| "Gewerkschaft: außer Konkurrenz" – Editorial 1/2013

April 2013  Druckansicht

Gewerkschaften suchen Auswege aus der Globalisierungsfalle, aus internationaler Konkurrenz und Lohndumping. Was getan werden müsste, ist schnell umrissen: effektive internationale Strategien entwickeln, sich aus den Beschränkungen der Tarifkämpfe lösen und Gegenmacht entwickeln auf den zentralen Feldern neoliberaler Angriffe: Privatisierung, Kürzungspolitik und Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen. Politische Bündnisse müssten geschmiedet werden, die über den betrieblichen Rahmen hinausweisen und gewerkschaftliche Kämpfe nicht auf Erwerbsarbeit beschränken: Arbeitsverdichtung, Zeitstress, Rente, Gesundheit – hier gilt es, die Macht zur Regulierung zurückzugewinnen. Doch das politische Alltagsgeschäft ist kompliziert, die Bedingungen sehr unterschiedlich, ungleich eingebunden im Krisenkorporatismus driften die Interessen auseinander – zwischen Exportindustrien und sozialen Dienstleistungsbereichen, Kernbelegschaften und Prekären. Insbesondere die Gewerkschaften in den Exportindustrien sind zerrissen zwischen ihrer Kritik an neoliberaler Kürzungspolitik und den Vorteilen, die die Einbindung in deutsches Krisenmanagement auf Kosten anderer schafft.

Im November 2012 hatte der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) zu europaweiten Aktionstagen aufgerufen. Die Beteiligung in Deutschland blieb spärlich – eher ein »ohrenbetäubendes Schweigen« (WOZ, 13.12.2012). Ernstgemeinte Anstrengungen, die brutale Kürzungspolitik zu blockieren, gab es kaum. Doch wundert das? Die Versuche, europäische Sozialstandards durchzusetzen, sind gescheitert, und der Kampf gegen eine zunehmend neoliberal verfasste EU wurde ein ums andere Mal verloren. Eine unabhängige, mobilisierungsfähige europaweite Struktur gibt es nicht. In der Krise lässt sich gegen nationale Standortlogik noch schwerer andenken als sonst. In den südeuropäischen Ländern ist sie für die Gewerkschaften zur Existenzfrage geworden. »Schuldenbewältigung« und der Druck sozialer Bewegungen wie der »Empörten« zwangen die Gewerkschaften, neue Formen der Gegenwehr zu entwickeln. Dass jetzt über Grenzen hinweg gemeinsame Kritik und Aktionen entstehen, lässt hoffen: auf einen neuen Aufbruch und neuen Widerstand.

Wie könnten zeitgemäße politische Strategien der Gewerkschaften aussehen? Welche Alternativen zum neoliberalen Europa können sie anbieten? Hans-Jürgen Urban fordert, die Gewerkschaften sollen sich auf eine europäische Mosaik-Linke orientieren. Eine Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen kann politische Durchsetzungskraft erzeugen und die Gewerkschaften erneuern. Doch vieles bleibt dabei unklar: Wo sind die europäischen sozialen Bewegungen? Wer bringt die Forderungen von Bewegungen und Gewerkschaften in die Parlamente? Die organisierte Linke in Italien ist geschwächt aus den Wahlen gekommen, in Spanien findet sie eine neue Stärke. Das Feld ist uneben, der Boden schwankt, es müssen Formen der Kommunikation erst entwickelt werden. Und: Wer in Gewerkschaften öffnet die Ohren für diesen Ruf, sich aufs europäische Mosaik zu beziehen?

Aber es entsteht auch neues: In vielen Bereichen werden Beschäftigte aktiv, mit denen niemand gerechnet hatte: Frauen im Einzelhandel, Erzieherinnen, Pfleger und Krankenschwestern. Neue Kampfformen, neue Streikkultur, neue Erfahrungen von Demokratie im Streik. Wichtige Auseinandersetzungen finden in den letzten Jahren im Bereich sozialer Dienstleistungen statt, unverbunden noch, aber teils in originellen Bündnissen zwischen Beschäftigten und den von ihrer Arbeit Abhängigen. Diese Kämpfe können leicht verallgemeinert werden, weil sie Allgemeines thematisieren: den Anspruch auf ein gutes Leben. Sie zeigen, was es uns kostet, wenn wir das Öffentliche aushöhlen, statt es zum alltäglichen Erleben von Demokratie zu machen, sind Vorbild, weil dort der Reichtum allen zu gute kommt. Hier liegen Ansätze einer (Re-)Organisierung, die Kämpfe um Arbeitsverhältnisse mit solchen um ein gutes Leben verknüpfen, Ansprüche an gute Arbeit mit einem Umbau von Zeitregimen, Geschlechterverhältnissen und einer sozial-ökologischen Transformation. Für die Gewerkschaften kann im Bezug auf das Allgemeine, auf das politische Mandat eine Stärke liegen. Gestaltungsmacht wird zurückgefordert und erobert. Wie das gehen kann, wollen wir diskutieren.