworter des Ökolokalismus, die sich vor allem für die »Schrumpfung« des räumlichen Ausmaßes der Lebensweise stark machen. Ihre politischen Projekte lösen sich allzu oft in zwei einfache Forderungen auf: Zum einen die Forderung nach »moralisch überlegenen« Produktionsentscheidungen und Formen des individuellen Verbrauchs; zum anderen, alternative lokale Haushalte einzurichten. Beidem kann man zustimmen, aber aus keiner der beiden Forderungen ergibt sich ein Projekt sozialökologischer Transformation.

Demokratie ernstnehmen

Ökolokalistische Projekte sehen die lokale Ebene tendenziell als authentischen Raum der Demokratie, alle anderen Ebenen demokratischer Repräsentation und demokratischer Auseinandersetzung gelten als vermittelt und falsch, da hier Menschen von außen politisch-ökonomische Projekte aufgezwungen würden. Dies führt in vielerlei Hinsicht in die Irre, vor allem: als könnte die Erarbeitung sozialökologischer Alternativen von kontextbildenden, nicht-lokalen Ereignissen und Prozessen abgeschottet werden. Die Existenz demokratischer Prozesse und staatlicher Institutionen auf anderen Ebenen gesellschaftlicher Steuerung wirft wichtige, auf Macht und Verteilung bezogene Fragen auf, die nicht ignoriert werden sollten. Der Staat ist auf allen räumlichen Ebenen, auf denen seine Apparate und Funktionen wirksam sind, eine materielle Verdichtung von Machtverhältnissen. Entsprechend sind lokale kapitalistische Machtverhältnisse in umfassendere Verhältnisse eingebettet und internalisieren diese. Es gibt keine Möglichkeit, sich aus diesen Verhältnissen herauszuziehen und gleichzeitig innerhalb einer kapitalistischen Marktwirtschaft zu verbleiben – selbst wenn das wünschenswert wäre.

Es wird ein falscher Widerspruch aufgemacht, wenn die »lokale Demokratie aktiver Bürger«, die sich dem Aufbau einer alternativen Ökologie widmen, der »repräsentativen Demokratie im Verfall«, die nichtnachhaltige politische Maßnahmen und Klassenbeziehungen stützt, gegenübergestellt wird. Die eigentliche Herausforderung sieht anders aus: Es bedarf einer Transformation hin zu einem anderen Staat und anders gearteten demokratischen Institutionen, die einerseits die Ausdehnung politischer Freiheiten und die Entstehung sozialökologischer Alternativen innerhalb der zentralen Formen der repräsentativen Demokratie ermöglicht, und andererseits neue institutionelle Formen der direkten Demokratie und differenzierte sozialökologische Prozesse auf lokaler Ebene fördert.

David Harvey (1996, 320ff) hat dies etwas anders ausgedrückt. Der Lokalismus führe zwar in vielen Fällen zur Kontrolle über bestimmte Orte, dies gehe aber nicht mit der Kontrolle über die Produktion von Raum und Natur einher. Die Kapitalistenklasse kann Kapital verschieben, einen Ort gegen den anderen ausspielen oder lokale Strategien durch die Ausübung politischer Macht auf der nationalen oder globalen Steuerungsebene untergraben. »Befreite« ökologische und politische Räume können also nur verteidigt werden, wenn die Durchschlagskraft der Aktivitäten auf dem kapitalistischen Markt eingeschränkt und die Durchschlagskraft von Demokratie ausgedehnt werden. Der Lokalismus will den räumlichen Maßstab von Produktionseinheiten und ökologischen Prozessen verkleinern, ohne dass dabei der räumliche Maßstab von Markttransaktionen berücksichtigt wird. Gleichzeitig will er mithilfe des Prinzips der gegenseitigen Hilfe den Maßstab demokratischer Prozesse verkleinern, wobei die Systeme der Repräsentation, der Entscheidungsdelegierung, der Partizipation und der Transparenz auf nicht-lokalen Ebenen des politischen Lebens verworfen werden. Das aber bedeutet, dass kapitalistische Machtstrukturen sowie die Herausforderung gesellschaftlicher Demokratisierung völlig falsch dargestellt werden.

Lokaler Ökosozialismus?

Lokale Räume stehen in einer widersprüchlichen Beziehung zu anderen Ebenen kapitalistischer Entwicklung. Das wird an Hand von Marx’ Theorie der Kapitalakkumulation deutlich. Die Anfangspassage des Kapital fängt diese Problemstellung ein: Die Ware als Gebrauchswert ist immer konkret; sie wird aus Rohmaterialien durch die konkrete Arbeit von Arbeitenden hergestellt, die in spezifische Gemeinschaften und die entsprechenden lokalen gesellschaftlichen Beziehungen eingebettet sind. Aber die Ware als Tauschwert überschreitet alle räumlichen Grenzen. Konkrete Arbeiten und Umwelten werden in den homogenen Raum des Werts umgewandelt. »Warenproduktion und entwickelte Warenzirkulation, Handel, bilden die historischen Voraussetzungen, in denen [das Kapital] entsteht.« (Marx, MEW 23, 161) Das Konkrete und das Allgemeine, das Lokale und das Globale, die urbane Natur und die globale Biosphäre sind keine Gegensätze, sondern verschiedene Dimensionen der räumlichen Matrix des Weltmarkts.

Die Akkumulation des Kapitals beinhaltet also einen ungleichzeitigen Prozess der Lokalisierung (Marxʼ »Gegensatz zwischen Stadt und Land«). Akkumulation von Kapital ist immer auch Produktion von Raum als bebauter Umwelt: »Durch Verstädterung werden Überschüsse mobilisiert, produziert, absorbiert und angeeignet, und […] durch den Verfall von Städten und Verarmung […] entwertet und zerstört.« (Harvey 1989, 54, übers. A.G.) Der Kapitalismus steigert die sozioökonomischen Aktivitäten auf lokaler, regionaler, nationaler und globaler Ebene – auch die ökologischen, den Stoffwechsel mit der Natur betreffenden Aktivitäten.

Die Ungleichzeitigkeit kapitalistischer Entwicklung konzentriert Produktionskapazitäten, Bevölkerung und Macht in lokalen, städtischen Räumen. Einerseits werden ländliche und regionale gesellschaftliche Verhältnisse entwertet und städtische Zentren aufgewertet, die in die Zirkulation des Kapitals auf dem Weltmarkt eingebunden sind. Andererseits transformiert dies die den Stoffwechsel mit der Natur betreffenden Verhältnisse auf dem Land und macht sie von der »urbanen Natur« der Stadt abhängig. Das hat für die Linke stets strategische Dilemmata hervorgebracht: Wie kann ungleiche Entwicklung – zwischen Zentrum und Peripherie, Stadt und Land, »Gesellschaft« und »Natur« – »ausgeglichen« werden? (Beide werden durch natürliche wie auch sozioökomische Prozesse »produziert«.)

Diese Eigenschaft kapitalistischer Entwicklung hat unterschiedliche, aber aufeinander bezogene Strategien innerhalb der sozialistischen Bewegung hervorgebracht: Ansätze zur Dezentralisierung, um die übermäßige Konzentration von Produktionskapazitäten, Ressourcen und Macht zu verringern; und Strategien des Lokalismus, die dem Aufbau organisatorischer und politischer Kapazitä- ten und »befreiter« Räume bzw. Viertel in den Städten dienen. Diese Strategien haben eine lange Geschichte, und diverse sozialistische Strömungen haben sich über sie definiert. Die auf Marx aufbauende Tradition hat sich vor allem mit der Pariser Kommune, Arbeiterräten und dem Aufbau »roter Zonen« im Kampf um die Staatsmacht befasst. Sie hat immer auch den Aufbau lokaler Macht- und Verwaltungsschwerpunkte propagiert – genauso wie die Umstrukturierung der wirtschaftlichen Aktivitäten. Niemand hat diese Überlegung besser in Worte gefasst als Henri Lefebvre: »Eine Revolution, die keinen neuen Raum produziert, hat nicht ihr volles Potenzial erfüllt. Vielmehr ist sie insofern gescheitert, als sie nicht das Leben selbst verändert hat, sondern nur ideologische Überbauten, Institutionen oder politische Apparate.« (1991, 54, übers. A.G.)

Aufrufe, erneut über die Bedeutung des lokalen Raums für sozialistische Strategie nachzudenken, reißen nicht ab, und viele der wichtigsten Beiträge zu dieser Diskussion in den letzten Jahren – von den Forderungen nach einem Bürgerhaushalt bis hin zu den Theorien von »zu verhandelnder Koordination« – geben dem Ort große Bedeutung. Im Allgemeinen haben sich Sozialisten dafür stark gemacht, mit Hilfe der Ausdehnung von Demokratie Macht zu dezentralisieren und in lokale und regionale Institutionen umzuleiten – und zwar mit dem Argument, dass dies angemessener auf die ideologische Anziehungskraft des Neoliberalismus antwortet als die simple Verteidigung des Zentralstaats. Statt ausgebauten Märkten sollten ausgebaute demokratische Formen die zentralen Regulatoren des sozio- ökonomischen Lebens und der Leitung von Firmen und Institutionen sein.

Im Gegensatz zu den meisten grünen Ansätzen wird jedoch die Dezentralisierung von Macht hier nicht als per se demokratischer und nachhaltiger angesehen. Parlamenten wird eine grundsätzliche Bedeutung bei der Absicherung der Vielzahl jener Entwicklungswege und -strategien beigemessen, die Folgendes sicherstellen: eine gleichmäßigere Verteilung der Ressourcen; das Bestehen von Grundrechten und die Erfüllung von Grundbedürfnissen; die Verhinderung von inakzeptablen Formen des Wettbewerbs zwischen lokalen Einheiten; das Schaffen von Anreizen für »dezentralisierte Zusammenarbeit«. Dies verschiebt die strategische Frage nach sozialen und ökologischen Prioritäten weg von einer Setzung der lokalen Ebene a priori, hin zu einer Schwerpunktsetzung auf Demokratisierung.

Einzelheiten dieser Konzeption sind vielleicht umstritten, aber die Hauptidee, die verschiedenen Ebenen des politischen Kampfs mit der Demokratisierung des Staats zu verbinden, ist klar und eindeutig: Sie geht von einem sich entwickelnden System umweltverträglicher, genossenschaftlicher Produktion aus. Es ist in der Tat möglich, sich politische Interventionen im lokalen Kontext vorzustellen, die zur Entstehung eines Standorts für Ökosozialismus führen. Ein Beispiel für eine solche Intervention wäre die Forderung, dass das Einhalten ökologischer Grundrechte mit der Erfüllung von Grundbedürfnissen bei der Umstrukturierung von bebauten Umwelten einhergehen sollte. Kämpft man um das Recht auf sauberes Wasser und saubere Luft, auf Wohnung und öffentliche Grünflächen, auf eine Grundversorgung mit Energie und öffentlichen Verkehrsmitteln, verbindet sich dies unmittelbar mit den Kampagnen für die überlebenssichernde Versorgung mit Wasser, einem Preismechanismus für Energie mit umverteilender Wirkung und der »Außerwertsetzung« der öffentlichen Daseinsvorsorge. So können lokale, ökologische Kämpfe im Sinne von gesellschaftlichen Bedürfnissen und einer allgemeinen Sozialversorgung umgedeutet werden.

Ökologische Transformationsprozesse beinhalten immer auch Kämpfe um Umweltgerechtigkeit. Die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Umwelt sind nicht neutral im Bezug auf Klasse, Geschlecht und »race« sowie unterschiedliche Regionen oder Staaten. Kampagnen gegen Emissionen und Abfallwirtschaft zeigen schnell die unterschiedlichen Auswirkungen von Produktionsaktivitäten auf Klassenverhältnisse, Wohngegenden und zwischenstaatliche Beziehungen und den ungleichen Tausch im internationalen Handel mit Müll.

Die komplexen Abhängigkeiten zwischen sozialen und ökologischen Problemen führen dazu, dass sehr unterschiedliche politische Interessen und Programme zum Tragen kommen müssen, wenn die notwendigen Veränderungen der Verteilung, des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur und der Technologie erzielt werden sollen. Die bestehenden Formen liberaler Demokratie sind dafür ineffizient –, und die Entwicklung neuer demokratischer Verfahren kann nicht auf die lokale Ebene beschränkt werden. Es müssen Mechanismen der Planung durch die Bevölkerung ausprobiert werden, die die Produzenten, Konsumenten und Ökologen einbeziehen; ein Prozess der umfassenden Demokratisierung gesellschaftlicher Beziehungen und staatlicher Institutionen muss in Gang gesetzt werden, der für den Übergang zu einem umweltverträglichen Produktions- und Tauschsystem erforderlich ist.

Lokalismus, Ökologie und die Linke

Ökosozialistische Programmentwürfe verdeutlichen das gespannte Verhältnis zwischen sozialistischen und ökologischen Politikansätzen, Spannungen bezüglich der Frage der angemessenen räumlichen Ebene politischer Intervention und der Herausbildung von Alternativen zum Neoliberalismus. Die Spaltungslinie zeigt sich auch innerhalb der Antiglobalisierungsbewegung und an Hand ihres wichtigsten Symbols, dem Weltsozialforum. Dieser »Marktplatz« für gesellschaftliche Alternativen bringt Ansätze zusammen, die sich auf programmatischer Ebene oft unversöhnlich gegenüberstehen.

Historisch gesehen bildete der territoriale Nationalstaat den wichtigsten Rahmen für die Herausbildung, Legitimierung, Regulierung – und Infragestellung kapitalistischer Machtverhältnisse. Aus unterschiedlichen Gründen haben sozialdemokratische und autoritär-kommunistische Bewegungen ihren Schwerpunkt darauf gelegt, mithilfe einer zentralisierten Bürokratie Produktionskapazitäten und Sozialsysteme mit Umverteilungswirkung auf der nationalen Ebene aufzubauen. Nach dem Zweiten Weltkrieg entsprach dies den Strategien der Staaten in den Metropolen wie den Strategien befreiter Staaten, die sich nach Entkolonialisierungskämpfen oder Revolutionen auf neue Entwicklungspfade begaben. Seit den 1980er Jahren hat die Internationalisierung des Kapitals die globale und lokale Ebene der Akkumulation gestärkt, die Konzerne haben ihr Vermögen und den räumlichen Maßstab ihrer Produktion vergrößert, wodurch sich ihre Abhängigkeit vom Weltmarkt verstärkte. Die Nationalstaaten haben im Gegenzug ihre Verwaltungsstrukturen so umorganisiert, dass sie global-lokale Kapitalflüsse bewältigen können, nationale Entwicklungsprojekte sowie auf Umverteilung zielende politische Maß- nahmen wurden aufgegeben. Der Neoliberalismus hat eine gewichtige Rolle bei der Umstrukturierung der Matrix gesellschaftlicher Steuerung gespielt: Er hat das regelbasierte System des Weltmarkts in den Rang einer Verfassung erhoben und den Wettbewerbsdruck bei der Regulierung lokaler Gemeinschaften gestärkt – und zwar mithilfe des Wettbewerbs um Arbeitsplätze und Umweltstandards.

Die strategischen Reaktionen von sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Kräften auf die Ungleichzeitigkeit räumlicher Entwicklung gehen in zwei verschiedene Richtungen. Eine Strömung macht es sich zur Hauptaufgabe, durch die Schaffung neuer Rahmenbedingungen für die globale Steuerung von Handelsund Kapitalflüssen und die Unternehmenskontrolle die »territoriale Integrität« der nationalen Ebene wiederherzustellen. Sie argumentiert, dass dies die internationalen institutionellen Vorbedingungen für die Erneuerung traditioneller, sozialdemokratischer Verteilungsarrangements auf der Ebene des Nationalstaats schaffe. Angesichts der dazu notwendigen drastischen Verschiebung politischer Kräfteverhältnisse weist diese Linie eine geringe politische Zugkraft auf. Eine andere Strömung sieht die neoliberale Globalisierung als das Terrain an, innerhalb dessen »realistische« politische Vorschläge ausgearbeitet werden müssen. Hier wird der Schwerpunkt auf die Entwicklung von außerhalb des Markts angesiedelten Institutionen gelegt, die »fortschrittliche Wettbewerbsfähigkeit« auf der Betriebsebene und der Ebene lokaler Gemeinschaften befördern sollen – insbesondere im Bereich der neuen »Wissensökonomie«. Das Projekt einer Sozialdemokratie des »dritten Wegs« basiert auf dieser Strategie. Es ist sehr erfolgreich darin, Mitglieder des sozialdemokratischen Lagers politisch neu auszurichten.

Grüne Parteien und Umwelt-NGOs unterstützen die Neuausrichtung der Sozialdemokratie oft aktiv – insbesondere in Ländern Europas und Nordamerikas, wo sie bei Wahlen stark abschneiden oder über umfangreiche Mobilisierungskapazitäten verfügen. Sie sehen die Wissensökonomie als Instanz, die neue sozialökologische Bedingungen schafft – »klüger sein heißt grüner sein« –, und verschreiben sich dem Glauben an Märkte und Technologien. Dieses Bündnis sollte eigentlich nur geringe Anziehungskraft für Sozialökologen haben. Doch es gibt eine taktische Zusammenarbeit – dort, wo die Sozialdemokratie Selbstverwaltung, Genossenschaften, Maßnahmen für alternative, lokale Formen der Energieerzeugung im Einklang mit dem Kyoto-Protokoll und alternativen, lokalen Märkten unterstützt hat. Viele Sozialökologen und Umwelt-NGOs wurden so ins reformistische Lager integriert. Das so entstandene Bündnis bestreitet einen »dritten Weg von unten«: Zivilgesellschaftliche Kräfte verstärken die politischen Umschichtungen, die das Führungspersonal der Sozialdemokratie von oben angestoßen hat.

Dieses Bündnis hat sicherlich eine gewisse Anziehungskraft für die Wähler; allerdings hat es kein politisches oder ökologisches Projekt als Alternative zum Neoliberalismus anzubieten. Vielmehr ist es in den Neoliberalismus als ungeordnetes Politikregime integriert worden.

Der Aufbau eines ökosozialistischen Bündnisses und Projekts ist davon deutlich zu unterscheiden. Es wird erst funktionieren, wenn auch die sozialistischen und ökologischen Projektelemente erneuert werden: Der erste Punkt besteht in der Feststellung, dass der Ökolokalismus in seinen verschiedenen Spielarten einen »ontologischen Dualismus« zwischen Natur und Gesellschaft produziert, der politische Auswirkungen hat: Die Forderung nach einer Verkleinerung des nach »innen« gerichteten räumlichen Maßstabs gesellschaftlichen Zusammenlebens geht mit der Forderung nach der Ausdehnung des räumlichen Maßstabs der »äu- ßeren Natur« einher, von welcher angenommen wird, dass sie sich in einem au- ßergesellschaftlichen Zustand der Unberührtheit befindet. Aber Menschen leben nun mal in Gesellschaften und in der Natur. Die lokale Umwelt kann nicht begriffen werden, wenn man sowohl Bezug auf die gesellschaftliche Arbeit als auch auf den permanenten Stoffwechsel der Natur nimmt, im Zuge dessen Natur selbst wie auch Gesellschaft produziert wird. Die Umwelt wird also in Form einer Kombination von natürlichen und gesellschaftlichen Transformationsprozessen produziert, und lokale sozioökologische Prozesse sind immer mit umfassenden sozioökonomischen und natürlichen Prozessen verknüpft. Die Prioritäten von Theorie und Politik sind nicht auf einer vorbestimmten räumlichen Ebene »ansässig«. Sie müssen erst einmal verortet und definiert werden – und zwar unter Bezugnahme auf die sozialökologischen Prozesse, die räumliche Ebenen hervorbringen.

Man kann das auch anders ausdrücken. Der Wettbewerbsdruck führt zur immer intensiveren Nutzung von Produktionskapazitäten und zur Transformation von Transport- und Kommunikationskanälen. Das bedeutet auch, dass Klassenkämpfe niemals in einem fest umgrenzten Territorium ausgefochten werden können, oder dass sich eine lokale Umwelt in einem solchen herausbildet. Beim Aufbau politischer Projekte gegen den Neoliberalismus, der kontinuierlich die Grenzen der Märkte und der Mechanismen gesellschaftlicher Steuerung verschiebt, um lokale Akkumulationshindernisse aus dem Weg zu räumen, muss dies berücksichtigt werden.

Hieraus ergibt sich die große Herausforderung für die Erneuerung ökosozialistischer Bündnisse und politischer Organisationen: Politische Organisation ist immer – in einem grundlegenden und praktischen Sinn – eine lokale Aufgabe. Ortsgruppen, Zellen, politische Clubs, Bildungsvereine, die Planung von Demonstrationen, der Aufbau von Bündnissen, das Verteilen von Flugblättern, politische Diskussionen – all dies muss dort seine Grundlage haben bzw. getan werden, wo wir arbeiten und leben. Klassenkämpfe und ökologische Kämpfe gegen den Kapitalismus beruhen auf Mobilisierungen, die innerhalb von Familien, am Arbeitsplatz, im eigenen Viertel, in der Kommune vorangetrieben werden – und all diese Orte befinden sich innerhalb einer bestimmten Umwelt. Die Aufgabe politischer Organisationen und Kapazitäten besteht in erster Instanz in der kontinuierlichen Erneuerung dieser Kämpfe an einem bestimmten Ort und über einen längeren Zeitraum hinweg – trotz der kapitalistischen Kräfte, die unablässig oppositionelle politische Bündnisse zu untergraben, zu integrieren und zu isolieren versuchen, und Umweltfaktoren und Ressourcen, die sich bislang außerhalb des Akkumulationsprozesses befanden, zur Ware zu machen.1

Als sich Hilary Wainwright vor Jahren für sozialistische »Parteien eines anderen Typs« stark machte, versah sie ihr Plädoyer mit einer Warnung: »Ohne einen Prozess des ständigen Entwerfens und Sich-Streckens in Richtung einer solchen Alternative besteht die Gefahr, dass die Aktivitäten und Organisationen, die von gegenwärtigen linken Bewegungen inspiriert sind, zerfallen und zurückfallen: entweder in das traditionelle Parteiensystem oder in den ehrenamtlichen Sektor, der unterversorgt, überausgebeutet und gesellschaftlich marginal ist.« (1994, 264)

Man kann natürlich darüber diskutieren, ob sich der beschriebene Prozess nicht bereits längst ereignet hat und die Politik des Ökolokalismus und die Brü- chigkeit sozialistisch-ökologischer Bündnisse nicht auf diesen Zerfall und Rückfall verweisen. Aber Wainwrights Argument enthält auch eine Botschaft für die Gegenwart. Die Bewegungen für globale soziale Gerechtigkeit und die Weltsozialforen haben nur ein geringes Gewicht, solange wir nicht in der Lage sind, lokale Akkumulationsprozesse zu beeinflussen und in unserem direkten politischen Umfeld Kampagnen aufrechtzuerhalten und Kontrolle auszuüben. Dadurch ließe sich sicherstellen, dass sich alltägliche Akte des Widerstands im Laufe der Zeit miteinander verknüpfen, sodass sie zu Bausteinen im Prozess des kollektiven Erarbeitens und Aufbauens von organisatorischen Alternativen werden. Das ist der grundlegendste Bestandteil sozialistischer und ökologischer Erneuerung.

Politische Organisierung schafft darüber hinaus eine Verbindung zwischen Klassenkämpfen an verschiedenen Orten – sowohl hinsichtlich des Wissens als auch der aktiven Solidarität. Dadurch wird auf der Ebene der Praxis erreicht, was die begriffliche Abstraktion auf der Ebene der Theorie beschreibt. Dies geschieht in strukturierter Form, sodass sich Prozesse der politischen Mobilisierung, der Reflektion, der Debatte und des Lernens von einer Ebene zur nächsten bewegen können. Politische Organisierung gibt strategischen Überlegungen und Aktivitä- ten in einer Weise Tiefe, die die »Marktplätze internationaler Gerechtigkeit nicht erreichen – und das, obwohl sie bemerkenswert offene Räume sind, die den Dialog über die Grenzen verschiedener gesellschaftlicher Bereiche hinweg ermöglichen.

Die Weiterentwicklung von vorhandenen politischen Kapazitäten ist notwendig: Lokale Radikalität muss in weiter gespannte Forderungen und sozialökologische Programme übersetzt werden, die an den anderen räumlichen Ebenen von Demokratie und Ökologie ansetzen. Politik nimmt dann einen transformativen Charakter an, bewegt sich auf dialektische Weise zwischen den verschiedenen Ebenen praktischer Erfahrung und trägt zur Formierung einer umfassenden gesellschaftlichen Kraft bei. Entsprechend bemerkte Gramsci: »Man kann sagen, dass keine wirkliche Bewegung das Bewusstsein ihrer Ganzheitlichkeit auf einen Schlag erlangt, sondern erst nach einer Reihe von Erfahrungen.« (GH 7, H. 15, §6, 1721) Die mit dem Ökosozialismus verbundene politische Herausforderung besteht darin, spezifische lokale Kämpfe miteinander zu verbinden, zu verallgemeinern, und sie mit einem globalen Projekt sozioökologischer Transformation zu verbinden, das gegen die neoliberale Globalisierung und die Einsetzung kapitalistischer Märkte als Regulatoren von Natur und Gesellschaft auf globaler Ebene gerichtet ist.

Die Politik des Ökolokalismus stellt in einem gewissen Sinne das Gegenteil des Programms dar, das hier skizziert wurde. Ökolokalismus sieht das Lokale als die ideale räumliche Ebene an und ist ein politischer Ansatz mit individualisierender und zersplitternder Wirkung, der kommunitaristische Ökoutopien entwirft. Im Neoliberalismus hat sich der Ökolokalismus in den praktischen Versuch verwandelt, individuelles Marktverhalten zu verändern und die lokale Umwelt und lokale Gemeinschaften von weiter reichenden Kämpfen und politischen Vorhaben abzukoppeln. Es gibt gute Gründe, diese Haltung abzulehnen. Das bedeutet weder, die Wichtigkeit der lokalen Ebene für antineoliberale Politik zu bestreiten, noch zu behaupten, dass die Frage nach der für postkapitalistische Gesellschaften angemessenen räumlichen Ebene unwichtig ist. Zentral ist, dass lokale sozialökologische Kämpfe nicht von globalen politischen Projekten abgekoppelt werden, die auf die Überwindung des Kapitalismus auf der Weltebene zielen. Und es sollte festgehalten werden, dass die lokalen Kämpfe solchen globalen politischen Projekten immer wieder Ausdruck verleihen. Deshalb kam der Pariser Kommune für Marx eine besondere Bedeutung zu. Sie war zugleich eine lokal verankerte Gesellschaft im Embryozustand, der eine Geburt hinter den Barrikaden bevorstand, und eine Gesellschaft, die in ihren Vorhaben und in ihrer Auswirkungen »in emphatischer Weise international« war. Ihr symbolischer Wert gegenüber dem kapitalistischen System bestand genau darin:

»[…] wenn die Gesamtheit der Genossenschaften die nationale Produktion nach einem gemeinsamen Plan regeln, sie damit unter ihre eigne Leitung nehmen und der beständigen Anarchie und den periodisch wiederkehrenden Konvulsionen, welche das unvermeidliche Schicksal der kapitalistischen Produktion sind, ein Ende machen soll – was wäre das andres, meine Herren, als der Kommunismus, der ›mögliche‹ Kommunismus?« (MEW 17, 343)

Oder, könnte man in diesem Zusammenhang hinzufügen, der »mögliche Ökolokalismus«.

Auszüge aus »The Limits of Eco-Localism: Scale, Strategy, Socialism«, Socialist Register 2007, Vol. 43, 14ff. Der Text wurde redaktionell leicht bearbeitet. Aus dem Englischen von Alexander Gallas.

 

Literatur

Gramsci, Antonio , [1929–1935], 1991ff: Gefängnishefte, Berlin-Hamburg
Lefebvre, Henri, 1991: The Production of Space, Oxford
Ders., 1989: The Urban Experience, Baltimore
Ders., [2003] 2005: Der neue Imperialismus, Hamburg
Marx, Karl, [1867/1872] 1961: Das Kapital, Erster Band, Marx Engels Werke Bd. 23, Berlin/DDR
Ders., 1871 [1962]: Der Bürgerkrieg in Frankreich. Adresse des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation, Marx Engels Werke Bd. 17, Berlin/DDR
Poulantzas, Nicos, [1968] 1980: Politische Macht und gesellschaftliche Klassen, Frankfurt/M
Wainwright, Hilary, 1994: Arguments for a New Left, Oxford

Anmerkungen

1 Dies schließt die aktive Rolle des Staats in der politischen Desorganisation von Arbeitern ein – also den von Nicos Poulantzas beschriebenen »Vereinzelungseffekt« (1968, 128) – sowie die »Akkumulation durch Aneignung«, die David Harvey (2003) beschreibt.