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Gegen-Hegemonie statt Kloster

Von Ulrich Brand

In der aktuellen Krise ist eine plausible und praktisch auszuprobierende Wachstumskritik ein Feld, auf dem eine emanzipatorische, sozial-ökologische Fragen ernst nehmende Linke etwas bewegen kann. Ich teile Bifo Berardis Annahme, dass wir einen globalen Kriegszustand haben und die emanzipatorischen globalen sozialen Bewegungen – den weltweiten Anti-Kriegsdemonstrationen am 15. Februar 2003 zum Trotz – wenig ausrichten können. Ich teile auch die Diagnose, dass die Bewegungen in Westeuropa hinsichtlich alternativer Formen der Vergesellschaftung wenig erreicht haben und, das zeigen die aktuellen Krisenpolitiken, ihnen kaum ein Eingriff in die neoliberalen Kräfteverhältnisse gelingt. Sehen wir uns allerdings die Entwicklungen in Lateinamerika an, trifft dies nicht zu. Anders als Berardi halte ich den Kriegszustand nicht in allen Gesellschaften für dominant. Emanzipatorische Politik in Bagdad, La Paz oder Wien vorantreiben zu wollen, unterliegt unterschiedlichen Bedingungen.

Zeitgenössische Herrschaft und ihre Brutalisierung sind vielfältig und deswegen schwer angreifbar: Sie reicht von Subjektivierung und damit einhergehenden anti-emanzipatorischen Bedürfnissen, über katastrophische Krisendiskurse (etwa in der Klimapolitik) und sich damit vermeintlich aufdrängende autoritäre „Sicherheits“ -Politiken. Sie reicht vom stummen Zwang flexibilisierter Lohnarbeit, hin zum offenen Zwang von Hartz IV; von Politiken in der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, die Interessen der Eliten sichern über die krisenbedingte Infragestellung hegemonialer Geschlechterverhältnisse, die viele „Nicht-Mehr-Ernährer“ aggressiv macht, bis hin zu offenen Kriegen und die Verrohung der Gesellschaften – frustrierend zu erleben etwa in Mexico.
Das haben, trotz und wegen der sehr unterschiedlichen Erfahrungskontexte und politischen Herangehensweisen, die globalen sozialen Bewegungen erkannt – Bifo Berardi nicht. Analysen, die unter Bewegungen lediglich die sichtbaren Proteste als Ausdruck gesellschaftlicher Selbstorganisation verstehen, greifen zu kurz. (Bei Berardi gar reduziert auf die „Selbstorganisation technisch-wissenschaftlicher Arbeit“ , womit dann die Kämpfe chinesischer WanderarbeiterInnen, lateinamerikanischer Indigener oder europäischer SozialhilfeempfängerInnen als nicht auf der Höhe der Weltgesellschaft abgewertet werden. Hardt und Negri haben dafür in „Empire“ die Vorlage geliefert.

Demgegenüber haben die globalen sozialen Bewegungen wichtiges gelernt: Nicht nur transnationale Aktionen wie in Seattle, Genua, Heiligendamm oder das Europäische und Weltsozialforum machen die Dynamik von Bewegung aus. Sie sind vielmehr Ausdruck von Gärungsprozessen und innenpolitischen Dynamiken. Seattle war ein Fixpunkt der nordamerikanischen Gewerkschaften gegen 20 Jahre neoliberale Politik, Genua ein massiver Protest gegen Berlusconi, Heiligendamm ein Ausdruck davon, dass sich in Deutschland mit Ausnahme der Linkspartei das politisch-institutionelle System abgeschottet hat. Wichtiger aber ist, dass Gesellschaften in vielen Bereichen und entlang diverser Konfliktlinien emanzipatorisch verändert werden.

Die Metapher vom Rückzug in Klöster – als befreite und vor der Brutalität der Welt geschützte Räume – ist irreführend, weil Zerstörung und die gewaltförmige Veränderung von Herrschaft im Gegensatz zum Mittelalter eben nicht nur territorial stattfindet. Die Verfügung über Territorien war im Mittelalter und der beginnenden Neuzeit die zentrale Quelle von Herrschaft. Im imperialen Kapitalismus ist sie nur eine Quelle neben anderen, um Hegemonie zu sichern. Sicher liegt im Irakkrieg auch das Interesse, strategische Räume der globalen Ölversorgung zu kontrollieren. Aber geopolitische Akkumulation ersetzt nicht die Dynamik der erweiterten Reproduktion des Kapitals, die vielfältigen Formen ursprünglicher Akkumulation und viele andere Herrschaftsverhältnisse.

Dies betrifft auch die Frage gegenhegemonialer Praxen. Es ist etwas dran an der Kloster-Metapher: Rebellische Subjektivität entsteht teilweise außerhalb von Institutionen, aber nicht nur. Wesentlich entsteht sie in Kämpfen, aus Erfahrungen und auch in und durch Erfolge. An Erfahrungen mangelt es in den letzten Jahren nicht, in Westeuropa wohl aber an Erfolgen, an relevanten Eingriffen in die Zumutungen der politisch-institutionellen, sozio-ökonomischen wie kulturellen Strukturen und Prozesse.

Wenn sich Herrschaft in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts renoviert hat, dann in den nordwestlichen Gesellschaften weniger weil sie aufgrund von Kämpfen in Frage gestellt wurde, sondern da der neoliberal-imperiale Kapitalismus die damit verbundenen Widersprüche nicht bearbeiten kann. Das haben die Berater von Bush und anderen Eliten um 2001 geahnt (Stichwort: Enron-Krise) und 9/11 war ein Möglichkeitsfenster der konservativen Kräfte, unter Bedrohungsszenarien die gesellschaftlichen Verhältnisse versicherheitlichen zu wollen – mit offenen oder subtilen Formen der Gewalt. Das findet – und das ist eines unserer politischen Hauptprobleme – in den nordwestlichen Gesellschaften breite Zustimmung.

Berardi artikuliert hier zudem einen patriarchalen Typus von Politik, der für viele eher abschreckend wirkt. Zentral gesetzt ist eine bestimmte Form der Militanz, die andere emanzipatorische oder sich im Prozess als solche herausbildende Praxen abwertet. Jene kleinteiligen Verschiebungen in Alltagsverhältnissen; jene auf Veränderung institutioneller Praxen abzielende Politiken in Betrieben, Schulen, Hochschulen, Gewerkschaften, staatlichen Einrichtungen, Medien (die oft genug defensiv sind, um Verschlechterungen abzuwehren).

Ich schreibe diesen Text in Tagen, in denen Studierende in Österreich eine Bewegung initiiert haben, mit der gegen neoliberale Hochschulpolitik und ihren Implikationen von Sparhaushalten und permanenter Konkurrenz, aber auch für andere Bildungsinhalte und eine Demokratisierung der Hochschulen protestiert wird. „Brrrr“, würde Bifo Berardi schaudernd vor solch fürchterlichem Reformismus zurückweichen. Es wäre zu prüfen, ob diese Position auch zur dramatischen Schwächung der Linken in Italien beigetragen hat. So bleibt er einer Haltung verfangen, die Foucault als revolutionäre Eschatologie bezeichnete und die mit einer aus Frustration geborenen Note versehen wird. Der Militante empfiehlt das Wohlsein und Experimentieren im Kloster. Er darf an den sicheren Platz.

Mit der Bezugnahme auf den globalen Krieg weicht er zudem der Frage aus, wie sich denn in der Krise der neoliberal-imperialen Globalisierung die Kräftekonstellationen und dominanten Orientierungen verändern. Die Kritik an der Naturalisierung des Wachstumsparadigmas, praktische Solidarität und die Zurückweisung von Konkurrenz – um Punkte von Berardi aufzugreifen – entstehen gerade nicht in Abgeschiedenheit. In der aktuellen Krise aber ist eine plausible und praktisch auszuprobierende Wachstumskritik ein Feld, auf dem eine emanzipatorische, sozial-ökologische Fragen ernst nehmende Linke etwas bewegen kann. Viele Menschen sind angewidert vom Konkurrenzimperativ, ohne dass sie dem voluntaristisch entkommen können – aber über Auseinandersetzungen, Lernprozesse und praktische Alternativen vielleicht doch. Das ist jedoch eine Frage von Praxis und Reflexion in den Niederungen gesellschaftlicher Realität.

Ulrich Brand

Gegen-Hegemonie statt Kloster

Ich teile Bifo Berardis Annahme, dass wir einen globalen Kriegszustand haben und die emanzipatorischen globalen sozialen Bewegungen – den weltweiten Anti-Kriegsdemonstrationen am 15. Februar 2003 zum Trotz – wenig ausrichten können. Ich teile auch die Diagnose, dass die Bewegungen in Westeuropa hinsichtlich alternativer Formen der Vergesellschaftung wenig erreicht haben und, das zeigen die aktuellen Krisenpolitiken, ihnen kaum ein Eingriff in die neoliberalen Kräfteverhältnisse gelingt. Sehen wir uns allerdings die Entwicklungen in Lateinamerika an, trifft dies nicht zu. Anders als Berardi halte ich den Kriegszustand nicht in allen Gesellschaften für dominant. Emanzipatorische Politik in Bagdad, La Paz oder Wien vorantreiben zu wollen, unterliegt unterschiedlichen Bedingungen.

Zeitgenössische Herrschaft und ihre Brutalisierung sind vielfältig und deswegen schwer angreifbar: Sie reicht von Subjektivierung und damit einhergehenden anti-emanzipatorischen Bedürfnissen, über katastrophische Krisendiskurse (etwa in der Klimapolitik) und sich damit vermeintlich aufdrängende autoritäre „Sicherheits“ -Politiken. Sie reicht vom stummen Zwang flexibilisierter Lohnarbeit, hin zum offenen Zwang von Hartz IV; von Politiken in der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, die Interessen der Eliten sichern über die krisenbedingte Infragestellung hegemonialer Geschlechterverhältnisse, die viele „Nicht-Mehr-Ernährer“ aggressiv macht, bis hin zu offenen Kriegen und die Verrohung der Gesellschaften – frustrierend zu erleben etwa in Mexico.
Das haben, trotz und wegen der sehr unterschiedlichen Erfahrungskontexte und politischen Herangehensweisen, die globalen sozialen Bewegungen erkannt – Bifo Berardi nicht. Analysen, die unter Bewegungen lediglich die sichtbaren Proteste als Ausdruck gesellschaftlicher Selbstorganisation verstehen, greifen zu kurz. (Bei Berardi gar reduziert auf die „Selbstorganisation technisch-wissenschaftlicher Arbeit“ , womit dann die Kämpfe chinesischer WanderarbeiterInnen, lateinamerikanischer Indigener oder europäischer SozialhilfeempfängerInnen als nicht auf der Höhe der Weltgesellschaft abgewertet werden. Hardt und Negri haben dafür in „Empire“ die Vorlage geliefert.

Demgegenüber haben die globalen sozialen Bewegungen wichtiges gelernt: Nicht nur transnationale Aktionen wie in Seattle, Genua, Heiligendamm oder das Europäische und Weltsozialforum machen die Dynamik von Bewegung aus. Sie sind vielmehr Ausdruck von Gärungsprozessen und innenpolitischen Dynamiken. Seattle war ein Fixpunkt der nordamerikanischen Gewerkschaften gegen 20 Jahre neoliberale Politik, Genua ein massiver Protest gegen Berlusconi, Heiligendamm ein Ausdruck davon, dass sich in Deutschland mit Ausnahme der Linkspartei das politisch-institutionelle System abgeschottet hat. Wichtiger aber ist, dass Gesellschaften in vielen Bereichen und entlang diverser Konfliktlinien emanzipatorisch verändert werden.

Die Metapher vom Rückzug in Klöster – als befreite und vor der Brutalität der Welt geschützte Räume – ist irreführend, weil Zerstörung und die gewaltförmige Veränderung von Herrschaft im Gegensatz zum Mittelalter eben nicht nur territorial stattfindet. Die Verfügung über Territorien war im Mittelalter und der beginnenden Neuzeit die zentrale Quelle von Herrschaft. Im imperialen Kapitalismus ist sie nur eine Quelle neben anderen, um Hegemonie zu sichern. Sicher liegt im Irakkrieg auch das Interesse, strategische Räume der globalen Ölversorgung zu kontrollieren. Aber geopolitische Akkumulation ersetzt nicht die Dynamik der erweiterten Reproduktion des Kapitals, die vielfältigen Formen ursprünglicher Akkumulation und viele andere Herrschaftsverhältnisse.

Dies betrifft auch die Frage gegenhegemonialer Praxen. Es ist etwas dran an der Kloster-Metapher: Rebellische Subjektivität entsteht teilweise außerhalb von Institutionen, aber nicht nur. Wesentlich entsteht sie in Kämpfen, aus Erfahrungen und auch in und durch Erfolge. An Erfahrungen mangelt es in den letzten Jahren nicht, in Westeuropa wohl aber an Erfolgen, an relevanten Eingriffen in die Zumutungen der politisch-institutionellen, sozio-ökonomischen wie kulturellen Strukturen und Prozesse.

Wenn sich Herrschaft in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts renoviert hat, dann in den nordwestlichen Gesellschaften weniger weil sie aufgrund von Kämpfen in Frage gestellt wurde, sondern da der neoliberal-imperiale Kapitalismus die damit verbundenen Widersprüche nicht bearbeiten kann. Das haben die Berater von Bush und anderen Eliten um 2001 geahnt (Stichwort: Enron-Krise) und 9/11 war ein Möglichkeitsfenster der konservativen Kräfte, unter Bedrohungsszenarien die gesellschaftlichen Verhältnisse versicherheitlichen zu wollen – mit offenen oder subtilen Formen der Gewalt. Das findet – und das ist eines unserer politischen Hauptprobleme – in den nordwestlichen Gesellschaften breite Zustimmung.

Berardi artikuliert hier zudem einen patriarchalen Typus von Politik, der für viele eher abschreckend wirkt. Zentral gesetzt ist eine bestimmte Form der Militanz, die andere emanzipatorische oder sich im Prozess als solche herausbildende Praxen abwertet. Jene kleinteiligen Verschiebungen in Alltagsverhältnissen; jene auf Veränderung institutioneller Praxen abzielende Politiken in Betrieben, Schulen, Hochschulen, Gewerkschaften, staatlichen Einrichtungen, Medien (die oft genug defensiv sind, um Verschlechterungen abzuwehren).

Ich schreibe diesen Text in Tagen, in denen Studierende in Österreich eine Bewegung initiiert haben, mit der gegen neoliberale Hochschulpolitik und ihren Implikationen von Sparhaushalten und permanenter Konkurrenz, aber auch für andere Bildungsinhalte und eine Demokratisierung der Hochschulen protestiert wird. „Brrrr“, würde Bifo Berardi schaudernd vor solch fürchterlichem Reformismus zurückweichen. Es wäre zu prüfen, ob diese Position auch zur dramatischen Schwächung der Linken in Italien beigetragen hat. So bleibt er einer Haltung verfangen, die Foucault als revolutionäre Eschatologie bezeichnete und die mit einer aus Frustration geborenen Note versehen wird. Der Militante empfiehlt das Wohlsein und Experimentieren im Kloster. Er darf an den sicheren Platz.

Mit der Bezugnahme auf den globalen Krieg weicht er zudem der Frage aus, wie sich denn in der Krise der neoliberal-imperialen Globalisierung die Kräftekonstellationen und dominanten Orientierungen verändern. Die Kritik an der Naturalisierung des Wachstumsparadigmas, praktische Solidarität und die Zurückweisung von Konkurrenz – um Punkte von Berardi aufzugreifen – entstehen gerade nicht in Abgeschiedenheit. In der aktuellen Krise aber ist eine plausible und praktisch auszuprobierende Wachstumskritik ein Feld, auf dem eine emanzipatorische, sozial-ökologische Fragen ernst nehmende Linke etwas bewegen kann. Viele Menschen sind angewidert vom Konkurrenzimperativ, ohne dass sie dem voluntaristisch entkommen können – aber über Auseinandersetzungen, Lernprozesse und praktische Alternativen vielleicht doch. Das ist jedoch eine Frage von Praxis und Reflexion in den Niederungen gesellschaftlicher Realität.