| “Es reicht” – Strategien zur Umverteilung

Dezember 2013  Druckansicht
Ueli Mäder, Bernd Riexinger und Mechthild Schrooten im Gespräch

Die gesellschaftliche Ungleichheit wächst, Reichtum und Armut sind extrem ungleich verteilt, die Schere zwischen hohen und niedrigen Einkommen ist immer weiter aufgegangen. Was lässt sich dagegen tun? Woher kommen die Ungleichheiten? Welche Erwartungen haben Menschen an eine gerechte Gesellschaft?

In der Schweiz befassten sich in den vergangenen Monaten gleich drei Volksinitiativen mit solchen Fragen: eine (inzwischen angenommene) „Initiative gegen Abzockerei“, die sich für die Beschränkung von Boni- und Managergehälter einsetzt,  die “Eins zu Zwölf”-Initiative, die von den Jusos getragen wird und die die Einkommensspanne innerhalb einzelner Betrieben auf ein Verhältnis von eins zu zwölf begrenzen will [1] und schließlich eine Volksinitiative für einen Mindestlohn von 4 000 Franken im Monat. In Deutschland ist die Ungleichheit in den letzten Jahren schneller und massiver gestiegen als in anderen europäischen Staaten. Welche Gegenstrategien sind hier in der Diskussion, wo sind die politischen Eingriffspunkte?

Über diese Fragen diskutierten Mechthild Schrooten, Ueli Mäder und Bernd Riexinger am 23. Juni 2013 in der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Wir dokumentieren Auszüge aus dem Gespräch, das Christina Kaindl moderiert hat.

 

Mechthild Schrooten: Tatsächlich ist es das erste Mal seit ganz langer Zeit, dass das Thema Umverteilen größere Bevölkerungskreise erfasst. Es gibt das breit aufgestellte Bündnis UmFAIRteilen, das Zulauf hat. Aber medial wird das Ganze weitgehend verschwiegen und das funktioniert auch: Bei vielen meiner Vorträge habe ich den Eindruck, Umverteilen ist ein ganz wichtiges Thema, aber bitte schön, es möge an meinem Vorgarten enden. Möglichst soll es nur die ganz, ganz Reichen betreffen und zu denen gehört ja bekanntlich niemand in Deutschland. Wenn man im Publikum bei einer großen Veranstaltung fragt: „Wer ist denn eigentlich hier reich?“ ist die Antwort: niemand, keiner, alle sind arm. Reichtum und Vermögen verschweigt man.

Immerhin gab es einen Diskussionsanstoß durch die Finanzkrise, als hohe Gehälter und Boni für Bankmanager gezahlt wurden, obwohl sie eigentlich einen Malus hätten bekommen müssen, weil sie die Bank in die Krise gefahren hatten und teilweise staatliche Subventionen in Anspruch genommen wurden. Inzwischen ist diese Debatte auch in Deutschland gesetzlich aufgegriffen worden und die Struktur von Managereinkünften ist anders geregelt worden, der Anteil der Boni wird gegenüber dem Anteil der Festeinkommen sinken. Aber das Thema ist damit nicht obsolet. Debattiert wird, welche Managergehälter denn überhaupt akzeptabel sind. Da ging es nicht mehr nur um die Stabilisierung des Finanzsektors, sondern um allgemeine Verteilungsfragen. Befeuert wird die ganze Sache durch Studien, wonach es in Deutschland zu einem immer weiteren Auseinanderdriften von Arm und Reich kommt. Da bieten sich die Gehälter der knapp 200 Vorstandspersonen der DAX-Unternehmen doch förmlich an, um etwas gegen diese Einkommensschere zu tun.

Aber eine langfristige Umverteilung erhält ihre Dynamik sicher nicht primär dadurch, dass nach oben gedeckelt wird, sondern nach unten: dadurch, dass flächendeckende Mindesteinkommen eingeführt werden. Eine einfache Obergrenze wird höchstens zu Ausweichverhalten führen und eine Koppelung der obersten Erwerbseinkünfte an die allgemeine Lohnentwicklung führt eher zu innerbetrieblichen Verteilungsanpassungen als zu gesamtgesellschaftlichen Umverteilungen.

Oben sehe ich dennoch Ansatzpunkte: etwa eine progressiv ausgestaltete Einkommenssteuer. Und da diejenigen, die über ein hohes Einkommen verfügen, in Deutschland oft auch ein großes Vermögen haben, liegen außerdem die Wiedereinführung einer Vermögensteuer und die Einführung einer Vermögensabgabe nahe. Nur so kann man auch die Vermögen in die Verteilungsdiskussion einbeziehen.

Ueli Mäder: Ich würde das Deckeln nach oben nicht einfach als naiv abtun, sondern sagen, jeder Schritt ist ein Schritt. Allerdings ist die Abzockerinitiative  in der Schweiz teils von der Absicht getragen, den Einfluss der Aktienbesitzenden auszuweiten und das ist wohl nicht die Umverteilung und die Machttransformation, die wir uns wünschen. Es ist mehr ein Zeichen für eine Empörung als eine reale politische Verbesserung. Meine Frage wäre jetzt die nach den  Veränderungen der Einkommen und Vermögen? “It’s getting better all the time” – haben die Beatles in den 60er Jahren gesungen. Damals verbesserten breite Bevölkerungskreise ihre Lebenslage. Das ist vorbei. Da ist zum einen die Zunahme von Erwerbslosigkeit. Und zum andern der Rückgang von Löhnen: Wenn wir das verfügbare Einkommen nehmen abzüglich der Ausgaben für Steuern, für Versicherungen, Miete und Gesundheitskosten dann sehen wir ganz klar, dass ein Teil der tiefsten Löhne gesunken ist. Hinzu kommt: Auch in Teilen der sogenannten Mittelschicht haben sich die Abstiege gehäuft. Zudem hält die soziale Sicherung mit dem Wandel der Lebensformen nicht Schritt. Und seit 2004 nehmen die Anteile der öffentlichen Ausgaben gemessen am zum Glück steigenden Bruttoinlandsprodukt ab. Und dann haben wir noch diese eklatante Kluft beim Vermögen. Nach der Global-Wealth-Studie der Credit Suisse von 2010 besitzt ein Prozent der privaten Steuerpflichtigen 58 Prozent der Vermögen, das heißt ein Prozent hat mehr steuerbares Nettovermögen als die restlichen „99 Prozent“. Wir haben in der Schweiz einige empirische Studien gemacht seit Anfang der 1990er Jahre und sie zeigen, wie groß die Bereitschaft von sozial Benachteiligten war und ist, alles auf die eigenen Schultern zu nehmen und zu sagen: „Ich bin doch selber Schuld, wenn ich so wenig verdiene. Ich hätte ja auch in der Schule besser aufpassen können.“ Wir haben einen hohen Anteil von depressiv Verstimmten und aus der Verunsicherung resultiert der Versuch, den Druck nach unten ab  zu treten. Aber die Wut steigt. Enttäuschte Facharbeiterinnen und Facharbeiter hatten einst den Eindruck: „Jetzt habe ich den Job meines Lebens.“ Und plötzlich sind sie nicht mehr gefragt. Das macht wütend. Leider stellen wir aber fest, dass viele dieser Empörten auch anfällig werden für rechtspopulistische Strömungen. Das ist etwas, das mir derzeit am meisten Angst macht. Interessant ist aber auch die Frage: Wie ist die Entwicklung am anderen sozialen Pol?

Ich habe für die Studie “Wie Reiche denken und lenken” über hundert Gespräche mit Schweizer Reichen geführt und bin jetzt im Rahmen einer weiteren Studie dreimal pro Woche auch wieder bei diesen Personen. Ich stoße dort auf sehr einflussreiche Leute, die sagen: „Wenn das so weiter geht, wird es gefährlich.“ Das ist ein Zeichen dafür, dass die Macht nicht einfach nur so monolithisch daherkommt, sondern dass es Unterschiede gibt. Zum Beispiel  zwischen Finanzliberalen und politisch Liberalen, zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft sowie zwischen alten Reichen und neuen Reichen. Und  es gibt einen Teil dieser Wohlhabenden, der – teils auch ethisch motiviert – wieder mehr Gerechtigkeit einfordert.  Und das ist ja erfreulich. Aber die Existenzsicherung darf nicht vom Goodwill der Begüterten abhängen.

Bernd Riexinger: Unter dem Gesichtspunkt der Umverteilung sind Vermögensteuer, Vermögensabgabe und Erbschaftssteuer sicher wichtiger als die Deckelung von Managergehältern. Aber bei der Diskussion um Managergehälter geht es nicht in erster Linie um Umverteilungsfragen, sondern um eine Leistungs- und Gerechtigkeitsdebatte: Keiner kann das Hundertfache von jemand anderem in einem Betrieb leisten. Da geht es ungerecht zu.

Im Grundsatz war der Kapitalismus natürlich immer schon so konstruiert, dass er Ungleichzeitigkeiten und Ungleichgewichte produziert. Er hat es nie geschafft, annähernd gleiche Lebensverhältnisse hervorzubringen, aber es gab eine gewisse Phase, in der es den so genannten Fahrstuhleffekt gab. Diese Phase war aber für das Kapital schon Mitte der 1980er Jahre erschöpft. Seither haben sich erst ein Shareholderkapitalismus und dann der finanzgetriebene Kapitalismus, wie wir es heute bezeichnen, herausgebildet. Die explodierenden Managergehälter haben etwas mit dieser Formation zu tun. Der finanzgetriebene Kapitalismus lebt in hohem Maße von der Umverteilung.

Diese Umverteilung von Einkommen und Vermögen vollzieht sich auf ganz verschiedenen Ebenen. Die erste Form der Umverteilung ist die von den Löhnen zu den Gewinnen. Die zweite ist die staatliche Umverteilung: Reiche und Vermögende müssen kaum Steuern bezahlen. Es ist geradezu ein systemischer Bestandteil dieser Formation, dass sie privaten Reichtum anhäuft und gleichzeitig öffentliche Armut produziert. Die Sozialsysteme wurden auf einen Kostenfaktor reduziert und kapitalisiert. Zugleich explodierte die Inwertsetzung der öffentlichen Güter und der öffentlichen Daseinsvorsorge – Bildung und Wissenschaft, Wasser-, Energie- und Gesundheitsversorgung, Altenpflege und Wohnungswesen sind Beispiele dafür. Das dritte Element ist, dass in hohem Maße auf kurzfristige Profitraten gesetzt wird. Da kommen wieder die Managergehälter ins Spiel. Das Management hatte nicht mehr die Funktion eine langfristige Wertsicherung der produktiven Elemente, sondern es ging in erster Linie um ein rasantes Hochtreiben der Profitrate der Betriebe über die Expansion der Finanzmärkte. Die Entwicklung der Managergehälter war ein Moment dieses Prozesses. Ein viertes Element ist die damit verbundene Überakkumulation. Wenn auf den internationalen Kapital- und Spekulationsmärkten Renditen von 15 bis 20 Prozent angeboten werden, dann steckt natürlich ein Kapitalist sein Geld nur dann in produzierende Betriebe, wenn er dort ähnliche Renditen erzielen kann. Es hat einen ungeheuren Renditedruck auf die produktive Wirtschaft gegeben. Das hat nicht nur Druck auf die Löhne ausgeübt, sondern Prozesse in Gang gesetzt wie permanentes Outsourcing, Zergliederung von Betrieben, Verkauf unrentablerer Betriebe an der Börse oder Versuche, Teile der Betriebe kurzfristig rentabel zu machen, um sie dann an der Börse verkaufen zu können.

Diese Prozesse haben zu vielfältigen Spaltungen geführt zwischen Nord und Süd (inzwischen auch in Europa), zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Vermögensbesitzern und jenen, die nicht über Vermögen verfügen und natürlich innerhalb der Arbeiterklasse oder bei den Beschäftigten selbst.

Wir müssen Vermögen umverteilen, also rück-verteilen zu den Löhnen und zum öffentlichen Sektor. Damit die Menschen mehr Lohn bekommen, brauchen wir natürlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Wir müssen aber auch die durch die Agenda 2010 beschlossenen Lohnbremsen aus den Gesetzen rauskriegen, also die ganzen Gesetze, die ausschließlich gemacht wurden, um diese Spaltungsprozesse zu beschleunigen und die Position der Gewerkschaften zu schwächen: Leiharbeit, Werkverträge, Befristungen und vieles andere mehr. Das diente ja einzig dazu, das Lohnniveau dramatisch zu drücken und die Leute in permanent prekären Arbeitsverhältnissen zu halten. Trotzdem: Die Deckelung der Managergehälter sollten wir als Forderung aufrechterhalten.

Mechthild Schrooten: Wie immens die Einkommensspreizung in Deutschland ist, wird vollends klar, wenn die Einkünfte aus Kapital und Vermögen mitberücksichtigt werden. Die sind der Kern der ganzen Angelegenheit. Mit einer „Deckelung der Managergehälter“ ist nicht der Hauch eines Problems gelöst. Deswegen ist mir das ganz wichtig, daran anzuknüpfen und zu überlegen, wo kommen denn die Einkünfte her? Die Antwort ist: die Einkünfte kommen heute aus Vermögensbeständen. Wenn du die Managergehälter deckelst, bauen sie ihre Einkünfte um, zu Gunsten der Einkommensart, die hier nicht betrachtet wird. Und damit hat man dann genau das erreicht, was man nicht erreichen wollte.

Ueli Mäder: Wir müssen aber eine ökonomistische Argumentation vermeiden. Es gibt nicht nur Struktur, es gibt auch Kultur. Die Causa des früheren Verwaltungsratspräsidenten von Novartis,  Daniel Vasella, der fast 72 Millionen Franken Abgangsentschädigung bekommen hätte, hat in der Schweiz einen Sturm der Empörung ausgelöst. Dieser Herr Vasella hat mir gesagt, ja Herr Mäder, Sie argumentieren eigentlich kapitalistischer als ich, wenn Sie verlangen, dass wir mit den oberen Löhnen zurückfahren. Dann bekommen einfach die  die Aktionärinnen und die Aktionäre mehr Geld und das geht dann ins Ausland, am Fiskus vorbei. Trotzdem halte ich an dieser Forderung fest, die Boni und Managerlöhne zurückzufahren. Man muss an dieser Empörung, an der Verzweiflung der Leute anknüpfen. Und jene politisch Liberalen berücksichtigen, die immerhin sagen, wir müssen wieder die öffentlichen Güter, die staatlichen Einrichtungen stärken.

Bernd Riexinger: Ich würde es genauso sehen. Meine Frage wäre, wie wir die Leute dafür gewinnen können, an diese Verteilungsfrage offensiver ranzugehen. Erstens müssen wir die Lohnfrage stark machen, sie offensiver in den Mittelpunkt stellen. Zweitens geht es um Eingriffe in die Sekundärverteilung. Die  Haltung zu den öffentlichen Gütern hat sich in der Bevölkerung verändert. In den 1990er Jahren war es schick zu privatisieren und es galt der Spruch „privat ist besser und billiger“. Inzwischen ist es mehrheitsfähig, dass wir eine gute öffentliche Gesundheitsversorgung brauchen, dass wir Kindertagesstätten brauchen, dass wir eine gute Bildung brauchen, Lehrerinnen und Lehrer, Altenpflegeheime und vieles andere mehr; das Öffentliche hat höhere Bedeutung. Drittens hat der finanzgetriebene Kapitalismus zu massiven Disproportionen, Mängeln und Unterversorgungen geführt. Man muss also über die Verteilungsprozesse hinaus in die wirtschaftlichen Prozesse eingreifen, also etwa Investitionen steuern. Investitionsprogramme für den öffentlichen Sektor und Gemeinwohlinvestitionen müssen wieder in den Vordergrund gestellt werden – gegen die herrschende profitorientierte Investitionspolitik.

Wie kommen wir dorthin? Ich glaube, dass Umverteilkampagnen bisher deshalb keine Massenbasis in Deutschland bekommen haben, weil zwar erstmals eine Mehrheit der Menschen dafür ist, es aber keine historische Erfahrung gibt, dass sowas machbar ist. Die Erfahrung der letzten 30, 40 Jahre ist, dass immer von unten nach oben verteilt wurde. Vielleicht trauen sie der Linken noch am ehesten zu, dass sie den Reichen in die Taschen greifen. Allerdings sind diese Kampagnen im Kern zu wenig aggressiv auf den Punkt. Sie haben keinen klaren Gegnerbezug. Es gibt da einen bekannten Satz von Saul Alinski, für Kampagnen gelte das Prinzip, „nagle das Bild deines Gegners an die Wand und schieße dich darauf ein“. Das heißt, wenn du nur allgemein „Umverteilen“ forderst, ohne konkret zu sagen, wem du etwas wegnehmen willst, wirst du keinen Erfolg haben. Deswegen brauchst du für jede Kampagne zum einen ein klares Gegenüber in der Frage, wem du das Geld wegnehmen willst und zum anderen eine Gegenüber in den politischen Parteien, mit deren Hilfe du das durchsetzen willst. Beide Aspekte fehlen heute bei der Umverteilungskampagne in Deutschland völlig.

Ueli Mäder: Die Schweizer Abzockinitiative war zwiespältig. Sie half, die Empörung zu teilen, schürte aber Illusionen. Dennoch, auch wenn der Alinski-Satz nur beschränkt zutrifft – es ist wichtig, beispielhaft, handfest, konkret argumentieren zu können, das hilft. Wir dürfen diese anschauliche Politik nicht einfach den Rechtskonservativen überlassen.  Es ist aber problematisch, sich für einen prononcierten Linkspopulismus stark zu machen. Es gibt viele Menschen, die nicht simplifizieren und pauschalisieren, sondern differenzieren wollen.

Bernd Riexinger: Wir haben in Deutschland den Zustand, dass ungefähr 80 bis 90 Prozent der Menschen durchaus der Meinung sind, dass Reiche mehr Steuern bezahlen sollen. Ungefähr eine ähnlich hohe Gruppe ist für einen gesetzlichen Mindestlohn und selbst die Forderung der Linken, Einkommen ab einer Million mit 75 Prozent zu besteuern, hat zu keinem Aufschrei geführt. Erst als in den Medien kolportiert wurde, wir würden jetzt 100 Prozent fordern, ging es um „Enteignung“ – da war eine Grenze der gesellschaftlichen Debatte. Auch die Forderung nach höheren Löhnen und Renten wird von der Mehrheit der Leute unterstützt. Das ändert sich radikal bei der Frage nach einer sanktionsfreien Mindestsicherung für Erwerbslose.

Ich habe versucht zu erklären, warum die Kampagne nicht so richtig greift. Kampagnen greifen nur dann, wenn die Menschen das Gefühl haben, es soll tatsächlich etwas verändert werden und wir haben einen Horizont, wie wir das tatsächlich erreichen können – nur dann kriegen sie Massencharakter. Oder die Empörung wird eben zu groß. Das gibt es ja auch, wie in Griechenland oder woanders.

Mechthild Schrooten: Ich denke auch, dieses „Umverteilen“ ist ein bisschen abstrakt und dann wirklich zu sehr auf Geld bezogen. Alle wollen umverteilen, alle sind ja irgendwie dafür und letztendlich bewegt sich nichts. Es bewegt sich wirklich nichts, weil diese Kampagne nicht entsprechend medial begleitet wird. Das Spiel der Medien darf man nicht ignorieren. Die Berichterstattung ist tendenziös, spätestens dann, wenn es um die Vermögensteuer geht.

Ueli Mäder: Es ist wichtig, die unterschiedlichen Fraktionen auch im Kapital zu sehen. Ein symbolisches Beispiel sind die neueren Managerausbildungen: Da findet man den Rückfall in das alte, hardlinerische, militärische Prinzip und ebenso die Betonung von ‚Softskills’. Aber wichtiger ist: Die eine Fraktion im Finanzkapital, steht dafür, ihre Interessen rein machtmässig durchzusetzen – sie sagen, für Widerständiges haben wir die Ordnungskräfte. Eine andere Fraktion liegt näher an der Realwirtschaft und sagt, wir müssen unsere Prinzipien hegemonial durchsickern lassen. Da gibt es wenigstens noch eine Bereitschaft  zur Kommunikation und Vermittlung.

Bernd Riexinger: Um es in der Sicht vieler Keynesianer zu sagen: die extreme Umverteilung von unten nach oben läuft auf wachstums- und wohlstandshemmende Prozesse hinaus. Diese Aufklärung muss man leisten – und gleichzeitig ihre Grenzen zeigen. Aber in beiden Fällen bedarf es einer gewissen Offensivität. Freiwillig werden sie den Reichtum nie hergeben, also müssen wir sagen, wie es zu erreichen ist, dass sie ihn hergeben müssen, dass dies überhaupt vorstellbar wird. Dazu sind zwei Dinge nötig: erstens, politische Parteien, die den Mut haben tatsächlich neu zu regulieren, Vermögensteuer und Erbschaftssteuer zu erheben, etc.. Dies muss zweitens durch eine Mobilisierung auf der Straße flankiert werden. Ohne Massenbewegungen wird es das niemals geben, der Druck der Gegenseite ist zu groß. Auf die Medien kann man nicht setzen. Die Medien sind überwiegend Akteure, die selber auf den Kapitalmärkten und Finanzmärkten operieren und das Mediengeschäft quasi nebenher betreiben.

Uli Mäder: Die Argumentation, „niemand kann so viel leisten, wie sie oder er in diesen oberen Chargen verdient“, mobilisiert. Das führt weiter. Aber es ist zugleich heikel, so auf dieses meritokratische Prinzip zu setzen. Wir müssen auch unsere einseitige Orientierung an der Leistung kritisch befragen.

Bernd Riexinger: Ich möchte zum Abschluss an die schöne Formulierung von Pierre  Bourdieu über die „linke und rechte Hand des Staates“, Einbindung über Sozialstaat und Umverteilung einerseits und Repression andererseits, erinnern. Wir müssen die linke Hand stärken und ich bin unbedingt dafür, das öffentliche Eigentum zu stärken. Nicht nur als Richtung in der Verteilungsfrage, sondern auch um Bereiche aufzubauen, die nicht der Kapitalverwertungslogik unterliegen, also der Inwertsetzung aller Lebensbereiche Grenzen zu setzen. Wir müssen dies mit zwei Dingen verbinden, um die alte Staatsfixierung der Linken wenigstens ein bisschen außer Kraft zu setzen: wir müssen die Stärkung des Öffentlichen mit Demokratisierungs- und Selbstverwaltungsforderungen verbinden. Und wir müssen darauf beharren, dass die Logik der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht die Wettbewerbslogik der privaten Wirtschaft sein darf. Die öffentliche Logik ist eine bedarfsorientierte Logik. Man muss deutlich machen, dass Kinder nicht wettbewerbsfähig erzogen werden dürfen und das Kranke oder Alte nicht nach der Profitlogik gepflegt werden dürfen. Ich glaube, das leuchtet ein.

Anmerkung

[1] Gegen die Intiative wurde eine Angstkampange von Wirtschaftsverbänden gestartet. Die Abstimmung ist inzwischen mit 65 Prozent abgelehnt worden.

Mehr zum Thema: “Es reicht” – LuXemburg 2/2013