| Energiekämpfe – Editorial

März 2012  Druckansicht

Die ausgerufene »Energiewende« in der BRD setzt auf Grünen Kapitalismus. Getrieben von Akzeptanzverlusten und Katastrophen wie Fukushima vollzieht die Regierung den Ausstieg aus der Atompolitik und den (zögerlichen) Einstieg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien – ein Markt, der weltweit auf etliche Billionen Dollar anwachsen wird. Wie die Dampf- und Textilmaschinen für den Beginn der Industriellen Revolution standen, wie Taylorisierung und Fließband die technische Basis für den Fordismus und die IT-Revolution für die Globalisierung bereitstellte, soll die globale Energiewende die Grundlage für einen ökologischen Umbau der Produktionsweise und neue Wertschöpfungsstrategien liefern. Nicht nur in der Bundesrepublik kämpfen dabei gerade jene um eine führende Rolle, die bislang eine Energiewende mit Macht blockiert haben: die fossilistischen Kapitalgruppen und die Oligopolisten der Stromversorgung. Favorisiert werden marktförmige Lösungen, die der Struktur und Macht der Konzerne entsprechen und das dezentralisierende Potenzial der neuen Technologien konterkarieren: großtechnische Projekte wie Desertec, riesige Offshore– Windparks, monopolisierte transkontinentale Supergrid-Netze für den großräumigen Stromexport und – die Atomkraft; wenn nicht hierzulande, dann als Exportgut in die aufstrebenden kapitalistischen Zentren China, Indien oder Brasilien. Letztere favorisieren ebenfalls Megaprojekte wie Atomenergie oder gigantische Staudämme, setzen auf Produktion von Biotreibstoffen auf Kosten von Nahrungsmitteln oder von Kohle, Öl und Lithium für die globale E-Autoentwicklung, wie z.B. in Bolivien. Zugleich wird der Fossilismus auf die Spitze getrieben, noch nach dem letzten Tropfen Öl gegraben: Bislang unprofitable Ölsande, riskante Tiefseebohrungen oder abgelegene Ölfelder werden durch steigende Ölpreise lukrativ – Xtreme Energy nennt dies Michael Klare.

Diese false solutions – falsche Lösungen, wie sie in den globalen Gegenbewegungen bezeichnet werden – produzieren eine Vielzahl sozial-ökologischer Konflikte entlang von Klassen, ethno-nationalen, geschlechtlichen und anderen Zuschreibungen. Wir fassen dies versuchsweise als Energiekämpfe zusammen – und folgen darin einer Strategie aus den Bewegungen: Sie setzen bei denen an, die nicht gefragt wurden, aber allerorten die Kosten der Energiewende tragen. Meist sind die Widerstände lokal, partikular, kaum vernetzt, die Bedingungen und worum gekämpft wird, oft kaum vergleichbar: gegen Ölkonzerne in Nigeria, den Bau des weltweit größten Atomkraftwerkes in Südindien, das Abtragen ganzer Dörfer durch Staudammprojekte oder – anders – den Braunkohleabbau; auch gegen die »Verspargelung der Landschaft« mit Windrädern und Gasverpressung in Brandenburg. Lassen sich die Widerstände verbinden, nicht nur äußerlich, sondern als Teil eines gemeinsamen, auf (soziale) Demokratisierung gerichteten Kampfes verstehen?

Einigkeit besteht bei Linken über die Notwendigkeit eines »Energiesystemwechsels « (Hermann Scheer). Umstritten sind die Schritte dorthin, nicht zuletzt innerhalb linker Bewegungen: Wie können soziale und ökologische Politiken zusammengebracht werden? Die Frage stellt sich in Lateinamerika wie in Brandenburg – je unterschiedlich. Der Extraktivismus verspricht im »globalen Süden« Wohlstandsgewinne und ermöglicht im »globalen Norden« die Fortführung einer konsumistischen Lebensweise – beide haben zerstörerische ökologische Folgen. Energiekämpfe sind auch Kämpfe ums Ganze.

Was sind gerechte Übergänge, die auch für die von der Klima- und Energiekrise am stärksten Betroffenen wie für die vom Umbau bedrohten Beschäftigten, Gemeinden und Länder eine Perspektive bieten (vgl. Luxemburg 1/2011)? Welche Begriffe können diese fassen, um welche Konzepte können sie sich organisieren? Vorgeschlagen werden Energiedemokratie und Energiesouveränität. Neben den Kämpfen gegen »fossilistische« oder zentralistische »Lösungen« können diese Orientierungen Projekte anleiten, die Einstiege in eine sozialökologische Transformation denkbar machen: Re-Kommunalisierung etwa und (Bio-)Energiedörfer. Diese Transformation muss eine Dezentralisierung der Energieproduktion mit einer Demokratisierung von Macht- und Eigentumsverhältnissen verbinden, ganz im Sinne Hermann Scheers (vgl. Luxemburg 1/2011), dem dieses Heft gewidmet ist.