| Fragen an ein kapitalismuskritisches feministisches Projekt

Juni 2011  Druckansicht
Von Irene Dölling

Unser Kopf ist rund,
damit das Denken die
Richtung ändern kann
Francis Picabia

Die kapitalistisch-bürgerlich-demokratische Gesellschaft befindet sich in einer Krise, die alle Teilsysteme erfasst, wenn auch ungleichzeitig. Krisen sind »historische Momente höchster Unsicherheit«, ihr Ausgang ist nicht vorhersehbar, auf sie kann »reaktionär, konservativ, progressiv oder transformatorisch reagiert werden« (IfG 2009, 9). Krisen sind also auch günstige Zeiten für kapitalismuskritische Gesellschaftsanalysen, die im Gegebenen, in den Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen der aktuellen Gesellschaft objektive Bedingungen und subjektive Potenziale für Transformationen auffinden, die über den Status quo hinausweisen. Die Suche nach einer alternativ-transformatorischen Antwort kann nur ein kollektiver Prozess vielfältiger Akteure sein, der nicht in einen Gesellschaftsentwurf mündet, sondern sich durch eine Vielzahl von pfadabhängigen, lokal und historisch gerahmten Varianten auszeichnet. Insofern geht es aus meiner Sicht auch nicht um das feministische alternative Gesellschaftskonzept oder das kapitalismuskritische feministische Projekt, das sich von anderen Konzepten abhebt und abgrenzt, nicht zuletzt dadurch, dass es primär Geschlechterverhältnisse – oder noch eingegrenzter: Frauen – ins Zentrum rückt. Vielmehr geht es darum, in die Debatten um eine alternativ-transformatorische Antwort spezifische Erkenntnisse bzw. Fragestellungen des Feminismus einzubringen, durch die die Konzepte einer anderen, gerechteren, solidarischen Gesellschaft bzw. eines guten, würdigen Lebens eine von der Geschichte und den Kämpfen des Feminismus beeinflusste Färbung erhalten. Diese Mitarbeit an alternativen Entwicklungspfaden schließt aus meiner Sicht auch die Festlegung auf ein vorab bestimmtes theoretisches Konzept zur Analyse von Geschlechterverhältnissen aus. Sie muss vielmehr vom state of the art der Frauen- und Geschlechterforschung ausgehen und möglichst offen sein für das, was sich real vollzieht, und komplexe Erkenntnismittel für die Konstruktion und Analyse ihrer Erkenntnisgegenstände einsetzen.

Seit Längerem ist eine »Landnahme« (auch) feministischer Ideen und Ziele in neoliberalen Gesellschaftsentwürfen und politischen Strategien zu beobachten (vgl. Fraser 2009). Diese Vereinnahmung und Uminterpretation in veränderten ökonomischen, politischen und kulturellen Kontexten dient »der Legitimation eines strukturellen Umbaus der kapitalistischen Gesellschaft, welcher feministischen Visionen einer gerechten Gesellschaft diametral zuwiderläuft« (44). Forderungen und Erkenntnisse der Neuen Frauenbewegung bzw. der Frauen- und Geschlechterforschung erweisen sich »als integraler Bestandteil einer anderen gesellschaftlichen Transformation […], welche die Feministinnen weder erstrebt noch vorhergesehen haben – einer Umgestaltung der gesellschaftlichen Organisation des Nachkriegskapitalismus« (ebd.). Um die Kritikfähigkeit und den emanzipatorischen Anspruch des Feminismus wieder zu erlangen, die in den letzten Jahrzehnten eine ziemliche Schwächung erfahren haben, ist es m.E. sinnvoll, sich an gesellschaftlichen Problemfeldern anzuschauen, wie diese »Landnahme« erfolgt ist, und Erkenntnisse und Ziele des Feminismus zu aktivieren und in veränderten Kontexten als Beitrag zu einer kapitalismuskritischen Gesellschaftsanalyse zu positionieren.

Seit geraumer Zeit lassen sich – vorangetrieben auch durch die EU-Politik – Verschiebungen in der institutionellen Trias von Arbeitsmarkt, Sozialstaat (auch seinem Rechtskomplex) und Familie beobachten. Diese Verschiebungen werden von den aktuell hegemonialen politischen Kräften mit rhetorischen Formeln und Klassifikationen benannt und gedeutet, die scheinbar den emanzipatorischen Ansprüchen und Zielen der Frauenbewegung der 1970er und 80er Jahre entsprechen. So wird die Erwerbstätigkeit von Frauen als Grundlage ihrer ökonomischen, politischen und konsumtiven Unabhängigkeit betont, es werden bessere Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gefordert und entsprechende politische Programme aufgelegt. Das Ernährermodell gerät sogar in CDU/CSU-Kreisen als unzeitgemäß in Verruf. In der Rechtssprechung schlägt sich dies als Forderung nach gesetzlich verankerter Frauen-Quote in Führungspositionen nieder. Was auf den ersten Blick wie die Realisierung der Forderungen der Frauenbewegung aussieht, erweist sich bei genauerem Hinsehen als »Landnahme« – all die gleichstellungspolitischen Maßnahmen von oben erweisen ihren Sinn im Kontext einer Neuordnung der kapitalistischen Moderne, in der sich bisherige Anrufungen der vergeschlechtlichten Subjekte (z.B. als Normalarbeiter und Ernährer der Familie bzw. als dazuverdienende Hausfrau), bisherige Formen geschlechtlicher Arbeitsteilungen und praktizierter Geschlechterarrangements als zunehmend »veraltet« und dysfunktional erweisen. Einbeziehung möglichst aller Frauen in Erwerbstätigkeit meint hier nicht in erster Linie die ökonomische Unabhängigkeit von einem Ernährer, sondern zielt auf die effektive wirtschaftliche Nutzung des (mehr oder weniger qualifizierten) Humankapitals und die Entlastung des Sozialstaats von bestimmten Leistungen. Die rechtlichen Änderungen sollen vor allem die Verantwortung jedes und jeder Einzelnen für die individuelle Existenzsicherung als individuelle Norm der Lebensführung stimulieren bzw. erzwingen. Bei der Frauenquote geht es in erster Linie darum, die mittlerweile hohen Qualifikationen bestimmter Gruppen von Frauen nicht ökonomisch-ineffizient brach liegen zu lassen. Allerdings zeitigt das angestrebte adult-workermodel durchaus ambivalente Wirkungen und stellt deshalb eine Herausforderung an den politischen wie wissenschaftlichen Feminismus dar. Wie können die emanzipatorischen Potenziale, die die Frauenbewegung in einer gesellschaftlichen Umbewertung und Anerkennung von Für- und Vorsorgetätigkeiten gesehen hat, erneut und in neuen Formaten in die Debatte gebracht werden? Das kann meinesErachtens nicht gelingen, wenn sich die konzeptionellen Anstrengungen auf einen erweiterten Arbeitsbegriff reduzieren, der neben der Erwerbs- auch die so genannte Care-Arbeit einbezieht und anerkennt. Notwendig ist vielmehr ein Paradigmenwechsel, der die gedankliche Überschreitung und die praktische Überwindung der normativen und institutionellen Regulierungen der Arbeitsgesellschaft ermöglicht. Es geht nicht allein darum, den Androzentrismus in den bisher gängigen Vorstellungen von (Erwerbs-)Arbeit zu kritisieren und zu betonen, dass die so genannte reproduktive Arbeit gesellschaftlich wie individuell genauso wichtig und unverzichtbar ist und deshalb in einer Care- Ökonomie Anerkennung finden muss. Es geht darum, die Arbeitsgesellschaft mit ihrer Dominanz von Erwerbsarbeit als einen grundlegenden, umfassenden Integrations- und Vergesellschaftungsmodus zu begreifen und ernst zu nehmen, dass er die Menschen nicht nur als Arbeitskraft betrifft, sondern ihren Status bestimmt und bis in ihre alltäglichen Lebensformen mit ihren vergeschlechtlichten Arbeitsteilungen sowie in ihre (Geschlechts-) Identitäten hinein konstituierend wirkt. Es ist das historische Verdienst des Feminismus, auf die strukturelle Trennung und Hierarchisierung von so genannten produktiven und reproduktiven Tätigkeiten, von (bezahlter und gesellschaftlich anerkannter) Erwerbsarbeit und »privat«, vor allem in der Familie geleisteten, minder bewerteten und anerkannten Tätigkeiten der Fürsorge, der individuellen und generativen Reproduktion aufmerksam zu machen und die Ursachen dafür in Strukturen kapitalistischer Vergesellschaftung zu sehen. Feministische Kritik richtete sich ja nicht allein auf Geschlechterungleichheiten des Status quo, die abzubauen wären. Sie richtete sich auch und keineswegs nachrangig auf die Ursachen für eine solche Trennung und Vergeschlechtlichung, die ganz entscheidend in der Dominanz kapitalistischen Wirtschaftens und seiner spezifischen Logik von Wachstum, Rationalität, Effektivität liegen. Die Einbeziehung von Frauen in die Erwerbsarbeit, das Erlangen von sozialer Anerkennung in kooperativen Beziehungen und durch Lohn war zwar für den Feminismus ein Schritt vorwärts in der Emanzipation, aber nicht die Lösung des Geschlechterproblems. Dieses wurde letztlich in der Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse, insbesondere der kapitalistisch-ökonomischen, gesehen. Diese gesellschaftskritische Dimension des Feminismus gilt es m.E. zu beleben und in die Debatten um linke Gesellschaftsentwürfe einzubringen – und zwar in einem Ansatz jenseits »der Hegemonie der Erwerbsarbeit« (Hirsch 2010, 72). Der Feminismus hat – bei aller Zustimmung, dass kapitalistische Lohnarbeit nicht nur Entfremdung und Ausbeutung ist, sondern auch, wenn auch in verzerrter Form, soziale Anerkennung – darauf hingewiesen, dass die in der »Privatform« geleisteten Tätigkeiten und die Zeitstrukturen der individuellen Für- und Selbstsorge Potenziale enthalten, die auf ein freundliches, ökologisch sensibles und solidarisches Miteinander und auf gute Bedingungen für ein würdevolles Leben aller zielen. Er hat das Argument stark gemacht, dass diese Tätigkeiten daher nicht der Logik kapitalistischen, also profitorientierten Wirtschaftens unterworfen werden sollten. Und genau dies müsste m.E. im Zentrum eines alternativ-transformatorischen Gesellschaftsentwurfs stehen: den Fokus auf Tätigkeiten und Zeitstrukturen zu richten, die den Menschen Souveränität über ihre Zeit und Entscheidungsraum über die Bedingungen und Formen ihrer Lebensführung ermöglichen, auf Aktivitäten, die dem Miteinander, der Sorge um sich und um andere Priorität einräumen, und diese als allgemeine und allen zugängliche sinnvolle soziale Praxis anzuerkennen. Es geht dabei, wie Hardt und Negri formulieren, um die »Abschaffung ›des Arbeiters‹« (2010, 340), d.h. der Arbeiter-Identität. Denn diese zeichnet sich – als Resultat der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft und unbeschadet sozialer Reformen – dadurch aus, dass die Subjektivität der Menschen den Reproduktionszwängen der Arbeitskraft unterworfen und individuelle sowie familiäre Zeit Unternehmensinteressen untergeordnet bleiben. Der symbolische und praktisch-politische Kampf um Tätigkeiten und Zeitvolumen, die dem Diktat ökonomischer Effizienz und kapitalistischer Wirtschaftslogik entzogen werden, und das Aufbrechen der bis in die (vergeschlechtlichte) Arbeiter-Identität verfestigten »Überbewertung der Lohnarbeit« (Fraser 2009, 52) sind zwei Seiten einer Medaille. Die alte feministische Forderung nach gesellschaftlicher Anerkennung der bis dahin mehrheitlich von Frauen geleisteten Für- und Versorgetätigkeiten wäre sowohl zu aktivieren als auch über eine Umverteilung von verschiedenen Formen von Arbeit zwischen den Geschlechtern hinaus zu verallgemeinern: im Sinne einer Neubewertung von Tätigkeiten, die für die gesellschaftliche wie individuelle bzw. generative Reproduktion notwendig sind.

Eine Auseinandersetzung mit dem Arbeitsbegriff bzw. dem Erwerbsarbeitsparadigma wäre aber auch notwendig, um die kapitalismuskritische Perspektive des Feminismus selbst (wieder) zu stärken. Bisher dominiert die Tendenz, den Arbeitsbegriff über Erwerbsarbeit hinaus zu erweitern, also tendenziell alle menschlichen Tätigkeiten als eine Form von Arbeit zu fassen. Dabei steht Care Arbeit bzw. Care Ökonomie im Vordergrund. Ausgehend von der Prognose, dass (personenbezogene) Dienstleistungen wirtschaftlich an Bedeutung gewinnen bzw. die Industrieproduktion vom ersten Platz verdrängen, wird Care Arbeit, zu der individuell geleistete Fürsorgetätigkeiten (im Haushalt) und professionalisierte Fürsorgearbeit im Dienstleistungsbereich gleichermaßen gezählt werden (vgl. Madörin 2006; 2007; Haidinger 2008), als Arbeit der Zukunft, als Grundlage einer »Wohlfahrtsökonomie« (Madörin) konzipiert. In diesen Vorschlägen bleibt undiskutiert, wo es unter den gegebenen ökonomischen Machtverhältnissen Ansätze gibt, die Logik kapitalistischer Profitorientierung durch eine Wohlfahrtslogik abzulösen – und offen bleibt, wie mit diesen Vorstellungen konzeptionell und praktisch-politisch der aktuell starken Tendenz einer Ökonomisierung des Sozialen entgegengewirkt werden kann. Ich sehe die Gefahr, dass die nicht-ökonomische Logik dieser Tätigkeiten, die es politisch auf die Agenda zu setzen und praktisch in den individuellen Habitus zu verankern gilt, verfehlt wird und damit das alternativtransformatorische Potenzial verschenkt wird, das in der Fokussierung auf die Begrenzung und Einschränkung der ökonomischen Logik steckt. Wenn der Feminismus sich darauf besinnt, dass die sozialen Bereiche, die nicht der Logik kapitalistischen Wirtschaftens und Effizienzdenkens unterliegen, ausgeweitet werden müssen, kann er die Suche nach alternativen Gesellschaftsentwürfen bereichern.

Die Verabschiedung des Erwerbsarbeitsparadigmas kann in einem alternativtransformatorischen Gesellschaftsentwurf konzipiert werden – das Aufbrechen der »Arbeiter-Identität«, die Ausbildung einer ver- änderten Sicht auf die Welt, ist nur möglich in einem Prozess des praktischen ErfahrungenMachens und habituellen »Trainings«. Arbeitszeitverkürzungen, ein (bedingungsloses) Grundeinkommen, allgemein zugängliche Bildungsangebote usw. sind notwendige Bedingungen dafür, dass Menschen es für sich als sinnvoll ansehen, sich von den Wirkungen des Erwerbsarbeitspradigmas praktisch zu lö- sen. Dabei spielen Tätigkeitsbereiche, die bisher nicht oder weniger stark als die Erwerbssphäre der ökonomischen Logik unterworfen sind, eine zentrale Rolle. Das Erproben neuer Formen der Lebensführung, die weniger oder gar nicht mehr von den Zwängen kapitalistischer Lohnarbeit bestimmt sind, ist deshalb untrennbar mit Formen direkter Demokratie, mit Engagement in lokalen Projekten, mit der Einflussnahme auf die unmittelbaren Lebensbedingungen verbunden. Nicht nur zeigen z.B. Internetplattformen, Wikipedia oder Stuttgart 21, dass es ein großes Interesse gibt an demokratischen Formen der Vernetzung, des Zugangs zu Wissen und der Einflussnahme auf Entscheidungen, die das Leben aller betreffen. Aus der Perspektive einer gesellschaftlichen Transformation sind es auch solche Aktivitäten, Projekte und Bereiche, in denen die Menschen wieder ein größeres Stück an Souveränität über das eigene Leben und die Fähigkeit zur Wahrnehmung ihrer Rechte als BürgerInnen entwickeln können. Auch hier muss der Feminismus sich auf die Erfahrungen des consciousness-raising und selbstorganisierter Projekte besinnen, die auf die Erweiterung des Wissens in unmittelbarpraktischen Bezügen und auf die Eigenverantwortung in konkreten Projekten zielen – und so dazu beitragen, diese in einen größeren Kontext einzubinden und zu neuen Organisationsformen führen, die auf die Stärkung der Zivilgesellschaft gegenüber staatlichen Institutionen gerichtet sind. Das erfordert auch ein Neudenken, was unter »Öffentlichkeit« zu verstehen bzw. politisch durchzusetzen ist. Feminismus sollte sich also theoretisch und politisch daran beteiligen, Formen direkter Demokratie gegenüber einer »von oben« gelenkten Gleichstellungspolitik zu stärken, allerdings ohne daraus – wie es in den Anfängen der Frauenbewegung ja durchaus der Fall war – abstrakte Gegenüberstellungen zu machen bzw. den Staat als Institution generell abzulehnen. Vielmehr ginge es darum, mittels Formen direkter Demokratie Druck zu erzeugen, um die Logik staatlichen Handelns den Interessen der BürgerInnen zu unterwerfen, also auch bisherige Formen von Herrschaft, die immer auch eine Geschlechterdimension haben, zu unterminieren.

Alternative Gesellschaftsentwürfe haben nur dann eine Chance auf Resonanz, wenn sie an widersprüchliche Erfahrungen und Bedürfnisse von Menschen anknüpfen, aus denen Interessen für praktische Veränderungen resultieren (können). Eine symbolische Revolution in den Köpfen – also ein Aufbrechen der »Arbeiter-Identität« – setzt voraus, dass Verhältnisse und Lebensbedingungen »selbst schon in einen Zustand der Fragwürdigkeit und der Krisenhaftigkeit übergegangen sind« (Bourdieu 2001, 304). Aktuell besteht die paradoxe Situation, dass Erwerbsarbeit nach wie vor – sogar verstärkt – über Existenzsicherung und soziale Position entscheidet und gleichzeitig prekär wird, also genau diese Funktionen und die an sie geknüpften Erwartungen für immer weniger Menschen erfüllt. Erwerbsarbeit wird verallgemeinert und verspricht in Gestalt der »neuen Arbeitskraft« eine größere Anerkennung von Kreativität und sozialen Kompetenzen im Arbeitsprozess, gleichzeitig werden mit den Übergriffen auf die individuelle freie bzw. familiär verfügbare Zeit Ansprüche auf Selbstverwirklichung und ein selbstbestimmtes Leben eher eingeschränkt. Dies sind Konflikte, die einen Nährboden für eine symbolische Revolution bilden (können). Eine stärkere Wahrnehmung dieser Konfliktpotenziale aus der Perspektive des skizzierten Paradigmenwechsels hätte unmittelbare Folgen für linke bzw. feministische Positionen in aktuellen Diskursen. Dies würde zum einen die Gefahr mindern, sich an der Reproduktion von Herrschaftszusammenhängen mit den Mitteln »rationaler Kommunikation« (Bourdieu 2001, 106f) (ungewollt) zu beteiligen. Etwa, indem Ansätze von Lebensformen jenseits des Paradigmas der Erwerbsarbeit gar nicht als für ein emanzipatorisches Projekt wichtig wahrgenommen werden (können) und diejenigen, die längerfristig oder endgültig aus dem Erwerbsystem herausfallen, als bloße Opfer eines grausamen Systems gesehen werden, denen die Potenzialität abgesprochen wird, etwas Neues in die Welt bringen zu können. Oder indem mit einem erweiterten Arbeitsbegriff bzw. einer Fokussierung auf Care Ökonomie die ansonsten kritisierte Ökonomisierung des Sozialen unter der Hand reproduziert oder mit der Forderung nach einer work-life-balance der Rahmen des Status quo nicht überschritten wird. Das würde zum anderen – positiv, über die bloße Kritik hinausgehend – befördern, dass in den Diskussionen um eine alternative Gesellschaft diese Konflikte so wahrgenommen und begrifflich reflektiert werden, dass deutlich wird, wie attraktiv ihr Potenzial für eine Transformation der Arbeitsgesellschaft für verschiedene Akteursgruppen ist.

 

Literatur

Bourdieu, Pierre, 2001: Meditationen. Zur Kritik der scholastischen Vernunft. Frankfurt/M
Fraser, Nancy, 2009: Feminismus, Kapitalismus und die List der Geschichte, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, H. 8/2009, 43–57
Haidinger, Bettina, 2008: Prekarität mit Geschichte. Die Care-Ökonomie der Privathaushalte, in: Kurswechsel, H. 1, 34–45
Hardt, Michael, und Antonio Negri, 2010: Common Wealth. Das Ende des Eigentums. Frankfurt, New York
Hirsch, Michael, 2010: Die Restauration der Arbeitsgesellschaft. Hartz IV und die Hegemonie der Erwerbsarbeit, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, H. 11/2010, 67–74
Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-LuxemburgStiftung, 2009: Die Krise des Finanzmarkt-Kapitalismus – Herausforderung für die Linke. Kontrovers. Beiträge zur politischen Bildung 01/2009; zit: IfG
Madörin, Mascha, 2006: Plädoyer für eine eigenständige Theorie der Care-Ökonomie. In: Torsten Niechoj und Marco Tullney (Hg.), Geschlechterverhältnisse in der Ökonomie. Marburg, 277–97
Dies., 2007: Neoliberalismus und die Reorganisation der Care- Ökonomie. Eine Forschungsskizze. In: Denknetz. Jahrbuch, 141–62